Sachbücher

aus der Schriftenreihe Beruf / Wirtschaft / Humankapital, begründet 1983

Die meisten Exemplare der BWH-Schriftenreihe können zum Antiquariatspreis beim Walthari-Verlag bestellt werden (solange vorrätig)!

Wissenschafts- und Universitätspolitik

Buchtitel: Die Universität als Lebensform und Reformopfer

Eine Bilanz nach zweiunddreißig Lehrstuhljahren, 2002

Einführung

Wer als Universitätslehrer auf fünfundsechzig Semester zurückblicken kann, darf sich wohl Urteile über eine der ältesten, zugleich komplexesten und sensibelsten Institutionen der abendländischen Kultur erlauben – mit aller Vorsicht und Differenzierung natürlich, wie es einem Homo scientiae geziemt. Zwar konnte ich meine Erfahrungen lediglich an einer vergleichsweise kleinen Hochschule in der (pfälzischen) Provinz sammeln, aber selbst die bukolische Weinlandschaft vor den Toren meiner Alma Mater hat eifernde Reformer nicht davon abhalten können, das universitäre Leben immer wieder in Schieflagen zu bringen. Eine Universität, die sich ihrer geschichtlich gewachsenen Strukturidee und ihres verfassungsrechtlich geschützten Auftrags bewußt ist, hat nichts notwendiger als wache und mutige Hochschullehrer, die wissen, daß es nicht genügt, nur exzellente Forschung und Lehre betreiben zu wollen. Ist doch die deutsche Universität seit ihren Anfängen im 15. Jahrhundert ein ständiges Objekt wissenschaftsfremder Begierden von innen und von außen – heute mehr denn je.

Innerhalb ihrer Mauern sind der Gremienbetrieb, die Quotenprivilegien, die zentralistische Verwaltung und der Ämterehrgeiz mancher Wissenschaftler ihre größten Feinde. Von außen fühlt sich die Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden gesetzlich und ideologisch so sehr eingeschnürt, daß sie ihre originären Aufgaben, nämlich Erkenntnisgewinnung und -vermittlung sowie Persönlichkeitsbildung, zum betriebswirtschaftlichen Durchlaufproblem von Massen verkommen sieht. Den Großbetrieb namens Universität halten Kapazitätsverordnungen, detaillierte Studien- und Prüfungsordnungen, Evaluationspraktiken und zahlreiche andere Vorgaben in Atem – sichtlich zum Wohlgefallen vieler Universitätspolitiker in Verbänden, Parteien, Parlamenten und Ministerien, die primär anderes im Sinn haben als die Pflege der Wissenschaften. Weder die inneruniversitären Funktionäre und Quotenüberwacher noch die externen ›Reform‹-Antreiber werden je begreifen, was Wissenschaft als ethosgeleiteter Beruf (Max Weber) bedeuten kann und welche Bildungschancen sie der studierenden Jugend durch wuchernden Reformeifer vorenthalten. Vornehme Zurückhaltungen der berufenen Vertreter der Wissenschaft sind völlig fehl am Platz…

Inhaltsverzeichnis

Einführung 9

Binnenleben – Universitäres Leben: Selbstverständnis und akademische Spiel-Regeln 11

Universitäres Selbstverständnis? 11 ? Gemeinschaft der Lehrenden
und Lernenden 11 – Selbstbehauptung des Geistes 12 – Kulturelle Barbarei 12 – Akademische Spiel-Regeln 13 – Emergentes Großunternehmen 13 – Kollegialitätsprinzip 14 – Mitbestimmung 15 – Reformtagungen 16 – Einheit von Forschung und Lehre 16 – Universitas 17 – Universität und Staat 18 – Zynischer Geist 20 – Akademischer Klein-Bürger 20 – Jobmentalität 20 – Wehmütige Erinnerung 21 – Grußworte und Prominentenreden 23 – Talarzynismus 23

Zwischentext 1
Zur Humboldt’schen Bildungs- und Universitätsidee 25

Autonomie – Gefesselte Wissensriesen: Wie autonom sind noch Universitäten? 28
Faktische Autonomiebeschränkung 28 – ›Undemokratische‹ Wissenschaft? 28 – Gibt es eine Alternative zur Budgetierung? 28 – ›Schließt die Hochschulreferate!‹ 29 – Deklaration 30 – Teilautonome Universitäten 30 – Vertreibung der Eliten 31 – Leistungsbezogene Finanzdotierung 31 – Unter Ahnungslosen 32 – Wissenschaftsverlierer 32 – Hochschulen als Wissenskonzerne? 33 – Finanzautonomie und Sponsorenblindheit 33 – Arbeitsklima 34 – Mentaler Autonomieverlust 35 – Gesetz der Wissenschaft 35

Zwischentext 2
Nietzsches Bildungs- und Universitätsverständnis 36

Studieninhalte – Dringliche Erwartungen:
Wissensgebote und Erkenntnispfade 43
Lehrangebot und späteres Berufsfeld 43 – Strukturlernen 44 – Pfade durch’s Wissensdickicht 44 – Harte Fächer, weiche Fächer? 45 – Inhaltsbeschwörung des Wissenschaftsrats 46 – Lehrfreiheit vor Firmenschutz 47 – Studium generale 48 – Unternehmerisches Denken? 48 – Potemkinsche Blendwerke 49

Zwischentext 3
Max Weber: Akademisches Leben – »ein wilder Hasard« 50

Studienabschlüsse – Masterblüten: Akademische Titelwirtschaft 55
Diplom und Magister ade? 55 – Ministerielle Aushebelungen 56 – Vom Abitur zum Aditur 57 – Studienabbrecher 57 – Zielvereinbarungen 58 – Gleichwertigkeit als Inhaltsschimäre 58 – MBA-Schelmereien 59 – Entprofessionalisierte Lehramtsstudiengänge 59 – Getürkte Europafähigkeit 62

Zwischentext 4
Eleganter Unsinn: Über wissenschaftliche Scharlatanerie 63

Reformen – Meist schneidiger Aktivismus: Die Universität als Reformopfer 65
Warum universitäre Großreformen meist scheitern 65 – Grundpfeiler einer fortwirkenden Universitätsreform 67 – Personalstruktur und -status 68 – Kleine Änderung mit großer Wirkung 69 – Statthaltertum 69 – Eulenspiegeleien 70 – Landesherrlich 70 – Jahresberichte des Präsidenten 71 – Hochschulrektorenkonferenz 71 – Reformsaldo 72 – Lehrstück für Reformopfer 72 – Alt bleibt neu 73 – Syndikalistische Großreformer 74 – Dezentralisierung 75 – »Feinde der Universitäten« 76

Zwischentext 5
Didaktische Überdosis: Der Furor pädagogischer Fürsorge 77

Evaluation – Mit der Meßlatte unterwegs: Qualitätsmanagement in Forschung und Lehre 81
Was evaluierbar ist 81 – Evaluations-›Industrie‹ 82 – HRK-Evaluationsideen 83 – Unerwünschte Evaluationseffekte 83 – Bildungscontrolling 84 – Die Vorlesung als Fertiggericht 84 – »Gar nicht erst ignorieren« 85 – Studentische Lehrwünsche 85 – Ansehens-Messungen 86 – Sancta ira doctrinae 87 – Lehranreize 88 – Diener seines Faches 88 – Lehrberichte 89 – Wer rettet die Wissenschaft vor REFA-Experten? 89 – Lehrportfolio 90 – Gymnasialisierung der Universitäten 90 – Hochschulreformpapiere 92 – Bummel-Studium 92 – Folienprofis 93 – Merkmale guter Lehre 93

Zwischentext 6

Die Vorlesung: Ein akademischer Meisterpfad jenseits der Ächtung 95

Professoren – Oh je, die liebe Kollegenschaft: Professoren zwischen Ängstlichkeit und Pflichterfüllung 100
Professorenschelte 100 – Libido sciendi 101 – Professorenberatung 103 – Präsenzpflicht 104 – ›Pisa‹-Professoren 105 – Werden Professoren durch Drittmitteleinwerbung kriminalisiert? 107 – Wissenschaftsfreiheit 108 – Betrogene Studenten, genarrte Professoren 111 – Promotionsnavigator 112 – Ambulante Lehre 112 – Hausberufungen 113 – Wundersame Lehrstuhlvermehrung 113 – Grauenvoll 114 – Seniorprofessoren 115 – Emeritusschweif 115

Zwischentext 7
Innovationsüberlastung: Ein reformskeptisches Erinnerungsstück 116

Mittelbau – Wackere Helfer: Betrachtungen zum Mittelbau 119
Uni-Flüchter 119 – Förderung und Fürsorge 119 – Institutsstil 120 – Hurtiger Corpsgeist 121 – Schlechte Manieren 122 – Mitarbeiter und Nestflüchter 122 – »Von des Orts Beschaffenheit zu Universitäten« 123

Zwischentext 8
Radikalkur: »Schafft die staatlichen Universitäten ab!« 124

Studierende – Strebsame Luxusgeneration: eine bildungspolitische Manövriermasse 127
Studentsein heute 127 – Der Student als Universitätskunde 127 – Hochschul-Reife? 128 – Zum Studentenbild der Professoren 129 – Der Teilzeitstudent 129 – Animationsklima 130 – Stipendiennot 130 – Studiengebühren 131 – Mehr Maus als Buch 132 – Der Wohnort der Großmutter als Auswahlkriterium 133 – NC-Bürokratisierung 133 – Ausländische Studenten 134 – Studieren in fremden Landen 135 – Kriminalistische Suchmaschinen 135 – Gewalt und Disziplin 136 – Arbeitgeberklagen 137 – Hochschulen als arbeitsmarktpolitische Parkstation 138 – Seniorstudenten 138

Zwischentext 9
Universitätsberater: Bestellte Legitimationsbereiter 139

Universitätsverwaltung Mal so, mal so: Die Universität als Behörde 142
Gestufte Hochschulverwaltung 142 – Präpotente Verwaltung 143 – Verwaltungsvereinfachung 143 – Teilprivatisierung der Hochschulverwaltung 144 – Universitäres Sozialkapital 144 – Ängstliche Verwalter 146 – Basisferne 146 – Die HRK als Überverwalter 147

Zwischentest 10
Formelschön: »Der Capitalwerth des Menschen« 148

Imagepflege – Die Alma Mater am Schmink- und Spieltisch: Arbeiten am Mythos der Universität 150
Alma Mater? 150 – Bildverschönerungen 150 – Arbeiten am Mythos Universität 152 –

Zwischentext 11
Sprachverlust heißt Erkenntnis- und Weltverlust: Muttersprachliche Defizite 155

Vermarktung – Die Mähr vom Elfenbeinturm: Universität und Gesellschaft 159
Universität und Beschäftigungssystem 159 – Marktanpassungen 160 – Universität als Teil der Ordnungspolitik 161 – Profilbildung 162 – Moderatorenmodell 163 – Kontaktstudium 163 – Subventionierte Wirtschaftskooperationen 163 – Wissensgesellschaft 164 – Pflicht zur Drittmitteleinwerbung 164 – Gemachte Wissenschaftler 164 – Universitäten als Mahner und Wegweiser 165 – Universität und Gesellschaft 166 – Wissenschaftstourismus 167 – Absolventenbücher 167 – Corporate Universities 168 – Gehorsamst zu Diensten 169

Zwischentext 12
Kategorialanalysen: ein einheitsstiftender Anker der Wissenschaften 170

Wissenschaftspolitik – Beste Grüße aus Amerika: Über universitäre Wissenschafts- und Fachpolitik 172
Universitäre Politikfelder und Durchgriffsorganisation 172 – Fürsorglichkeitsdiktatur der Hochschulpolitiker 172 – Zerbrochene Einheit der Wissenschaften 173 – Demokratisierungsideologien 174 – Jahresgutachten zur Lage der Universitäten 176 – Syndikalistische Aufräumer 176 – Fachidole 176 – Vergessene Disziplinmeister 177

Literarischer Diskurseifer Buchrezensionen 178

Abkürzungsverzeichnis 190
Literaturhinweise 192
Themeneinschlägige Veröffentlichungen des Verfassers 200
Stichwortverzeichnis 202

Lebensphilosophie

Buchtitel: Die Universität als Lebensform und Reformopfer

Eine Bilanz nach zweiunddreißig Lehrstuhljahren, 2002

Mein sonderbares Leben

Ein autobiographischer Rückblick

Erich Dauenhauer

198 Seiten

Inhalt (Auszug)

  • Einführung 7
  • Vorfahren und frühe Kindheit 10
  • Späte Kindheit 21
  • Jugendjahre im Internat 30
  • Klassenkameraden 36
  • Studienjahre in München 38
  • Lehrer und Lehrerbildner 43
  • Frühe Lektüre 49
  • Beruflicher Neustart 50
  • Die neue Welt als Universitätslehrer 50
  • Familiäres Glück 58
  • Weiterungen 62
  • Ausklang mit Nachklängen 82
  • Die letzte Periode als amtsaktiver Universitätslehrer 82
  • Meine Studenten 89
  • Reisen 90
  • Literarisches Leben 93
  • Akademische Feier anläßlich meiner Emeritierung 96
  • Widerspruchsgeist 99
  • Neugestaltung des Privaten 101
  • Kirchliche Räume 104
  • Entfaltungen im Alter 106
  • Meine Emeritus-Veranstaltungen 106
  • Unsere Freundschaften 108
  • Alles lief auf das Walthari-Projekt hinaus 110
  • Literarische Steigerungen 116
  • Die Literaturzeitschrift Walthari® 118
  • Erstmals nicht von außen verplant 122
  • Rezensionslust 123
  • Entfaltungen im hohen Alter 125
  • Mein Lebensstil jenseits der Achtzig 125
  • Humor 128
  • Unabschließbare Vorhaben 129
  • Gesundheit – Krankheit 131
  • Kritisches autobiographisches Vergewissern 133
  • Lobreden 138
  • Nachwort 175
  • Anhang 177
  • Kurz-Vita 178
  • Ahnentafel 179
  • Das Walthari-Projekt 181
  • Walthari-Portale im Netz 182
  • Artikelserien in den elektronischen Walthari-Foren 185
  • Bereiste bzw. besuchte Länder 187
  • Schwerpunktthemen der Literaturzeitschrift Walthari 188
  • Bücher, die mich prägten bzw. prägen 190
  • Belletristische Titel 191
  • Titel der Schriftenreihe Beruf, Wirtschaft, Humankapital 192
  • Buchveröffentlichungen vor 1982 195
  • Bisherige Vorlesungen im Studium generale 196
  • Impressum 198

Alterswege

Erich Dauenhauer

134 Seiten

Inhalt

  • Worauf es ankommt 5
  • Wer ist alt? 10
  • Sein Alter bewußt wahrnehmen 12
  • Zur Kunst des Alter(n)s: Japan 15
  • Zur Kulturgeschichte des Alter(n)s: die Antike 17
  • Drei klassische Altersdenker 20
  • Den technischen Anschluß nicht verpassen 26
  • Zur Kulturgeschichte des Alter(n)s: das Mittelalter 28
  • Altersgefühle 31
  • Zwei moderne Altersdenker 38
  • Rituale im Alter 42
  • Zur Kulturgeschichte des Alter(n)s: Renaissance und frühe Neuzeit 45
  • Veränderungen im Selbstbild 48
  • Lebensphilosophie 51
  • Veränderung im Gottesbild 52
  • Schwere Krankheiten 57
  • Veränderungen im Weltbild 61
  • Zur Kultur des Alter(n)s in der Moderne und Nachmoderne 65
  • Lebenskontinuität 69
  • Mein Mediengebrauch 72
  • Als Emeritus an der Universität 75
  • Strukturierte Tage 78
  • Die Kunst des Lassens 81
  • Soziales Netz 84
  • Wichtige Alterstugenden 87
  • Zukunftsbilder 90
  • Essen und Trinken 93
  • Alter als Thema in anspruchsvoller Literatur 96
  • Schlafen und Träumen im Alter 102
  • Freundschaft mit Büchern 105
  • Von der Meditation zur Kontemplation 108
  • Verzeihen, nicht vergessen 112
  • Mißverstandene Askese 115
  • Bedächtigkeit als Altersstil 118
  • Altersbeistände: von der Pflegerin zum Pflegeroboter? 121
  • Literaturverzeichnis 125
  • Namensverzeichnis 128
  • Stichwortverzeichnis 129

Weisheitliche Lebensführung

Ein Breviar für Eliten

Erich Dauenhauer

3. Auflage, 1999

Aus dem Inhalt

  • Kann man sein Leben ›führen‹?·
  • Wer ist weise?·
  • Warum weisheitliche statt weise Lebensführung?·
  • Ist Weisheit lehrbar?·
  • Woran erkennt man den Weisheitssucher?·
  • Ist Weisheit elitär?·
  • Weisheitssuche anhand eines Breviars?·
  • Glücksstreben· Sich einzurichten wissen·
  • Sich einrhythmen·
  • Einsamkeitsfähigkeit·
  • Sich Farbe und Form geben·
  • Das private Netz·
  • Das transzendentale Dach·
  • Der soziale Spiegel·
  • Maximen zur Lebensweisheit·
  • Verhüllte Privatheit·
  • Stummberedte Freunde (Bücher)·
  • Salutogenese· Innehalten

