9. November 2010
Obama wird scheitern
Mehrfach wurde hier bereits das politische Scheitern des amerikanischen Präsidenten vorhergesagt, so schon
- am 8. November 2008 in dem Beitrag ›Deutsche Jubelaltärchen zum Obamakult‹ und
- am 20. Januar 2009 in: Tagebuchnotizen: ›Obama-Effekte‹.
Inzwischen tönt es ganz anders aus den ehemals begeisterten Medienrohren (darunter ›Die Zeit‹): Visionär Obama ist gescheitert. Diese Einsicht hätte man schon vor zwei Jahren gewinnen und sich Desillusionierungen ersparen können. Der Preis für den Absturz Obamas ist hoch. Es handelt sich einmal um inneramerikanische Scherbenhaufen wie die blockierte Gesundheitsreform und die Parteienkrise. Der globale Preis der obamaistischen Präsidentenschaft: Die USA als ordnender Machtfaktor und Demokratie-Agent verlieren an Glaubwürdigkeit – mit unabsehbaren Folgen. China und einige muslimische Länder sitzen schon voller Aggressionen in den Startlöchern. Demokratie und Menschenwürde – wer kann sie dann noch wehrhaft verteidigen?
11. Juni 2011
Schrumpfende Wehrhaftigkeit
Das Schicksal antiker Luxusstädte lehrt: Politisch gezüchtetes Wohlstandsdenken geht auf Kosten einer unabdingbaren Wehrhaftigkeit nach innen und außen. Ob Sybaris, Syrakus oder andere Stadtstaaten: sie bereiteten selber ihren Untergang dadurch vor, daß sie Tyrannen aus den eigenen Reihen und äußere Feinde unterschätzten und mit Geld alles glaubten richten zu können. Die Güte politischer Führung ist nicht zuletzt daran erkennbar, daß sie auf wehrhaften Bürgersinn setzt, anstatt diesen zu ›versöldnern‹. Wie steht es damit in Deutschland? Die Abschaffung der Wehrpflicht (nach Art. 12 a GG) scheint nur noch eine Frage der Zeit. Art. 87 a GG (Einsatz der Streitkräfte nur zur Landesverteidigung, d.h. »zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung« hierzulande) ist bereits dadurch ausgehebelt worden, daß nach dem Willen eines Verteidigungsministers Deutschland am Hindukusch verteidigt werden muß (»eine Mogelpackung… zum Zweck der Täuschung«, denn es handle sich um »Intervention, die auch Angriff bedeuten kann« [FAZ Nr. 279/2003, S. 8]).
©Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhaue. Aus: www.walthari.com
Aus: Dauenhauer, E.: Aktive Bürgergesellschaft in einem gebändigten Staat, Münchweiler 2007, S. 180.
20. Juli 2002
Lassen deutsche Bundesrichter die Mehrheit der Bürger bald ganz hinter sich?
Teil 2
Von Meinhardt Jurbart
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Liste seiner Urteile, die den bürgerlichen Gemeinsinn hinter sich lassen, um eine weitere Grundsatzentscheidung erweitert. Das höchste Gericht Deutschlands hat am 17. Juli 2002 für Recht erkannt, daß das Gesetz zur gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar sei. Das GG gebietet dem Staat in Artikel 6 Abs. 1: »Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.«
Das Urteil hebt das privilegierte Schutzgebot des GG auf, was einer faktischen Grundgesetzänderung gleichkommt und unabsehbare Folgen hat für den Verfassungsstaat und den bürgerlichen Gemeinsinn. Es geht bei der Frage nach dem Rechtsstatus nichtehelicher Lebensgemeinschaften (gleichgeschlechtliche, geschwisterliche und andere verwandtschaftliche) nicht darum, diesen jeglichen Rechtsrahmen zu verweigern (z.B. im Erbrecht). Der entscheidende (und zu entscheidende) Sachverhalt bezog sich auf deren Verhältnis zu Ehe und Familie, die beide das Privileg des »besonderen Schutzes der staatlichen Ordnung« beanspruchen dürfen. Die davon abweichende Interpretation des Ersten Senats des BVerfG bringt einen Stützpfeiler rechtlicher Legitimation zum Einsturz: Erstens, so befindet das Gericht, werde die Ehe als eine auf Dauer angelegte Partnerschaft zwischen Mann und Frau nicht in Frage gestellt, weil sämtliche eherechtlichen Regelungen weiterhin Bestand hätten. Gesetzesformal direkt »berührt« wird in der Tat die Ehe durch die Gleichstellung mit der Homo-›Ehe‹ nicht, wohl aber substanzielle indirekt: einmal durch die unbestreitbare Entwertung des »besonderen Schutzes«, der durch die Abstandskappung nicht mehr besteht, zum andern durch die zu erwartenden Folgen aus der nunmehrigen faktischen Statuskonkurrenz (z.B. im Steuerrecht und bei Subventionen) der beiden Institute Ehe und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft. Dies bestreiten zu wollen wäre politisch und insbesondere parteipolitisch naiv. Wenn beispielsweise Steuervergünstigungen an fiskalische Grenzen stoßen, wird die Ehe infolge der neuen Konkurrenzlage (durch die Homo-›Ehe‹) sehr wohl berührt, und zwar negativ, weil der privilegierter Ehe-Status zur leeren Verfassungsvokabel geworden ist. Denn mag auch die Ehe weiterhin auf Verfassungsebene privilegiert erscheinen, auf Gesetzesebene ist das Eheprivileg künftig eingeebnet.
Die Verfassungsrichter bestätigen diese Gleichheit, zweitens, ausdrücklich. Das Grundgesetz gebiete nicht, daß andere Lebensgemeinschaften »im Abstand zur Ehe ausgestattet« und mit geringeren Rechten versehen werden müßten. Welch eine absurde Argumentation! Die vom BVerfG rechtlich gebotene Nivellierung wird erhebliche faktische Folgen haben, stößt sie doch das Tor auf für weitere Verfassungsänderungen durch höchstrichterliche Uminterpretationen. Sie ist daher von höchster Brisanz. Worin soll noch der »besondere Schutz« der Ehe bestehen, wenn die »staatliche Ordnung« bei Gesetzen diesen Schutz-Vorsprung nicht mehr zu beachten braucht?
Es rettet, drittens, das Eheprivileg nicht mehr, wenn das BVerfG fast naiv feststellt, die Lebenspartnerschaft sei ja nicht in Konkurrenz zur Ehe zu sehen, weil sie sich an andere Adressaten richte; wenn Gleichgeschlechtliche heiraten, sei das »keine Ehe mit falschem Etikett«, sondern eben keine Ehe. Wiederum ist dieses Argument nur verfassungsrechtlich formal zutreffend, gesetzesfaktisch aber nicht tragend, denn sehr wohl wird nunmehr die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft in Konkurrenz zur Ehe treten, freilich nicht durch die andersartige sexuelle Neigung, doch ganz erheblich durch konkurrierende Adressatenansprüche.
»Die Ehe wird weder beschädigt noch beeinträchtigt«, verfügt das BVerfG, weil Ehepaare durch gleichgeschlechtliche Paare nicht schlechter gestellt würden als bisher. In dieser gekappten Abstandsverringerung liegt das ganze Unheil des Karlsruher Spruches.Wie gezeigt, ist es schlicht falsch zu behaupten, der Ehe drohe durch das Lebenspartnerschaftsgesetz keine Einbußen. Denn wenn beide Institute gleichgestellt sind, das erste durch das GG und das zweite durch einfaches Gesetz (so ist es nach erklärtem Willen des BVerfG -Urteils zu sehen: gleichrangig, d.h. ohne substanziellen »Abstand«), dann höhlt diese Gleichstellung das grundgesetzliche Eheprivileg (»besonderer Schutz«) faktisch aus. Der Zeitgeist in Gestalt eines exzessiven Gleichheitsverständnisses hat wieder einmal den Karlsruher Aeropag in seinen magischen Bann gezogen und diesmal ein Verfassungsbeben ausgelöst, denn verfassungsrechtlich Ungleiches muß künftig gleichbehandelt werden. Demgegenüber waren die gemeinsinn-widrigen Urteile über Schächten, ›Soldaten sind Mörder‹, Kruzifix-Verbot und lebenslange Unterhaltspflicht lediglich judikative Proszenarien.
In ihrem Sondervotum hat die BVerfG -Richterin Haas darauf hingewiesen, daß eine gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft »nicht auf ein eigenes Kind hin angelegt« sei; sie »führt nicht zu Elternverantwortlichkeit und erbringt dadurch keinen Beitrag für die Zukunftsfähigkeit von Staat und Gesellschaft«. Über diesen selbstverständlichen Hinweis, daß nämlich eine Ehe grundsätzlich auf eine Familie, also auf Kinder, angelegt ist, wenn Gesellschaft und Staat zukunftsfähig bleiben sollen, machen sich BVerfG -Beglückte mit dem ironischen Hinweis auf das ›Gebot der Reproduktion der Gruppe‹ lustig, die bei gleichgeschlechtlichen Paaren hilfsweise durch Dritte durchaus gelingen könne. Die »Beglückten« (darunter die gegenwärtige Bundesregierung) wollen vergessen machen, daß die verfassungsrechtlichen Vorrechte der Ehe, die insbesondere durch Nachwuchssorge und gesamtgesellschaftliche Bedürfnisse legitimiert sind, einer postmodernen Selbstverwirklichungs-Legitimation geopfert wurden, nämlich einer Rechtsgleichheit aus sexueller Neigung. Diese richterliche Legitimationsreduktion auf Sexualpartnerschaft macht eine Gesellschaft in der Tat zukunftslos.
Copyright by WALTHARI®. Aus: www.walthari.com
4. November 2013
Obama-GAU
Von Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer
Man muß es den euphorischen Naivlingen unter den Zeitgenossen immer wieder unter die Nase reiben, damit sie ihren Versäumnisgeruch…
Kurz nach der ersten Wahl Obamas zum US-Präsidenten (2008) war in diesem Walthari-Portal die scheinbar gewagte Prognose zu lesen: »Obama wird scheitern.« Alle Welt und auch die meisten Medien waren begeistert vom lässig sich gebenden »Hoffnungsträger«, der die verhaßte Bush-Ära vergessen lassen wollte. Da war es schon kühn, gegen diesen Meinungs-Tsunami zu behaupten: Dieser »zum Visionär und Erlöser hochstilisierte neue US-Präsident« werde »den Westen in eine schlimme Zukunft führen«. Indizien dafür ergaben sich aus der Struktur- und Sprachanalyse seiner Reden, die als rhetorische Kostbarkeiten bis heute gelten.
Die Realitäten haben die Prognose bestätigt: US-Drohnen töten…; Obama, der Friedensnobelpreisträger, benimmt sich als Kriegsherr schlimmer als…; Obama mißbraucht die US-Notenbank und treibt die Staatsverschuldung mit über 17 (siebzehn) Billionen US-Dollar…
Und zu alldem der neue Obama GAU: Seine Geheimdienste spähen alle Bürger, Behörden, Unternehmen und sogar Regierungsspitzen aus. Das sind millionenfache kriminelle Akte, für deren Bestrafung sich endlich…
Wo sind sie geblieben, die Obama-Bewunderer und Claqueure? Am 8. November 2008 wurde in diesem Walthari-Portal unter der Überschrift ›Deutsche Jubelaltärchen zum Obamakult‹ die schwarze Zukunft … Mehrere Warnungen folgten, so am 20. Januar 2009, am 5. September 2009, am 17. Oktober 2009, am…
Notabene: Die raffiniertesten Vertuscher, Beschöniger agieren…
© Walthari® – Aus: www.walthari.com
22. September 2012
Am 12. Juli 2012 rief der ehemalige Verfassungsrichter den ›Verfassungsnotstand!‹ (mit Ausrufezeichen) aus (in: FAZ Nr. 160/2012, S. 25). Am 10. Mai 2010 konstatierte ich eine Staatskrise (vgl. unten). Ich hatte vorhergesagt: »Bald werden die Fakten auch das Bundesverfassungsgericht vor sich hertreiben.“ So ist es gekommen und wird noch länger so bleiben, bis…
E. D.
10. Mai 2010
Deutsche Verfassungsrichter verabschieden sich vom Verfassungssouverän, dem Volk
Von Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer
Der 9. Mai 2010 wird als schwarzes Datum in die Geschichte Deutschlands und Europas eingehen. Die letzte Bastion gegen den Feldzug fehlgeleiteter Europa-Euphoriker ist gefallen: Das Bundesverfassungsgericht hat den Eilantrag, mit dem einige mutige Kläger (Professoren) den vom Bundestag und Bundesrat im Eilverfahren beschlossenen Rettungsfonds (mit vorerst 20,4 Milliarden Euro an deutscher Beteiligung) stoppen wollten, mit dem Argument verworfen, eine Zustimmung würde »die Realisierbarkeit des Rettungspakets insgesamt in Frage stellen« (Az 2 BrR987/10). Die Gründe beschränken sich vor allem auf die Einschätzungen der parteienstaatlich bestimmten Verfassungsorgane (Bundestag und Bundesrat), die ihr gigantisches Fehlprojekt retten wollen. Damit billigt das höchst deutsche Gericht nicht allein (1) einen epochalen Rechtsbruch (der Lissabonvertrag verbietet finanziellen Rettungstransfer unter den Eurostaaten), das Gericht wirft auch (2) eigene Entscheidungsgründe aus vorangegangenen Urteilen kurzerhand über Bord) und (3) mißachtet es die ökonomische Vernunft sowie (4) den Mehrheitswillen des Verfassungssouveräns (die ganz überwiegende Mehrheit des Volkes ist gegen die Hilfsaktion, weil sie nichts bringt).
Dem Gericht kann nicht unterstellt werden, daß es nicht weiß, was es hier anrichtet: Es ruiniert das allgemeine Rechtsempfinden (immerhin geht es um den Bruch der europäischen ›Verfassung‹, des Lissabonvertrages) und macht den Weg frei für unabsehbare (finanz-)ökonomische Verwerfungen. Halten es schon die Legislative und Exekutive nicht immer genau mit der Rechtstreue (ihre Verfehlungen müssen laufend von ›Karlsruhe‹ korrigiert werden) und mit der ökonomischen Vernunft, so vermittelt nunmehr auch der ›Kopf der Justiz‹ bei vielen Bürgern den Eindruck, das oberste Gericht habe sich in die Gefangenschaft des Parteienstaates begeben. Dieser nämlich sucht mit juristischen Spitzfindigkeiten (das ausdrückliche Verbot des Artikels 125 des EU-Vertrages wird unter Berufung auf Artikel 3 Abs. 3, Satz 3 [Pflicht zur »Solidarität unter den Mitgliedsstaaten«] durch Artikel 122 f. ausgehebelt) die unheilbare Fehlkonstruktion der Währungsunion zu überdecken und deren unvermeidlichen Zusammenbruch hinauszuschieben, »was immer es kosten mag« (Barroso). Es hat schon bisher allerhand gekostet. (1) Die Vorschriften des Stabilitätspaktes sind nicht mehr das Papier wert, auf dem sie stehen. (2) Die EZB kauft griechische Schrottanleihen und hat auch mit anderen Rettungsmaßnahmen erheblich an Glaubwürdigkeit verloren. (3) Die ›EU-Eliten‹ greifen zu abenteuerlichen Notprogrammen, um ihr Mißwerk (und ihre Privilegien) gegen alle ökonomische Vernunft zu verteidigen. Mit 700 Milliarden Euro, so der Beschluß in der Nacht vom 9. auf den 10. Mai 2010, soll die »Schlacht gegen die Spekulanten« gewonnen werden. »Euroland (ist längst) abgebrannt – Ein Kontinent auf dem Weg in die Pleite« titelte der Spiegel (am 3. Mai 2010). Nach dem Brüsseler Übereinkommen kann die EZB angewiesen (!) werden, Notprogramme finanziell zu begleiten. Damit verliert auch die EZB ihre Unabhängigkeit.
Das säkulare Desaster ist die Folge der parteienstaatlichen Verhältnisse, die den Bürger weitgehend entmündigt haben. Man muß sich die Lage klarmachen: Was sich derzeit im öffentlichen Raum abspielt, gleicht einer veritablen Herrschafts-, Finanz- und Staatskrise. Die Herrschaft über den öffentlichen Raum üben die Parteien und Medien aus, nicht die Gesellschaft oder einzelne ihrer Segmente (Kunst- und Wissenschaftseliten usw.). Da unter den Medien ein beträchtlicher Teil direkt oder indirekt unter dem Einfluß der Parteien steht (nicht nur die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, auch Presseorgane), liegt die Herrschaft im öffentlichen Raum weitgehend in den Händen der Parteien. Rechnet man ihre totale Macht bei der Legislative (in Parlamenten), ihren vorherrschenden Einfluß in der Exekutive (von der Ministerialebene bis zur Gemeindeebene) und ihre dirigierenden Auswahlhände bei der Richterauswahl hinzu (man vergleiche das Auswahlverfahren für Bundesrichter und die Arbeit der Richterwahlausschüsse auf Länderebene), so erhält man ein realistisches Bild vom real existierenden Parteienstaat. Hehre Prinzipien wie Gewaltenteilung, Verfassungs- und Rechtstreue, Bürgernähe usw. gelten nur eingeschränkt. In diesem autistisch anmutenden Parteienmilieu gedeihen so verheerend sich auswirkende Projekte wie eine gemeinsame Währung unter denkbar verschiedenen Staaten, eine fehlkonzipierte EU mit 27 und bald mehr Mitgliedern u.a.m. Der parteienstaatliche Autismus hat sich so sehr immunisiert, daß der Verfassungssouverän, das Volk, selbst bei fundamentalen Entscheidungen (Einführung einer neuen Währung u.a.) nicht direkt mitwirken darf. Als einzige Gegenwehr verbleibt dem Bürger nunmehr nur die Wahlenthaltung. Sie steigt denn auch unaufhörlich, so zuletzt bei der NRW-Wahl am 9. Mai 2010.
Unter historischer Perspektive spielt sich in Deutschland und Europa gegenwärtig ein beispielloses Drama ab. Mächtige müssen permanent kontrolliert werden, sie werden regelmäßig Opfer ihrer Machthybris. Vor Zeiten waren es Adelige, Militärs und Religionsführer (die beiden letzteren sind es in manchen Weltgegenden immer noch). Der demokratischste Kontrolleur ist das Volk. Wird es übergangen, bleibt nur die Hoffnung auf eine unabhängige Presse und Justiz. Schaffen es auch diese nicht, sich der Parteienmacht zu entziehen, gibt es kein Halten mehr. Diese Lage…
Wer seit Jahren auf die unvermeidliche Katastrophe im EU-Labyrinth hinwies (ich rechne mich dazu), wurde als Europafeind verhöhnt. Irgendwann jedoch schlagen die Fakten zu. Die Politik hat den Kampf gegen die Märkte stets verloren (vgl. den speziellen Beitrag in diesem Walthari-Portal). Bald werden die Fakten auch das Bundesverfassungsgericht vor sich hertreiben. Man lese die Artikel 3, 122 und 125 im EU-Gesetzeswerk und vergleiche sie mit dem Wortlaut der Eilantrag-Abweisung der Karlsruher Richter…
In Wahrheit…
© Walthari® – Aus: www.walthari.com
13. August 2011
Fehlurteil des Bundesverfassungsgerichts
Vorbemerkung zum nachstehenden Text vom 20. Juli 2002: Der Beitrag erschien im WALTHARI-Portal als Teil 2 einer Artikelserie, die noch fortgesetzt wird. Die Prognose, daß das Karlsruher Gericht zunehmend an Autorität einbüßen wird, weil der Zeitgeist Einzug hält, bestätigt dieser Tage erneut die scharfe Kritik des Bundestagsabgeordneten Günter Krings an genau jenem Urteil, das hier schon vor neun Jahren analysiert wurde. Am 1. September d.J. stellt sich der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. A. Voßkuhle, in Berlin einer Diskussion anläßlich einer Buchvorstellung. In der Einladung heißt es, das Gericht sei »ein Eckpfeiler der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in der Bundesrepublik. Es überwacht die Einhaltung des Grundgesetzes…« Nicht nur Krings äußert Zweifel. So schrieb die FAZ in ihrem politischen Leitartikel vom 5. August 2011, »die Lebenspartnerschaft erwies sich als semantischer Trojaner. Heute muß man sagen: Die Ehe ist am Ende« – nicht zuletzt infolge der Zeitgeistsensibiltät im Bundesverfassungsgericht.
E.D.
26. August 2011
Verdrängte Multikulti-Effekte
Der Traum vom friedlichen Nebeneinander von Religionen und Ethnien ist in der Geschichte unzählige Male zum Albtraum geworden. Nach Perioden gegenseitigen Tolerierens brachen stets dann blutige Konflikte aus, wenn die sozialen Differenzen zu groß wurden oder fundamentalistische Ideologien die Köpfe verwirrten. Solange die unterschiedlichen Gruppen gegenseitig wohlstandssteigernd zusammenwirken konnten, blieben (und bleiben) multikulturelle Verhältnisse stabil. Blieb (bleibt) der reziproke Wohlstandseffekt aus, war (ist) es mit dem friedlichen Beieinander bald vorbei. Nur auf Elitebasis (unter Forschern, Musikern u.a.) scheint Multikulturalismus dauerhaft zu funktionieren, weil ein strenges Regelwerk herrscht (wissenschaftliche Standards usw.) und weil sich Eliten unentwegt gegenseitig bereichern.
Diesen gesellschaftlichen Mechanismus kann man in der kleinen Schrift Kultur- und Kunstökonomie, Band II (Münchweiler 1993) nachlesen. In diesem WALTHARI-Portal wurde immer wieder darauf hingewiesen, daß es für multikulturelle Durchmischungen Grenzwerte gibt, die man nicht folgenlos überschreiten kann. Soziale und politische Unruhen sind die vorhersehbaren Folgen vor allem dann, wenn die Unterschicht zurückbleibt.
Obschon in England diese Entwicklung seit Jahr und Tag zu beobachten ist und die jüngsten Verwüstungen in den Städten niemanden überraschen konnten, beeilten sich Multikulti-Euphemisten in den Medien und in der Politik, den Hauptgrund der Zerstörungswut, nämlich das Ausgeschlossensein von der Mehrheitsgesellschaft, herunterzuspielen und sogar auszuschließen. Wer diesen politischen Korrektheitsvertretern widersprach, indem er auf die sprechenden Fakten verwies, wurde als Rechtspopulist verunglimpft. Überdeutlich zeigten alle Fernsehbilder, welchen gesellschaftlichen Gruppen die randalierenden und plündernden Jugendlichen angehörten. Seit Jahrzehnten vermehren Immigranten die englische Unterschicht, die ohnehin ein zurückgelassener großer Gesellschaftsteil bildet, prozentual weit höher als in Deutschland. Relativ wenige Einwanderer aus den ehemaligen Kolonien des Empires schafften den sozialen Aufstieg; der große Rest kumulierte als Protestpotenzial in den Großstädten. In Frankreich bietet sich ein ähnliches Bild, ebenso in den Niederlanden, bezeichnenderweise ehemalige Kolonialmächte. Sarkozy, der derzeitige französische Staatspräsident, wartete ebenso vor multikulturellen Verhältnissen wie der Papst mit Blick auf verwässernde religiöse Dialoge (FAZ Nr. 277/2008, S. 5).
2004 hieß es in diesem WALTHARI-Portal: »Neun von zehn Konflikte in der Welt haben multikulturelle Ursachen« – ohne daß man sich dazu bekennt. Ob auf dem Balkan, im Nahen Osten, in fast ganz Afrika, im Kaukasus oder sonstwo auf dem Globus: Multikulturelle Negativpotenziale brechen wie gesellschaftliche Vulkane nahezu täglich aus, wobei die politische Korrektheitsideologie der Medien partout nicht wahrhaben will, woran es liegt. Mit unbegreiflicher Faktenblindheit propagieren westliche Ideologen (und nur diese) das Ideal multipler Identitäten, weil diese angeblich kulturell und individuell bereicherten. Eingewanderte muslimische Schwarzafrikaner etwa seien ein Segen für Europa. Wer die Realität kennenlernen will, schaue sich die Verhältnisse am Rande französischer Städte an. Auch manche Bezirke in Berlin, Köln und in anderen deutschen und europäischen Städten strafen die Bereicherungspropaganda Lügen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind die dort lebenden Menschen in eine zwiespältige Identitätsfalle geraten, deren Frusterlebnisse allzu oft zu Gewalt verleiten und regelmäßig in Resignation enden. In Multiplen Persönlichkeiten reifen Eliten (Forscher, Dirigenten u.a.) heran, die meist aus gehobenen sozialen Verhältnissen stammen. Einem muslimischen Schwarzafrikaner in einem der Außenbezirke von Paris dieses Ideal zuzusprechen ist blanker Hohn. Es überfordert generell die meisten Immigranten, was faktenhart daran abzulesen ist, daß Integration europaweit mehrheitlich gescheitert ist. Seit Jahrzehnten kämpft man vergeblich gegen Parallelgesellschaften an und verdrängt die daraus entspringen Verwerfungen, die sich in den USA geldgierige Anwaltsbüros zunutze machen. In dortigen Zeitungen findet man Anzeigen, in denen minorities aufgefordert werden, schon bei empfundenen Schwierigkeiten sich zu melden, um sich kostenlos beraten zu lassen. Man verspricht sogar kostenlose Prozeßführungen. Das geschieht keineswegs selbstlos. Da bei einem erfolgreichen Prozeß in den USA durchschnittlich (!) mehrere hunderttausend Dollar Entschädigungen anfallen, sind die Anwaltskosten (bis zu 800 Dollar je Stunde) bequem abzudecken. Diese US-Kanzleien setzen mit solchen Geschäften geschätzte 22 Milliarden Dollar jährlich um. Wenn hierzulande eine Immigrantin eine Firma verklagt (ein realer Fall), weil die Briefanrede bei der Rücksendung der Bewerbungsunterlagen versehentlich »Sehr geehrter Herr…« lautete, sind wir mental von amerikanischen Verhältnissen nicht mehr weit entfernt. Das Gericht hat die Klage abgelehnt.
Jeweils nach schweren Eruptionen aus multikulturellen Szenen flammt für kurze Zeit eine Debatte um die wahren Ursachen auf. So hieß es in der FAS vom 6. Jan. 2008: »Wohlmeinende Bildungsbürger propagieren zwar ›Multikultikiezen‹«, zögen aber sofort ab, wenn ihre Kinder schulpflichtig würden…
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus:www.walthari.com
13. November 2004
Blutspuren der Multikulti-Verblendung
Ein Nekrolog auf künftige Opfer lebensverachtender Toleranzutopien
›Theo van Gogh, holländischer Regisseur mit durchgeschnittener Kehle und mit einem Spottzettel am Messerschaft‹: Schreibt Euch diese Mahnworte in Euer Notizbuch, Ihr Verkünder multikultureller Utopien. Nein, Ihr seid nicht einfach blind gegenüber dem Haß, wie er aus unangepaßten und unanpaßbaren Parallelgesellschaften quillt. Ihr seid auch nicht böswillig oder naiv-aufklärungsmanisch. Das alles seid Ihr nicht, weil Ihr es besser wissen könntet und müßtet. Lebens- und Rechtsverachtung bescheren dem friedlich gewordenen Europa eine haßerfüllte Gegenwart und werden es höchstwahrscheinlich in eine blutige Zukunft führen.
Um dies vorherzusehen, muß man keine Prophetengabe besitzen, man muß nur durch Europas Städte gehen und Polizeireviere aufsuchen. Dramatisch wächst die Zahl der rechtsfreien Räume und der Arbeitslosen in Vierteln, in denen kaum noch die Landessprache gesprochen wird, wo einheimische Lehrer daher ihre Schüler nicht mehr verstehen und Polizisten sich nur noch schwerbewaffnet in ghettohafte Quartiere wagen, weil etwa jeder zehnte Quartierbewohner gewaltbereit ist oder Gewaltakte deckt. Ob in England, Holland, Frankreich, Belgien, Spanien, Italien oder Deutschland, in all diesen und in anderen Ländern spitzen sich multikulturelle Konflikte bedrohlich zu. Doch nur wenige Politiker nennen die wahren Ursachen der »epochalen Bedrohung« und fordern einen »Schutz unserer Bevölkerung«. Jörg Schönbohm weiter: »Effektiver« als staatliche Abwehrmaßnahmen »wäre es, wenn Rot-Grün endlich dem ersehnten Aufbau einer multikulturellen Gesellschaft eine klare Absage erteilte« (FASZ, Nr. 13/04). Nur die Schweiz wähnt sich auf einer Insel mit durchweg friedlichen Immigranten und fragte mit der lehrmeisterlichen NZZ-Stimme am 26. August 2003: »Werden die Niederlande ausländerfeindlich?« Das war vor der Ermordung Theo van Goghs.
Neun von zehn Konflikte in der Welt haben multikulturelle Ursachen. Ob in Thailand, Rußland, auf dem Balkan, im Nahen Osten, in ganz Afrika – wo immer gebrandschatzt und gemordet wird, kann man sicher sein, daß religiöse und rassische Gegensätze fast ausnahmslos dahinterstecken. Was man aus der Geschichte zudem wissen kann: Kaum einer dieser Gegensätze ist bisher dauerhaft befriedet worden. Wer daran zweifelt, reise durch den Balkan oder nach Nordirland, durch Nordspanien oder Burma und in zweihundert weitere Weltgegenden, wo es seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten brodelt. Man sollte daher endlich anerkennen, was die Geschichte unabweisbar lehrt:
- Multikulturelle Gesellschaften bleiben, wenn überhaupt, nur solange friedlich, wie allseitiger Wohlstand herrscht; mit der Not kommen die Konflikte (Sündenbocksyndrom).
- Multikulturelle Gesellschaften, in denen monomythische Gesinnungen sich gegenüberstehen (z.B. im Islam: wie grausam man mit Ungläubige verfährt, lehrt der Koran), sind jederzeit gewaltbereit.
- Selbst in aufgeklärtesten Gesellschaften gibt es eine Verträglichkeitsgrenze, bei deren Überschreitung das Konfliktpotenzial nicht mehr beherrschbar ist.
- Es ist ein katastrophaler Denkfehler, das Funktionieren in multikulturellen Elitegruppen (Forscher, Sportmannschaften, Konzertmitglieder u.a.) zum Vorbild für Alltagslagen zu erklären; Eliten finden unter der Regie eines strengen Regelwerks (Forschungsmethode, Sportregeln, Partitur usw.) zum beglückenden Gleichklang und ordnen ihre Gegensätze (religiöse u.a.) ihrem Oberziel bedingungslos unter. In einer Fußballmannschaft vertragen sich Christen, Muslime und Atheisten unter dem gegebenen Leistungsdruck. Normalbürger mit gleichen Unterschieden geraten in bedrängten Lagen dagegen leicht aneinander.
Das alles kann man seit langem wissen, spätestens seit der Veröffentlichung des Bandes II der ›Kultur- und Kunstökonomie‹ (1993; vgl. Fenster Sachbücher in diesem WALTHARI-Portal). Theo von Gogh könnte nach allem Ermessen noch leben und die weltweite Konfliktwelle wäre vermutlich geringer, hätten die politischen Klassen nicht den Kontakt zu ihren Völkern weitgehend verloren. Um Politikern die wachsende Gefahr zu verdeutlichen, gäbe es ein einfaches Mittel: Sie sollten ihren Personenschutz selber bezahlen. Allein diese Opportunitätskosten würden…79
© WALTHARIUS Aus: www.walthari.com
29. Juli 2011
Etablierte und nichtetablierte Parteien. In Deutschland können sich politische Vereinigungen beim Bundeswahlleiter (im Statistischen Bundesamt, Wiesbaden) nach § 6 Abs. 3 Parteiengesetz registrieren lassen. Dazu müßten Unterlagen eingereicht werden (Mitgliederzahl, Statut u.a.). Den Sprung in den Privilegienstatus (Staatsgelder je nach Wahlerfolg) schaffen aber seit je nur wenige. Manche Gruppierungen hielten sich eine Wahlperiode und verschwanden wieder aus dem öffentlichen Raum. Zur großen Form aus kleinen Verhältnissen liefen bisher nur die Grünen auf. Ansonsten beherrschen die bekannten Altparteien die Szene. So entstand ein Parteienkartell, das hohe Hürden aufgebaut hat (5%-Klausel u.a.), um seine Vormacht zu sichern. Selbst die schlimmsten Parteienskandale konnten dem Kartell nichts anhaben. Dafür sorgt die Ämterpatronage in der Exekutive und indirekt (über parteienbeeinflußte Wahlausschüsse) auch in der Justiz. Parlamente sind ohnehin gänzlich parteienspezifische Arbeitsmärkte (der letzte parteienunabhängige Abgeordnete im Bundestag wurde in den 50er Jahren gesichtet). Diese volksfernen Verkrustungen wären über direktdemokratische Wahlvorschriften aufzubrechen, derzeit freilich ein aussichtsloses Unterfangen, denn die etablierten Parteien beherrschen die gesamte Legitimationsmaschinerie. Was bleibt also dem weitgehend entmündigten…
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus: www.walthari.com
23. Juli 2011
Geteilter öffentlicher Raum. Er besteht aus einer Vorder- und einer Hintergrundbühne. Ganz vorn agieren die bekannten großmächtigen Sende- und Druckmedien, die sich, um ihre Platzherrschaft zu sichern, täglich gegenseitig zitieren (Pressestimmen in Presseorganen usw.) Im Bühnenhintergrund ertönen aberhunderte Medienstimmen, die sich seit Jahrzehnten gegen die Platzhirsche kaum Gehör verschaffen können, obschon sie nicht selten Originelles zu bieten haben. So fand das Interview mit dem englischen Schriftsteller Frederick Forsyth in ›Zuerst. Deutsches Nachrichtenmagazin‹ (Nr. 7/2010, S. 15 ff.) kein breites öffentliches Echo. Kein Wunder: »Eure Medien gehen mit der politischen Klasse ins Bett« stellt Forsyth fest. Im Heimatland Forsyths auch, wie am aktuellen Murdoch-Skandal abzulesen ist.