290 Seiten, flexibler Einband

Leseprobe: Weisheitliche Lebensführung

(6) Gibt es ›Kategorien zum Glück‹, die kulturunspezifisch und der Conditio humana angemessen sind? Wohl diese: (a) Glück ist kein direkter Gegenstand menschlichen Strebens, sondern vor allem Begleiteffekt gelingender Lebensführung. »Man entschließt sich nicht zum Glück, wohl aber zu einer Lebensform (gr.: bios), die das Glück mit gutem Grund erwarten läßt… Deshalb läßt sich auch das Glück nicht öffentlich herstellen.« (b) Glück entspringt einer ganzheitlichen Befindlichkeit: aus einem Abgestimmtsein von Körper, Geist und Seele; möge der Körper noch so gesund und der Geist hochgebildet sein, bei seelischem Kummer will kein Glück aufkommen (und vice versa). (c) Glück hat mit der Fähigkeit zu tun, seine Erwartungen mit einem angemessenen Mitteleinsatz klug abstimmen zu können; hier greifen die Mesoteslehre (vgl. Kapitel: Aristoteles) und die Nahethik (vgl. Kapitel: Epikur sowie Kapitel: Marquard); selbstidentische Zufriedenheit kann durchaus glücklich machen. (d) Glück ist ein existentieller Reflex aus sittlichem Leben, d.h. aus der Übereinstimmung von ethischen Werten (Gerechtigkeit usw.) mit dem eigenen Handeln; Epikur: »Die schönste Frucht der Gerechtigkeit ist Seelenfrieden.« Gerechtigkeit steht glücksphilosophisch für Tugendhaftigkeit. (e) Glück entspringt einer Weltbildkonsistenz (vgl. Kapitel: Transzendentales Dach) in Übereinstimmung mit realistischen Selbstentfaltungszielen; wer sich für ethische Werte einsetzt, kann Glück empfinden; (f) Glück nährt sich, in Ergänzung zum guten Charakter, zum wohlwollenden Denken und zur schlüssigen Identität (vgl. oben), aus Kunsterlebnissen (ästhetische Erfahrungen); jedermann weiß: Musik z.B. kann glücklich machen. (g) Glück entfaltet sich in erfüllender Kommunikation (mit Freunden, im Forschungsdiskurs usw.). (h) Glück gedeiht auf sozialer Resonanz (vgl. Kapitel: Der soziale Spiegel); einem Olympiasieger wird Freude durch weltweite Anerkennung zuteil; ein Kind strahlt, wenn wir es aus gutem Anlaß loben. (i) So unverfügbar Glück letztlich ist und sowenig dabei das Leiden vergessen werden kann, so sehr muß es einem menschenwürdigen leben erlaubt sein, nach Glück Ausschau zu halten und etwas dafür zu tun. (j) Weniger in der Erfüllung als im Streben nach Glück und in der Erwartung auf Glück stellt sich jene Freude ein, die Menschen so notwendig zum Leben brauchen wie die Luft zum Atmen.

Wege und Irrwege ins 3. Jahrtausend

Ein Breviar für anspruchsvolle Entscheider

Erich Dauenhauer

7. Auflage, 1999

Aus dem Inhalt

Erste Leserunde

  • Ich-Führung 1: Glücksmanagement. Wider das Verschwinden des privaten Glücks
  • Gegenwartsbetrachtung 1: Einige Thesen zur Gegenwartsgesellschaft
  • Mitarbeiterführung 1: Distanz und Nähe
  • Schein-Alternative 1: Generalist oder Spezialist?
  • Prozeßkategorie 1: Kritische Zonen
  • Falsche Propheten 1: Ideenmonopolisten
  • Vision 1: Der ideale Entscheider
  • Zukunftsbetrachtung 1: Thesen zur Zukunftsgesellschaft
  • Weisheitsexistentiale 1: Indirektheit
  • Gespräch mit Wenamun: An der Schwelle zum ersten vorchristlichen Jahrtausend
  • Heikle Fälle 1: Lustknechte
  • Entscheiderbibliothek 1: Eiserne Bestände

257 Seiten, flexibler Einband

Leseprobe: Wege und Irrwege …

Du-Seuche. In Betrieben ist man mit dem Du schnell zur Hand, auch auf Entscheiderebene und sogar zwischen Entscheidern und Mitarbeitern. Bis Ende der siebziger Jahre erwuchs ein Du aus langjähriger Arbeitsgemeinschaft oder aus Sympathie durch verwandte Denkweisen oder private Steckenpferde. Nach skandinavischem und vermeintlich angelsächsischem Vorbild hält man es für schick, in einen brüderlichen und schwesterlichen Du-Umgang ohne weitere Umstände hinüberzugleiten, ohne Rücksicht auf Altersunterschiede, Berufsstellungen und persönliche Lebensstile. Ein Sie hat häufig schon Ausschließungsfunktion (Mobbing) und bleibt für patriarchische Altentscheider reserviert. Der soziale Du-Druck kann so groß werden, daß eine Verweigerung schon als Störung des Betriebsklimas gewertet wird. Um nicht als altväterlich zu gelten, beugen sich viele Entscheider widerstandslos dem Druck oder gehen sogar in die Offensive, indem sie die Parole ausgeben: »Wir sind eine Betriebsfamilie! Und in einer Familie duzen sich alle, auch Opa und Enkel.«

Es ist ein verbreiteter Irrtum zu glauben, unterschiedliche Umgangsverhältnisse seien unangemessen und verstießen gegen die Gleichheit der Menschen. Sie löcken gegen die Gleichheitsideologie, gewiß, und das ist gut so, denn es ist gerade umgekehrt, als es die Nivellierungsmode glauben machen will: Verordnete oder gedankenlose soziale Einebnungen unter den Menschen (mit nun mal verschiedenen Begabungen, Leistungen, Rangpositionen usw.) gehen auf Kosten von Freiräumen, die jeder Einzelne und die Betriebe benötigen, um das effiziente Spiel zwischen Distanz und Nähe in Gang zu halten.

Zeitmanagement für Entscheider

Wege zur persönlichen Zeitsouveränität

Erich Dauenhauer

3. Auflage, 1999

Aus dem Inhalt

  • Erster Zugang zur persönlichen Zeitsouveränität: den eigenen mentalen Schutt wegräumen
  • Zweiter Zugang zur persönlichen Zeitsouveränität: Zeitfallen erkennen
  • Lebensphilosophischer Zugang zum Zeitwohlstand
  • Das Netzwerk des Zeitmanagements
  • Sortier- und Plazierungsregeln
  • Fokustechniken
  • Planungstechniken
  • Gesprächs-, Besprechungs- und Konferenztechniken
  • Abschirmtechniken
  • Info-Techniken
  • Kontrolltechniken

69 Seiten, flexibler Einband

Leseprobe: Zeitmanagement…

Auch die besten Techniken laufen ins Leere, wenn sie nicht auf einem stabilen mentalen Fundament aufruhen. Dazu gehören: keine Ausreden gelten lassen; Charakterstärke zeigen; im Rahmen der Grundsatzentscheidung auf Kurs bleiben; Fehlkalkulationen (Rentnerkalkül u.a.) ausmerzen; ein Mindestmaß an Zeitwohlstand gegenüber dem Streben nach Güter-»Wohlstand« eisern verteidigen (»Krösus« usw. darf nicht »Seneca« vertreiben); sich einen lebensweisheitlichen Bildungshintergrund verschaffen, um gelassen Verzicht üben zu können; situationsklug (phronetisch) entscheiden und handeln.

Den »Seneca«-Schlüssel (vgl. oben) beherrscht nur, wer dieses Fundament nicht nur tief begreift, sondern auch tatkräftig baut. Verstandesentschlüsse allein sind dazu nicht in der Lage. Hinzutreten muß ein beständiges Üben und eine unerbittliche Selbstkontrolle: Warum kann ich so wenig »Nein«-sagen? Warum fällt mir der Verzicht auf »Caesar«-»Wohlstand« so schwer? usw.

Erst allmählich kann (vielleicht) jenes innere Gespür geweckt werden oder entstehen, ohne das keine Meisterschaft im Zeitmanagement möglich ist: es handelt sich um die Sensibilität für Zeit. Man könnte es als ein persönlichkeitstiefes Organ bezeichnen, in welchem Verstand, Vernunft, Intuition, Charakter und Wille zusammentreffen. Da offenbar nur wenige Menschen mit diesem Organ ausgestattet sind, neige ich zur Vermutung, daß Zeitsensibilität mit dem ebenfalls seltenen absoluten Gehör vergleichbar ist, mit dem man begabt sein muß, um es zu entwickeln. Doch wenigstens in Ansätzen muß es möglich sein, ein Grundgespür für Zeit zu erlernen. Worauf bezieht es sich?

Auf die Tageszeiten: Zeitsensible Menschen »wissen« auch ohne Uhr, was die Stunde geschlagen hat.
Auf das Zeitmaß: Das Organ drängt je nach Lage auf Tempoverschärfung oder -verlangsamung und empfindet Redundanzen (Leerlauf) unerträglich.
Auf Zeitqualität: Menschen empfinden Zeiten qualitativ verschieden; so gibt es ein Feierabend-, Sonntags-, Weihnachtsgefühl, das unser Leben spezifisch einfärbt. Zeitsensible Menschen erspüren weit feinere atmosphärische Qualitäten, so etwa beim Gesprächsablauf.

Ein mit Zeitgespür ausgestatteter Mensch hat also eine »Nase« für Quantität, Qualität und Kairos Es muß nicht lange erläutert werden, was eine solche Sensibilität für das Zeitmanagement bedeutet. Wo andere Menschen mühsam »durchkalkülisieren«, d.h. ständig auf die Uhr schauen, von Organizern erinnert und ermahnt werden müssen, kann der mit Zeitsensibilität Begabte auf seinen Grundsinn statt auf Hilfetechniken vertrauen. Auch er kommt ohne Zeitmanagement-Techniken nicht aus, aber sie übernehmen bei ihm nicht die Funktion von Führern, sondern von Werkzeugen.

Spannungsfeld Familie und Beruf

Ein Breviar für Führungskräfte

Erich Dauenhauer

1999

Aus dem Inhalt

  • Ein unseliger Dualismus
  • Spannungsfeld Familie und Beruf
  • Divergierende Interessen und Anforderungen von Familie und Beruf
  • Rollenvielfalt, Rollenwahrnehmung, Rollen-»Spiele«
  • Zentrale Engpässe im Konfliktmanagement
  • Partnerkonzepte im Ensemble unterstützender Faktoren
  • Netzkonzepte als Klammer und Hilfsmittel
  • Sinnkonzepte: Bedeutung, Dimensionen, Erfolgsfaktoren
  • Vertrauenskultur: das stabilste Fundament im Spannungsfeld
  • Erwartungen und Visionen
  • Familie und Beruf als besondere Herausforderung des Zeit- und Persönlichkeitsmanagements
  • Erfüllung durch weisheitliche Lebensführung

55 Seiten, flexibler Einband

Leseprobe: Spannungsfeld Familie…

Zentrale Engpässe im Konfliktmanagement

Das Feld der divergierenden Interessen und Anforderungen von Familie und Beruf ist durch Engpässe gekenntzeichnet:

Zeitnot: Betriebszeit und Privatzeit stehen in einem Konkurrenzverhältnis, und zwar nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ, z.B. durch nachhängende Grübelzeit infolge von mitgeschleppten Betriebsproblemen, die sich als Zeitfraß erweisen. Notwendige Konsequenz: Das Zeitmanagement ist zu verbessern.

Sinn-Verwerfungen: Die Gemengelage aus ›ewig‹ schlechtem Gewissen, Ohnmacht, Karrierekrisen (Angst um den Arbeitsplatz u.a.), aus einer überzogenen Unternehmensphilosophie und aus gesellschaftlichem Wertewandel erschweren jedes stabilisierende Sinnkonzept.
Notwendige Konsequenz: Ohne Erfüllungserfahrungen im Großen und Kleinen schmilzt jeder Lebenssinn dahin; es sind daher Sinnkonzepte zu entwickeln, die Beruf und Familie als komplementäre Einheit verstehen.

Kommunikationsnot: Als ein echter Notstand sowohl innerbetrieblich als auch innerfamiliär und erst recht zwischen dem Berufs- und dem Privatsektor ist die meist schwach ausgeprägte Verständigung aufs Wesentliche anzusehen, die nicht mit wortreichem Geplapper an der Oberfläche zu verwechseln ist. Selbst Konferenzen unter Managern laufen ärgerlich oft wenig redundant ab: viel Gerede mit wenig Substanz. Und zuhause?
Nur jede sechste Führungskraft diskutiert und plant mit dem Ehepartner die gemeinsame Zukunft. Hohe Kommunikationsdefizite bestehen auch im Verhältnis zu den eigenen Kindern. Notwendige Konsequenz: Im Privatsektor ist die Zuwendung zu intensivieren (mehr noch emotional als zeitlich); im Beruf muss Kommunikation zielführender ausfallen.

Emotionalitäts-Defizite: Die Bedeutung von Gefühlswerten in Familie und Betrieb wird bei fast allen Führungskräften massiv unterschätzt. Sie sind auf rationale Entscheidungen getrimmt und haben buchstäblich wenig Ahnung von der Gefühlseinbindung menschlicher Wahrnehmungen und Erfahrungen. Nach den anthropologischen Erkenntnissen der Gefühlsphilosophie nehmen Emotionalität in allen Lebensbereichen den gleichen Rang ein wie Rationalität. Notwendige Konsequenz: Die so kostbare Vertrauens- und Kreativitätskultur ist ohne ›klimatische‹ Komponente nicht zu haben; Entscheider müssen ein Organ für Gefühlslagen entwickeln.

Wozu noch Tugenden?

Ein fälliges Erinnern

Erich Dauenhauer

  • Prolog
  • Tapferkeit
  • Besonnenheit
  • Gerechtigkeit
  • Weisheit
  • Klugheit
  • Gelassenheit
  • Redlichkeit
  • Bescheidenheit
  • Dankbarkeit
  • Hochherzigkeit
  • Demut
  • Ahnungssinn
  • Tiefer Richtungssinn
  • Hexis / Habitus
  • Hochgesinntheit und Grossmut
  • Prohairesis
  • Dezenz
  • Geziemtheit
  • Beharrlichkeit
  • Heiterkeit
  • Scham
  • Toleranz
  • Asketische Privatheit
  • Torheit als Tugend
  • Hat die Moral bei tugendhaftem Verhalten stets den Vorrang?
  • Epilog
  • Literaturhinweise

100 Seiten

Kirche in Not

Warum lassen wir die älteste kulturelle und spirituelle Institution dahinsiechen?

Ein Weckruf an Laien

Erich Dauenhauer

2013

Aus dem Inhalt

1. Ist Kirche noch zeitgemäß?

2. Ein einsichtiger Agnostiker geht voran.

3. Kirchensterben läuft auf Kultursterben hinaus.

4. Rettet die kirchlichen Schätze!

5. Was zu tun wäre.

6. Anwälte religiöser Vernunft.

Nachlese, 1. Juli 2013

Kirche in Not

Was ist los mit der Geistlichkeit der evangelischen und katholischen Kirche? Hat sie den mahnenden Hinweis von Dietrich Bonhoeffer vergessen, der von einer »Verschwendung des Heiligen« sprach? Bringt man ihr den offenen Brief ›Kirche in Not‹ zur Kenntnis, schweigen sie – aus Angst vor der dort vorgetragenen Sache? Aus Überheblichkeit gegenüber den beiden theologischen Laien, die sich mit dem ›Weckruf‹ (Untertitel) befassen?

Was ist bloß los mit der Geistlichkeit, die sonntäglich in ihren Gotteshäusern vor immer weniger Gläubigen den Niedergang der Kirche vor ihren Augen mitansehen muß und unter der Woche im Dienst des Herrn sich abrackert, aber keine zweite Öffentlichkeit sucht, um der eventlustigen Gesellschaft klar zu machen, was… »Wozu noch Gotteshäuser?«, zitiert der Briefschreiber in ›Kirche in Not‹ die gesellschaftliche Frage in pectore und weist auf die Folgen hin.

Hat es die Geistlichkeit verschreckt, daß evangelische Obere gerade eine unsägliche »Orientierungshilfe« vorgelegt haben, die der Natur von Ehe und Familie den Boden entzieht? Nur eine der zahlreichen Ungeheuerlichkeiten, die für »eine heillose Verwirrung« sorgt und das »Vertrauen in eine Institution, die über die Moden des Tages hinaus dem Zusammenleben der Christen biblische Maßstäbe und Einsichten vermitteln soll«, erschüttert (so der ehemalige Militärbischof Hartmut Löwe). Im Jahre 1990 hatte die EKD noch 29,4 Millionen Mitglieder, 2010 waren es nur noch 23,9 Millionen – ein Verlust von fast 300.000 Menschen jährlich. Rein rechnerisch ist das Ende abzusehen.