Englische Medienkrankheiten. Lange galt die englische Presse als Vorbild. Doch nicht erst seit den jüngsten Aufdeckungen ist ihr Ruf dahin. Ein Murdoch’sches Brüllblatt hat tausende Bürger ausspioniert. Die sprachlichen Verrohungen sind kaum zu übertreffen, auch nicht die Wendegeschwindigkeit. Den deutschen Papst einen Rottweiler zu nennen war so üblich wie die historische Gewohnheit, die Deutschen mit Hunnen gleichzusetzen. Nachdem der Papst jüngst die Insel besucht hatte, verwandelte er sich im britischen Medienbild zum fas liebenswerten Opa. Die Presse, eine Hure, sagte schon vor Jahrzehnten…
Schweizer Ikone im Stresstest. Aus Anlaß des 100. Todestages eines ihrer Nationalhelden unterzog die NZZ Henry Dunant (1828-1910) einer kritischen Betrachtung. Während Frankreich seine ›Helden‹ wie Heilige schützt (selbst den Massenmörder Napoleon I.), bleiben die Eidgenossen nüchtern: Dunant sei ein Apokalyptiker und Egomane gewesen, seine Rot-Kreuzidee sei »auch aus dem Geist des Größenwahns geboren«. Dunant war sich nicht zu schade, Napoleon III. eine Huldigungsschrift zu widmen, worin er den Kaiser als würdigen Nachfolger des Römischen Reichs und Karls des Großen pries. Noch zu Lebzeiten flog er aus der Rot-Kreuz-Gesellschaft, deren Gründung fälschlicherweise meist nur ihm zugesprochen wird (Gustave Moynier war ihr eigentlicher Architekt). Was dem Darwin sein Wallace, ist dem Dunant sein Moynier.
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer, ausgenommen die Originalzitate. Aus: www.walthari.com
Glossen vom 6. November 2009
Juvenalisches Gelächter
Teil 5 – Alpha- und Omega-Journalismus
Qualitätsjournalismus. Es gibt ihn schon, den Qualitätsjournalismus. Er liegt jenseits der Bandbreite der Alpha- bis Omegapresse. Es geht ihm mehr um Qualität als um Wirkung. In der Mediendemokratie ist der seriöse Journalismus allerdings auf dem Rückzug. Selbst in der sogenannten Qualitätspresse wird mehr und mehr boulevardisiert. An die Stelle der Vor-Ort-Recherche treten sog. News-Quellen: das Abfragen bei Suchmaschinen im Internet, bei Wikipedia, in der Bloggerszene und auf Online-Plattformen anderer Medien. Stündlich entsteht so eine gewaltige Infoblase sich verstärkender Selbstreferenzen. Darunter leidet die Glaubwürdigkeit und die seriöse Druckpresse: Sowohl der Medienschaffende als auch das Publikum informieren sich zunehmend am Bildschirm.
Verdecktes journalistisches Arbeiten. Es ist häufiger, als man vermutet und hat eine lange Tradition, worüber die NZZ Nr. 180/09 ganzseitig berichtet. Wenn sie könnten, wie sie wollten, würden 54 Prozent der amerikanischen und 22 Prozent der deutschen Journalisten verdeckt arbeiten! Beim Skandaljournalismus im Print- und Sendebereich liegt der Anteil hoch, da man sich nicht maskiert einschleichen muß. Es genügen versteckte Kameras und das stille Info-Einsammeln im Internet. Abertausende personenbezogene ›Geheimprofile‹, so darf man vermuten, sind insgeheim archiviert und werden im rechten Augenblick ins grelle Öffentlichkeitslicht geschoben. Gehörte es nicht zum Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung, daß jeder Bürger erfährt, wer was über ihn insgeheim gesammelt hat?
Blogger-Szene. Im deutschsprachigen Raum existieren rund eine Viertel Million Blogger-Plattformen. Wer kein Internet hat, kann sich das virtuelle Medienrauschen nicht vorstellen, das jenseits der gewohnten Öffentlichkeit stattfindet. Bloggerkönige in den USA lassen vieltausendstimmige Blogger-Armeen über Themen herfallen, die der Politik und Wirtschaft Angst und Schrecken einjagen. Ihre Macht reicht aus, um Firmen in den Konkurs zu treiben (durch Boykottaufrufe). Es geht dabei weniger um direktdemokratisches Benehmen, vielmehr verlustiert man sich am Skandal und an der Eigenmacht.
Komplementärjournalismus. In zehn Jahren wird die Zeitungslandschaft sich grundlegend verändert haben. Während Lokal- und Regionalblätter einigermaßen überleben werden, wird manche überregionale Zeitung verschwunden sein, die übrigen Blätter werden doppelt schrumpfen: inhaltlich zum bloßen Komplementärorgan, angesichts der virtuellen Medien und auflagemäßig zum Intelligenzblatt (wie ehedem: vgl. die Intelligenzblätter im 18. Jahrhundert). Wer sich diese Presseorgane noch leisten will, muß erheblich mehr bezahlen.
Bürgerjournalismus. Darunter versteht man ein Nachrichtenwesen, das von Bürgern selbst getragen und gemacht wird. Es unterscheidet sich von dem verwilderten Bloggerwesen und anderen virtuellen Infoformen durch ein Mindestmaß an seriösen journalistischen Standards (Faktentreue, Autorenverantwortung, Meinungstoleranz u.ä.) Vor Jahren habe ich ein Netzwerk von Qualitätsportalen angeregt, deren Stärke in der unabhängigen Kommentierung liegt.
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus:www.walthari.com
Glossen vom 29. Juli 2009
Juvenalisches Gelächter
Teil 4 – Aus dem Tollhaus der Medien, Parteien und Globalisierungseliten
Es lohnt sich, antike Satiriker zu lesen. Wer beispielsweise Juvenals (ca. 60-140 n. Chr.) ›Saturae‹ zur Hand nimmt, glaubt nicht nur für Momente einen Beobachter unserer Zeit am Werk. Mit scharfer Ironie geißelt er den Verfall der römischen Mores, der Sitten also, wie sie sich in Rom und in anderen Städten des Römerreiches breitgemacht haben. Ob Sexismus oder Tafelluxus der Oberschicht, ob Spielsucht, Rednerschau oder Volksbetrug, ob pornografisch zur Schau gestellte Homosexualität oder Kinderlosigkeit – kaum ein gesellschaftliches und staatliches Phänomen entgeht dem scharfen Blick Juvenals. »Welch einen Spleen hat der Mensch!«, klagt er in der 6. Satire. Borniertheit und Luxus, soziale Kälte und Gesetzeswillkür waren die untrüglichen Vorboten des Untergangs der letzten Weltmacht der Antike…
Aus dem Vorspann von Teil 1 vom 20. August 2004
Einbau Ost. In der geltenden Kita-Verordnung in Brandenburg findet sich der Passus, daß die Kinder zur »sozialistischen Persönlichkeiten« zu erziehen seien. Der Bürgermeister der brandenburgischen Kreisstadt Penzlau verlieh am 13. Juli 2009 seinem Kulturamtsleiter den DDR-Orden »Banner der Arbeit der Stufe 1 – in Vertretung Erich Honecker«. Wohlgemerkt: im Jahre 2009.
Hundekult. Den Kult um das Haustier gibt es schon seit mehr als viertausend Jahren, aber noch nie trieb der Kult solche absurden Blüten: Für die Tierhaltung wird in Deutschland so viel Geld ausgegeben wie für sämtliche Jugendliche unter 14 Jahren; die Züchtungen sind ebenso ein großes Geschäft wie das Spezialfutter und die geschmückten Begräbnisstätten; neben Tierärzten kümmern sich Tierpsychologen um kranke Hunde, Psychotherapeuten haben sich auf Verhaltenstherapien mit Hunden spezialisiert u.v.a.m. Eine Hunde-Professorin behauptet, daß die Vierbeiner lächeln können – mit dem Schwanz. Während die Armut unter den Menschen wächst, hätschelt man Hunde luxuriös vom perlenbestickten Wärmemäntelchen bis zum samtbezogenen Ruhe- und Schlafbettchen mit Spielfransen.
Restrecht auf Privatheit. Mit dem Handy wird auf Straßen, in Cafés usw. ungeniert laut telefoniert. Die Navigationsrouten werden so selbstverständlich insgeheim gespeichert wie Telefonate und Netzpost. Die USA hat Zugriff auf alle Kontenbewegungen in Europa. Firmen und Ämter erfassen persönliche Daten, die bisher unkontrolliert weiterverkauft werden konnten. Wer in einer Apotheke etwas kauft, wird um Erfassung im Rechner gebeten usw. Naive Zeitgenossen geben persönliche Daten im Internet preis, deren Suchmaschinen bekanntlich alles erfassen und nichts vergessen. Der Kampf um Re-Privatisierung als Versuch, einen gewissen persönlichen Schutzraum zu bewahren, ist längst verloren. Juvenal hätte sich das nicht träumen lassen.
Sechzig Jahre Bundesrepublik. Was wurde bei dem Gedenken nicht alles aufgetischt und überzuckert serviert! Anlaß zum Feiern hatte vor allem die politische Klasse, weniger der vom Parteiensystem weitgehend entmündigte Bürger. Jubeltexte wie zu Kaisers Zeiten.
Zubetoniert. Ein Achtel der Fläche Deutschlands ist überbaut. und es geht weiter.
Bühnenreif. Auf der Bühne des Hamburger Schauspielhauses lasen im Dezember 2008 zweiundvierzig Sozialarbeiter die Liste der reichsten Hamburger vor. Ein Schritt vom Regietheater zum Neidspektakel des Regisseurs.
Atlantis liegt im Morgenland. In den Scheichstaaten entstehen die höchsten Gebäude, die größten Aquarien, die besten Hotels und bald auch der komfortabelste Weltraumbahnhof. Hybris mit Goldrähmchen.
Gier schlägt Neid. In der gegenwärtigen Wirtschaftskrise hat sich die Neiddebatte in eine Gierschelte verwandelt. Von der Staatsspitze bis zur Dorfkanzel. Wundersame Verwandlung. Was kommt danach?
Seitenspringer als Seiltänzer. Irgendwie hängt beides zusammen. Immer öfter liest man, daß politische Seiltänzer, nicht nur italienische und englische, zugleich Spezialisten für Seitensprünge sind.
Imagezelebration. Es gibt Agenturen für Imagegewinn und -pflege. Der Betroffene muß Listen abarbeiten: wie er (sie) sich vor Kameras zu kleiden und sich zu räuspern hat, zu lächeln und zu gestikulieren, zu schreiten (zu gehen ist verboten) und schräg zu blicken. Der Schrägblick (Schauspielerinnen lernen ihn im ersten Schulungsjahr) und das Lächeln sind bruni-kühl zu zelebrieren, was die wenigsten können, trotz Training.
Schuldenbremse. Keine Macht der Welt, kein Gesetz wird Politiker von ihrem Lieblingsbetrug abhalten: zu behaupten, ihre Politik schütze kommende Generationen vor den Lasten der Staatsschulden, der Umweltschäden usw., und zugleich tun sie das Gegenteil. Der Bundestagswahlkampf 2009 kostet den Steuerzahler 85 Milliarden (!) Euro (errechnet vom Institut für internationale Wirtschaftspolitik an der Universität in Bonn).
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus: www.walthari.com
Skandalchronik vom 13. Juni 2009
Parteienstaatlicher Sozialismus. Bei ökonomischen Ordnungspolitikern kann man nachlesen, daß staatliche Überfürsorge stets auf Kosten von Freiheit und Selbstverantwortung geht und daß die Entwicklung politisch geradewegs in diktatorische Verhältnisse und wirtschaftlich in den Sozialismus (d.h. Armut) führt. Und: Alles kommt schleichend, und man will es nicht wahrhaben. Ein bekannter politischer Leitartikler lieferte dieser Tage ein Beispiel dazu: »In die Staatswirtschaft« lautete die Überschrift. Ehrlicher wäre gewesen: Parteienstaatlicher Sozialismus. Dieser hat den Merkelismus geboren.
Unerschütterliche linke Deutungshoheit. Selbst dann, wenn der linken Meinungsführerschaft die Fundamente wegbrechen, hält sie sich auf Kopfhöhe. Dagegen hat der Zusammenbruch der kommunistischen Ideologie so wenig etwas ausrichten können wie die Entsorgung des Ohnesorg-Mythos. Den sozialistischen Zeitgeist atmen die meisten Parteien, Verbände, Medien, Schulen (die meisten Lehrer denken links) und neuerdings sogar Unternehmen (wachsendes Geschrei nach Staatshilfen).
Leyens Staatsfamilien. Nachdem der Staat schon weitgehend über die Kinderbetten herrscht, ist nun die ganze Familie dran. Die Bundesfamilienministerin reitet auf der opelduftigen Tsunamiwelle und fordert einen staatlichen Familienkredit für doppelt erwerbstätige Paare, um ihre berufliche Arbeitszeit zu reduzieren oder eine Auszeit zu nehmen. Banken (ein marktwirtschaftlicher Prüfmechanismus) seien dazu zu selten bereit. Sozialistische Monetarisierung des Allerprivatesten pur: »Ich glaube, es ist an der Zeit, daß wir Bürgschaften … für Menschen sprechen«, sagt die mitregierende Dame, die sich schon über die generative Wirkung von Kindergeld getäuscht und blamiert hat.
Auf dem Weg zum autonomen Parteienstaat? Wer als Abgeordneter aufmuckt, wird leicht aus der Partei verstoßen, was seinem politischen Tod gleichkommt. Beispiele gibt es genug, man denke an die hessischen Abgeordneten beim Ypsilandi-Skandal und an Martin Hohmann. Obschon nicht Parteien, sondern immer nur Kandidaten gewählt werden dürfen, liegt alle politische Macht bei den Fraktionen und in den Parteizentralen.
Politisches Fingerspitzengefühl. Nach einem Spiegel-Bericht konnte die Bundeskanzlerin einen Abgeordneten ihrer Fraktion mit einem Fingerzeig an seinen Platz zurückbefehlen. Wenig Fingerspitzengefühl zeigten Abgeordnete des EU-Parlaments, als sie im Dezember 2008 auf der Prager Burg von Präsident Klaus empfangen wurden. Der tschechische Staatspräsident wünschte sich, »frei und unverfälscht die eigenen Standpunkte diskutieren (zu) können«. Barsch konterte Daniel Cohn-Bendit: »Ihre Ansichten interessieren mich nicht. Ich will wissen…«. Klaus deckte das Skandalöse im Ton und der Sache schonungslos mit dem Hinweis auf, er habe bisher geglaubt, »daß die Methoden für uns vor 19 Jahren aufgehört haben. Ich sehe, daß ich mich geirrt habe…« Der deutsche Parlamentspräsident Pöttering sprang dem grünen Cohn-Bendit bei, indem er Klaus zwingen wollte, dem grünen Parlamentarier weiter zuzuhören. Keine Sternstunde für die EU-Legislative.
Vergangenheitsbewältigungen. Über Jahrzehnte waren die Deutschen der auserwählte Platzhalter für Vergangenheitsbewältigung, die andere Völker verweigerten. Noch heute schreien Tschechen, Polen, Slowenen u.a. auf, wenn an ihre bisher verschwiegenen Untaten im 20. Jh. erinnert wird. Polen, so Erika Steinbach, gefalle sich im »Selbstbild des lupenreinen Opferstaates… Wenn ich … Äußerungen von Grünen-Politikern wie Claudia Roth anhören muss, die bereit sind, eigenhändig Kröten über die Straße zu tragen und deren Leben zu retten, aber erbarmungslos über das Schicksal von Millionen vergewaltigter Frauen und Vertreibungsopfern nach dem Krieg hinwegsehen, dann ist das unerträglich« (FAS Nr. 8/2009, S. 2). Rußland windet sich beim Stichwort Holodomor, dem fünf bis zehn Millionen Menschen zum Opfer fielen. Die Geschichte der Sklaverei, die während der Kolonialzeit von Großbritannien, Frankreich, Holland und Belgien im großen Stil betrieben wurde und von Stalin mit Tausenden todbringender Arbeitslager fortgesetzt wurde, ist nicht annähernd aufgearbeitet. Die Dänen halten sich für das glücklichste Volk Europas, weil sie angeblich keine grausame Kolonialgeschichte hinter sich haben. Grönland haben sie menschenverachtend kolonialisiert. Noch Mitte des 20. Jh.s trennten sie grönländische Kinder von ihren Familien, um sie zum Dänischsein umzuerziehen. Kein europäisches Land ist ohne schlimme Vergangenheit, auch die Schweiz nicht: Das Land wies zur Hitlerzeit jüdische Flüchtlinge ab und brauchte bis zum Jahre 2009, um die 650 Eidgenossen, die im spanischen Bürgerkrieg gegen die Faschisten Francos kämpften, ehrenvoll zu rehabilitieren. Sie waren nach ihrer Rückkehr in die Heimat wegen fremder Kriegsdienste verurteilt worden.