Verheerender noch sind die Nachrichten aus der katholischen Kirche. Da spricht der Papst von homosexuellen Seilschaften im Vatikan; gerade wurde der Chefbuchhalter der Vatikanbank unter Geldwäscheverdacht verhaftet; Vatikankenner sprechen von tiefsitzenden korrupten Strukturen, vor denen schon der deutsche Papst kapituliert habe und denen gegenüber der jetzige Papst persönlich sich hilflos zeige (»Ich bin organisatorisch nicht sonderlich begabt«). Er sucht sich mit einer Untersuchungskommission… Ist das nicht alles zum Davonlaufen? Da gehen manche Gottessucher erst gar nicht mehr hin, auch solche, die sich zum Dienst in der Kirche berufen fühlen …

Nachlese, 3. August 2013

Kirche in Not

Bei seinem Brasilienbesuch forderte Papst Franziskus die katholischen Pfarreien in aller Welt »zur Unruhe« auf. Die Kirche müsse in die Öffentlichkeit gehen, um den Menschen den Glauben nahezubringen. Er animierte die jungen Generation sogar, im Glauben eine »Revolution auszulösen«, um gegen die »Verflachung des Glaubens« anzugehen.

Die schwindende Zahl der katholischen Priester führt zu deren Überforderung. Immer mehr Gotteshäuser werden stillgelegt, verkauft und zu Museen, Kaufhäusern, Kletterhäusern, Sporthallen usw. ›umgewidmet‹. Wo einst ein Hochaltar stand, wartet eine Torwand auf Probeschießen; wo früher fromme Lieder gesunden wurden, herrscht schrilles Fun-Geschrei. Wer hat es so weit kommen lassen?

»Mischt euch ein!«, ruft Papst Franziskus den Laien zu. Genau das steht im ›Weckruf für Laien‹ (Untertitel), der am 11. Februar 2013 unter dem Haupttitel ›Kirche in Not‹ veröffentlicht wurde. Die Priesterschaft schweigt erschrocken, die Laien schauen stumm zu, wie ihre Kirche…

Alle Texte von Erich Dauenhauer sind urheberrechtlich geschützt.

Wirtschaftswissenschaft

einschließlich Wirtschaftspädagogik und -didaktik

Wirtschafts-Pädagogik (1)

Disziplinkritische Anmerkungen im Rahmen einer wirtschaftspädagogischen Biografie

Erich Dauenhauer

22 Seiten

Wirtschafts-Pädagogik (2)

Das Landauer Dopopelprofil (1971 – 2003)

Erich Dauenhauer

24. Seiten

Wirtschafts-Pädagogik (3)

Ein begriffsanalytischer Einstieg

Erich Dauenhauer

43 Seiten

Alternative Ökonomik als System- und Lebensstilkritik

Erich Dauenhauer

85 Seiten

Wirtschafts-Pädagogik

Versuch einer Disziplinrevision

Erich Dauenhauer

114 Seiten

Inhalt (Auszug)

Teil 1
Disziplinkritische Anmerkungen im Rahmen
einer wirtschaftspädagogischen Biographie
Einführung
Zum wirtschaftspädagogischen Profil W. Löbners
Teil 2
Das Landauer Doppelprofil (1971-2003)
Einführung
Das Institut für Wirtschaftswissenschaft und Wirtschafts‑
pädagogik (IWW) von 1992 bis 2003
Abrupte Auflösung des IWW
Teil 3
Ein begriffsanalytischer Einstieg
Einführung
Exkurs: Vom Nutzen einer Theorie der
Wirtschaftspädagogik
Zur topischen Methode anhand zweier Beispiele
Weitere wirtschaftspädagogische Topoi
Zur Begriffssystematik und Begriffsliste der Wirtschaftspädagogik
Zur wirtschaftspädagogischen Begriffsanalyse der Fundamentalbegriffe Wirtschaft und Pädagogik
Teil 7
Auf dem Weg zu wirtschaftspädagogischen Theoriesätzen
im empirisch-kritischen Verständnis
Einführung
Wie theoriebewußt und theoriegeleitet ist die Wirtschaftspädagogik?
Wirtschaftspädagogische Theoriearbeit
Teil 8
Wirtschaftspädagogisch relevante Veröffentlichungen des Autors
Monographien
Aufsätze
Herausgeber von Sammelbänden

Der Euro

Eine kritische Zwischenbilanz

Erich Dauenhauer

42 Seiten

Aus dem Inhalt

  • Es ist zwar schon fast alles gesagt, aber nur von wenigen ganz verstanden.
  • Der Euro als politische Währung.
  • Der Euro als unheilbar fehlkonzipiertes Währungssystem
  • Im Maschinenraum des Eurosystems.
  • Was hat der Euro bisher gebracht?
  • Was wird aus dem Euro?
  • Welche persönlichen Lehren kann man ziehen?
  • Gibt es Währungsalternativen zum heutigen Euro?
  • Abkürzungen
  • Literaturhinweise

Leseprobe

»Jede Veränderung des Geldstandes nimmt ihren Weg für sich und übt ihren Einfluß auf den Besitzstand. Wenn man auf eine Inflation eine Deflation folgen läßt, die die Preise ungefähr wieder in die Nähe der Preise bringt, die vor Auftreten der Inflation auf dem Markte gebildet worden waren, hat man die sozialen Wirkungen der Inflation nicht behoben oder rückgängig gemacht; man hat nur die sozialen Wirkungen der Deflation hinzugefügt… Der Gedanke eines neutralen Geldes kann ebensowenig bis zu Ende gedacht werden wie der des Geldes von unveränderlichem Werte oder unveränderlicher Kaufkraft.« Ludwig von Mises (1881-1973) in: ›Nationalökonomie‹, München 1980, S. 376 f.

Gabenökonomie

Ökonomische Theologie

Erich Dauenhauer

33 Seiten

Leseprobe

» Genau besehen findet selbst bei der reinen Gabe ein Tausch statt: Güter gegen Dankbarkeit. Worin aber unterscheidet sich dann die Gabenökonomie von der profanen Tauschökonomie?

  • Bei der Gabe tritt zwischen dem Geber und dem Beschenkten kein Geld als Bewertungsmittel. Geben und Nehmen geschehen unmittelbar.
  • Daraus ergibt sich, daß die Gabe preislich nicht bewertet wird; sie ist ein Geschenk.
  • Nicht nur der Preis, auch die Gerechtigkeit spielt bei der Gabe keine Rolle. Der Nehmer schenkt Dankbarkeit, es muß nicht gerecht zugehen, sondern zuwendungsfreundlich (gr. philia).
  • Bei der Gabe tritt anstelle des preislichen Messens (in Geld) das sensible Maß der Angemessenheit. Sowohl der Geber als auch der Nehmer verhalten sich angemessen zueinander und gegenüber der Sache. Unangemessenes Geben und Nehmen (z.B. durch übertriebene Dankbarkeit) schadet dem Gabenverhältnis.
  • Trotz Gegengabe bleibt das Gabenverhältnis asymmetrisch, schon deshalb, weil der Geber die Initiative ergreift, er also den Philiaprozess einleitet; asymmetrisch aber auch meist mit Blick auf den Wert (nicht den Preis) des Geschenks, das den Nehmer mehr bereichert als den Geber (durch Dankbarkeit, Ansehen, gutes Gewissen).«

Kategoriale Wirtschaftsdidaktik

Band I, Anregungen zur inhaltlichen Neugestaltung

Erich Dauenhauer

3. Auflage, 2001

Aus dem Inhalt

  • Was sind Kategorien?
  • Was sind Wirtschafskategorien?
  • System und didaktische Relevanz von Wirtschaftskategorien
  • Was sind Qualifikationskategorien?
  • Didaktische Relevanz von Qualifikationskategorien
  • Was sind Bildungskategorien?
  • Wirtschaftliches Gebildetsein als Aufgabe der Kategorialdidaktik
  • Didaktische Transformationen: im System einer Kategorialdidaktik
  • Wirtschaftliche Basiskategorien
  • Wirtschaftliche Zentralkategorien
  • Wirtschaftliche Systemkategorien
  • Wirtschaftliche Regulationskategorien

241 Seiten, flexibler Einband

Leseprobe siehe unten

Kategoriale Wirtschaftsdidaktik

Band II, Anregungen zur curricularen Neugestaltung

Erich Dauenhauer

2. Auflage, 2004

Aus dem Inhalt

  • Kategoriale Wirtschaftslehre zwischen Wirtschaftspraxis, Wirtschaftswissenschaften und Bildungspolitik
  • Curriculare Stufenkonzepte der Wirtschaftslehre im kategorialen und transkategorialen Urteil
  • Curriculare Bereichskonzepte der Wirtschaftslehre im kategorialen und transkategorialen Urteil
  • Curriculare Adressatenkonzepte der Wirtschaftslehre im kategorialen und transkategorialen Urteil
  • Curriculare Paradigmenkonzepte der Wirtschaftslehre im kategorialen und transkategorialen Urteil
  • Methoden- und Medienkonzepte der Wirtschaftslehre im kategorialen und transkategorialen Urteil
  • Grundmuster schulischer Kategorialdidaktiken der Betriebswirtschaftslehre
  • Grundmuster schulischer Kategorialdidaktiken der Volkswirtschaftslehre einschließlich der Wirtschaftspolitik
  • Grundmuster einer hochschulischen Kategorialdidaktik der Personalwirtschaftslehre

251 Seiten, felxibler Einband

Leseprobe siehe unten

Kategoriale Wirtschaftsdidaktik

Band III, Anregungen zur praktischen Neugestaltung

Erich Dauenhauer

2. Auflage, 2005

Aus dem Inhalt

  • Binnen- und Umweltfaktoren ökonomischer Bildungsprozesse
  • Identitätsstiftende Merkmale der Wirtschaftsdidaktik
  • Das curricular-kategoriale Systemfundament
  • Das Inselprinzip und der personale Beistand im ökonomischen Bildungsprozeß
  • Klassifizierungen und Strukturierungen von Inhalten
  • Methoden 1: Stellenwert im kategorial-didaktischen Gefüge
  • Methoden 2: Aktions- und Sozialformen
  • Methoden 3: Erschließungsverfahren
  • Methoden 4: Lernspiele
  • Medieneinsatz
  • Verdichtungsschritte
  • Entwurf eines Lehr-Lern-Modells für die allgemeine Wirtschaftslehre an allgemeinbildenden Schulen
  • Entwurf eines Lehr-Lern-Modells für die spezielle Wirtschaftslehre an berufsbildenden Schulen
  • Impulstechnik
  • Motivationstechnik
  • Lernziele
  • Begleitmaßnahmen
  • Was kann und soll man sichern?
  • Wie kann man sichern?
  • Wie soll man bewerten?

224 Seiten, felxibler Einband

Leseprobe siehe unten

Kategoriale Wirtschaftswissenschaft

Band I

Erich Dauenhauer

7. Auflage, 2002

Aus dem Inhalt

  • Was sind Kategorien?
  • Was sind Wirtschafskategorien?
  • System und didaktische Relevanz von Wirtschaftskategorien
  • Was sind Qualifikationskategorien?
  • Didaktische Relevanz von Qualifikationskategorien
  • Was sind Bildungskategorien?
  • Wirtschaftliches Gebildetsein als Aufgabe der Kategorialdidaktik
  • Didaktische Transformationen: im System einer Kategorialdidaktik
  • Wirtschaftliche Basiskategorien
  • Wirtschaftliche Zentralkategorien
  • Wirtschaftliche Systemkategorien
  • Wirtschaftliche Regulationskategorien

241 Seiten, flexibler Einband

Leseprobe siehe unten

Kategoriale Wirtschaftswissenschaft

Band II

Erich Dauenhauer

7. Auflage, 2002

Aus dem Inhalt

  • Einige Gestaltungskategorien der Hauswirtschaftspolitik
  • Einige Gestaltungskategorien der Personalwirtschaftspolitik
  • Einige Gestaltungskategorien der Unternehmenspolitik
  • Einige Gestaltungskategorien der Volkswirtschaftspolitik
  • Einige Gestaltungskategorien der Weltwirtschaftspolitik
  • Ökonomische Aspekte der Sozialpolitik
  • Wirtschaftsethische Aspekte der sozialen Marktwirtschaft
  • Zur Krise der ökonomischen Rationalität: Effizienz, Moral und Kultur der Wirtschaft
  • Ökonomische Askpekte der Umweltpolitik
  • Zur ökonomischen Vormacht des Staates
  • Ökonomische Probleme bei der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands
  • Ökonomische Strukturprobleme der Europäischen Union

231 Seiten, flexibler Einband

Leseprobe siehe unten

Wirtschaftskategorien

Ein Beitrag zur wirtschaftswissenschaftlichen Grundlagenforschung

Erich Dauenhauer

2. Auflage, 2011

Aus dem Inhalt

  • Wirtschaftliche Basiskategorien
  • Wirtschaftliche Zentralkategorien
  • Wirtschaftliche Systemkategorien
  • Wirtschaftliche Regulationskategorien
  • Kategoriale Betriebswirtschaftslehre
  • Kategoriale Volkswirtschaftslehre
  • Kategoriale Personalwirtschaftslehre
  • Kategoriale Sozialwirtschaftslehre
  • Kategoriale EU- und Weltwirtschaftslehre
  • Kategoriale Wirtschaftspropädeutik
  • Wirtschaftskategoriale Literaturkritik
  • Desiderate einer wirtschaftskategorialen Grundlagenforschung
  • Begriffsgeschichtlicher Abriß der Kategoriendiskussion

250 Seiten, flexibler Einband

Leseprobe siehe unten

Leseproben

Kategoriale Wirtschaftswissenschaft, Band I

Unter den kategorialen Erfahrungsmustern tragen folgende besonders augenfällig zur wirtschaftlichen Aufklärung bei:

a) Es gibt keine wirtschaftspolitische Entscheidung ohne unerwünschte Gegeneffekte. Als die USA im Jahre 1987 den Außenwert des Dollars gezielt verringerten, erschwerte dies das Geschäft der US-Importeure und trug so zur Verkleinerung des Außenhandelsdefizits bei, verringerte aber gleichzeitig die verfügbare Kaufkraft des US-Reisenden im Ausland und schwächte den Wettbewerbsdruck auf den amerikanischen Binnenmärkten ab.

b) In der Wirtschaftspolitik kommt es daher im Ergebnis um das Kalkül des positiven Restes im Spiel divergierender Effekte an. Weil jede Ausgangsmaßnahme Wirkungen und Gegenwirkungen und überdies auch unvorhersehbare Nebenwirkungen auslöst, kommt es letztlich nicht auf kurzfristige Einzeleffekte an, sondern auf den angepeilten Überschußrest. Ist in der Summe eine negative Wirkungsbilanz wahrscheinlich, kann die Ausgangsmaßnahme nur noch politisch, nicht mehr wirtschaftlich gerechtfertigt werden.

c) Das Risikohandeln der Wirtschaftspolitik liegt nicht allein in der Streuung und teilweisen Ungewißheit über die Stärke und Richtung der Effekte; ebenso bedeutsam ist der Zeitfaktor. Da in der Wirtschaft stets von einer multifaktoriellen Verursachung und gestreuten Wirkung auszugehen ist, verbreitet sich ein gezielter Anstoß (z.B. Steuersenkung) diffus und auch kontraproduktiv über das wirtschaftliche Feld und erreicht die verschiedenen Schaltstellen (Börse, Haushalte usw.) in unterschiedlichen Zeitabständen. Vor allem bei Globalzielen (z.B. im Bemühen um die Senkung der Inflationsrate) sind daher niemals kurzfristige Erfolge möglich.

d) Eine Ausgangsmaßnahme gleicht dem Werfen eines Steines in einen Teich. Beim Aufschlagen breiten sich die Wasserwellen kreisförmig aus und brechen sich an schwimmendem Geäst, so daß es zu Gegenwellen kommt. Da im Falle der Wirtschaft immer mehrere Steinwerfer am Werk sind, kommt es zu Effektenüberlagerungen. Ein Wirtschaftspolitiker muß daher neben Gegenläufern auch Querläufer in Rechnung stellen und häufig auf Punkt C zielen, wenn er mit der Maßnahme A Punkt B treffen will. Anschaulicher als das Teichbild ist das Billardspiel: Hier wie in der Wirtschaftspolitik geht es um komplizierte Ablauffiguren oder um die Kunst der indirekten Umwegkalküle. Durch die Vermehrung der volkswirtschaftlichen Geldmenge z.B. stößt die Zentralbank eine Ausgangskugel an, die andere (im Gegensatz zum Billardspiel hier meist schon rollende) Kugeln trifft und zu komplexen Figurationen führt.

Kategoriale Wirtschaftswissenschaft, Band II

Ökonomische Strukturprobleme der Europäischen Union

Die Europäische Union (EU) ist ein Ziehkind der politischen Klasse in Europa. Das belegen nicht allein die mäßigen Wahlbeteiligungen zum Europäischen Parlament, sondern auch ihr geschichtlicher Werdegang (Gründung und Umgründungen erfolgten ohne bzw. mit nur partiellen Volksabstimmungen). Darüber hinaus ist die Arbeitsweise der EU auch auf der Organebene nur bedingt demokratisch legitimiert, denn eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative existierte bis 1979 gar nicht und ist bis heute – trotz Aufbegehrens des Europäischen Parlaments (EP), das 1979 zum erstenmal gewählt wurde – verfassungssystematisch nicht hergestellt. Diesen politischen Strukturmängeln stehen gravierende wirtschaftliche zur Seite. Zwar interessieren hier die ökonomischen Strukturprobleme der EU, da aber die Verträge ausdrücklich den Verbund von politischen, wirtschaftlichen, sozialen u.a. Gemeinschaftsaufgaben betonen, muß zuvor auf den (1) Werdegang, (2) den Inhalt des EUVs, (3) die Organe und (4) Politikfelder eingegangen werden. Erst dann wird verständlich, warum die Nettozahlungen Deutschlands von 1971 bis 1994 um das Fünfzigfache gestiegen sind und warum die Bundesbank in ihrem Julibericht 1993 mahnend darauf hinwies, daß bei einer Beibehaltung des finanziellen Länderschlüssels der Bundeshaushalt in weiterhin steigendem Maße belastet werden wird.