Verbrecherverehrungen. In China wird Mao tse Tung, dessen Diktatur rd. siebzig (!) Millionen Menschenleben gekostet hat, nach wie vor staatsoffiziell verehrt. Bei Umfragen in Rußland steht Stalin, dem zweitgrößten Menschenschlächter aller Zeiten, hoch im Kurs. Franco hat heute noch in Spanien nicht wenige Anhänger, und selbst die altehrwürdige Demokratie England hält die Kriegsverbrecher Churchill und Harris in hohen Ehren (beide haben Hunderttausende zivile Bombenopfer zu verantworten). In Deutschland reagiert die Öffentlichkeit bereits auf historisch unkorrektes Sprechen. Hierzulande führen schon sprachliche Schnitzer und Tabubrüche zu öffentlichen Steinigungen (vgl. Jenninger, Hohmann u.a.). Manche Wörter (z.B. Pogrom) wollen bestimmte Opfergruppen einzig für sich reserviert haben (vgl. Heft 2/2009, S. 106 f. von Forschung & Lehre).
Verschmutzte Mentalitätsräume. Eine kroatische Schriftstellerin schildert in der NZZ (Nr. 302/2008, S. 28) verschmutzte öffentliche Räume in Amsterdam und erwähnt nicht allein verdreckte und verpißte U-Bahn-Stationen, sondern auch Schmutzmanieren im Supermarkt, Gaststätten, Parks usw. Als Passantin erschrickt sie: »Immer mehr Leute benutzen im öffentlichen Raum ihren Körper als Schneepflug.« Ein Muslim, der beim Taxifahren laut gebetet hatte, fragt, als man einen Geldschein überreicht: »Wieviel Trinkgeld bekomme ich?« Die Schriftstellerin notierte: »Seine Stimme klingt jetzt auffällig anders. Das demütige religiöse Brabbeln von vorhin galt Gott, dieser drohende Ton mir.« Was in Amsterdam längst Alltag, schleicht sich in anderen europäischen Städten gerade ein. Ton und Manieren in der Multi-Kulti-Welt. Der Taxifahrer wäre gegenüber einem Glaubensbruder in Tunis höflich geblieben. Als jüngst in Marburg ein »Kongreß für Psychotherapie und Seelsorge« stattfand, flippten unter der Fahne linker Gruppen schwarz Vermummte aus und skandierten: »Maria, hätt’s du abgetrieben, wär’ uns das erspart geblieben.« Mit »das« war eine angeblich christlich motivierte Umerziehung von Homosexuellen gemeint, die auf dem Kongreß angeblich ein Thema sein sollte. Nicht nur Straßen, Schulen und andere öffentlichen Räume werden zunehmend verschmutzt, schlimmer noch sind Rohheiten im alltäglichen Verhalten, in Betrieben und in der Politik. So bellte mich unlängst ein Universitätsdekan per Netzpost an, ohne Anrede und Gruß, nicht einmal mit vollem Namenszug. Der Inhalt glich der Form: eine skandalöses Muster der Postmoderne.
Kollateralschäden im Gaza-Krieg. Welche deutsche Zeitung hätte zu berichten gewagt, was in der NZZ vom 24. April 2009 stand? »Israels Armee stellt sich einen Persilschein aus«, lautete die Überschrift eines Berichts, der infragestellte, wie ein Untersuchungsbericht der israelischen Armee die eigenen Soldaten reinwaschte. Kein Armeeangehöriger hätte sich Kriegsverbrechen zuschulden kommen lassen, hieß es in dem Papier. Derweil behinderte der Staat die Arbeit eines Juristen, der im Auftrag des Menschenrechtsrats der UNO eine neutrale Untersuchung durchführen wollte.
Islam-Lehrer in Österreich. Vierhundert muslimische Lehrer unterrichten in Österreich koranischen Religionsunterricht. Eine Befragung ergab: 21,9 Prozent halten die Demokratie mit dem Islam für nicht vereinbar. 21,1 Prozent lehnen allgemeine Menschenrechte im Namen des Koran ab. Jeder siebte Lehrer glaubt, daß der Koran die Teilnahme an Wahlen verbiete.
Migrantenelend. In Deutschland lebten 2005 fünfzehn Millionen »Menschen mit Migrationshintergrund (Ergebnis des Mikrozensus’). 10,3 Prozent der Frauen und 8,0 Prozent der Männer verfügten über keinen Schulabschuß (Statistisches Bundesamt 2007). Zum Vergleich: Unter Nichtmigranten waren es 1,3 bzw. 1,4 Prozent. Bei Türken lauten die Zahlen 25,9 (!) bzw. 17,4 Prozent. Sozialer Sprengstoff in Fülle.
Radikaler Feminismus. Zum Pflichtprogramm der politischen Korrektheit gehören Frauenförderung und die Ansicht, daß Frauen das ewig benachteiligte und doch bessere Geschlecht seien. Sie begehen weniger Morde, hätten den besseren Geschmack usw. Dennoch seien sie nicht gleichberechtigt. Ihr genetischer Vorteil (sie werden im Durchschnitt 5,5 Jahre älter als Männer) zählt ebensowenig wie der Nachweis, daß Benachteiligungen zum erheblichen Teil im Verhalten der Frauen selber liegen. Der sog. Lohnvorteil der Männer ist u.a. auch darin begründet, daß Frauen in Bauberufen, unter Müllwerkern usw. kaum zu finden sind und während der Kinderphase zumeist nur halbtags arbeiten. Es gibt weitere Gründe für Einkommens- und Karrierenachteile, darunter die verbreitetere Risiko- und Streßscheu bei vielen Frauen. Wer darauf hinweist, muß mit dem Geschrei radikaler Feministinnen rechnen und hat die staatsoffizielle Geschlechterideologie gegen sich. Frauenquoten sind immer noch in Mode, obschon sich auf Männerseite längst Benachteiligungen eingestellt haben. Jungs erhalten in Schulen schlechtere Noten, nicht weil sie dümmer sind als Mädchen, sondern weniger anpassungsfähig und störrischer in einem Milieu, das zunehmend von Frauen bestimmt wird. An Grundschulen sind neun von zehn Lehrkräften Frauen. Mehr Jungs als Mädchen schaffen keinen Schul- und Berufsabschluß. Obschon sich das Blatt der Benachteiligungen längst gedreht hat, gibt es neben den Frauenförderprogrammen keine Männerförderprogramme, neben dem Frauengesundheitsbericht keinen für Männer (obschon sie durchschnittlich früher sterben). Vor Gericht und in den Medien werden regelmäßig Frauen nachsichtiger behandelt als Männer. Weibliche Opfer werden bei Großunfällen zusammen mit »Kindern und alten Menschen« eigens hervorgehoben: »… darunter viele unschuldige Frauen und …« Als ob es keine Männer unter unschuldigen Opfern gäbe. In Rettungsplänen (auf Schiffen usw.) werden nicht allein Kinder, Behinderte und Alte berechtigterweise bevorzugt, sondern im praktischen Ernstfall üblicherweise zudem Frauen, auch wenn sie nicht schwanger und keine Mütter mit Kind sind. Was einst aus humaner Gesinnung und Höflichkeit gut begründet war, hat sich feministisch versteinert, bei gleichzeitiger Dämonisierung des Mannes. Die Gesellschafts- und Mentalitätskosten sind hoch.
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer, ausgenommen die Originalzitate. Aus: www.walthari.com
Skandalchronik vom 9. Oktober 2009
Bankenwirrwarr. Was in der Bankenwelt seit gut einem Jahr vorgeht, wird in die Wirtschaftsgeschichte als vierfache Skandalnummer eingehen:
Zusammenbruch abenteuerlicher Blasenbildungen ohne ausreichende Eigenkapitaldeckung, Transparenz und Kundenfürsorge. Die gigantischen Wertverluste haben den Banken eine Prozeßlawine von betrogenen Anlegern beschert.
Der Steuerzahler muß für bankrotte Institute geradestehen (HRE, Landesbanken u.a.), ohne daß die Verantwortlichen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.
Die Bankenaufsicht hat sträflich versagt. Selbst die Bundesbank hatte bei der HRE Milliarden angelegt und rief nach Staatshilfe.
Als ob nicht gewesen wäre, spekulieren Banken im alten Fahrwasser.
Lauter willkommene Anlässe, um den sozialistischen Staatssektor auszuweiten. Zum Kontrast lese man dazu ›Wackere Waltharianer‹ (in diesem Portal): Ein kundiger Szenenkenner warnte bereits vor Jahren.
Adoptivkinder in Regenbogenfamilien. Die gewesene Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) hat noch kurz vor ihrem Amtsverlust für ein umfassendes Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare geworben. Die bisherige Stiefkindadoption (leibliches Kind eine Homosexuellen) sollte zum generellen Adoptionsrecht ausgeweitet werden. Dazu legte Zypries eine Studie vor, die nicht nur bei der SPD und den Grünen, sondern auch bei der FDP auf Zustimmung stieß, so bei der mutmaßlichen nächsten Bundesjustizministern Leutheuser-Schnarrenberger (FDP). Das Projekt ist also nicht auf Eis gelegt. Ehe und Familie werden nach und nach ausgehöhlt. Der Kölner Kardinal Meisner dazu: »In der derzeitigen Debatte über das Adoptionsrecht redet man aber nicht vom Recht des Kindes, sondern immer nur vom Recht – homosexueller – Erwachsener. Und genau das ist das Problem. In vielen Bereichen leben die heutigen Erwachsenen inzwischen auf Kosten künftiger Generationen, vor allem der jetzt lebenden Kinder. Das gilt bei der Staatsverschuldung, bei der hemmungslosen Umweltverschmutzung, aber auch beim persönlichen Lebens- und Beziehungsstil. Und nun versucht man auch, das Wohl der zu adoptierenden Kinder – politically correct – dem Wahlstimmenfang zu opfern.« (FAZ v. 1. Aug. 2009, S. 10).
Ausweitung der Tabuzone. Ein grelles Licht auf den deutschen Mentalitätsraum warf die jüngste öffentliche Steinigung eines Parteipolitikers, der ein offenes Wort wagte. Er ist Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank und beschrieb die Berliner Verhältnisse, wie sie sind und in diesem WALTHARI-Portal in einer Artikelfolge seit Jahren beschrieben werden. Blamiert hat sich unter den vielen Tabuwächtern der Präsident der Deutschen Bundesbank, der Thilo Sarrazin den Rücktritt nahelegte. Ein medialer Nebenskandal liefert die FAZ-Gruppe: In seinem fulminanten Leitartikel vom 4. Oktober (in der FASZ) verteidigt Volker Zastrow das offene Wort, während Patrick Bahners am 9. Oktober (in der FAZ) den Esel Plasberg schlägt, aber Sarrazin meint.
Zweierlei Umweltbewußtsein. Der ökologische Aktivismus übersieht einen der größten Umweltsünder: die Billigflieger. Millionen Menschen lassen sich durch die Welt ›kutschieren‹ und haben kein schlechtes Gewissen. Eine Flugstunde verursacht mehr Umweltschäden als tausend fahrende Pkws in der gleichen Zeit. Keine Partei, auch nicht die Grünen, hat beim letzten Bundestagswahlkampf die Billigreisenden aufs Korn genommen. Man wollte Millionen von Wählern nicht verschrecken.
Polanski-Privileg. Das strafbare Vergehen an einer Dreizehnjährigen wäre für jeden, der nicht mit den Akzidenzien des polnischen Regisseurs ausgestattet ist, ein klarer Fall von abscheulicher Verwerflichkeit gewesen. So aber macht man feine Unterschiede. Die Netzwerke in Frankreich, Polen und anderswo zeigten ihr wahres Gesicht.
Schwarmkriminalität…
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer, ausgenommen die Originalzitate. Aus: www.walthari.com
Tagebuchnotizen vom 29. September 2009
Täuschung als Politikstil
Von Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer
Der Machtwille hat in der Politik immer schon dazu verleitet, Fakten zu negieren oder schönzureden. Das ist in einem Parteienstaat nicht anders als unter absolutistischen Fürsten, die das Gemeinwesen ruiniert haben, um ihrem Macht- und Luxuswahn zu frönen. Erst nach der Bundestagswahl 2009 finden Parteipolitiker den Mut, auf die verheerende Finanzlage der öffentlichen Hände faktengenau hinzuweisen. Die Schulden allein des Bundes sind auf 1.069 Milliarden Euro gestiegen, wofür rd. vierzig Milliarden Zinsen allein im Jahr 2009 bezahlt werden. Die Nettokreditaufnahme stieg auf 327 Milliarden Euro, was ein Achtel des Bundeshaushaltes ausmacht, der sich wie eine Konkursbilanz liest. Nahezu jeder zweite Euro wird für Arbeit und Soziales ausgegeben, ein untrüglicher Beweis, daß der Wohlfahrtsstaat sich in einen sozialdesaströsen Versorgungsstaat verwandelt hat. Daneben gibt es Dutzende andere miserabel bestellte Politikfelder. Beispiel: Einwanderung. In einem Gespräch zwischen dem holländischen Migrationsforscher Paul Scheffer und dem deutschen Innenminister Wolfgang Schäuble machte der deutsche Parteipolitiker eine schlechte Figur. Er suchte sich mit Hoffnungsformeln zu retten, obschon er zugeben mußte, daß die Integration mehrheitlich gescheitert ist und daß jegliche Grundlagen für ein zukünftiges Gelingen fehlen. Der Niederländer hielt Schäuble gnadenlos den Spiegel vor: Der wirtschaftliche Nettogewinn aus Zuwanderung sei gering und zukünftig sogar negativ; die schlimmeren demographischen Probleme zeigten sich erst in zwanzig Jahren; die ständige Berufung auf die Nazizeit verhindere eine offene Diskussion; Islamprobleme würden tabuisiert; zwanzig Prozent der Deutschen hätten einen Migrationshintergrund, wobei empirisch feststehe: Der Multikulturalismus sei gescheitert. »Es gibt nirgendwo ein schlüssiges Integrationsmodell.« Wie es in ganz Deutschland in wenigen Jahrzehnten aussehen könne, erlebe man in bestimmten Berliner Vierteln. Ohne es auszusprechen, zeiht Scheffer den Minister der Unwahrheit – mit Verweis auf Fakten.
Nicht nur an Wahlabenden werden solche Fakten weggelächelt. Schäuble reagierte gegenüber dem Migrationsforscher höhnisch (»Aber, Herr Professor«), wenn er nicht mehr weiterwußte. Nach uns die Sintflut, lautet wohl die geheime Devise derjenigen, die…
© WALTHARI® – ausgenommen die Originalzitate. Aus:www.walthari.com.
14. Juni 2009
Sportkapitalistische Schau- und Täuschungsgeschäfte
13. Teil: Die Nutznießer
Von Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer
Teil 1 dieser Artikelserie erschien am 18. November 2000. In den bisherigen Beiträgen wurde das versammelte Elend des geldverseuchten Spitzensports Punkt für Punkt aufgespießt: vom neokolonialistischen Sklavenhandel (Spieler werden verschachert wie einst die Sklaven auf dem antiken Sklavenmarkt in Syrakus) bis zu den chinesischen Blendveranstaltungen unter dem Vermarktungsnamen Olympia. Keiner der Anklagepunkte ist obsolet geworden, alle Vorhersagen haben sich erfüllt, so die im August 2008 ausgesprochene Prognose, daß bei den Pekinger Spielen weit mehr Drogengeschäfte aufgedeckt würden, als während der Spiele zugegeben. Drogenverseuchungen wurden mittlerweile im Rad- und Reitsport aufgedeckt, bei den Gewichthebern und mehreren Dutzend anderen Sportarten. Es wird getrickst, geschoben und gelogen, daß sich die olympischen Ringe nach allen Richtungen verbiegen.
Meine These lautete von Anfang an: Die Schau- und Täuschungsgeschäfte sind nicht aus der Welt zu schaffen, weil zu viele mächtige Nutznießer davon profitieren. Daher wird raffiniert über die wahren Hintergründe getäuscht. Nennen wir Roß und Reiter:
Die Medien: Ohne sie wäre der Sportwahn nicht denkbar. Selbst das öffentlich-rechtliche Fernsehen berichtet an manchen Sonntagen stundenlang über Sportereignisse, die einen Großteil der Zwangsgebühr-Zahler nicht interessieren. Die medialen Plattformen sind die Hauptbörsenplätze der Akteure. Da staunt mancher Hartz-IV-Empfänger über Ablösesummen (im Fußball) bis zu achtzig Millionen Euro für einen einzigen Kicker. Realsatire pur.
Die öffentlichen Hände: Der Spitzensport wird von den Innenministerien massiv gefördert. Der Grund: Als Sportnation will man auf der internationalen Rangliste des Ansehens ganz oben stehen. Wer hat den Nutzen davon? Nicht die Zuschauer, sondern die Akteure und die sog. öffentliche Elite (Politiker u.a.). Um ein Staatsinteresse vorzutäuschen, werden öffentliche Symbole eingesetzt und die Nationalhymne abgespielt. Das Publikum soll denken: Diese Inszenierungen gehen jeden an, man muß sich mit ihnen identifizieren. Doch kein Zuschauer kann einen erkennbaren persönlichen Gewinn aus dem Sporttheater ziehen. Es ist wie im alten Rom: Das Publikum ist circensisch abzulenken. Das gelingt mit einer geradezu perfider Perfektion und gibt Auskunft über den kollektiven Mentalitätsraum. Das Gebrüll in den Stadien, die sich zu abzockenden Luxusarenen gemausert haben, hallt unvermindert gen Himmel seit den Gladiatorenkämpfen.
Die stillen Vermarkter: Ein sog. Spielerberater bzw. eine Vermittlungsagentur kann bei einem einzigen Transfer bis zu zwei Millionen Euro einsacken. Die Leistung besteht im Telefonieren, Pokern und geschicktem Verhandeln. Hinter dem Spitzensport agieren Heerscharen von Beratern, Sponsorenvermittlern und Marketingplaner. Die Umsätze gehen in die Milliarden. Während die öffentlichen Moralwächter über den Bonischacher von Managern herfallen, bleib der blühende Sportkapitalismus hinter den Kulissen im Halbschatten. Ich halte es nur für eine Frage der Zeit, bis überschuldete Sportvereine Staatsgarantien fordern, um Konkurse abzuwenden. Man wird ein überwiegend öffentliches Interesse anführen.
Dieses Interesse ist konstruktivistisch bereits so weit gediehen, daß man die Sportförderung im Grundgesetz verankern möchte. Ein Privatdozent hat in einer großen Zeitung die Sache juristisch vorpoliert: Der Bundesrechnungshof (!) halte in einem Gutachten die finanzielle Förderung des Spitzensports in Höhe von 100 Millionen Euro mit dem Grundgesetz nicht nur für vereinbar, sondern aus nationalen Repräsentationsgründen für geboten. Denn die Symbiose »zwischen Staat und Sport ist weitgehend anerkannt«. Sport sei ein Staatsziel (!), weil 27 Millionen Bürger in diesem »größten Subsystem« organisiert seien. Diese haarsträubende Argumentation wird nicht dadurch besser, daß der Autor auf Art. 149 des Lissabonner Vertrages verweist, der den Sport als EU-Gemeinschaftsaufgabe ausweist. Dopingverseuchter Spitzensport, angetrieben von Millionenzockereien, als Staatsziel? Als ob der Staat die Täuschungsgeschäfte abschaffen könnte, wenn der Sport im Grundgesetz stünde!
Spitzensport als schöner Schein – wenn es dabei nur bliebe und der Breitensport nicht als Schutzbehauptung herhalten müßte. Zwischen diesen beiden Sportarten klaffen Welten. Die Freizeitsportler staunen nur so über ihre großkapitalistischen ›Vorbilder‹, die alle Aufmerksamkeiten auf sich ziehen und von der Politik hoch geehrt werden, weil sie angeblich die Nation repräsentieren, insgeheim aber Konten in der Schweiz und anderswo anreichern. Trotz dieses trügerischen Scheins setzt sich Bundespräsident Horst Köhler dafür ein, »die Würde des Sports neu entdecken« zu lassen. Er erkennt zwar »im Sport« (gemeint ist bezeichnenderweise der Spitzensport) »manche Blase« und prangert Exzesse und Kommerzialisierung an, trägt aber selber durch hochoffizielle Ehrungen zum Idolenbetrieb bei, der ja die Grundlage aller Geldexzesse ist. Ist es wirklich »das eigentlich Faszinierende am Sport«, die »eigenen Leistungsgrenzen« zu erproben, wie Köhler in einem Gespräch im Februar 2009 äußerte? Sind es vielmehr nicht Gesunderhaltung und Geselligkeit, genau jene Werte, die im Spitzensport, wenn überhaupt, nur eine Randrolle spielen? Unzählige Spitzensportler haben ihre Gesundheit (und teilweise auch Kindheit) durch Leistungsübersteigerungen und Doping ruiniert. Wenn Köhler daher von einer »Instrumentalisierung des Sports« spricht, so ist neben einer gesundheitsruinösen und kommerziellen auch an eine politische Instrumentalisierung zu denken. ein Schaugebaren mit einem Medienpomp, der seine Spitze im ›Ball des Sports‹ erreicht. Einst waren siegreiche Soldaten die Helden der Nation, heute sind es sportkapitalistische Heroen. Den Kriegern hat man später Gefallenendenkmäler errichtet…
Wie sehr der Spitzensport neben der Gesellschaft und den Medien auch die Politik im Zangengriff hat, mag ein Gedankenexperiment belegen. Man stelle sich vor, Horst Köhler hätte vor seiner Wiederwahl im Mai 2009 angekündigt, er werde demnächst eine Grundsatzrede über die gesellschaftliche und politische Instrumentalisierung des Spitzensports halten und künftig keine silbernen Lorbeeren mehr überreichen. Wäre er wiedergewählt worden?
© WALTHARI®. Aus: www.walthari.com
Die Teile 1 bis 12 dieser Artikelserie erschienen in diesem WALTHARI-Portal am:
18. Nov. 2000 / 24. Apr. 2001 / 23. Jan. 2002 / 03. Juli 2003 /
19. Dez. 2003 / 30. Juni 2004 / 02. Feb. 2005 / 17. Feb. 2006 /
07. Juli 2006. / 27. Mai 2007 / 30. März 2008 / 13. Aug. 2008 /
14. August 2009
Kiernan, Ben: Erde und Blut
Völkermord und Vernichtung von der Antike bis heute
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2009, 911 Seiten, 49,95 Euro
Das ist nun wirklich eine epochale Geschichtsschau, die den Leser erschaudern läßt und die gigantischen Verbrechen in kategorialem Zusammenhang sieht. Als die Iren im Jahre 1641 gegen die Engländer rebellierten, befahl der britische Kommandeur Sir Charles Coote, irische Frauen und Männer sowie Kinder von über neun Zoll Körpergröße zu töten. Der Schlachtruf (im wörtlichen Sinne) lautete: »Tötet Läuse!« Australische Ureinwohner und Indianer, Schwarzafrikaner und Juden wurden in der Geschichte als Ungeziefer gebrandmarkt und vernichtet. Ob Spanier oder Portugiesen, Franzosen oder Deutsche, Russen oder Chinesen, Engländer oder US-Siedler, kaum ein Volk, das nicht einen Genozid betrieben hätte, auch die Opferspezies selber: so die Schwarzen in Afrika und die Juden im Alten Testament (vgl. die Bücher Moses, Samuel und Josua). Kiernan belegt nun, daß sich die Motive und Metaphern vielfach gleichen: Die Vernichter halten sich für die bessere Spezies und schwärmen vom Garten Eden, der nur um den Preis der Vernichtung und Vertreibung wieder herzustellen sei. Utopien und Mythen rechtfertigen Völkermord und Vertreibung, obschon in aller Regel Machtgelüste dahinterstecken, so bei den Römern, als sie Karthago dem Erdboden gleichmachten, so auch bei den Nazis, als sie ihre Blut- und Boden-Ideologie in Taten umsetzten.
Das Erschreckende am Befund: Neben historischen Konstanten gibt es nach Kiernan eine anthropologische Konstante, eine Vernichtungsdisposition im Kollektivwahn, die sich bis in die Gegenwart Bahn bricht. Man werfe dazu nur einen Blick auf den Nahen Osten, wo eine biblische Bodenideologie zum unlösbaren Konflikt (mit Vertreibung) geführt hat. Reinheits- und Berufungswahn liegen auch dem islamischen Terrorismus zugrunde. Mit der Vokabel Sozialdarwinismus wird man den vorzivilisatorischen Ausrottungen (etwa in der Steinzeit) so wenig gerecht wie mit Nationalchauvinismus bei den Verbrechen der Türken gegen die Armenier. Der Homo sapiens ist zugleich ein Wunderprodukt und ein Vernichter gegenüber der Natur und seinesgleichen. Er war schon an der Ausrottung des Neandertalers vor vierzigtausend Jahren beteiligt und er betreibt dieses Geschäft auch unter hochzivilisatorischen Verhältnissen. Daß die Deutschen und Österreicher einen Hitler haben aufkommen lassen, kann man unter Kiernans Geschichtsausleuchtung einsehen lernen, nicht aber tief verstehen. Sowenig wie man verstehen kann, daß die Franzosen ihren verbrecherischen Napoleon hochhalten. Zivilisationen reinigen nicht triebtiefes Verhalten.
©Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer, ausgenommen die Originalzitate. Aus: www.walthari.com
13. August 2009
Direkte Demokratie und ihre zwei eifersüchtigen Schwestern
Wie denken Politiker, allen voran die Parteispitzen, über den Verfassungssouverän, das Volk, von dem alle Gewalt ausgehen soll? Nichts hat in den letzten Wochen ihr Urteil über die demokratische Reife der Wähler mehr offen gelegt als die zugestandenen Abstimmungsmodalitäten zur europäischen Verfassung. In alten Demokratien gab es nicht viel zu überlegen: England und Frankreich überlassen es dem Volk, ob es eine EU-Satzung will oder nicht; andere Länder schlossen sich dem Verfahren an; in der Schweiz käme diese Frage erst gar nicht auf.
Wie verhält sich die politische Klasse in Deutschland? Die Vorsitzenden der CSU und FDP treten für eine Volksabstimmung ein, diejenigen der SPD, CDU und der Grünen sowie der SPD-Kanzler lehnen sie ab, d.h. die ganz überwiegende Mehrheit in der deutschen Parteienlandschaft traut dem Volk nicht zu, sachkundig über die EU-Verfassung abstimmen zu können. Das grenzt an Volksverachtung, denn keines der Gegenargumente zeugt vom Respekt vor dem Verfassungssouverän. Wer beispielsweise auf die sog. Weimarer Ereignisse verweist, sucht die völlig anderen Verhältnisse von damals (1919-1933) und heut einzuebnen. Es ist die nackte Angst um den Erhalt des Parteienstaates, die zum Propaganda-Agenten gegen mehr Elemente der direkten Demokratie geworden ist. Daß die Bürger Europas bei der letzten Wahl zum europäischen Parlament den Politikern die rote Karte gezeigt haben (im legitimatorischen Sinne: bei einer Wahlbeteiligung von weit unter fünfzig Prozent fehlt der Auftrag der Wählermehrheit, und Demokratien rechtfertigen sich durch Mehrheitsvoten), war ein politische Reifzeugnis erster Klasse. Denn dieses Europa ist das Werk volksferner Regierungsbeschlüsse und katastrophischer Ausbauszenarien (Aufnahme der Türkei u.a.). Dennoch wursteln die Regierungschefs, das Straßburger Parlament und der Brüsseler Exekutivmoloch so weiter, als seien sie nicht mit der roten Karte des politischen Feldes verwiesen worden. »Das Wählervotum zählt nicht nur in Deutschland wenig, um nicht zu sagen nichts, wenn es um unumkehrbare Zukunftsentscheidungen geht, die natürlich von den gut zwei Dutzend Regierungschefs allein getroffen werden«, schrieb eine große Tageszeitung nach der Europawahl – eine schlimme Bezeugung der eingetretenen Volksentmachtung.
Während in anderen Ländern starke Korrektive zur Parlamentsmacht existieren, hat sich in Deutschland ein Parteienkartell installiert, dessen Herrschaftsreichweite bis zur Wahl von Bundesverfassungsrichtern reicht und neben den Parlamenten auch die Exekutive weitgehend einschließt. Es liegen Welten zwischen dem bräsig-höhnischen Ablehnungsstil des Außenministers der Deutschen und dem machtbändigenden politischen Modell eines S. Pufendorf aus dem 17. Jh. (vor mehr als dreihundert Jahren also!) »Potestas est potentia moralis activa, qua persona aliqua legitime et cum effectu morali potest edere actionem voluntatem« (frei und verkürzt übersetzt: Herrschergewalt ist nur als moralische Kraft gerechtfertigt, indem sie moralische Wirkungen bei anderen Menschen erzeugt). Wie wirkt es moralisch auf Menschen, wenn ihnen Politiker Wahlunmündigkeit bescheinigen?
Die Verweigerer von Volksabstimmungen reden sich damit heraus, daß in einer repräsentativen Demokratie die Parlamente den Wählerwillen vertreten und es daher genüge, wenn der Bundestag über die EU-Verfassung abstimme. Die Sekundärlegitimation von Parlamenten reicht in der Tat aus für die Masse von Gesetzen, die von sekundärem Gewicht sind. Bei fundamentalen Entscheidungen (Wiedervereinigung Deutschland, Eurowährung, EU-Erweiterung, EU-Verfassung usw.) ist eine Primärlegitimation (Volksabstimmung) erforderlich, sonst nimmt man dem Verfassungssouverän das Heft aus der Hand, wie es in Deutschland aus parteikartellistischem Hochmut der Fall ist.
Neben der parlamentarischen ist die Mediendemokratie zur zweiten eifersüchtigen Herrschaftsschwester der direkten Demokratie geworden. Die Parlamentarier schielen täglich auf die Presse, die längst zur ersten Meinungsgewalt geworden ist. Der Einfluß von ›Christiansereien‹ z.B. ist um ein vielfaches größer als parlamentarische Debatten. Weil Politiker wiedergewählt werden wollen, achten sie daher weit mehr auf ihren Ruf in den Medien als auf den Wählerwillen, sind es doch Medienkampagnen und erst danach Sachalternativen, die Wahlen entscheiden. Wer daran zweifelt, geht einer verniedlichenden Selbstschutzbehauptung der Presse auf den Leim. Warum werden Parteitage wie großmediale Hochämter inszeniert? Ihre sinnenberauschende Klatsch-Liturgie will in erster Linie die Pressevertreter beeindrucken, welche die Schauveranstaltung in die Wohnzimmer kommentierend transportieren. Alle öffentliche Macht in der Postmoderne ist in medialen Händen. Ob Wähler- oder Gesetzgebungswille, ja so gar die Exekutive und die Gerichte stehen unter ihrem prägenden Einfluß, wie das Landgericht im Mannesmann-Prozeß erst jüngst beklagt hat. Unter diesen Verhältnissen ist der Verfassungsrang des Volkes als Primärlegitimierer fast bedeutungslos geworden. Ist schon der Einfluß der Wähler auf die Auswahl und sogar auf die Wahl (bei Zweitstimmen-Kandidaten) der politischen Repräsentanten marginal geworden, so sehen sie sich sogar noch dem Einfluß der Mediengewalt ausgeliefert (vgl. dazu die Analyse in der Zeitschrift ›Stimmen der Zeit‹, Nr. 9/2004, S. 448-458). Die politische Ohnmacht des Bürger hat System. Im Falle der EU-Verfassung wird es ihnen in Deutschland auf kaltschnäuzige Weise erneut vorgeführt.
Erstveröffentlichung: 1. August 2004 © Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus:www.walthari.com
7. Februar 2009
Mehr direkte Demokratie wagen.
Volksentscheid und Bürgerentscheid: Geschichte / Praxis / Vorschläge
Heußner, H. K. und Jung, O. (Hrsg.), 2. Auflage, Olzog Verlag, München 2009, 477 Seiten, 34,90 Euro
»Was alle berührt, muß auch von allen gebilligt werden«, lautet ein Motto in meiner Veröffentlichung ›Aktive Bürgergesellschaft in einem gebändigten Staat‹ (2007; Näheres dazu unter Fenster Sachbücher in diesem WALTHARI-Portal). Das Motto stammt aus dem Jahre 1294 und war ein Leitspruch des Papstes Bonifaz VII. Ich stelle diesen Hinweis aus gutem Grund voran: Die Bürgerbewegung ›Mehr direkte Demokratie wagen‹ nimmt zwar zu, es fehlt aber an dreierlei, erstens an einer organisierten Systembetreibung, zweitens an einem schlanken Legitimationsmarketing und drittens an einem Netzwerk, das alle wichtigen Informationen und Betreiber erfaßt. Die Erstauflage des Sammelbandes von 1999 war mir noch 2006/2007 unbekannt, und auch Heußler/Jung wußten 2008 noch nichts von meiner Veröffentlichung. Von dieser Lage profitiert das herrschende Parteiensystem und auch davon, daß sich die Vertreter der Direkten-Demokratie-Bewegung nicht immer gut präsentieren. Dafür liefert der vorliegende Sammelband einen weiteren Beleg: kein Namens- und Stichwortverzeichnis, keine Zusammenfassungen nach jedem Beitrag, im ganzen überladen mit zuviel Beiwerk. Wer greift zu diesem Buch, um es ganz zu lesen und aktiv zu werden? Gelesen wird es von Wissenschaftlern, überflogen von Journalisten und belächelt von Parteifunktionären. Denn die Wirkung solcher Abhandlungen ist schwach, weil nicht eingängig strukturiert. Die politische Klasse und die Medien halten es für ausreichend, das Stimmungsventil des Volkes über Meinungsumfragen zu öffnen, statt dem Artikel 20 GG zu genügen, der neben Wahlen auch Abstimmungen den Bürgern zugesteht. Längst hat sich die eingespielte Parteiendemokratie überholt, sie entspricht nicht (mehr) der Bürgerreife und den ›technischen‹ Standards. Parlamente bleiben unentbehrlich und im Zentrum. Aber ergänzend und korrigierend sollen die Bürger über Volksbegehren und Volksentscheide eingreifen und in fundamentalen Fragen (Währungsumstellungen usw.) das letzte Wort haben. Wer nach guten Gründen sucht für die bürgergeleitete Demokratie, wird in dem Sammelband fündig, der sich gliedert in:
I. Zur Theorie direkter Demokratie
II. Was lehrt die deutsche Geschichte?
III. Wie machen es die anderen?
IV. Wege zur Demokratisierung der Europäischen Union
V. Wie sieht es in den deutschen Ländern aus?
VI. Kommunale Direktdemokratie
VII. Direkte Demokratie in der Praxis
VIII. Wichtige Fragen der direkten Demokratie
IX. Einführung direkter Demokratie auf Bundesebene
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer, ausgenommen die Originalzitate. Aus: www.walthari.com
20. März 2009
Aus dem Tollhaus planwirtschaftlicher Gesundheitspolitik
Teil 10
Von Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer
Am 22. Januar 2004 erschien Teil 1 dieser Artikelserie. Darin hieß es: »Nur kollektiver Widerstand kann die entgleiste Gesundheitspolitik wieder in freiheitliche Bahnen lenken.« Es hat vier Jahre gedauert, bis die Ärzteschaft begriffen hat, mit welche sozialistischen Parteienmaschinerie sie es zu tun hat. Die Mehrheit der Patienten hat es bis heute noch nicht begriffen. Erst ab 2008 formierte sich der kollektive Widerstand der Ärzte spürbar, um in den Medien einen breiten Resonanzraum zu erzeugen. In diesem Wahljahr 2009 erreicht der Protest einen Höhepunkt durch längere Praxisschließungen. Demonstrationen u.a. Nunmehr wird die politische Klasse sichtlich nervös und macht (wie im Fußballspiel üblich, wenn eine Mannschaft unter Dauerdruck gerät) katastrophale Fehler. Kaum war die Honorarreform in Kraft (Anfang 2009), muß er schon nachgebessert werden, was selbst von der häufig hämisch-lächelnd argumentierenden Gesundheitsministerin zugegeben werden mußte. Obschon der Beitragssatz sich erhöht hat (auf 15,5 Prozent) und nicht wenige der fünfzig Millionen gesetzlich Versicherten bis zu 570 Euro monatlich zahlen müssen, geraten immer mehr Arztpraxen in Existenznot.