Wirtschaftskategorien

Modellfall Sozialhilfe: »Anspruch auf Sozialhilfe besteht unabhängig davon, ob man seine Notlage selbst verschuldet hat oder nicht.« Für den Rechtsanspruch muß also eine (Einkom-mens-)Notlage vorliegen. Nach § 28 des Sozialgesetzbuches werden dem Anspruchberechtigten gewährt:

»1. Hilfe zum Lebensunterhalt

2. Hilfe in besonderen Lebenslagen; sie umfaßt

a) Hilfe zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage,
b) vorbeugende Gesundheitshilfe, Krankenhilfe, Hilfe bei nicht rechtswidrigem Schwangerschaftsabbruch und bei nicht rechtswidriger Sterilisation, Hilfe zur Familienplanung und Hilfe für werdende Mütter und Wöchnerinnen,
c) Eingliederungshilfe für Behinderte, insbesondere auch Hilfe zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft…
e) Blindenhilfe, Hilfe zur Pflege und Hilfe zur Weiterführung des Haushalts,
f) Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten,
g) Altenhilfe,
h) Hilfe in anderen besonderen Lebenslagen

3. Beratung Behinderter oder ihrer Personensorgeberechtigten

4. Hilfe bei der Beschaffung und Erhaltung einer Wohnung.«
Daraus geht hervor, daß das Hilfsangebot über die Grundsiche-rung (Existenzminimum) hinausgeht, sie hebt auf einen sozio-kulturellen Mindeststandard ab, der eine aktive Teilnahme am Leben der Gesellschaft ermöglicht. Nach § 22 des Bundessozi-alhilfegesetzes muß die Sozialhilfe allerdings niedriger sein als die durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelte der unteren Lohn- und Gehaltsgruppen. Anfang 1995 erhielten über 2,5 Mio. Menschen ›Hilfen zum Lebensunterhalt‹, davon 1,3 Mio. Menschen im erwerbsfähigen Alter. 1,4 Mio. Menschen wurden ›Hilfen in besonderen Lebenslagen‹ gewährt. Insgesamt stieg der Sozialhil-fewert im gleichen Jahr auf über 52 Mrd. Mark. Nur sieben Pro-zent der erwerbsfähigen Empfänger gingen einer Voll- oder Teilzeitbeschäftigung nach. Es soll hier auf weitere Datenanga-ben verzichtet und lediglich auf zwei Strukturlinien verwiesen werden. Nach einer Berechnung der Bundesbank wird das Ab-standsgebot (zwischen Sozialhilfe und niedriger Entgeltarbeit) nach den gegebenen Regelsätzen nur bei Einpersonenhaushalten, nicht z.B. bei verheirateten Alleinverdiener mit zwei Kindern eingehalten (1996: Arbeitseinkommen netto monatlich: 2.760 Mark; bei Arbeitslosigkeit zahlt das Sozialamt 2.923 Mark). Diese Sozialhilfe-Falle wurde gesetzlich alsbald entschärft, aber weder das Instrument der Lohnkostenzuschüsse noch Qualifizie-rungsmaßnahmen konnten die Abkoppelung des Arbeitsmarktes von diesem ausufernden Transfersystem systematisch beseiti-gen. Im ersten Fall z.B. spielt sich eine versteckte Dauer-Lohn-subventionierung zur Aufbesserung von Niedriglöhnen ein. Kombi-Modelle, d.h. die Anrechnung von Arbeitseinkommen auf Sozialeinkommen, scheitern häufig am Verwaltungsaufwand und an der unsicheren Anreizschwelle. In vielen Fällen ist es lohnender, die Sozialhilfe durch Schwarzarbeitseinkommen auf-zubessern, zumal die Versicherungsgarantie (Renten-, Kranken-versicherungsbeiträge usw.) von den Sozialämtern übernommen wird.

Kategoriale Wirtschaftsdidaktik, Band I

Sollte einmal die Geschichte der Wirtschaftsdidaktik geschrieben werden, wird sie für das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts eine dominierende Haupttendenz nachzuzeichnen haben: den Triumph der Methoden- über die Inhaltsdiskussion. Die an Handlungsorientierung festgemachte wirtschaftsdidaktische Diskussion vernachlässigte in dieser Zeit ihren eigentlichen Bezugspunkt, nämlich die Wirtschaft und ihre Fachwissenschaften auf gröbliche Weise. Man muß sich das Phänomen in seiner ganzen Tragweite vergegenwärtigen: Eine Fachdidaktik (die Wirtschaftsdidaktik) erkennt primär nicht mehr im Bezugsfach (der Wirtschaftslehre) ihr Fundament, sondern in Verfahrensweisen des Lehrens und Lernens, die sie zur Bewältigung ganzheitlicher und damit fachunscharfer Lebenssituationen einsetzt. Eine Legion »wirtschafts«didaktischer Texte ergeht sich in Plan-, Rollenspielerörterungen usw., ohne über das Niveau einer vorkategorialen Sachanalyse hinauszugehen.

Kategoriale Wirtschaftsdidaktik, Band II

Was versteht man unter einem Wirtschaftscurriculum?

1 – Es soll hier die Frage beantwortet werden, wie die im Vorkapitel erläuterte Curriculumstruktur wirtschaftsgeprägt ausfällt. Dabei geht es noch nicht um eine detaillierte Elementenbeschreibung, sondern vorerst nur um grobstrukturelle Profilangaben. Worin besteht das Spezifische eines Wirtschaftscurriculums? Auszugehen ist dabei von einer allgemeinen Zielbeschreibung. Erst danach können die einzelnen Elemente wirtschaftsdidaktisch umschrieben werden.

2 – Welches Ziel verfolgt wirtschaftliches Lehren und Lernen? Pauschalierend kann man antworten: Oberste Ziele sind ökonomische Tüchtigkeit, Mündigkeit und Gebildetheit. Der Wirtschaftsbürger hat es in seinen vier Rollen (Verbraucher, Sparer, Berufsinhaber und allgemeiner Wirtschaftsbürger) mit unübersehbar vielen, vielfach noch unbekannten Wirtschaftssituationen zu tun, so daß eine wirtschaftsallgemeine Bildung nicht ausreicht. Ich unterscheide deshalb zwischen allgemeinen Wirtschaftslehren (vgl. Teil 4) und speziellen Wirtschaftslehren. Eine ökonomische Bildung ist zweifach dimensioniert:

  • ökonomische Kompetenz als grundständiges Qualifiziertsein im Bereich und für den Bereich des Ökonomischen
  • ökonomische Kompetenz als spezielles Qualifiziertsein für differenzierte wirtschaftliche Aufgaben.

Teil der Bildung ist stets auch eine Bildungsfähigkeit, da zur Bewältigung der differenzierten wirtschaftlichen Aufgaben das schon Gelernte i.d.R. ergänzungsbedürftig ist. Niemand verfügt über eine für alle denkbaren Aufgabenstellungen ausreichenden Besatz an Wissen, Können und Urteilsvermögen; neben gefestigten Bildungsinhalten muß die Fähigkeit treten, neue ›Inhalte‹ (vom Spezialwissen bis zu Grundhaltungen) sich anzueignen. Zu unterscheiden sind also wirtschaftsallgemeine und -spezielle Wissens-, Könnens- und Urteilsbestände einerseits und die Fähigkeit, neue Bestände zu erwerben, andererseits. Die Frage wird später (in Teil 4) sein: Was gehört zur grundständigen ökonomischen Bildung i.w.S. und wie soll die entsprechende Bildungsfähigkeit ausfallen?

3 – Halten wir fest: Unter einem Wirtschaftscurriculum versteht man Lehr-Lern-Arrangements zur Erzeugung ökonomischer Bildung i.w.S. einschließlich einer einschlägigen Bildungsfähigkeit. Wirtschaftscurricula sollen via Wirtschaftsbildung die Menschen in die Lage versetzen, ökonomische Rollen (Verbraucher, Sparer usw.) angemessen auszuüben. Daß Wirtschaftslehren und -lernen keineswegs nur funktionalistisch zu sehen sind, soll mit angemessen angedeutet sein. Aber auch der Wortgebrauch Bildung i.w.S. weist über eine reine Lehr-, Lern- und Anwendungseffizienz hinaus (vgl. Kapitel 5, Ziffer 4 und 5 sowie Kapitel 25).

Gebildetsein sprechen wir nur jemandem zu, wenn er über mehr verfügt als über einschlägiges Wissen und Können. Ein Gebildeter versteht abgewogen zu urteilen, er kann sachadäquat strukturieren und kritisieren, er sieht die Fragestellungen im großen Zusammenhang, nimmt sich als Person von seinem Maßstabsgebrauch nicht aus usw. Bildung übersteigt demnach die reine Sachtüchtigkeit und -mündigkeit: sie hat neben den ›Sachen‹ auch das Humanum, die Gesellschaft, die Natur usw. im Blick. Das Bewußtwerden des Freiheits- und Anfälligkeitsmoments der Conditio humana ist Zertifikat aller gelungenen Bildung.

4 – Kann ein Wirtschaftscurriculum diesem Bildungsanspruch gerecht werden? Bekanntlich galten über Jahrhunderte nur klassische Stoffe (alte Sprachen usw.) als bildungsgeeignet; für Technik, Wirtschaft u.a. sollte man ausgebildet, also nur funktionstüchtig gemacht werden. Diese bildungstheoretische Auffassung ist nur noch für Historiker von Interesse. Bildung i.w.S. kann nicht in esoterischen Schonräumen angemessen erworben werden, sie hat sich den Aufgaben in allen Lebensbereichen zu stellen. Unverzichtbar sind also lebensweltliche Spezifikationen aus Wirtschaft, Technik, Politik usw. Die immer wieder gestellte Frage, inwieweit Wirtschaftskompetenz überhaupt Bildung und ob sie als grundständige Spezialbildung Teil der Allgemeinbildung sei, übersieht schon im Ansatz den gemeinsamen Sockel aller Bildung i.w.S, nämlich die unentwirrbare Verankerung von Wissen und Können in Haltungen, die als Gesamt eine ganze Person prägen und sie zur Persönlichkeit reifen lassen. Ein wirtschaftlich Gebildeter mit existenzialer Reflexionstiefe (vgl. Kapitel 5, Ziffer 4 und 5 sowie Kapitel 25) ist immer ein Gebildeter schlechthin, weil sein bereichsspezielles Wissen und Können auf Haltungen und Gerüsteinsichten aufruhen, deren Reichweite über das Spezialgebiet (hier die Wirtschaft) in die existenziale Tiefendimension reichen. Ein Wirtschaftscurriculum hat daher dem generellen Bildungsanspruch gerecht zu werden. Das muß dadurch geschehen, daß über die notwendigen Funktionsqualifikationen hinaus die kategorialen und existenzialen Dimensionen thematisiert werden. Auch die klassische Bildung orientierte sich an einem Spezialgebiet (alte Sprachen u.a.), und es rettet auch nicht deren privilegierten Status, daß man eine Bildungswertlehre erfindet, die ›Stoffe‹ nach unterschiedlicher Bildsamkeit unterscheiden will. Wirtschaftsbildung ist Bildung auf dem Hintergrund von Spezialwissen und -können. Im wirtschaftlichen Aufgabenfeld entsteht und bewährt sich Bildung, die nur deshalb als Wirtschaftsbildung bezeichnet wird, weil das Entstehungs- und Bewährungsfeld vorzüglich im Wirtschaftlichen liegt.

5 – Nach dieser allgemeinen Zielerörterung sollen nun einzelne Elemente des Wirtschaftscurriculums kurz erörtert werden.
a) Wissen: Die verkürzend als ›Inhalte‹ bezeichneten Bestände sind insbesondere daraufhin zu untersuchen, welche Teile zum grundständigen Wirtschaftswissen zu rechnen sind. Die entsprechenden Überlegungen werden im 4. Teil angestellt.
b) Fertigkeiten: Wirtschaftsspezifische Fertigkeiten rechne ich mit dem Wissen zur positiven Funktionsebene (vgl. Abb. 5.4). Da hier Überfülle, Überkomplexität usw. vorherrschen (vgl. Kapitel 1-4), sind diese Bestände didaktisch lehr- und lerngerecht zuzurüsten. Auch dabei stellt sich die Frage, welche Teile dieser Kompetenzebene zu einer allgemeinen Wirtschaftslehre zu rechnen sind.
c) Haltungen, Einstellungen: Kaum ein Wirtschaftshandeln, das nicht in Haltungen und Einstellungen eingebettet ist. Lebensgeschichtlich entstehen Grundhaltungen, die als Muster bei allen Einzeleinstellungen durchschimmern, sei es bei alltäglichen Kaufentscheidungen, sei es bei Überlegungen zur Existenzgründung. Beamtenkinder z.B. ergreifen weit weniger den Unternehmerberuf als Kinder aus Selbständigenhaushalten. Wirtschaftliche Grundhaltungen sind schwer korrigierbar und daher ein harter didaktischer Prüfstein für die wirtschaftliche Grundbildung.
d) Methoden: Kern des Funktionsprozesses sind Methoden, die freilich bei Wirtschaftscurricula so sehr in den Vordergrund getreten sind, daß sie die Funktionsbestände der Beliebigkeit preisgeben. Ein angemessener Gang auf den methodischen Pfaden hat stets Inhalte, Fertigkeiten und Haltungen im Gepäck und ist sich der Interdependenz von Funktionsbeständen und -prozessen bewußt.
e) Medien: Die Gefahr der Bestandsentwertung geht auch vom Mediengebrauch aus. Die Versuchung ist angesichts des Multi-Media-Angebots groß, Lehren und Lernen in eine postmoderne Schau-Inszenierung zu verwandeln. Die spaßpädagogische Mode ist an elementare didaktische Einsichten zu erinnern: daß Lernen viel mit persönlicher Leistungsbereitschaft zu tun hat; daß Lehrautorität nicht medial egalisierbar ist u.v.a.
f) (Lehr-Lern-)Organisation: Den organisatorischen Rahmen vorzuschlagen bzw. zu setzen, ist auch für ein Wirtschaftscurriculum eine zentrale Aufgabe. In Schulen sind Zeit- und Inhaltsvorgaben mehr oder weniger zwingend; frei ist die Methoden- und Medienwahl. Auch bei anderen Lehrinstitutionen ist die Unterscheidung in obligatorische und wahlfreie Organisationselemente die Regel. Eine Lehr-Lern-Organisation vernetzt alle Curriculumelemente und kann bis zur Einsatzreife (ausformulierte Lehr-Lern-Sequenzen) durchgestaltet sein.
g) Legitimation: Bei Wirtschaftscurricula ist nicht die generelle Legitimation das Problem, auch nicht die anlaßgegebenen Rechtfertigungen, sondern die zu begründenden Auslassungen. Welche Kriterien man immer beizieht: alles scheint wichtig. Die Anwendungsbedeutsamkeit erweist sich somit als wenig tauglich für didaktisches Auswählen. Solange man auf der positivistischen Funktionsebene argumentiert, dreht man sich im Kreise. Einen Ausweg verspricht kategoriales Gewichten.
h) Evaluation: Die Kontrolle bewegt sich auf der Oberflächenebene. Man prüft gelerntes Wissen und erworbene Fertigkeiten. Wenn auch Grundhaltungen ethisch tunlichst nicht zu bewerten sind, so kann das argumentative Für und Wider dennoch verantwortungsethisch gewichtet werden. Wer z.B. einem ökonomischen Kommunitarismus oder Kommunalismus das Wort redet, muß Gründe anführen und Gegengründe gelten lassen. Dieses Verfahren ist durchaus rational prüfbar und bewertbar.
i) Kategorien: Über Systematik und didaktische Relevanz unterrichtet ausführlich Band I der Kategorialen Wirtschaftsdidaktik. Da ich Wirtschaftskategorien als Stationen auf dem Königsweg zur Wirtschaftsbildung betrachte, halte ich die kategoriale Aufbereitung von Wirtschaftscurricula für die Hauptaufgabe der Wirtschaftsdidaktik. Im Unterschied zur Wissens- und Könnensebene kann auf kategorialer Ebene nicht zwischen grundständig und speziell relevant unterschieden werden.

Kategoriale Wirtschaftsdidaktik, Band III

Das Inselprinzip und der personale Beistand im ökonomischen Bildungsprozess

1 – Dem hier vertretenen didaktischen Konzept liegt die Erfahrung zugrunde, daß auf der überschießenden Funktionsebene kein Reduktionsfilter zu entdecken und daher ›im ansteigenden Meer des Wissens und der Fertigkeiten‹ kein bildungsruhiges Fahrwasser didaktisch zu gewinnen ist. Nur vertikal, nicht horizontal kann eine Herrschaft über den ›Stoff‹ gewonnen werden. Die curriculare Neugestaltung (Untertitel des Bandes II) läuft aus diesem Grund auf einen didaktischen Perspektivwechsel hinaus, dem Struktureinsichten mehr wert sind als gelernte Wissens- und Fertigkeitsbestände, die rasch veralten und zudem mehr oder weniger willkürlich erscheinen. Unter der Voraussetzung der vorgestellten kategorialen und systemischen Transformation plädiere ich für ein Lehr-Lern-Gefüge, das sich den Wissensbeschleunigungen weitgehend entzieht, sich also freimacht von den Stoffberauschungen auf der Funktionsebene. Kurz gesagt: Ich trete für eine Entschleunigung im Lehren und Lernen ein.
Eine solche didaktische ›Humanisierung‹ ist angesichts des druckvollen Funktionslernens unausweichlich, nähert sich doch der eingefahrene Lehr-Lern-Betrieb seinem Kollaps. Das Mengengeschäft auf der Funktionsebene hat bildungsstrategisch ohnehin abgewirtschaftet. Es wird gepaukt und mechanisch reproduziert, ganz im Stil des l’homme maschine (vgl. WALTHARI, Zeitschrift für Literatur, Heft 27/1997, S. 76 ff.).

2 – Wie können Wirtschaftslehren und -lernen entschleunigt werden? Ich schlage dafür das Verfahren der kategorialen Reduktion auf der Basis vernetzter Lerninseln vor. Ich habe dieses Konzept am Beispiel der Betriebswirtschaftslehre ausführlich beschrieben (vgl. die Ziffern 7 und 8 in Kapitel 21 des Bandes II) und gebe hier als Bezugsfolie lediglich das Gerüst wieder.

1. Schritt: Wahl der zu veranschaulichenden Wirtschaftskategorien
2. Schritt: Konkretisierung der weiteren Gestaltungsfaktoren im didaktischen System
3. Schritt: Kategoriale Transformation nach dem Inselprinzip
4. Schritt: Einbindung von Stoffstrukturen, Qualifikationskategorien usw.
5. Schritt: Konkrete unterrichtliche Ausgestaltung (Feinplanung) einschließlich transkategorialer Möglichkeiten
6. Schritt Evaluierung

Dazu bedarf es der in Kapitel 6 dieses Bandes III beschriebenen offenen Curriculumgestalt (Beschränkung auf stofflogische Funktionsbestände und Themeninseln, die kategorial vernetzt werden). »Im Ergebnis laufen kategorialdidaktische Curriculumentwicklung und Unterrichtsgestaltung auf einen pädagogischen Paradigmenwechsel hinaus: Der funktionalistische, drängende und uferlose Mengenbetrieb, welcher allfälligen Machbarkeitsideologien entsprungen ist und der sich regelmäßig im Methoden- und Systemgestrüpp verfängt, wird ersetzt durch vertikale Verlangsamungen des Lehrens und Lernens. Unterricht hastet nicht mehr am Gängelband einer klassifikatorischen Wissensvermehrung von einer Etappe zur nächsten, vielmehr nimmt er sich Zeit, um Lerninseln gründlich zu besetzen und um sich mithilfe von Invarianzen in der sich überstürzenden Gemengelage zurechtzufinden. Für Ordnungen, Transparenzen, Halterungen und auch für reflexives Innehalten ›sorgen‹ (im ursprünglichen Wortsinne) Kategorien« (Bd. II, 21. Kapitel, Ziffer 8).

Die didaktische Verdichtung erfolgt in drei Schüben, wie am Beispiel der BWL in Band II gezeigt wird (vgl. dort die Ziffern 9 und 10 im Kapitel 21): (1) Auf der Gerüstebene werden solche Kategorien bestimmt, die im anstehenden Funktionsbereich besonders mündigkeitsbedeutsam sind; gleichzeitig wird neben Tüchtigkeit und Mündigkeit auch nach existenzialen Öffnungsmöglichkeiten Ausschau gehalten, die sich emergent während des Lehr-Lern-Prozesses ergeben (vgl. das Schaubild 21.2 in Band II, S. 160). (2) Um ein vertieftes Lehren und Lernen zu ermöglichen, wird nicht horizontal entlang von Stoffketten, sondern vertikal nach dem Inselprinzip verfahren. Das heißt: Verzichtet wird auf inhaltssystematische Vollständigkeit zugunsten exemplarischer Einsichten, mit deren Hilfe bereichsübergreifende Stoffstrukturen und systemfundierende Kategorien erkennbar werden. Auch dafür wird ein betriebswirtschaftliches Beispiel geboten (vgl. das Schaubild 21.3 in Band II, S. 162). (3) Es ist Aufgabe der didaktischen Feinplanung, solche Lerninseln einsatznah auszugestalten (vgl. dazu den Teil 4 dieses Bandes III).

3 – In gelungener Form führen Wirtschafslehren aller Stufen und Formen zu Struktureinsichten, die anhand von exemplarischen Funktionsbeständen ›auf Lerninseln‹ gewonnen werden. Damit schafft eine sensible Lehr-Lern-Gestaltung jene Selbstermächtigung jenseits von Wissen und Kategorien, die Bildung im eigentlichen Sinne genannt werden darf. Diese Gestaltung wurde mehrfach in den beiden Vortexten beschrieben, besonders in den Kapiteln 7 und 15 des Bandes II. Zu den wesentlichen Voraussetzungen für Gebildetwerden in diesem Sinne ist ein personaler Beistand erforderlich, mit dem insbesondere die Rolle der Lehrenden bedacht ist (auch Mitlernende können beistehen: in der Gruppe, als Tutoren usw.). In Zeiten der Medien- und Methodengläubigkeit und der pädagogischen Ich-AG’s ist das hier favorisierte Strukturmodell trendwidrig und dem äußeren Anschein nach emanzipationsfeindlich, geht es doch bei der eingefahrenen Vermittlungspraxis vorzüglich um Selbstlernen, Selbständigkeit usw. Dem liegt nicht einfach ein Mißverständnis pädagogischen Arrangierens zugrunde, sondern ein fundamentaler Auffassungsunterschied. Selbstverständlich läuft alles gut bedachte Lehren und Lernen auf Selbständigkeit zu; der Lerner soll letztlich ›die Sache‹ selber in die Hand nehmen können. Doch das geschieht regelhaft auf der Funktions-, nicht einmal auf der Kategorienebene. Der Durchstoß zur existenzialen Ebene ist, als didaktische Möglichkeitsbereitung auf personalen Beistand angewiesen. Daß tiefe Betroffenheitsmomente (nach Schelling: der ›Schrecken‹) auch ohne didaktische Anregung möglich sind, wird damit nicht bestritten; festzustellen ist nur: Wenn schon im didaktischen Anregungsfeld, dann nicht ohne personalen Beistand, denn bei gezielten Vermittlungsstrategien mit existenzialen ›Berührungsabsichten‹ ist der Anreger nicht auszusparen. Dabei tritt ›die Sache‹ in den Hintergrund, weil mit Positivierungen allein keine öffnenden Emergenzen zu stiften sind. Diesen zentralen Punkt aller didaktischen Kunst habe ich unter den Ziffern 4 bis 6 in Kapitel 7, unter den Ziffern 1 und 2 des Kapitels 8, den Ziffern 5 und 6 in Kapitel 15 und am ausführlichsten in Kapitel 25 des Bandes II beschrieben. Existenziale Selbstermächtigung ist nicht gleichzusetzen mit funktionalistischer Selbständigkeit, auch nicht mit mündigen Struktureinsichten. Die folgenden Zitatauszüge sollen den Zusammenhang vergegenwärtigen:

»Zu einem verschriftlichten Curriculum muß also noch etwas hinzutreten, das bildungsmäßig Wichtigste sogar, nämlich (1) der Blick ins Offene, Unbestimmte, um das Staunen und ›Erschrecken‹ (F.W. Schelling) zu erfahren; (2) der Blick hinter die Wissenskulissen, um den kategorialen Aufbau der Welt zu erkennen, und (3) der Blick auf das (genauer: auf die Dienstbereitschaft am) Sein (im Heidegger’schen Sinne), um vom falschen Humanismus loszukommen.1) Diese drei curricularen Überschreitungen bedürfen des personalen Beistandes (vgl. Bd. II, Kapitel 25). Lernstoffe, Methoden und Medien allein sind dazu nicht in der Lage. Den Glauben an den Positivismus (methodisch totale Machbarkeit von Bildung, Wissenschaft, Kunst usw.) hat H.-G. Gadamer fundamental entzaubert«2) (Bd. II, S. 46 f.).

Werden Curricula aus den dargelegten Gründen überflüssig? Dazu heißt es in Band II (S. 47 ff.): »Schon Schelling wies den Wissensbeständen einen festen, wenn auch nur intermediären Status zu, indem er ihnen einen Bewegungsauftrag erteilte, bei dessen ›Rapport‹ das Selbst seine Identität finden kann: als Selbstermächtigung jenseits von Wissen und Kategorien.3) Unter diesem Anspruch ein Curriculum zu entwickeln erscheint zunächst jenseits aller pädagogischen Möglichkeiten, ja es hat den Anschein, als wären Curricula überflüssig und sogar schädlich. Doch dieses pauschale Urteil geht fehl; es lebt von der Schwierigkeit, den komplexen Sachverhalt überhaupt zu verstehen. Hat man ihn verstanden, so steht man vor der gewiß neuen Aufgabe, eine Curriculumgestalt zu finden, die den Ansprüchen des Apeiron, des Kategorialen und Existenzialen genügt. Ich kann hier den Zusammenhang nur andeuten:

Schädlich sind geschlossene Curricula. Sie täuschen Bildungsmöglichkeiten vor, wo doch allerhöchstens verstandeslogisches Was-Wissen aufgelistet ist. Entscheidend für selbstermächtigendes Lernen ist aber ein Daß-Wissen, ein Verstehen des Grundes unserer Existenz. ›Das Reflexivwerden des Wissens und der sozialen Kommunikationen ist ein Kennzeichen der modernen Welt. An die Stelle ursprungslogischer Fundierungs- und Begründungsversuche (Kosmos, Gott, Selbst, Natur usf.) tritt die Rekursivität der Selbstvalidierungsverfahren von (perspektivisch bestimmten) Individuen und sozialen Systemen. Die Vermittlung selbst ist Grund geworden. Anders als bei Platon und der metaphysischen Tradition wird im Reflexivwerden (des Grundes) des Wissens nicht das Allergewisseste, sondern Unsicherheit und Nichtwissen kommuniziert. Die Rückbezüglichkeit selbst ist ständige Quelle der Unsicherheit. Der Temporalisierungsdruck, dem die Reflexion in der radikalisierten Moderne unterworfen ist, tut ein übriges: Er verlangt in immer kürzeren Abständen, das Wissen auf seine Anfangsunterscheidung hin zu überprüfen.‹4)

Nicht also Vermittlungskünste dürfen im Mittelpunkt der curricularen Arbeit stehen, sondern ›ursprungslogische Findungs- und Begründungsversuche‹.
Oberflächlich bleiben Curricula, wenn sie auf der Ebene eines (prinzipiell uferlosen) Funktionswissen verharren. Transparent und tief vermittelbar erscheinen Wissenskörper erst durch das Aufdecken von Kategorien.

Der Schritt vom Kategorialen zum Existenzialen kann in einem Curriculum nur proklamatorisch festgehalten werden. Das alles bedeutet nicht, daß Wissen und sein Tiefengerüst, die Kategorien, für den Bildungsakt überflüssig oder untauglich seien. Ihr Status im Prozeß der Selbstermächtigung ist entscheidend: Es kommt auf die ›Öffnung, die in jedes System diskursiven Wissens gesprengt werden muß‹, an, auf die ›nachhaltige Erschütterung der Reflexionsstruktur (der Subjekt-Objekt-Relation gegenständlichen Wissens)‹.5) Öffnung und Erschütterung des diskursiven Weltverständnisses können über Wissen und Kategorien induziert, nicht aber vollzogen werden. Dieses Geschehen bedarf des personalen Beistandes, der curricular nur proklamatorisch gefordert werden kann« (Bd. II, 7. Kapitel, Ziffer 7).

4 – Daß diese didaktische Hochform nicht ohne personalen Beistand zu leisten ist, bestätigt neuerdings auch die Hirnforschung. Wolf Singer vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung, Frankfurt/Main, legt dar, daß jeder Akt des Lehrens und Lernens einem mikrochirurgischen Eingriff im Gehirn gleichkomme. Der Erfolg hänge aber nicht allein von der didaktischen Strukturierungsfähigkeit ab, sondern ebenso von einer gelungenen emotionalen Bindung des Lernenden zur Bezugsperson (Lehrer- oder Erzieherpersönlichkeit). Alle Lern- und Prägungsprozesse würden durch das Bewertungssystem des Gehirns, das limbische System, überwacht. Ohne eine emotionale Bindung zum Erzieher oder Lehrer rauschten die Lerninhalte an den Kindern vorbei, ohne daß sie auch nur aufgenommen oder gar behalten würden (Vortrag in der Anna-Schmidt-Schule in Frankfurt/Main am 4. Dez. 2003). Allein der Grundgedanke (Schellings), daß nicht Wissen, sondern erst die »Erschütterung der Reflexionsstruktur« (Gamm) als Wissensskepsis das Tor zum Existenzialen öffnet, liegt ohne sensible Lehrpersonalität meist außerhalb jeglicher Verwirklichungschance. In biographischen Berichten taucht stereotyp die Erfahrung auf, daß man Wendepunkte personalen Befruchtungen verdanke; in dankbarer Verehrung wird an Lehrer erinnert, die einem die Augen geöffnet hätten. Wie anders wäre die Erfahrung des Unbestimmten, Offenen (Apeiron; vgl. Bd. II, 8. Kapitel, Ziffer 2), der Kontingenz, kurz: der transkategorialen Überschreitungen einzuleiten als mit einem klugen personalen Beistand? Die bildungsträchtige Erfahrung einer »Grundlosigkeit der Freiheit« (Gamm) erzeugt erst jenes Gefährdungsbewußtsein (vgl. Bad. II, S. 50 und 103), das eine Depotenzierung des überdrehten Funktionsbestrebens gewährleistet. Die Kerneinsicht D. Kampers (vgl. Bd. II, S. 104), daß mit keinem methodischen Überholungswissen je eine Souveränität über den Funktionsbetrieb zu gewinnen sei, ist wahrlich eine Erschütterung aller Wissensbemächtigungen und auch aller methodisch-didaktischen Gewißheiten. Es geht letztlich um Selbstermächtigung, nicht um Systembemächtigung (Bd. II, S. 55), und dieses Ziel ist ohne personalen Beistand nur schwerlich erreichbar.

Die Frage, ob Kinder und Jugendliche mit diesem Anliegen überfordert seien, beantworte ich (aus Erfahrung) mit einem deutlichen Nein. Sehr wohl ist die Konsumvernunft der Jugend zu erschüttern, wenn man sich dafür die Zeit nimmt und anregende Lerninseln wählt. Die schwererwiegende weitere Frage, wo die Grenzen einer Didaktik dafür liegen, sollte kein Grund dafür hergeben, es gar nicht erst zu versuchen. Ich spreche oben von Erschütterungen didaktischer Gewißheiten und habe auch an vielen Stellen immer wieder auf die Grenzen didaktischen Beherrschens hingewiesen. Gewarnt werden soll damit vor übertriebener Planungs- und Methodengewißheit. Wie ein eingeleiteter Lehr-Lern-Prozeß im systemischen Verständnis abläuft, ist bei offener, emergenter usw. Gestaltung im voraus nicht plangenau zu bestimmen. Gefragt sind daher alternative Entwürfe und eine sensible Personalität.

1) Vgl. dazu den Diskussionsstrang in der Nachfolge von M. Heideggers Über den Humanismus; neuerdings Sloterdijk, P.: Regeln für den Menschenpark, Frankfurt 2000; sowie meine Einlassung dazu in: Walthari, Heft 34/2000, S. 13-19.
2) Gadamer, H.-G.: Wahrheit und Methode, 2. Auflage, Tübingen 1965.
3) Schelling, Fr. W. J.: Erlanger Vorlesungen, 1821; erläutert bei Gamm, G.: Der Deutsche Idealismus, Stuttgart 1997, bes. S. 225 ff.; derselbe: Flucht aus der Kategorie, Frankfurt a.M. 1994, S. 29.
4) Gamm, G.: Flucht aus der Kategorie, a.a.O., S. 29 (Hervorhebungen: E.D.).
5) Gamm, G.: a.a.O., S. 245 ff.