Man muß sich die Zahlen vor Augen führen. Rund 167 Milliarden Euro hat der Gesundheitsfonds zu verteilen. Der Verteilungsschlüssel ist nicht nur extrem kompliziert und damit bürokratisch, sondern auch ungerecht. Wer mehr als 3.675,- Euro im Monat verdient, muß rund 360,- Euro im Jahr mehr zahlen als bisher! Und dennoch werden für die Patienten die negativen Effekte einer sozialistische Medizin sich unaufhaltsam steigern: lange Wartezeiten, Begrenzung der Medikamente und Behandlungsmethoden usw. Was einst im realen DDR-Sozialismus (Warteschlangen vor Lebensmittelgeschäften usw.) gang und gäbe war, wird im Medizin-Sozialismus ganz Deutschland zunehmend eintreten. Es gehört zum sog. Verblendungsgesetz im Sozialismus, daß er nicht erkennen will, wie sehr jede neue ›Verbesserungsmaßnahme‹ die Sache insgesamt verschlechtert: (1) durch mehr Bürokratie und damit Freiheitseinschränkung, (2) durch Motivationsentzug der Leistungsträger und (3) durch Kreativitätsverfall. Die DDR-Wirtschaft und alle anderen sozialistischen Realwirtschaften in der Geschichte liefen zwangsläufig in den Bankrott. Ein ähnliches Schicksal steht der Medizin bevor. Lange Zeit konnte die Politik davon profitieren, daß der Ärzteschaft durch verschiedene Medienkampagnen ein schlechtes Image verpaßt worden war. Inzwischen haben sich die Mediziner mit den Patienten verbündet, die täglich tausendfach Faxproteste an die Gesundheitspolitiker versenden. Entscheidend dafür war die Offenlegung der Kostenstruktur in den Praxen. Die Mähr von den Wucherern im weißen Kittel taugt nicht mehr als Ausrede für den Gang in die totale Planwirtschaft.
Rettung der gesamten Misere verspricht man sich vom sog. Gesundheitsfonds. Aber genau dieses Mittel belegt die unheilbare Schwäche der Planwirtschaft: Sie arbeitet ausnahmslos mit falschen Preisen und Kosten, weil diese bürokratisch statt leistungsgerecht festgelegt werden. Außerdem lösen Fonds immer Verteilungskämpfe aus, bei denen das Nutzen-Leistungsverhältnis auf der Strecke bleibt. Es ist blanker Zynismus zu behaupten, der Gesundheitsfonds diene dem Wettbewerb. Das sog. Regelleistungsvolumen (RLV), eine Art Pauschale für jeden Patienten, fällt unabhängig vom Behandlungsaufwand an. Bestraft werden Ärzte, die bisher auf intensive Behandlung (und damit weniger Patienten) statt auf Mengendurchlauf gesetzt haben. Der angegebene Pauschalbetrag beruht zudem auf Schätzungen! Erst im Mai weiß man den genauen Betrag. Da sich das Arzteinkommen aus rd. zwei Drittel RLV-Zahlungen, der Rest aus Zusatzleistungen für Problemfälle zusammensetzt, wird bei den Zusätzen ein verzerrender Wettbewerb in Gang gesetzt. Wiederum muß planwirtschaftlich entschieden werden. Die 140.000 niedergelassenen Ärzte und die anderen Medizinergruppen reiben sich die Augen. Gestärkt wurde das Anteilsgezerre, ein geborener Falltyp im sozialistischen Verteilungskampf.
Wenn das Gesundheitswesen in Deutschland nicht auf den englischen Tiefstand heruntergewirtschaftet werden soll (dort verfügt kaum eine Praxis über ein EKG-Gerät), dann führt kein Weg an den Vorschlägen vorbei, die ich in den Teilen 1- 9 dieser Artikelserie beschrieben habe. Weder das Punktesammeln noch die Festbeträge noch der übergestülpte Verwaltungs- und Verteilungsmechanismus brechen das planwirtschaftliche Oligopol auf. Die steigenden Gesundheitskosten (infolge gestiegener Alterung, verbesserter Medizintechnik usw.) sind über Deckelungen und andere bürokratische Strategien nicht aufzufangen. Ein befreiender ordnungspolitischer Ansatz ist politisch nicht gewollt. Lieber nimmt man inkauf, daß seit dem Jahr 2000 rund 15.000 Ärzte ins Ausland gingen und daß die Versorgungslücke (rd. 40.000 Ärzte erreichen bis 2012 die Altersgrenze) schon in Kürze sich dramatisch zuspitzen wird. Die Abschaffung der KVs…
© WALTARI-Zeitung, ausgenommen die Originalzitate. Aus:www.walthari.com
13. Dezember 2008
Lauter Mythen
Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer
Kontrollmythos. Wo viel Geld fließt, sollte man gleich einen Korruptionsbeauftragten neben den Verwalter stellen. Doch jede Kontrolle erweist sich als Illusion, sei es, weil sie wenig bewirkt (wie bei Rechnungshöfen), sei es, weil die Betrugsanfälligkeit unausrottbar ist. Ein US-amerikansicher Börsenchef wird gerade verdächtigt, 50 (fünfzig) Milliarden (nicht Millionen) Dollar ergaunert zu haben – trotz angeblich strenger Börsenaufsicht. Auch bei der EU werden Milliarden Euro jährlich verschwendet.
Stabilitätsmythos. Der Euro sei stabiler als die abgeschaffte Mark. Das behaupten professionelle EU-Verteidiger, die vom System leben. Wie könnte eine Kunstwährung stabil bleiben bei so unterschiedlichen Länderinteressen und bei der Geldflutung der EZB (mehrere hundert Milliarden).
Bildungsmythos. Bildung ist so notwendig wie die Beherrschung der Landessprache, wenn man im Beruf Erfolg haben und in der Gesellschaft integriert sein will. Von Staats wegen glaubt man Bildung mit Milliarden herstellen zu können wie eine Verbesserung der Infrastruktur (Straßenbau usw.). Da Bildung aus familiären und schulischen Animationsverhältnissen heraus wachsen muß, bleiben Geldprogramme sekundär. Wie nun steht es um die Familien und um die Schulen?
Mao- und Stalin-Mythos. Unfaßbar, daß der chinesische Großverbrecher (rd. siebzig Millionen Menschenopfer gehen auf sein Konto) staatsoffiziell noch verehrt wird und daß der russische Großverbrecher (er hat rd. fünfundzwanzig Millionen Menschenopfer zu verantworten) landesintern wieder salonfähig geworden ist.
RAF-Mythos. Verharmlost man diese (Morde einkalkulierende) Clique nicht mit dem Filmtitel ›Der Baader-Meinhof-Komplex‹? Komplex? Die Witwe des von der RAF ermordeten Bankiers Jürgen Ponto hat aus Protest ihr Bundesverdienstkreuz zurückgegeben.
Menschenrechtsmythos. Dieser Tage zog man Bilanz nach den sechzig Jahren nach der UN-Deklaration: In Staaten mit zusammen von einem Drittel der Menschheit gibt es nach wie vor schwerste Menschenrechtsverletzungen (China, Rußland, Iran, Kongo u.a.). Bei einem weiteren Drittel sind zahlreiche Menschenrechtsverletzungen nachweisbar bzw. sie werden mißachtet (in den meisten Staaten Afrikas, in Kolumbien, Peru u.a.). In Europa trüben Albanien, Serbien, Weißrußland und Moldawien das Bild. Menschenrechtsverletzungen wird es immer geben, doch kann man gegen ihre Verbreitung kämpfen. Darin war man bisher nicht sonderlich erfolgreich.
Koranischer Aufklärbarkeitsmythos. Gläubige Muslime halten den Korantext für Gottes direkte Worte. Da Gottes Worte als unfehlbar gelten, können sie von Menschen nicht abgeändert werden. Nun verstoßen zahlreiche Stellen im Koran gegen Menschenrechte und gegen zivile Rechtsnormen. Das Dilemma ist redlicherweise nicht auflösbar. Den Koran historisieren zu wollen erscheint frevelhaft, ihn in demokratischen Staaten voll gelten zu lassen, als unannehmbar. Es kann keinen Mittelweg oder Kompromiß geben, wie es Beschwichtiger glauben machen wollen. Den Weg der Historisierung werden noch unzählige Opfer säumen.
Diskursmythos. Gespräche und Diskussionen sind das Element menschlichen Zusammenseins und politischen Austauschs. Den Diskurs aber zum Allbefriedungsmittel zu erklären, wie es die Habermas-Schule vorschlägt, verkennt die Bruchstellen des Kommunikativen: einmal die trägen Substanzen, die verfahrenstechnisch nicht wegzureden sind (Ritter-Schule). Zum anderen die brutalen Unbelehrbarkeiten, denen gegenüber jede Aufklärung ins Leere läuft. Nicht zu vergessen die ›sprachlosen‹Intuitionsräume der Kunst, des Religiösen und Existenzialen. Die Plappergesellschaft und die verplapperten Medien ahnen davon nichts.
Freundschaftsmythen. Eine davon ist die deutsch-französische. Zwischen Völkern und Staaten kann es keine Freundschaften geben, nur Respekt und zivilisierte Interessen. Die Sarko-Küßchen auf Merkelwangen gehören zur Medienschau und werden von brutalen Gallismen unterlaufen. Sarkozy bläst Dampf in alle Gassen: Er schaffte es zum Ehrenkanonikus an der Lateranbasilika in Rom und hält gleichzeitig den Laizismus hoch.
Philanthropenmythos. Viele unter ihnen geben sich als Menschenfreunde, die den Hunger und das ganze Elend der Welt bekämpfen, sie hausen aber vor Ort nicht unter den Armen, sondern residieren in feinen Hotels. Die Fälle sind keineswegs selten, verfügen doch Sammelorganisationen über beträchtliches Kapital. Weihnachtszeit ist beste Erntezeit.
Anglo-Mythos. Die angelsächsische Zivilisation (vom Coca-Cola über Microsoft bis zum Finanzsystem) prägt das Gesicht der Welt und bringt andere Lebensformen zum Einsturz. Vor Zeiten war es der geographische Kolonialismus, neuerdings ist es der Sprach- und Finanzimperialismus. Wer das für übertrieben hält, befindet sich nicht im Welt-, sondern im Provinzkino. Anträge bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) z. B. müssen auf Englisch gestellt werden, obschon Antragssteller und Gutachter Deutsche sind. Englisch ist vielfach die Konzernsprache in Deutschland. Die globale Finanzkrise kommt aus angelsächsischen Hybrid-Zentren (London, New York) und hat die Verursacher (und deutschen, schweizerischen u.a. Mitspieler) keineswegs demütig werden lassen. Warum auch, wo alle Welt anglophil infiziert ist.
Tabu-Mythos. Ja, so was gibt es auch: ein Tabu zum Mythos zu erklären, der verklärt. Keine andere Nachricht der letzten Monate hat die deutsche Mentalitätslandschaft blitzartig so hell ausgeleuchtet wie der Aufruf des Hamburger Weihbischofs Hans-Jochen Jaschke, die Deutschen mögen auf sprachliche Vergleiche mit der NS-Zeit grundsätzlich (!) verzichten. Der Weihbischof meint es, wie auch der Anlaßgeber Prof. Dr. Werner Sinn, gewiß gut, errichtet aber mit dem Sprachverbot zugleich ein Denkverbot, weil, wie er sagt, »sofort bestimmte Klischees bedient« werden. Aber gerade diese Klischees wären zu mißachten.
Dojczland-Mythos. Der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk hat ein Buch mit dem Titel ›Dojczland‹ veröffentlicht, worin der »trinkfeste Pole, der die slawische Seele wie einen Airbag gegen die Wirklichkeit handhabt«, sich »die Lizenz zum Drauflosschwadronieren« erteilt (NZZ Nr. 212/2008, S. 26). Deutschland funktioniere seelenlos und sei nur bei Dauerregen erträglich, so Stasiuk, weil dieser das Deutschsein vermindere. Am schönsten wäre Deutschland ohne Deutsche, die aus dem Ausland Geld überweisen könnten. Mit genehmigtem Sarkasmus aus grenzenloser Toleranz sind solche deutschfeindlichen Töne, die zur Anklage wegen ausländerfeindlicher Hetze ausreichen, nicht zu dulden, zumal dieses Hunnenklischee in Europa und in den USA insgeheim gepflegt wird. »Eine alte europäische Regel, das zeigt die Verleihung des Ehrentitels ›Madame Non‹ an die Bundeskanzlerin, ist nach wie vor in Kraft: Als wirklich gute Europäer gelten die Deutschen ihren Nachbarn, wenn sie zahlen«, schrieb die FAZ auf ihrer Titelseite am 13. Dezember 2008 und wehrte sich endlich gegen die hämischen Angriffe auf Frau Merkel, die ihren Kopf für die Deutschen hinhält. Seit Jahr und Tag wird in diesem WALTHARI-Portal vor der Selbsttäuschung hierzulande gewarnt, mit dem Scheckbuch sich weltweit beliebt zu machen und den tiefsitzenden Groll in Europa gegen alles Deutsche zu verharmlosen. Zur Zeit zeigen viele EU-Länder ihr wahres Gesicht, voran England und Frankreich. In ihren Augen geht es den Deutschen zu gut, man muß sie weiter (über die EU) abmelken. Der deutsche Finanzminister hält bisher tapfer dagegen. Er hat die ökonomischen Tricks aus Brüssel, London und Paris durchschaut und sagt es auch laut. »Dolo malo haec fiunt omnia« (Terenz).
Copyleft nur unter Angabe der Quelle: www.walthari.com
Vom 4. Dezember 2008
Berliner Selbstoffenbarung
Es gibt Augenblicke, die mehr aussagen als tausend Worte. Am Abend des 3. Dezember 2008 wurde im Berliner Olympiastadion ein Fußballspiel zwischen einem Club der Hauptstadt und einer Mannschaft aus der Türkei ausgetragen. Die ARD übertrug das Spiel zur besten Sendezeit und öffnete Millionen deutscher Zuschauer ungewollt die Augen. Hätte man nicht gewußt, daß das Fußballspiel in der deutschen Hauptstadt stattfindet, hielte man sich in die Türkei versetzt, so laut übertönten Zehntausende türkischer Stadionbesucher die deutschen Fans. Im Stadion heulte es jedesmal auf, wenn ein türkischer Kicker gefoult wurde. Sobald die (besser spielende) Mannschaft aus der Türkei den Ball in die Nähe des gegnerischen Strafraumes schlug, heulte es im Stadion laut auf. Resigniert wiederholte der Fernsehreporter, es höre sich an, wie bei einem Heimspiel der angereisten Mannschaft. Berlin ist zur viertgrößten türkischen Stadt angewachsen (nach Istanbul, Ankara und Izmir). Was deutschen Zuschauern vor Augen geführt wurde: Wohl die meisten hierzulande lebenden Türken fühlen sich, auch wenn sie seit Jahrzehnten hier wohnen, mehr der Türkei verbunden als dem Land, dem sie ihren Lebensunterhalt verdanken. Denkt man daran, daß türkische und religiöse Führer in der Türkei ihre Landsleute in Deutschland handfest beeinflussen (Ditib) und zu dirigieren beanspruchen (Erdoganrede in Köln), läßt sich ausmalen, was im Konfliktfalle in Berlin und an anderen Orten mit starker türkischer Präsenz in Deutschland geschehen könnte. Kaum jemand in Deutschland will es sich eingestehen: Integration ist bei der Mehrheit der islamischen Immigranten gescheitert. So rigoros planbürokratisch der deutsche Staat in fast allen Lebensbereichen durchgreift, gegenüber den offen zutage liegenden Integrationsunwilligen zieht er sich auf die Nachtwächterposition zurück. Was wird aus der deutschen Kultur und Gesellschaft?