Berufs- und Berufsbildungspolitik

Berufsbildungspolitik

Erich Dauenhauer

4. Auflage

Aus dem Inhalt

  • Berufsbildungspolitik als Teil der Bildungs- und Allgemeinpolitik
  • Das Qualifikationsproblem
  • Das Abstimmungsproblem
  • Die bildungsökonomischen Rahmendaten
  • Der Rechtsrahmen
  • Das Rahmenwerk als System der Politik beruflicher Bildung
  • Schulsysteme zur beruflichen Bildung
  • Betriebsysteme zur beruflichen Bildung
  • Überbetriebliche Ausbildungsstätten
  • Der »heimliche« vierte Lernort in der Berufsbildung

384 Seiten

>> Leseprobe aus Kapitel “Brenn-Punkte”, siehe unten

Berufspolitik

Erich Dauenhauer

7. Auflage, 2002

Aus dem Inhalt

  • Merkmale nachmoderner Beruflichkeit
  • Kapitel: Faktoren der Berufswahl in der Nachmoderne
  • Wandlungen des Berufsbegriffs
  • Berufsbilder und Berufsgruppenbilder
  • Berufsklassifikationen
  • Zur Berufswelt in der Vorgeschichte und Antike
  • Zur Berufswelt im Mittelalter
  • Zur Berufswelt in der frühen und mittleren Neuzeit
  • Zur Berufswelt in der Nachmoderne
  • Recht und Verrechtlichung des Berufs
  • Aspekte beruflicher Sozialität
  • Zur Berufspolitik der Verbände und Parteien
  • Zur Berufspolitik des Staates

247 Seiten

>> Leseprobe aus Kapitel 1 “Nachmoderne Beruflichkeit”, siehe unten

Arbeitslehre

Vom Ende einer Bildungs- und Wissenschaftsidee

Erich Dauenhauer

3. Auflage, 1997

Aus dem Inhalt

  • Ansprüche der Bildungspolitik
  • Ansprüche der Praxis
  • Ansprüche der Wissenschaft
  • Länderbeispiel Rheinland-Pfalz
  • Arbeitslehre-Gutachten
  • Transformationen
  • Empirische Verfehlung
  • Sachstrukturen
  • Bildungsstrukturen
  • Schulische Lehrplanstrukturen
  • Wissenschafts- und Studiengangsstrukturen

182 Seiten, felxibler Einband

>> Leseprobe aus Kapitel 3 “Ansprüche der Wissenschaft”, siehe unten

Grund des Wohlstandes

Das duale Berufsbildungssystem als deutscher Glücksfall

Erich Dauenhauer

Publikation in Junge Freiheit 43/13 im Oktober 2013

Nachlese

GEORG K. SCHMELZLE

Dipl. Sozialwirt, OStR.i.R., D 26506 NORDEN / Ostfriesland

Vortrag bei dem Johann-Heermann-Kreis der ev. Schlesischen Lehrer aus Ost und West,

45.Pädagogen-Tagung in Springe/Deister, Martin-Luther Haus am 8.Oktober 2013

Thema: Ist der Soziologe Prof. Helmut Schelsky (1912-1984) noch aktuell?

Der führende deutsche Nachkriegsoziologe beschäftigt sich m.E. mit dem zweitwichtigsten Problem unserer Gesellschaft mit der Verschulung der Jugend durch Bildungsneid. Das drängenste Problem ist die demographische Katastrophe, die schon Hochkulturen wie Rom und Griechenland zerstörte: Kinderarmut der tüchtigen Familien und vor allem die Ablehnung genetischer Unterschiede der Begabung wegen des Glaubens an die Allmacht der Pädagogik Thilo Sarrazin hat das in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ vorsichtig angedeutet.

Aber auch die Pädagogik wird von dem Gesetz des abnehmenden Nutzenertrages beherrscht ‒ d.h. jedes Schuljahr bringt bei einer für die Bildungsinhalte nicht passenden Begabung kleinere Bildungserfolge – zuletzt schlägt die Verschulung ins Gegenteil um.

Junge, praktisch begabte Jugendliche, die mit 16 Jahren schulmüde sind, werden total arbeitsunfähig, wenn sie die Ausbildung ihrer praktischen Fähigkeiten durch Verschulung altersmäßig vor der Volljährigkeit verpassen. Dabei gibt es viele Beispiele, daß nach einer frühen praktischen, dualen Lehre das Interesse an theoretischem Wissen wieder zunimmt. Die vielen Karrieren nach 1945 auf dem sog. „Zweiten Bildungsweg“ sind Zeugnis dafür.

Heute aber wird vielen dieser Aufstieg verstellt durch das Überangebot von Studierten ohne Praxiserfahrung, die sich die Posten sicher wollen. Deshalb streben noch mehr nach dem Abitur und dem Studium, auch wenn es nur durch Nachhilfe zu erwerben ist.

Nun zu Helmut Schelsky, der das Problem schon 1975 provokativ beim Namen nannte und sich dadurch den Haß der Soziologen der „Frankfurter Schule“ zuzog. Sein Buch „Die Arbeit tun die anderen – wider die Priesterherrschaft der Intellektuellen und Funktionäre“ war eine Hilferuf gegen die Verschulung, die mit der „Bildungskatastrophe“ von Prof. Georg Picht 1967 einsetzte, der meinte, wir müssten wie in den USA 8o% Abiturienten ausbilden. Dabei vergaß er, daß das „High-School-Certificate“ nicht einmal der Mittleren Reife entsprach.

Schelsky verlor den Streit mit der „Frankfurter Schule“ und zog sich als Rektor der Reformuniversität Bielefeld wieder nach Münster zurück und starb verbittert bereits 1984 mit 72 Jahren. Die Verschulung in der Bundesrepublik konnte nicht mehr gestoppt werden, die von der „Frankfurter Schule“ und Prof. René König(Köln) vertreten wurde.

Schelsky, der mit seinen Nachkriegswerken, besonders mit der „Skeptischen Generation“, große Anerkennung gewonnen hatte, fand keinen Nachfolger, der seine Warnungen weiter verbreiterte. Er wäre zu seinem 100. Geburtstag 2012 fast vergessen worden, wenn nicht der Soziologe Dr. Volker Kempf ein Buch mit dem Titel „Helmut Schelsky – Leben, Werk, Aktualität“ mit einem Nachwort von Prof. Jost Bauch herausgebracht hätte. (Volker Kempf war bis 2012 Geschäftsführer der „Herbert Gruhl-Gesellschaft“ – der erste GRÜNE, der sich in seiner Partei, der CDU, leider mit seinem Naturschutz (Buch: „Ein Planet wird geplündert“) nicht durchsetzen konnte).

Nur noch die Tageszeitung DIE WELT wagte es noch, gegen die nicht begabungsgerechte Verschulung Stellung zu nehmen. Ich erwähne da Prof. Helmut Schoeck „Der Neid . eine Theorie der Gesellschaft“ und Prof. Peter Petersen, der eine Seite in der Berufswelt mit der Überschrift versah: „Wenn schon die Tankwarte den Doktorhut tragen“ (15.12.1984).

Seitdem ist es hoffnungslos geworden, dem Streben nach dem „Abitur für alle“ zu widersprechen. Wenn ich mit meinen Gedanken für eine „begabungsgerechte Ausbildung“ bei vielen Kollegen, Rektoren und Funktionären von Organisationen und Parteien im Gespräch immer Zustimmung finde, werden meine Bedenken öffentlich nicht wiederholt. Niemand will sich mit der „Bildungsmaffia“ anlegen, die „Abitur für alle“ verspricht. Selbst bei der Eingliederung von Migranten läßt man erst das Abitur nicht den Lehrabschluß gelten.

Dabei wird verdrängt, daß der rohstoffarme Wirtschaftsstandort Deutschland nur durch den Facharbeiter, Werkmeister und Fachingenieur erfolgreich werden konnte. Von aller Welt darum beneidet, ruinieren wir unser dreigliedriges Schulsystem und die duale Berufsausbildung, die uns eine Jugendarbeitslosigkeit – wie in anderen Industriestaaten -erspart hat. Die Einführung des neuen Studienabschlusses „Bachelor“ erleichtert das Studium für die oft nicht studienreifen, schwachen Abiturienten. Viele streben dann nach dem studienverlängernden „Master“ ,um als Akademiker anerkannt zu werden.

Copyight: G. K. Schmelzle

30. November 2010

Nachlese

Zur deutschen Berufsbildungsrealität unter der Perspektive der europäischen Berufsbildungspolitik

Erich Dauenhauer

1. Thesen
2. Berufsbildungsrelevante Texte der Europäischen Union
3. Zur Problematik der Hinführung und des Übergangs von Jugendlichen in das Duale System
4. Rückbesinnung auf realistische Konzepte

1. Thesen
These 1: Die berufsbildungsrelevanten Texte der Europäischen Union sind in Teilen unrealistisch und widersprüchlich. Sie dienen deshalb nur in Grenzen der Synthese zwischen dem gewachsenen deutschen Berufsbildungssystem und einer EU-Integration.

These 2: Unter der Einwirkung der europäischen Berufsbildungspolitik verliert das deutsche Duale System gegenüber dem Studiensystem (Universität, Fachhochschule u.a.) immer mehr an Bedeutung.

These 3: Dadurch entgehen dem Dualen System mehr und mehr Begabungs- und Qualifikationspotenziale.

These 4: Die Unterfütterung des Dualen Systems mit Jugendlichen aus dem Migrantenmilieu ist unbefriedigend, in großen Teilen sogar als weitgehend gescheitert zu bezeichnen.

These 5: Unter den Hauptakteuren zur Steuerung und Beratung des Berufsbildungssystems weiß sich die einschlägige Wissenschaft (Berufs- und Wirtschaftspädagogik) kein öffentliches und einflußreiches Gehör zu verschaffen (im Vergleich zu den Wirtschaftswissenschaften im Aktionsfeld der Wirtschaftspolitik). …

25. April 2014

Nachlese

Man reibt sich wieder einmal die Augen: Der Wissenschaftsrat (WR), seit Jahrzehnten der ›Vatikan‹ im Empfehlungsgestrüpp universitärer Dauerreformen, trat aus seiner traditionellen Rolle und rief die Abiturienten Deutschlands dazu auf, statt eines Hochschulstudiums öfter eine Betriebslehre zu wählen, die gleichwertig sei. Um nicht sein Gesicht zu verlieren, setzt der WR eine Maske auf: Mit der Lehre könne man mehr Interesse für ein Studium wecken! Das gelte sogar für Studienabbrecher! Die Katze im Sack deutet der Hinweis des WR den Fachkräftemangel an. Was der WR sonst noch berufsbildungspolitisch in seiner Empfehlung von sich gibt, zeugt von herausgehobener Unkenntnis.

Leseprobe Berufspolitik

Merkmal 18: Orientierungsdiffusität

Mit Ausnahme des Marktkriteriums (Gewinn für das Unternehmen, Einkommen für die Betriebsangehörigen) gibt es kaum zuverlässige Orientierungsmaßstäbe für nachmodernes Berufshandeln. Lohnen sich Überstunden oder Fortbildung in der Freizeit? Bringt der neue technische Fortschritt auch einen sozialen oder ökologischen Nutzen? Wie lautet die Kosten-Ertrags-Bilanz neuer Arbeitsorganisationen? Soll man die technisch mögliche Individualisierung begrüßen oder ihr entgegensteuern? Lohnt sich die Übernahme von mehr Verantwortung oder zahlt sich die Strategie der Risikominderung langfristig besser aus? Im Kampf der Meinungen und Strategien zwischen den Sozialpartnern, Politikern und Experten fühlt sich der Einzelne zunehmend orientierungslos. Eine lange berufliche Ausbildung oder eine aufwendige Fortbildung muß sich im postmodernen Lebensentwurf durchaus nicht immer auszahlen; beide Investitionen können als Verlust von Lebensqualität bzw. -zeit gewertet werden. Höheres Einkommen aufgrund gestiegenen Lern- und Arbeitseinsatzes geraten in Konkurrenz zum entgangenen Freizeitnutzen. Für die nachmoderne Beruflichkeit gibt es kaum allgemein akzeptierte normative Maßstäbe.

Leseprobe Berufsbildungspolitik

Verschulungsthese. Ein historisch durchgängiger Trend in der beruflichen Bildung ist diezunehmende Umsattelung betrieblich-praktischen Lernens auf »schulischen« Qualifikationserwerb. Das zeigt sich nicht nur an dem gewachsenen Gewicht der beruflichen Schulen (einschließlich des zweiten Berufsschultages), sondern auch an der Institutionalisierung überbetrieblicher Lernorte und an den gestiegenen innerbetrieblichen Schulungsanteilen. Ohne Zweifel verlangen die erhöhten Theorieanforderungen in den Ausbildungsordnungen und die Verwissenschaftlichung der Berufswelt ein vermehrtes stoffsystematisches Lernen, weil Theoriegehalte leichter in »schulischen«, produktionsabgekoppelten Zonen als an Arbeitsplätzen erworben werden können. Doch Erfahrungs- und Strukturqualifikationen (vgl. Strukturkonzept) sind »schulischen« Lernzonen nur unzureichend oder gar nicht zugänglich, auch wenn sie multi-medial und simulativ angelegt sind. Das jeweils neu auszutarierende Gleichgewicht zwischen »schulischem« und arbeitsplatzverbundenem Lernen wird ideologisch und lehrpragmatisch immer wieder erschwert: Was die marxistische Gesellschaftslehre nicht hat durchhalten können, nämlich die Wegverlagerung der beruflichen Bildung von den »ausbeutungs-kapitalistischen Unternehmen« (da diese nicht nur berufssachlich ausbilden, sondern auch eine emanzipationsfeindliche Gesinnungserziehung ausüben würden), wird vielfach durch Bequemlichkeitspraktiken am Leben erhalten. Qualifizieren an Arbeitsplätzen ist zeit- und kostenaufwendiger als »schulisches« Lernen, daher weicht man auch innerbetrieblich häufig auf Lehrgangslernen aus, mißachtet dabei das für berufliches Lernen so zentrale Prinzip der Arbeitsplatzintegration und verfehlt damit in großen Teilen die berufliche Verwertbarkeit. Seit den 80er Jahren findet die V. auch an Hochschulen ihr bildungspolitisches Exerzierfeld. »Der Eindruck ist nicht von der Hand zu weisen, daß die zuständigen Landesregierungen mit einer Flut von Regelungen die Verschulung von Studium und Lehre in den Universitäten, die Behinderung freier und kreativer Forschung und die Bürokratisierung der akademischen Selbstverwaltung betreiben – vorgeblich mit der Behauptung, ihnen mehr Autonomie einzuräumen. In Wahrheit werden die Universitäten fortschreitend von einer kollegial verfaßten, insbesondere wissenschaftlicher Erkenntnis dienenden Körperschaft in eine hierarchisch-bürokratisch organisierte Ausbildungseinrichtung verwandelt. Eine solche Entwicklung ist nicht zu rechtferigen, auch nicht mit überfüllten Hochschulen oder überlangen Studienzeiten. Wir erkennen in diesen Gesetzen und Verordnungen die Tendenz, aus dem Rahmenrecht und damit aus der Wissenschaftsgemeinschaft auszubrechen. Dies wird dem Wissenschaftsstandort Deutschland im allgemeinen und den Universitäten im besonderen großen Schaden zufügen. Mit guten Gründen war deshalb ein Teil der neuen Gesetze und Verordnungen Anlaß zu einer Verfassungsklage… Wir widersprechen daher der Meinung, daß die Verschulung der Lehrinhalte, die Begrenzung von Studienvolumina, Leistungsnachweisen und Teilprüfungen auf ein hinsichtlich des gesetzlich vorgegebenen Studienziels nicht mehr vertretbares Minimum, die geforderte Kongruenz von Lehrinhalten und Prüfungsanordnungen oder gar die Einführung von Sanktionen dazu führen werden, die Verweildauer der Studierenden an den Universitäten zu verkürzen« (Fakultätentage: Fehlregulierung durch staatliche Eingriffe, in: Forschung & Lehre, Heft 12/1995, S. 690).

Rezensions-Stimmen

»…zum erstenmal hat hier ein Wissenschaftler ein Werk vorgelegt, das mit Akribie und Engagement die vorhandenen Daten aufbereitet und so für eine verläßliche Grundlage bei weiteren Diskussionen sorgt…«
Die Welt

»Das vorliegende Werk ermöglicht eine gezielte Übersicht über den Stand der … Berufsbildungspolitik und eröffnet aufgrund des umfangreichen Schrifttums die Möglichkeit der Vertiefung. Dieses um klare Darstellung bemühte Werk besticht durch die Leistung der übersichtlichen Strukturierung komplexer berufsbildungspolitischer Zusammenhänge…, so daß es durchaus verspricht, ein Standardwerk… zu werden…«
Internationale Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Unesco-Institut für Pädagogik, Hamburg.

Leseprobe Arbeitslehre

Sekundäre und diffuse Wissenschaftsinstallation

Es kennzeichnet die Lage der Arbeitslehre, daß ihr erst nach einer öffentlichkeitsbreiten Konstituierung (DA, 1964) ein Wissenschaftsauftrag bildungspolitisch verordnet wurde und daß ihre hochschulische Fundierung zur Aufgabe nicht einer Fachwissenschaft, sondern mehrerer Disziplinen (Wirtschaftswissenschaft, Techniklehre, Hauswirtschaft, Politikwissenschaft, Soziologie u.a.) erklärt wurde. Die inhaltlich und begrifflich diffuse Fachlage an den Schulen (vgl. die unterschiedlichen Fächerbezeichnungen mit noch unterschiedlicherem Stellenwert im Fächerkanon) findet ihr entsprechendes Spiegelbild an den Hochschulen, wo die wissenschaftliche Beheimatung gänzlich ungeklärt ist (Zuordnungen der Professuren teilweise zu den naturwissenschaftlichen, teilweise zu den sozialwissenschaftlichen Fachbereichen). Worin liegt solche Diffusität begründet?

Arbeitslehre als multidisziplinäre Hochschulaufgabe (vgl. Kapitel 11) ist ein reines Retortengeschöpf der Bildungspolitik. Ihr Wissenschaftsprofil wurde – wie ihr Schulprofil – primär nach den Bedürfnissen der Bildungspolitik geschaffen, ohne daß dabei auf den gewachsenen Kanon der Wissenschaften besondere Rücksicht genommen wurde. Wenn Hochschulen vor der Aufgabe stehen, eine neue Disziplin in ihre Fächersystematik einzuordnen, achten sie sorgfältig auf eine sachadäquate Anbindung. Im Falle der Arbeitslehre wurde reformeuphorisch ein schillerndes Gebilde geschaffen, das schon rein durch Bezeichnungsvielfalt zu Mißdeutungen führt und in der Sache quer zum traditionellen Wissenschaftskanon liegt.
Dem faktischen Organisationsoktroi liegt eine bestimmte Sachvorstellung der Bildungspolitik zugrunde. Deren Rationalität verlangt geraffte Aspektbündelungen, um möglichst viele Zeitbedürfnisse in einem Schul- und Hochschulfach unterzubringen. Ähnlich wie bei Lernbereich Geschichte-Sozialkunde-Erdkunde soll in der Arbeitslehre ein breites Spektrum lebensweltlicher Anliegen bildungspraktisch in ein Sammelfach gepackt werden. Nach bürokratischer Bedarfslogik wird ein Fach konstruiert, das seiner diffusen Gesamtinhaltlichkeit irgendwie Herr werden muß: Arbeit, Beruf, Haushalt, Unternehmen, Gesamtwirtschaft, Technik, Ernährungslehre, Physik, Politik können im bildungspolitischen Wechselrahmen als fachprägende Aspekte gelten. Auf diese Weise ist ein Arbeitslehre-Lehrer schulisch mehrverwendungsfähig. Solche bildungsökonomische Rationalität auf die Hochschulebene übertragen (wenn auch in gemilderter Form), hat zwangsläufig forschungsentkoppelte Lehrprofessuren zur Folge.
Auf diesem Hintergrund wird verständlich, woran Arbeitslehre als Wissenschaftsaufgabe krankt: Als sekundär instrumentierte Hochschuldisziplin kann sie nicht in den Prozeß autonomer Identitätssuche eintreten und sich frei auf den wissenschaftlich möglichen Gegenstand einpendeln; daran hindern sie bildungspolitische Vorgaben, die über mangelnde Forschungsausstattung bis zur dienstherrnhoheitlichen Inhaltsvorgabe des konkret-funktionalen Professorenamtes reichen können. Weil die Arbeitslogik von Wissenschaft nicht folgenlos einer bildungspolitischen Reglementierung unterworfen werden kann, hat das Grundgesetz (Art. 5 Abs. 3) die Wissenschaftsfreiheit zum uneinschränkbaren Grundrecht erklärt.

Zeitkritische Schriften

Aktive Bürgergesellschaft in einem gebändigten Staat

Erich Dauenhauer

2007

233 Seiten

Aus dem Inhalt

Der Bürger: Mal in guter, mal in schlechter Gesellschaft, immer aber in parteienstaatlichen Händen?

Sieben Weisen: Welches ist der beste Staat?

I. Vor-Orientierungen

  • Was versteht man unter einer Bürgergesellschaft?
  • Aktive Bürgergesellschaft – eine Utopie in Zeiten des Individualismus und der globalisierenden Spätmoderne?
  • Lassen sich nationale und supranationale Staatsgebilde bürgergesellschaftlich bändigen?
  • Was bedeutet aktives Da-Sein in einer Bürgergesellschaft?

II. Grundlagen

  • Repräsentanz und direkte Demokratie
  • Unabhängige Eliten: die dritte Säule einer bürgergesellschaftlichen Demokratie
  • Die Rolle von Schulen, Medien, Verbände und Nichtregierungsorganisationen in einer aktiven Bürgergesellschaft
  • Strukturen, Auswüchse und Begrenzung der Parteiendemokratie
  • Vom Grundgesetz zu einer bürgergesellschaftlichen Verfassung

III. Einige ideengeschichtliche Herleitungen

IV. Grundweisende Bürgerlichkeitskonzepte

V. Bürgerliches und staatliches Mißlingen

  • Warum Gesellschaften und Staaten untergehen
  • Konkrete Gefährdungen der Bürgerlichkeit
  • Parteienstaatliches Mißlingen

VI. Bürgerliches und staatliches Gelingen

  • Ideengeschichtliche Erkenntniserträge
  • Systemelemente einer gelingenden Bürgerlichkeit in einem gebändigten Staat

Anhang

Leseproben

21. Mai 2009

5. Kapitel aus dem obigen Buch

Repräsentanz und direkte Demokratie

»Odi profanum vulgus et arceo.« Ich hasse das gemeine Volk und halte es fern.
Horaz, Oden, III, 1,1

1

Als der Bundesverfassungsrichter Hans-Joachim Jentsch im Jahre 2005 aus seinem Amt ausschied, hielt er eine denkwürdige Abschiedrede, die das Parteienkartell aufschreckte. Wie störend das Jentsch-Monitum empfunden wurde, war daran abzulesen, daß die Medien die Fundamentalkritik am Parteienstaat nur in einer Randnotiz wiedergaben (so die FAZ Nr. 282/2005, erst auf Seite 4). Der Verfassungsrichter beklagte die zu große Macht der Parteien und sprach sich für die Abschaffung der Listenwahl aus. Nur Abgeordnete mit einem Direktmandat könnten gegenüber ihren Parteien und Fraktionen jene Unabhängigkeit bewahren, wie sie das Grundgesetz vorsieht. Jentsch monierte, daß ›Listenabgeordnete‹ sich dem Partei- und Fraktionswillen allzu leicht fügen – aus Gründen der Dankbarkeit und der Hoffnung auf Wiederwahl auf einem sicheren Listenplatz bei kommenden Wahlen. Wohin das fast allmächtige Parteienwesen die Politik geführt hat, belegte Jentsch am aktuellen Beispiel des Koalitionsvertrags, den CDU/CSU und SPD im Herbst 2005 ausgehandelt hatten. Nur den »direkt Gewählten steht es zu, Regierung und Regierungsprogramm auszuhandeln, den Parteien (steht es nur zu), darauf Einfluß zu nehmen, nicht detailliert vorzuschreiben«, so Jentsch. Es sei eine historische Chance der großen Koalition, das Wahlrecht zu ändern. Das ist mitnichten geschehen und wird nicht geschehen, weil es einer Selbstentmachtung des Parteienkartells gleichkäme.

2

Die seit der Antike bekannte und vieldiskutierte Spannung zwischen repräsentativer und direkter Demokratie hat sich mit dem Aufkommen des flächendeckenden Parteienwesens wesentlich verschärft. In das Spannungsdreieck Wahlvolk – Gewählte – Staat haben sich die Parteien robust hineingedrängt und den Staat unter ihre Herrschaft gebracht. Daneben suchen sie den Einfluß des Wahlvolkes Stück um Stück zu verringern: (1) durch die faktische Unmöglichkeit, parteienunabhängige Kandidaten in die Parlamente zu entsenden, (2) durch Verlängerungen der Wahlperioden, wodurch die Kontrolltermine des Verfassungssouveräns (des Volkes) verringert werden, (3) durch Listenwahlen, die eine Wählereinflußnahme minimieren, (4) durch gezielt parteienintern organisierte Kandidatenaufstellungen u.a.m. Im Ergebnis repräsentieren Abgeordnete primär den Willen der Parteien und nur schwach den Willen des Volkes.

Folgende Hauptgründe für die Unersetzlichkeit des Parteienstaates, den man zu Unrecht als Parteiendemokratie bezeichnet, werden vorgebracht: (1) Moderne Massengesellschaften bedürften, um ihren politischen Willen zu profilieren und parlamentarisch verhandelbar zu machen, einer organisatorischen Bündelung; diese Interessenbündelung gelinge nur Parteien. (2) Die wechselnden Stimmungslagen der Wähler in den unruhigen Mediengesellschaften der Postmoderne seien politisch zu stabilisieren, was nur den Parteien als ›Wellenbrecher‹ gelänge. (3) Die politische Entscheidungsreife des Volkes sei nicht in allen Belangen und Bereichen gegeben; das ewig zerstritten Volk bedürfe einer richtungsweisenden Führung. Auf die Gegenargumente komme ich an mehreren Stellen dieses Buches zu sprechen, hier fasse ich sie systematisch zusammen.

Zu 1: Interessenbündelungen sind notwendig, weshalb auf Parteien als mitwirkende Kräfte in der Tat nicht verzichtet werden kann. Doch müssen diese Organisationen in Basisinteressen direkt verhaftet bleiben und sich nicht herausnehmen, für eigene abgehobene Interessen Wählerstimmen nur periodisch einzusammeln. Diese Tendenz kann nur minimiert werden, wenn auch parteienunabhängige Kandidaten eine Wählbarkeitschance haben und wenn Volksentscheide den Übermut der Parteien in Schranken halten.

Zu 2: Auch hier ist zu differenzieren. In fallaktuell aufgeheizten Stimmungslagen z.B. wird immer wieder die Todesstrafe gefordert. Eine Volksabstimmung in dieser Lage wäre nicht angebracht. Doch solche Extremfälle müssen dafür herhalten, der Wählerschaft eine generelle Entscheidungsirrationalität zu unterstellen. Zu bedenken ist zweierlei: Zum einen sind auch Parlamente und mehr noch Parteien stimmungsbefangen, zum anderen enthält der bürgerliche Gemeinsinn (Common sense) nicht weniger gesunden Menschenverstand als der durchgehend taktisch geprägte Machtsinn der Parteien. An der nüchternen Volksmeinung ist schon so mancher Fehlsinn großmächtiger Parteieninteressen gescheitert.

Zu 3: Der dritte Haupteinwand gegen mehr direktdemokratische Einwirkungen wird parteienintern und auch unter Eliten meist drastischer formuliert: Die Masse sei politisch unreif, leicht verführbar und meist nicht sachkompetent genug für das politische Geschäft. Gewiß, in vielen Bereichen fehlen dem Wähler die Sachkompetenzen – so aber auch den meisten Abgeordneten. Man denke etwa an das komplizierte Steuerrecht. Die Wissensdefizite setzen sich also in Parteien und Parlamenten fort. Bei vielen Gesetzesvorlagen stimmen Abgeordnete nach Fraktionsvorgaben oder aufgrund eines Expertenrates ab (u.a. von wissenschaftlichen Mitarbeitern). Wähler können sich in Zeiten des Internets und der aufklärenden Medien durchaus kundig machen. Im übrigen sorgen öffentliche Debatten für eine allgemeine Aufklärung. Und was die Verführbarkeit von Wählern betrifft: Abgeordnete unterliegen einem viel stärkeren Interessendruck und zeigen sich durchaus als verführbar. In Berlin waren im Jahre 2005 etwa 5000 Lobbyisten tätig, in Brüssel und Straßburg rund 50.000 (fünfzigtausend). Bleibt noch das Verdikt einer (generell) fehlenden politischen Reife. Dabei ist an die parteieninterne Kandidatenauswahl zu erinnern, die mehr von Netzwerken und Proporzzwängen bestimmt wird als von Qualifikationsgesichtspunkten. Nicht ohne Grund wird die Mittelmäßigkeit von Repräsentanten im Parteiensaat allseits beklagt.

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Weder das Bündelungs- noch das Stimmungs-, erst recht nicht das Unreifeargument rechtfertigen also die gegebene Parteienherrschaft. Auch die Parteienforschung stellt dafür überzeugende Untersuchungsergebnisse bereit (so Kressel, D.: ›Parteigerichtsbarkeit und Staatsgerichtsbarkeit‹, Berlin 1998). Zu den allerschwächsten Einwänden zählt der ständige Verweis auf ›Weimar‹. Zu Unrecht muß diese historische Lage nach dem Ersten Weltkrieg dafür herhalten, vor direktdemokratischen Elementen zu warnen. Dabei wird geflissentlich übersehen: Nicht über Volksabstimmungen, sondern über Parteienvoten im damaligen Reichstag kam der Nationalsozialismus an die Macht. Hitler scheiterte kläglich bei Volksbegehren: 1928 (es ging um das Gesetz zum Panzerkreuzerverbot) und 1929 (Young-Plan). Hitler unterlag ebenso wie der Kommunist Thälmann dem Militär Hindenburg bei der Direktwahl zum Reichspräsidenten (1932). Schon gar nicht taugt die Schweiz als Abschreckungsmodell (Vorwurf: die dortige direkte Demokratie wirke sich innovationsfeindlich aus): Keine der von 1971 bis 2003 wirtschaftsbezogenen Voten wirkte sich wachstumsschwächend aus, im Gegenteil, eine Verringerung der Arbeitszeit z.B. wurde mit Volksentscheid abgelehnt (vgl. die Untersuchungsberichte in der NZZ Nr. 228/04, S. 19, sowie Nr. 2/05, S. 17). Zu bedenken sind schließlich, daß das Bildungsniveau der Wähler seit ›Weimar‹ gestiegen ist, so daß extremistische Verführungen unwahrscheinlich sind. Dennoch versperren die Parteien weitgehend direkte Mitwirkungswege der Wähler. Doch bei aller Verzögerungstaktik: Was die Bürger über das Internet in allen Lebensbereichen unmittelbar praktizieren, wird für die Politik nicht ohne Auswirkungen bleiben. Weil die parteien- und verbandsorganisierte Wählerrepräsentanz der Tendenz unterliegt, das Wählerinteresse durch Eigeninteressen zu verfremden, sind Möglichkeiten von Direktmandaten auch außerhalb des Parteienspektrums zu schaffen. Solche parteienunabhängige Wählermandate dienen der Disziplinierung von politischen Großorganisationen, die, binnensystembedingt, ein Eigenleben entwickeln und leicht vergessen, daß alle Staatsgewalt vom Volk auszugehen hat (GG Art. 20, Abs. 2).

2. Juni 2007

Kesselflickerei am Grundgesetz

Artikel 38 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) lautet:»Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.« Trotz dieser klaren Aussage hat sich in der Parlamentspraxis ein Fraktionszwang eingespielt, der die Abgeordneten einer Partei dem Fraktionswillen unterwirft. Sog. Einpeitscher sorgen dafür, dass kein Mandatsträger von der Fraktionsdisziplin abweicht, um einheitlich abstimmen zu können. Der Sache nach handelt es sich damit um eine Weisung Dritter, nämlich der Fraktion. Auch wenn Diskussionen davor stattfinden, der einzelne Abgeordnete fügt sich, soweit er sich anders entscheiden möchte, letztlich dem Willen der Fraktion. Abweichler diszipliniert man mit dem Wink, dass ihre Wiederwahl von der Partei nicht mehr unterstützt werde, was ein sicherer Mandatsverlust bedeutet. Bei fortgesetztem Ungehorsam kann es auch zum Ausschluss aus der Fraktion und der Partei kommen.

Für Bürger mit gesundem Rechtsempfinden ist klar: Das Verbot des GG, wonach Abgeordnete »an Aufträge und Weisungen nicht gebunden« werden dürfen, ist mit dem Fraktionszwang nicht in Einklang zu bringen. Manche Staatsrechtler sehen das freilich anders. Prof. Dr. Josef Isensee z.B. hält den Vätern des GG sogar vor, für »Missverständnisse« gesorgt zu haben. Isensee sieht es allen Ernstes vom GG gedeckt (wo bitte), wenn ein Fraktionsvorsitzender vor einer Abstimmung im Bundestag seinen Fraktionsmitgliedern vorgibt, ob eine Gewissensentscheidung vorliege oder nicht. Nur im Gewissensfalle ist dann ein persönliches Abstimmungsverhalten erlaubt. Sind nicht alle Abstimmungen von den »Vertretern des ganzen Volkes« Gewissensentscheidungen? Ein Abgeordneter sei kein »ethischer Autist«, so Isensee. Vielmehr existiere neben dem Privatgewissen auch ein »Amtsgewissen« des »Kollegialorgans« (Faktion). Im GG finden sich nicht die geringsten Spuren für diese Interpretation, im Gegenteil. Artikel 21 beschränkt die Macht der Parteien und damit der Fraktionen: Sie dürfen »bei der politischen Willensbildung des Volkes« ausdrücklich nur »mitwirken«. Der Fraktionszwang verstößt daher unzweifelhaft gegen Buchstaben und Geist des GG. Ihn als Fraktionskonsens auszulegen, verharmlost den Verfassungsverstoß und kommt einer Kesselflickerei am GG gleich. Kollege Isensee sollte bei Moralphilosophen bei Gelegenheit anfragen, ob es ein Gewissen extra personam geben kann.