Waltharius © WALTHARI® – Aus: www.walthari.com
Vom 19. Oktober 2007
›Ehrgeizmaschine‹ Angela Merkel.
Die CDU-Kanzlerin als angesehenste Sozialdemokratin (ohne SPD-Parteibuch), die es je gab
Teil 2
Von Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer
Unter der Überschrift ›Die Ehrgeizmaschine‹ haben Rüdiger Schneider und Donata Riedel im ›Handelsblatt‹ (HB Nr. 181/2005, S. 6) das wohl treffendste Merkelporträt veröffentlicht. Unterbelichtet blieb dabei allerdings das Bild ihrer politischen Weltanschauung. Bevor darauf ergänzend eingegangen wird, soll der HB-Bericht kurz referiert werden, da er nicht der Vergessenheit anheim fallen soll.
Neben einem Ganzkörperbild (Hosenanzug in Nadelstreif und poppige Schnallenschuhe) konnte man lesen: »Merkel schaut (in ihrem Büro) oft auf Katharina die Große. Dort, wo andere ein Bild des Ehemanns oder der Kinder auf dem Schreibtisch platzieren, thront das Porträt der deutschstämmigen russischen Zarin aus dem 18. Jahrhundert.« Die HB-Verfasser spielten auf »das männerverschlingende Wesen« der Zarin an (sie vernaschte Offiziere) und werden mit dieser Anspielung bereits geahnt haben, daß Merkel auf parteitaktische Weise CDU-»Parteigranden« ›verschlingen‹ würde, was ja auch in den Fällen Merz und Schäuble alsbald geschah.
Statt wie Schröder großsprecherisch sich selber in Szene zu setzen, wählt Merkel gerne den indirekten Weg, um anderen ihre Überlegenheit zu »suggerieren«: Mit der »kalten Lust der Berechnung« habe sie an ihrem 50. Geburtstag einen Gehirnforscher das »kaltes Ständchen« des Geistes halten lassen. »Kalte Lust der Berechnung«: damit ist ein zentrales Denkmuster der Ostdeutschen markiert, das sie nach außen durch ihr Dauerlächeln und ihre kalkulierte Schlichtheit zu überdecken versucht – ein auffälliger Kontrast etwa zum gelackten Klunkerbild, das in der Öffentlichkeit die EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes abgibt. Die Fakten, so der HB-Bericht, sprechen bei Merkel für sich: Von Kohl und Schäuble, ihren langjährigen Karriereförderern, distanzierte sie sich im rechten Augenblick eiskalt, von Kohl in einem FAZ-Artikel, von Schäuble im Laufe seiner Spendenaffäre.
»Als geschiedene, protestantische, kinderlose Frau aus dem Osten hat sich … (Merkel) wie im Schlaf durch eine rheinisch-katholisch geprägte Partei an deren Spitze emporgeschraubt – mit Fortüne und Protektion, vor allem aber mit starkem, ihre innere Ehrgeizmaschine ölendem Berechnungsvermögen: Bei der Wahrnehmung ihrer Chancen hat sie nie gepatzt…« Nach dem »Säurebad der Sozialisation« in der DDR und – so muß man hinzufügen – im Parteiapparat beherrscht Merkel mit der »kalten Lust der Berechnung« alle Finessen des Machtgebrauchs. Sie kann meisterhaft lavieren, versteht sich auf das Kohl’sche Aussitzen und kann sich flugs rechtzeitig in Szene setzen. Aber: »Merkels deutlicher Drang nach Höherem verströmt Kälte.« Mit hintergründiger Anspielung schießen die HB-Autoren: »Merkel die Große würde… in die Geschichte eingehen, wenn sie… sich mit thatcherischem Drang zur Unpopularität« bekennen könnte. Doch genau dieser direkte Mut ist ihr völlig fremd, weil ihr die Folgen unkalkulierbar erscheinen.
Wer Merkels Reden und Erklärungen, ihre Taktik und politischen Aktivitäten nüchtern analysiert, kommt um den Eindruck nicht herum: Sie ist eine Meisterin des Changierens, sowohl in der Form als auch in der Sache, d.h. bei ihrem politischen Programm. Sie hat sich von konservativen Kernbeständen ihrer Partei, wie sie in deren Programmen seit 1947 formuliert wurden, mit der ihr eigenen leisen Kälte verabschiedet und darf als angesehenste Sozialdemokratin (ohne Parteibuch) gelten, die es je gab.
Unter den unzähligen Belegen seien hier nur wenige angeführt. »Ich habe generell keine politischen Vorbilder«, sagte sie in einem Gespräch mit der NZZ (Nr. 112/04, S. 4) – wozu dann das Katharina-Porträt in ihrem Büro? Auf die Frage, was sie als Bundeskanzlerin ändern werde: »Jeder Bundeskanzler (!) hat die Aufgabe, gute Außen- und Innenpolitik zu machen. Das werde auch ich tun« (NZZ Nr. 200/05, S. 3) – ein Mustersatz dafür, sich nicht zu früh festzulegen. »Aber der einzelne hat ein Anrecht darauf, daß der Staat (!) ihn auch in die Lage versetzt, seine eigene (!) Kräfte zu entwickeln« (Regierungserklärung vom 30. Nov. 2005) – diese klassische sozialdemokratische Formel läßt alles hinter sich, wofür die CDU seit Ludwig Erhard stand. »Eine unionsgeführte Bundesregierung wird – im Gegensatz zu Rot-Grün – die Steuern senken und nicht erhöhen. Deshalb werden wir… die von Rot-Grün für den 1.1.2003 geplante weitere Erhöhung der Ökosteuer rückgängig machen. Damit bleiben rund 3 Mrd. Euro Kaufkraft in den Taschen der Bürger«, heißt es im »Startprogramm Deutschland« der CDU/CSU aus dem Jahre 2002 (S. 5 f.) – unter Merkel wurde die Ökosteuer nicht nur nicht abgeschafft, sie wird sogar zweckentfremdet verwendet. »Unser Gemeinwesen braucht alle drei Werte – die Freiheit, die Solidarität, die Gerechtigkeit. Wahr ist aber auch: Unser Gemeinwesen braucht eine Neujustierung dieser drei Werte in ihrem Verhältnis zueinander, und zwar zugunsten der Freiheit«, verkündete Merkel als CDU-Vorsitzende in ihrer Rede zum Tag der deutschen Einheit 2003 – als Kanzlerin unterstützt sie die Pläne zur Ausforschung privater Rechner, womit die Freiheit zugunsten von Sicherheit eingeschränkt wird. Merkel unterstützt auch die Krippenplätze-Politik ihrer Familienministerin, was fatal an DDR-Verhältnisse erinnert. Die planwirtschaftliche Gesundheitspolitik ihrer SPD-Ministerin Schmidt liegt ihr ebenso am kalten Herzen (vgl. die Artikelserie in diesem WALTHARI-Portal zum ›Tollhaus der planwirtschaftlichen Gesundheitspolitik‹) wie die Arbeitsplätze vernichtende Mindestlohnpolitik ihres Vizekanzlers Müntefering. Geradezu entlarvend ist ihr taktierendes Verhalten gegenüber dem ungeheuerlichen Anliegen ihrer Familienministerin, Kinder und Jugendliche gleichsam als Spione oder Hilfssheriffs (beschönigend als »Testkäufer« bezeichnet) einzusetzen, um Verkaufsverbote zu kontrollieren. »So etwas verändert das Klima der Gesellschaft«, wetterte der brandenburgische Innenminister Schönbohm.
Der Linksrutsch der CDU veranlaßte die FTD (17. Nov. 2002, S. 34) zu einer vernichtenden Analyse der Merkel’schen »Angola-Koalition« (Flagge: rot-schwarz) und zum Vorwurf des »Realitätsverlustes« im Feuilleton der FAZ (Nr. 143/06, S. 45). Dort schrieb Christian Geyer: »Politische Rationalität ist in Frau Merkels Lesart die Rationalität der Tauschbörse. Die muß sie gemeint haben, als…
Das trifft den Merkel’schen Nagel auf den Kopf.
Primäres Anliegen im Parteienstaat ist, Macht zu erringen und mit allen Mitteln zu erhalten (vgl. dazu das Buch ›Aktive Bürgergesellschaft in einem gebändigten Staat‹, Näheres in diesem WALTHARI-Portal). Die kalte Analytikerin Merkel weiß auch ohne ihren Beraterschwarm, daß in einer alternden und sozialstaatlich verwöhnten Gesellschaft mit konservativen Werten (Freiheit, Selbstverantwortung usw.) schwerlich Wahlen zu gewinnen sind. Deshalb wohl läßt sie nach und nach alles hinter sich, was an bürgerlichen Werten seit Jahrzehnten zur Politik der Christdemokraten gehörte, darunter auch Grundüberzeugungen. Dagegen haben einige Jungkonservative (Mappus, Söder, Mißfelder und Wüst) jüngst schüchtern protestiert: zuviel lavierende Pragmatik statt solide Programmatik. Die CDU-Vorsitzende hat den Protest in bewährter Weise auszusitzen verstanden. Es gleicht daher einem politischen Mimikry, wenn der zweite Satz der Präambel des neuen Grundsatzprogramms lautet: »Die CDU ist die Volkspartei der Mitte.« Das Grundsatzprogramm aus dem Jahre 1994 begann noch mit dem schlichten Satz, den man glauben konnte: »Die Christliche Demokratische Union Deutschlands ist eine Volkspartei.« Satz 3 lautete: »Unsere Politik beruht auf dem christlichen Verständnis vom Menschen und seiner Verantwortung vor Gott.« Was ist unter Angela Merkel davon übrig geblieben?
Nur scheinbar läßt sich die vorstehende Analyse mit dem Ansehen der Kanzlerin, wie es in Umfragen und in großen Teilen der (Welt-)Presse zum Ausdruck kommt, nicht vereinbaren. Zum einen jedoch weiß sich Merkel »mit meiner freundlichen Art« (O-Ton) nach außen so zu präsentieren, als sei ihr die kalte Ehrgeizmaschine völlig fremd. Nicht wenige Journalisten und das Publikum lassen sich davon beeindrucken. Ihr internationales Ansehen leitet sich außerdem aus dem Wunschbild ab, das man auch sechzig Jahre nach der Nazidiktatur an Deutschland heranträgt: spendabel, meist klein beigebend und im Auftreten verhalten. Davon konnte man sich bei der Konferenz der Staats- und Regierungschefs in Lissabon aktuell ein Bild machen. Merkel hat dem miserablen EU-Vertrag zugestimmt, der das Wettbewerbsprinzip schwächt und »der selbst im Urteil seiner Befürworter unverständlich ist« (Werner Mussler) und der diskussionsverhindernd lange unter Verschluß gehalten wurde. Diese aufgenötigte Wunschrolle füllt Merkel perfekt aus – im Kontrast zu ihrem großspurigen Vorgänger. Doch die Wunschrolle liegt nur teilweise im Interesse Deutschlands, dazu rechnet gewiß die sympathische Dezenz im Auftreten. Mit gefüllten Spendiertaschen und mit verzichtender Wahrnehmung eigener nationaler Interessen sind im Ausland leicht Sympathiepunkte zu sammeln. Dennoch hat auch Merkel keines der internationalen Großprojekte Deutschlands (Mitglied im UN-Sicherheitsrat; angemessene Stellung in der EU, was die Sprache und das Stimmengewicht betrifft usw.) vorangebracht.
Im Inland kann sich die Kanzlerin die Abnahme der Arbeitslosenzahl nur zum geringen Teil anrechnen, denn Arbeitsplätze werden von Betrieben, nicht von der Regierung geschaffen. Die bankrottnahe Staatsverschuldung ist geblieben, lediglich die Zuwächse haben sich verringert und dies mehr aufgrund der Härte des SPD-Finanzministers als aufgrund des Drängens von Angela Merkel. Die Armutsquote in Deutschland ist seit 1998 von 12,1 auf 13,5 % gestiegen usw. usw.
Die gerühmte Analysefähigkeit Merkels hat es nicht vermocht, ihre planwirtschaftliche Grundeinstellung (in der Gesundheitspolitik usw.) aufzugeben zugunsten eines Verständnisses der Marktwirtschaft, deren komplizierte Mechanismen (vgl. das Buch ›Wirtschaftskategorien‹; Näheres in diesem WALTHARI-Portal) ihr schon biographisch nicht nähergebracht wurden. Bei nüchterner Betrachtung gibt die Merkelbilanz also keinen Anlaß zum Jubeln. Man kann nicht einmal sagen, sie habe keine große Fehler gemacht, wo sie doch gerade wieder in Lissabon den nächsten schweren Fehler begangen hat: »Er besteht auch darin, daß sich ›Europa‹ endgültig von der Idee verabschiedet, die Bürger könnten sich an der Diskussion über die europäische Verfassung beteiligen« (Werner Mussler in der FAZ Nr. 242/07, S. 7). Nach dem Amtseid wäre es Merkels Aufgabe, »seinen (des deutschen Volkes) Nutzen (zu) mehren« (Art. 56 GG). © WALTHARI® – Aus: www.walthari.com
Der Volltext wird an anderer Stelle veröffentlicht.
Vom 8. November 2008
Deutsche Jubelaltärchen zum Obamakult
Von Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer
In den letzten Tagen hätte man in Deutschland glauben können, das Land sei einer der Gliedstaaten der USA. Waren schon die Zehntausende in Berlin, die vor Wochen der dortigen Wahlrede Barack Obamas zujubelten, als sei er als Heilsbringer ein Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten (vgl. die Glosse in diesem WALTHARI-Portal), so zelebrierten hierzulande seine Verehrer anläßlich der Präsidentenwahl in den USA einen Obamakult, der religiöse Züge annahm. Deutsche Fernsehsender lieferten dazu in der Nacht nach der Wahl die Medienliturgie. Um 3.49 Uhr brachte der ARD-Korrespondent Claus Kleber sein schon stundenwährendes Glücksgefühl zum Ausdruck. Das mediale Rauschen erreichte in der ›Zeit‹ vom 6. November 2008 den Höhepunkt: Die ersten vier Seiten dieses großformatigen Blattes, dessen einstiger Chefredakteur vor und bei der Wiedervereinigung eine so trennungsverliebte Figur gemacht hatte, reservierten die Hamburger dem politischen Erlöser aus den USA. Weihrauch allerorten, von Flensburg bis Regensburg, von Mainz (ZDF) bis Hamburg (ARD). Lobgeschmückte Altärchen soweit das Auge reichte. Wird Obamas Konterfei demnächst auch in deutschen Amtsstuben hängen? In manchen Redaktionsstuben schaut die dunkelhäutige Ikone wohlwollend lächelnd auf die Textmaschinen.
Dabei würde sich ein genaueres Hinschauen, Lesen und Hören durchaus lohnen. Schon die Analyse der Berliner Obamarede ergab: eingeübte Allgemeinplätze und Klischees umknäuelten das wenige Authentische und Originale. Von einer amerikanischen Wahlrede auf deutschem Boden war nicht mehr zu erwarten. Aufschlußreicher liest sich Obamas Chicagorede nach der Wahlnacht. Dort heißt es u.a.: »Wenn es da draußen irgend jemand gibt, der noch zweifelt, dass Amerika ein Ort ist, wo alles möglich ist, der sich noch fragt, ob der Traum unserer Gründer heute lebendig ist, der die Stärke unserer Demokratie in Frage stellt, er hat heute eine Antwort bekommen.« Amerika als ein »Ort, wo alles möglich ist«, fungiert hier nicht mehr als Floskel in einer Wahlrede, es handelt sich um den Leitsatz in der Siegesrede. Diese visionäre Gesinnung paßt zum Erlöserimage, sollte aber den historischen Kosten und den zu erwartenden Risiken gegengerechnet werden. Das Ergebnis verspricht wenig Erfreuliches, wenn man nüchtern analysiert. Denn trotz aller in der Siegesrede zugestandenen Schwierigkeiten ist zu befürchten, daß unter der abgehobenen Vision die Realitäten falsch eingeschätzt werden. Visionäre haben in der Geschichte die verheerendsten Schäden hinterlassen, nicht nur im Falle Napoleons. Der Ablauf gleicht sich in allen Fällen aufs Haar: (1) Kultisch übersteigerte Begeisterung und Verehrung am Anfang, (2) überzogene Erwartungen, (3) ›historische‹ Ausgriffe und Übergriffe und (4) schließlich Implosion mit epochalen Schäden.
Obama wird kultisch verehrt, daran besteht kein Zweifel. Man stellt an ihn Erwartungen, die er nicht erfüllen kann, denn Politik ist keine religiöse, sondern eine pragmatische Angelegenheit, die geduldig, nüchtern und meist nur in kleinen Schritten voranzubringen ist. Visionäre gehören ins religiöses Fach. In der Politik rechnen sie zu den Risikokandidaten.