Schon andere unangenehme Vorschriften des GG hat man der Parlamentswirklichkeit geopfert, so die Artikel 115 und 146. Eine erwünschte Fortschreibung des GG zu einer bürgergesellschaftlichen Verfassung mit mehr direkter Demokratie (vgl. Kapitel 9 des Buches ›Aktive Bürgergesellschaft in einem gebändigten Staat‹) stellt die verfassungsrechtlichen Basisnormen nicht infrage.
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus: www.walthari.com

26. Mai 2007

Richterbund bestätigt WALTHARI-Vorschlag

Auf seiner Bundesdelegiertenversammlung in Potsdam bestätigte der Deutsche Richterbund am 22. Mai 2007 das Kooptationskonzept, das in dem Buch ›Aktive Bürgergesellschaft in einem gebändigten Staat‹ (vgl. oben) und in mehreren WALTHARI-Beiträgen der vergangenen Jahre vorgeschlagen wird. Der Justiz sei schon bei der Richterernennung eine unabhängige Stellung einzuräumen, indem ihr in den Richterwahlausschüssen mehr Einfluß eingeräumt werden müsse. Demgegenüber schränke die Exekutive (d.h. der Parteienstaat) die richterliche Unabhängigkeit zunehmend ein. Unter Vorsitz des jeweiligen Parlamentspräsidenten (also der Legislative) sollten die Ausschüsse die Richter auswählen und befördern. Das ist eine scharfe Kritik an der vorherrschenden Parteienpraxis.

Das veruntreute Land

Wohin driftet Deutschland?

2. Auflage, 1998

Aus dem Inhalt

  • Amerikanisierung: Importierte Lebens-und Medienstile
  • Anglifizierung: Sprachfalle
  • Ausländer: Angst vor Überfremdung oder Ausländerfeindlichkeit?
  • Bekanntmachungsrituale: Alle mal herhören!
  • Bildungsreformen: Pädagogische Wendehälse
  • Bürgersouveränität: Eingeschränkte Mündigkeit
  • Bürgerhinrichtung: Wie man schlichte Bürger medienöffentlich hinrichtet
  • Events: Städtische Genußparadiese
  • Gemeinde: Schröpfgebühren der Gemeinden
  • Geschichtsverengung: Fixierung auf das schwärzeste deutsche Geschichtsloch
  • Gurus: Deutschland im Zerrspiegel ausländischer Scheltgurus
  • Interessensverleugnung: Rückwärts im gebückten Gang
  • Nationalstolz: Dürfen Deutsche patriotisch sein?
  • Quotengequengel: Gleichheit kontra Qualität

170 Seiten

Leseprobe siehe unten

Das veruntreute Land – Leseprobe

INTERESSENSVERLEUGNUNG

Rückwärts im gebückten Gang

Im Ausland reibt man sich seit Jahrzehnten vor Verwunderung die Augen: Wenn auf internationalen Tagungen oder in Gremien deutsche Interessen einmal hart zu vertreten wären, kuschen die Vertreter vom Rhein und von der Spree. Ich selber habe diese unbegreifliche Interessensverleugnung während einer Tagung des Europarats in Stockholm erleben müssen. Als die Konferenzsprache Deutsch, entgegen dem Einladungsausdruck, kurzerhand gestrichen werden sollte, protestierten nur der schweizerische und der österreichische Delegationsleiter; der in Nickdiplomatie geübte Herr aus Bonn freute sich zwar später über den Erfolg der alpenländischen Sprachgenossen, beteiligte sich aber nicht am Protest.

Die Fälle deutschen Nachgebens und Opferns eigener Interessen begleiten das offizielle Auftreten seit mehr als fünfzig Jahren. Als 1997 die Bundesregierung endlich den Mut fand, die eigenen, weit überhöhten EU-Beiträge infrage zu stellen, fiel ihr die deutsche Kommissarin in Brüssel in den Rücken. Während französische, englische, dänische u.a. Vertreter bei internationalen Organisationen immer auch (wenn nicht gar nur) die Anliegen ihres Herkunftslandes im Auge behalten, wandeln sich Deutsche flugs in Internationalisten um, die sich als Musterknaben des sozialen Weltgewissens gebärden. Man schaue sich die Bilanz des »ewigen« Nachgebers Deutschland an: Obschon er meist der Hauptzahler ist, hat er am wenigsten zu sagen, denn er verzichtet aus gelernter Selbstverleugnung auf eine angemessene Personalbeteiligung (so bei der UN und der EU) und auf eine nationale Ortspräsenz (Beispiel: Arte).

Im westlichen Ausland kursiert eine seltsame Verschwörungstheorie. Weil sichtlich nicht zu begreifen ist, warum deutsche Vertreter so wenig für die Interessen ihres eigenen Landes eintreten, vermutet man allen Ernstes eine große, wenn auch noch unbekannte Falle, in die Deutschland seine Partner locken will. Jüngstes Indiz: Die Bundesregierung betreibt eine deutsch-französische Hochschule mit Sitz in Weimar, deren Errichtung die Franzosen auch dann nur widerstrebend und ganz allgemein (also nicht für Weimar) zustimmten, als die Deutschen ihren Geldbeutel weit öffneten.

Unsere ausländischen Partner dürfen wir trösten: Nicht irgendwelche Verschwörungsgedanken treiben unsere offiziellen Außenvertreter an, sie werden vielmehr von einem ewig schlechten Nationalgewissen und von einem untadelig reinen Welt(verbesserungs)gewissen begleitet. Deutschen Vertretern im Ausland hat man zuhause offenbar eingehämmert, bei allen Entscheidungen zuerst an die Hitlergreuel, dann an den guten Zahlerruf und erst an dritter Stelle an berechtigte Landesinteressen zu denken. Der ehemalige britische Außenminister Hurt dachte halt noch zu kolonialistisch, als er 1993 sagte: »Die britische Außenpolitik hat die Aufgabe, britische Interessen zu schützen und zu fördern. Trotz des Wandels in der Welt hat sich an dieser grundlegenden Wahrheit nichts geändert. Die Frage, was das britische Interesse ist, muß in jeder Generation neu beantwortet werden.«

MULTIKULTIS

Auf Sand gebaut

Eine Illusion geht um in Deutschland, von Friedensromantikern aller Schattierung in die Welt gesetzt und von den Medien mit kräftigen Resonanztönen begleitet. Die Illusion lautet: Je mehr eine Gesellschaft multikulturell, d.h. religiös, ethnisch usw. durchmischt werde, umso friedfertiger würden die Menschen. Ein Blick in die Geschichte und auf die Gegenwart belegt den grausamen Irrtum. An aberhundert Fällen läßt sich ablesen, daß multikulturelle Gesellschaftsformationen ein Doppelgesicht haben: Solange die verschiedenen Gruppen einander Nutzen stiften können, blüht die Gesellschaft insgesamt auf. Sobald aber Mängel zu verwalten sind, setzt ein Teufelskreis gegenseitiger Verdächtigungen und Schuldzuweisungen ein, der sich regelmäßig in Gewaltaktionen entlädt. Ob auf dem Balkan oder am Ural, ob in Afrika oder in Asien – seit Jahrhunderten fließt Blut aus den aufgebrochenen Wunden multikultureller Sozietäten. Das ist mehr als nur zu bedauern, ändert aber nichts an den Tatsachen, vor denen bisher alle Hoffnungen und Toleranzanstrengungen im Wind der Aggression zerstoben.

Als ich im Frühjahr 1998 in Südostasien weilte, fand gerade eine Hexenjagd auf die chinesischen Minderheiten statt, die in zahlreichen Ländern der Region das wirtschaftliche Rückrad bilden. Die Asienkrise hat meine These vom Doppelgesicht des Multikulturalismus1) erneut bestätigt. Radikale Moslemführer riefen die chinesisch-stämmigen Geschäftsleute zu Sündenböcken aus, woraufhin Plünderungen stattfanden, so daß allen Ernstes eine rotchinesische Militäraktion angedroht wurde, um den in Not geratenen »Landsleuten« beizustehen. Aus der europäischen Geschichte kennen wir das Schicksal von Minderheiten in Krisenzeiten nur allzu gut. Wenn Hungersnöte oder Seuchen ausbrachen, machte man kurzerhand die Juden dafür verantwortlich. Allein schon deren Schicksal über zwei Jahrtausende sollte vor aller multikulturellen Euphorie warnen. Da die Epochen der Prosperität in der Geschichte meist kürzer waren als die Mangelphasen, hatten Idyllen der allseitigen Toleranz selten langen Bestand. Das gilt nicht weniger für die gerne angeführten Musterfälle Cordoba (während der arabischen Herrschaft) und Balkan (während der osmanischen Herrschaft). Selbst die Schweiz macht davon keine Ausnahme: zwar schlagen die vier Volksgruppen nicht aufeinander ein, aber seit der Wohlstandsanstieg abgebremst wurde, nehmen die innerschweizerischen Spannungen spürbar zu.

Auch andere Rechtfertigungsversuche können die Gefahren, die von einem ungebremsten Multikulturalismus ausgehen, nicht aus der Welt schaffen. Darauf verwies ich schon vor Jahren:2) »Das häufige, ja fast regelmäßige Mißlingen multikultureller Lebensformen ist ein Skandal, den die Geschichte und das ausgehende 20. Jahrhundert drastisch inszenieren.3) Unter der Wucht dieser weltweit blutigen Dauer-Realität drohen moralische und ästhetische Fundamente zu bersten, auf denen unser abendländisches Humanitätsgebäude errichtet wurde. Den Verteidigern des positivistischen aufklärerischen Glaubenssatzes, wonach die Konfliktträchtigkeit einer Gesellschaft mit fortschreitender Multikulturalität an Boden verlöre, schlägt die schlechte Wirklichkeit jedes ihrer Argumente gnadenlos aus der Hand. Internationale Besetzungen von Wissenschaftsgremien, Sportmannschaften, Orchestern usw., die gerne als gelungene Gegenbeispiele angeführt werden, können aus zwei Gründen nicht als Vorbilder für multikulturelle Alltagsmuster gelten: Jeweils handelt es sich um Elitegemeinschaften, bei denen die fachliche Kompetenz den sozialen Umgang bestimmt; und zweitens stehen sie unter höchstem Regeldruck, der zwischenmenschliche Spannungen im Zaume hält. Der Taktstock des Dirigenten und die strengen Regelvorgaben einer Partitur ebnen alle herkunftskulturellen Unterschiede von Orchestermitgliedern ein, es zählt allein die formstrenge Leistung, nicht die ethnische Herkunft (man denke an japanische Geiger oder englische Posaunisten in deutschen Orchestern). Auch die Sportwelt gaukelt Problemlosigkeit in dieser Frage vor: Das zeitlich begrenzte Zusammenwirken (etwa beim Eishockey) von Spielern aus aller Welt steht unter einem strengen Regelwerk und unter Erfolgszwang. Leistungen auf hohem und höchstem Niveau lassen Kultur, Religion, Hautfarbe usw. völlig in den Hintergrund treten. Was in den Leistungsgemeinschaften von Eliten gelingt, taugt nicht zum alltäglichen Lebensmuster in Indien, auf Sri Lanka, in Los Angeles, Berlin oder in Rio de Janeiro. Die blutige, menschenverachtende Wirklichkeit beweist es täglich.«

1) Ausführlich begründe ich sie in meinem Beitrag: Wirtschaftlicher Universalismus und literarische Toleranzutopien. Kultur-ökonomische Aspekte der Multi- und Interkulturalität, in: Dauenhauer, E. (Hrsg.): Kultur- und Kunstökonomie, Heft II, Landau 1993, S. 43 ff.

2) A.a.O., S. 43 ff. und in: WALTHARI, Heft 28/1997, S. 19 ff.

3) Ermacora, F. u. Pan, Chr.: Grundrechte der europäischen Volksgruppen, Wien 1993.

Kultur- und Kunstökonomie

Beruf – Wirtschaft – Humankapital

Heft 15 der Schriftenreihe

KULTUR- UND KUNSTÖKONOMIE I

Grundlegung des Forschungsprogrammes

Herausgegeben von
Universitätsprofessor Dr. Erich Dauenhauer

Landau 1992

Beruf – Wirtschaft – Humankapital

Heft 17 der Schriftenreihe

KULTUR- UND KUNSTÖKONOMIE II

Kosten-Nutzen-Analyse / Opportunitätskosten / Wirtschaftlicher Universalismus und literarische Toleranzutopien / Empirische Daten

Herausgegeben von
Universitätsprofessor Dr. Erich Dauenhauer

Landau 1993

Leseprobe

Der kultur- und kunstökonomische Forschungsansatz

»Von der Wortverbindung ›Kultur- und Kunstökonomie‹ (KKÖ) geht bereits begrifflich ein vielfältiger Fragereiz aus: Worin unterscheiden sich Kultur und Kunst? Signalisiert die Wortkette KKÖ nicht schon rein terminologisch, daß in einem der letzten Reservate menschlicher Entfaltungsfreiheit – und hier besonders in der Kunst – die Geldzähler und Kostenrechner ihre Herrschaft antreten und damit allen kreativen Geist vertreiben?
Wer es unternimmt, die ökonomischen Grundlagen der Kultur und Kunst (KK) zu untersuchen, muß sich schon bei der Ankündigung seines Vorhabens auf solche Fragen, ja auf Widerspruch und sogar auf geharnischten Protest von KK-Esoterikern gefaßt machen. Schon im Vorhof zum Großlabyrinth, das im Namen der KK erbaut wurde, tummeln sich ideologische Spezialisten, die an ihren bunten Ariadnefäden zupfen:

– Nur in sog. Hochkulturen sei die ökonomische Basis für Welt-KK gegeben (Renaissance-Theorem).
– Arme Künstler seien die produktiveren Künstler (Armer-Poet-Theorem).
– Mit Subventionen treibe man die Kunst ins Mittelmaß oder gar in den Ruin (Abventions-Theorem).
– KK dürften nicht dem Markt ausgeliefert werden (Anti-Markt-Theorem).
– Einzig die Freischaffenden stellten die wahre Welt der KK dar (Risiko-Theorem).
– Ohne Mäzenatentum verkümmerten KK (Maecenas-Theorem).
– KK-Entfaltungen dürften finanziell nicht ›ausgebremst‹ werden (Frei-Kasse-Theorem).
– Der Staat habe die ›existentielle Grundversorgung‹ von KK zu übernehmen (Meritorik-Theorem), u.v.a.

An diesen und den unzähligen anderen Ariadnefäden, deren Anfänge im Vorhof zum KK-Labyrinth feilgeboten werden, wird zumindest eines deutlich: Das Verhältnis von KK zur Ökonomie ist höchst problematisch, d.h. voller Widersprüche; die Einstellungsskala reicht von totaler Ablehnung (ökonomischer Maßstäbe im KK-Betrieb) bis zur rigorosen Beutenahme-Mentalität. Hingegen kann das Verhältnis der Ökonomen – einschließlich ihrer Theoretiker – zur KK als weit weniger problembeladen angesehen werden. Im schlechtesten Fall trifft man auf Interesselosigkeit. Offene Feindschaft oder latente Ablehnungen sind selten, ideologische Verkrampfungen gar nicht anzutreffen. So selbstverständlich es ist, daß ›die Wirtschaft‹ den KK-Betrieb fördert (als Mäzen, Sammler usw.), so selbstverständlich gehört es zum guten Ton vieler KK-Schaffenden und KK-Theoretiker, sich abschätzig über die Ökonomie zu äußern. So haben wir es mit einem geistesgeschichtlichen Fall von unglücklicher Liebe zu tun.

Die Schieflage trübt allerdings nicht den eingeschworenen Sinn der Ökonomie für nüchterne Analysen. Mag auch ihre Liebe zum KK-Betrieb nicht erwidert werden; mag das Getümmel schon im Vorhof zum KK-Labyrinth noch so groß sein: die wissenschaftliche Neugier auf den verwinkelten Bau wird schon allein durch die Magie der großen Zahlen geweckt: 2003 erhielten beispielsweise die Stadt- und Staatstheater in Deutschland über zwei Milliarden Euro Subventionen. Gleichzeitig wurden diese reichsten Subventionstheater der Welt von ihren Betriebsleitern (Intendanten) einmütig zu ineffektiven Betriebseinheiten erklärt. Deutschland verfügt unter allen Ländern über die dichteste Museumslandschaft und über die von Staats wegen bestdotierte dazu; dennoch will die Debatte über die Museumskrise nicht verstummen. Der Ökonom wittert hinter solchen Brandfällen – genannt seien hier nur zwei unter Dutzenden – auch Sündenfälle wider das Gebot effizienter Ressourcenverwendung. Wenn die Rauchzeichen über dem labyrinthischen Großbau – mit schätzungsweise 400.000 Betriebsangehörigen im Kernbereich – sich verdichten, darf auf größere Brandherde geschlossen werden, die neben künstlerischen, kulturpolitischen und tarifrechtlichen Verwerfungen auch wirtschaftliche Fehlallokationen zur Ursache haben.

Eine ökonomische Betrachtung der KK-Bereiche darf jedoch nicht als reine oder auch nur dominante ›Fehleranalyse‹ mißdeutet werden. Es geht, allgemein gesprochen, um Effizienzmessungen und kriteriengeleitete Ist-Soll-Vergleiche bei der Verwendung der stets knappen Ressourcen. Trotz aller kreativen Freiheiten muß sich der KK-Betrieb der Frage stellen, ob er mit seinen wirtschaftlichen Mitteln, darunter auch Gelder aus öffentlichen Kassen, zieleffizient hauszuhalten versteht.«

Aus: Dauenhauer, E.: Kultur- und Kunstökonomie, Heft I, S. 7 f.