Die ersten beiden Stationen des immer gleichen politischen Visionsgeschäfts sind bei Obama bereits Realität. Auch deutsche Kultanhänger haben ihr Scherflein dazu beigetragen. Man darf gespannt sein, wie es weitergeht. Mit ›historischen‹ Ausgriffen und Übergriffen ist man in den USA, als globale Supermacht, durchaus schon vertraut. Sie unter Obama künftig auszuschließen paßt nicht zu dem enormen Erwartungsdruck, der nicht allein binnenamerikanisch nach Ventilen sucht und suchen kann. Allein schon in den Fällen der Finanzkrise und der bestehenden kriegerischen Verwicklungen existieren Probleme, die auf visionärer Ebene nur unter höchster Implosionsgefahr zu lösen sein werden. Mal sehen, wie die Wendemanöver in der ›Zeit‹ und in den anderen Jubelmedien ausfallen werden. Denn heute schon kann man sagen: Ob visionär oder pragmatisch, hinter dem Problemberg wartet die Ernüchterung. Und mit dieser können sich Visionäre am wenigsten anfreunden.
Copyleft nur unter Angabe der Quelle: www.walthari.com
Vom 3. November 2008
Die Ypsilanti-Prantl-Blamage
Der Parteienstaat verabschiedet sich selbst
Seit Jahren werden in diesem WALTHARI-Portal die unheilbaren Systemfehler des Parteienstaates kritisiert. In dem Buch ›Aktive Bürgergesellschaft in einem gebändigten Staat‹ (2007, Näheres unter Fenster Sachbücher, Unterfenster: zeitkritische Schriften) habe ich Konsequenzen aus dieser Schräglage vorgeschlagen. Wie bei der einstigen Adelsherrschaft, deren selbstbewirkte Ablösung seit dem 19. Jahrhundert vorhersehbar war, so ist es auch im Falle des überzogenen Parteienstaates. Sein Ende ist im Gange, zu deutlich die Auswüchse, die ihn entlegitimieren. Alle Versuche, die Systemfehler als bloße Ausrutscher in einem ansonsten funktionierenden System klein zu reden, können die Auflösungsentwicklung nicht aufhalten. Die Binnentendenzen lassen keine andere Wahl.
Aktuell ist dies im sog. Hessenfall (in doppeltem Sinne) belegbar. Man muß sich das Unerhörte des gescheiterten Vorhabens klar machen: Eine Landesregierung wollte sich in die Hände einer Partei begeben, die sich in großen Teilen in der Tradition des untergegangenen DDR-Regimes sieht, das ideologisch, moralisch und wirtschaftlich bankrotierte. Die Liste der DDR-Verbrechen ist lang und doch fast vergessen, obschon die kommunistische Diktatur auf deutschem Boden erst vor weniger als zwanzig Jahren zusammenstürzte. Die PDS beerbte die SED; in die ›Linke‹ ging die PDS ein – eine unbestreitbare Linie aus einer der finsteren Epochen deutscher Geschichte. Fliehende Menschen wurden damals an der Grenze des realen Sozialismus erschossen, politisch Verurteilte kamen erst nach einer Lösegeldzahlung frei usw. Und dennoch die unglaublichen Bilder dieser Tage: 95 Prozent der hessischen SPD-Delegierten und eine überwältigende Mehrheit bei den Grünen stimmten am vergangenen Wochenende einem Koalitionsvertrag zu, der planwirtschaftlich gezimmert war und nur mit den eingeworbenen Stimmen der ›Linken‹ hätte umgesetzt werden können. Nicht nur, daß eine Ypsilanti-Regierung auf Lügen gebaut gewesen wäre (gebrochenes Wahlversprechen), die Konstruktion eines geplanten Zusammenspiels zwischen Landesparlament und -regierung hätte jedem demokratischen und moralischen Verständnis Hohn gesprochen. In beiden Parteien haben sich Volksvertreter vom Verfassungssouverän, dem Volk, abgelöst und wollten ein böses Machtspiel treiben. In einem politischen System mit direktdemokratischen Kontrollmechanismen wäre ein solcher Fall schon im Ansatz gescheitert. Genau solche bürgerverachtenden Machtspiele aber erlaubt der Parteienstaat.
Vermutlich hat die Mehrheit der Öffentlichkeit noch gar nicht bemerkt, daß die Gesamtlage bereits schlimm genug ist: Einige Landesregierungen sind bereits von der ›Linken‹ abhängig; von ihrem Votum hängen die Abstimmungen dieser Regierungen im Bundesrat ab. ›Die Linke‹ spielt (über den Bundesrat) das Zünglein an der Mehrheitswaage und beeinflußt bereits maßgeblich die politische Grundlinie in Deutschland. Sie segelt weiter im Aufwind im Gefolge der Finanzkrise. Freiheit, Marktwirtschaft und Wohlstand stehen damit auf dem Prüfstand. Das häßliche Gesicht eines Funktionärsstaates nach DDR-Muster droht Konturen anzunehmen. Wie anders kann es gedeutet werden, wenn der Spitzenkandidat der ›Linken‹ (für das Amt des Bundespräsidenten) einen Bankmanager verhaften lassen würde, wenn er könnte, wie er möchte. Hier zeigt sich die Ideenspitze einer Gesinnung, die sich medial in Schafspelzen zu drapieren weiß, um den Modergeruch verwester sozialistischer Leichen, die man im Keller versteckt hält, verwehen zu lassen. Rechtsstaat und Menschenwürde im Gewürge einer aufgeheizten Linksdrift.
Mit dem Ausscheren von vier Landtagsabgeordneten in letzter Stunde findet das Spektakel in Wiesbaden nicht statt. Frau Ypsilanti: eine Politleiche ›im Zuge‹ eines moralischen Selbstmordversuchs. Heribert Prantl von der ›Süddeutschen Zeitung‹ (SZ) hat sich unsterblich mitblamiert. In einer Gesprächsrunde des Bayerischen Fernsehens versuchte er, ›Die Linke‹ als harmlos erscheinen zu lassen, mit der man koalieren könne, um sie zu entzaubern. Entzaubert hat er sich selber. Mal sehen, was er am 4. November in der SZ unfall- und selbstschonend zu kommentieren weiß.
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus:www.walthari.com
Literatur:
1. Das veruntreute Land. Wohin driftet Deutschland? 2. Auflage
2. Aktive Bürgergesellschaft in einem gebändigten Staat.
Beide Titel bei Walthari, Postfach 100019, 66979 Münchweiler oder
über Netzpost: dauenhauer@walthari.de
Vom 12. März 2008
– Das Parteiensystem liegt in Trümmern –
Der Beck-Ypsilanti-Skandal bot mehr als nur den Stoff für ein außergewöhnliches Politschauspiel. Er gewährt einen tiefen Einblick in die machiavellistische Denkweise und in den zerfledderten Moralhaushalt im Parteiensystem, dessen zwei wichtigsten Tragsäulen nun endgültig eingestürzt sind: Glaubwürdigkeit und Verfassungstreue.
Der abenteuerliche Handlungsstrang muß hier nicht nachgeschildert werden, er wurde millionenfach in jedes Wohnzimmer getragen und auf dem Boulevard breit ausgewalzt. Die beiden Hauptfiguren des Stücks laufen seither splitternackt durch die Öffentlichkeit und müssen sich an den flackernden Parteiöfen aufwärmen. Sie bestreiten freilich, nackt zu sein und lächeln sich in die Satire.
Zur verlorenen Glaubwürdigkeit
Schlimmer noch als das gebrochene Wahlversprechen war die Verdrängungsleistung Becks am 10. März vor der Bundespressekonferenz. Ein zelebriertes Autodafé, aus dem jeder Psychoanalytiker den Stoff für eine Habilitationsarbeit ziehen könnte. Überrascht wurde allerdings nur, wer das Psychogramm des derzeitigen SPD-Vorsitzenden nicht kennt (vgl. dazu die beiden Beck-Artikel in diesem WALTHARI-Portal). Der Schlingerkurs Ypsilantis (mal wollte sie sich zur Wahl für das Amt der hessischen Ministerpräsidentin stellen, mal nicht, dann doch wieder, danach erneut nicht) tat ein Übriges, um endgültig zu begreifen: Um der Macht willen ist jedes Mittel recht, vom Taktieren über das Changieren bis zum Wortbruch. Man erinnert sich an die Ehrenwort-Erklärung Barschels (CDU).
Zur verletzten Verfassungstreue
Drei Vorgänge demonstrierten, wie wenig die Verfassung geachtet wird. Gegen die aufrechte SPD-Abgeordnete im neu gewählten Landtag Hessens (Dagmar Metzger) wurde parteiintern ein Kesseltreiben veranstaltet, das die Mandatsniederlegung zum Ziele hatte. Mobbingbetreiber haben das lauthals gefordert. Man muß sich verdeutlichen, was das bedeutet: Parteigehorsam wird über den Wählerwillen gestellt. So wenig zählt der Verfassungssouverän, wenn er einem privaten Verein (und das ist die SPD wie auch die anderen Parteien) beim Machtstreben im Wege steht.
Aber damit war es, was die verletzte Verfassungstreue betrifft, noch nicht genug. Artikel 38 Abs. 1 des Grundgesetzes schreibt vor, daß Abgeordnete »nur ihrem Gewissen unterworfen« und »an Aufträge und Weisungen nicht gebunden« sind. Davon kann in deutschen Parlamenten infolge der sanktionsbewaffneten Parteidisziplin und des Fraktionszwangs kaum noch die Rede sein. Frau Metzger verlängerte mit ihrem angekündigten Nein zur Wahl Ypsilantis, falls diese sich mit den Stimmen der Linkspartei wählen ließe, die schmale Liste der Aufrechten, also derjenigen, die das Grundgesetz zum Normalfall und die Parteien zu abtrünnigen Figuren erklären. Was man in der Mobbinghölle, durch die Dagmar Metzger gegangen ist, von ihr verlangt hat, war also nicht allein, daß sie den Willen ihrer Wähler gefälligst zu mißachten habe (sie hatte vor der Wahl versprochen, mit der ›Linken‹ nicht zusammenzuarbeiten), sie sollte auch gegen das Verfassungsgebot verstoßen, »nur ihrem Gewissen« zu gehorchen. In Deutschland sind viele Aussagen strafbar, darunter auch Aufrufe zur Verletzung der Verfassung. Warum wird die Staatsanwaltschaft nicht tätig, wenn im Parteienstaat Parteimitglieder öffentlich von einer gewählten Parlamentarierin verlangen, daß sie die Verfassung brechen soll?
Zum Treppenwitz des Beck-Ypsilanti-Skandals gehört, was die Öffnung zur extremen Linken vergessen machen will, daß nämlich der Verfassungsschutz dieses politische Spektrum im Visier hat. Warum? Weil man annimmt, daß die verfassungsmäßige Grundordnung gefährdet wird.
Wie machtbesessene Pirouettendreher mit der Verfassung umspringen, habe ich in ›Aktive Bürgergesellschaft in einem gebändigten Staat‹ ausführlich geschildert. Wer sich programmatisch zum »demokratischen Sozialismus« bekennt, wie Kurt Beck, kann aus der Sache heraus nichts anderes wollen als eine sozialistische Gesellschaftsordnung. Auf diesem weiten, historisch katastrophisch durchexperimentierten Feld tummeln sich Demokraten und Demokratiefeinde. Öffnungen nach links tragen zur Vermischung und Ununterscheidbarkeit bei. Der sog. ›linken Mehrheit im Lande‹ sind auch die Grünen zuzurechnen, nicht allein, weil ehemalige Marxisten sich bei ihnen untergemischt haben, sondern weil Renate Künast unlängst freimütig bekannte, daß ihr – nein, man glaubt es kaum. Und noch weniger will es einem in den Kopf, daß die Bürger und insbesondere die Intellektuellen nicht heftig dagegen aufbegehren. Denn das Parteiensystem liegt in Trümmern und wird sich systembedingt nicht davon erholen. Auf dem Trümmerfeld sind ›Simonis‹-Naturen zu besichtigen. Frau Simonis bekannte einst, nach schwerer Niederlage: »Ich werde depressiv, wenn mich auf fünf Schritte keiner kennt.« Warum lassen sich die Bürger von solchen Naturen regieren?
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus:www.walthari.com
Literatur-Empfehlung:
1. Das veruntreute Land. Wohin driftet Deutschland? 2. Auflage
2. Aktive Bürgergesellschaft in einem gebändigten Staat.
Vom 1. März 2008
Parteienstaat am Ende. Was in dieser Artikelserie seit Jahren vorausgesagt wurde, kann man aktuell auf der Bühne der Parteien beobachten: Sie zerstören das Politische (zu diesem Begriff vgl. ›Aktive Bürgergesellschaft in einem gebändigten Staat‹, 2007, S. 115; Näheres unter Fenster Sachbücher in diesem WALTHARI-Portal) und entziehen dem Staat die Vertrauensgrundlage der Bürger. Es ist nicht allein die Lügenfrechhheit von Spitzenpolitikern, die wie ein politisches Erdbeben das Gemeinwesen erschüttert (›Tausche Glaubwürdigkeit gegen Macht‹ lautete eine Fernsehsendung), es sind auch verbale Ausfälle bis ins Ordinär-Fäkalische, welche einer Umgangs- und Diskussionskultur Hohn sprechen. »Scheiße«, »Die können mich mal…«, »Abschaum‹ u.ä. kommt ungeniert aus dem Munde oberster Parteigrößen. Womit haben die Bürger diese Politiker verdient? Mit ihrer Feigheit, insbesondere unter Eliten, die sich taktisch ducken, wo doch mutiger Protest angesagt wäre. Wo sind sie, die Vorzeigeintellektuellen, die aus der linken Ecke heraus über alles herfallen, was gegen politische Korrektheit verstößt, aber schweigen, wenn in rot-roten Szenerien der politische Karneval gefeiert wird? Ist das Parteiengebaren nach letzten Wahlen in Hessen und Hamburg nicht eine der schlimmsten Respektlosigkeiten gegenüber dem Verfassungssouverän, dem Volk? Was ist aus Deutschland geworden, wenn es hingenommen, ja empfohlen wird, daß man den weltgeschichtlich verheerenden Sozialismus für regierungsfähig erklärt?
Bürgers Antwort: Wahlenhaltung. Angewidert vom Parteiengeschacher gehen immer mehr Bürger nicht mehr wählen. Die Quoten sinken, von Ausnahmen abgesehen, tendenziell von Wahltermin zu Wahltermin und unterschreitet vielfach schon die für jede Demokratie lebensgefährliche Bruchlinie von fünfzig Prozent. Bei den Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt 2007 z.B. war die Quote 36,5 Prozent. Doch die Parteien wollen die Flammenzeichen an der Wand nicht lesen. Ihre Verstocktheit hindert sie daran zu erkennen, wie der Bürger denkt: Warum noch wählen, wenn (1) Wahlversprechungen nicht gehalten werden und (2) wenn nach der Wahl aus Machtgründen nahezu alle Koalitionen möglich sind? Es ist dann nämlich gleichgültig, welche Partei man wählt, oder ob man überhaupt nicht mehr wählt. In Parteiendemokratien, die direktdemokratische Kontrollelemente ausschließen, kursiert bekanntlich der Spottsatz: Der einzige, der stört, ist der Wähler.
Emotionalisierung. Verstärkt wird die Wahlabstinenz durch die aufgepeitschte Stimmung im Resonanzraum der Medien. Sie leben von Kontroversen und Skandalen und treiben die politischen Machtkämpfe auf die Spitze, um selber Aufmerksamkeit und bessere Quoten zu erzielen. Die Wissenschaft hat es längst bloßgelegt: Angst und Aggression sind der Nährboden der sog. Stimmungsdemokratie, und diese ist weiß Gott jedem nüchternen Abwägen abträglich.
China ist der drittgrößte Empfänger der deutschen Entwicklungshilfe. 2005: 255 Millionen Euro.
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus: www.walthari.com
Vom 10. November 2000
FAZ im Schlittergang
Der Chefredakteur der „Bild“-Zeitung schrieb am 11. Juni 2000 in der „Welt am Sonntag“ (S. 66): Die „gute alte Tante FAZ“ sei „die Zeitung, von der ich behaupte, daß es keine andere hier bei uns gibt mit so großer Themen-, Meinungs-, Wissens- und Sprachvielfalt“. Gelegentlich bekomme er aber „einen mittelprächtigen Schreikrampf“: „Jeder Ressortleiter, ja jeder Seitenredakteur scheint sein eigener Chefredakteur zu sein. Mit eigenen Reportern und Autoren. Und jeden Tag macht jeder bei der ‚FAZ’ an seinem Platz, was ihm gefällt. – Offensichtlich scheint zu stimmen, was man immer hört: Dass es bei der ‚FAZ’ keine Redaktionskonferenzen gibt – allenfalls Absprachen auf dem Flur. – Jeder ein kleiner König. Jeder mit einem eigenen kleinen Königreich. Und zu den News in seinem Palast dringst du nur vor, wenn du dich durch mindestens 178 Zeilen gekämpft hast. – Das Ergebnis dieser Vielstaaterei ist eine Zeitung, in der sich der Leser verirrt wie in einem Dschungel.“
Wäre es doch nur ein Dschungel, den die „Diva FAZ“ ihren Lesern täglich bietet! In ihrem Mitteilungsdickicht bekämpfen sich manche Redakteure auf eine so taktlos offene Weise, daß man sich als Leser verschaukelt fühlt. Davon gab die Ausgabe vom 7. November 2000 eine neuerliche Probe. Der Autor der Leitglosse auf Seite 1 (G.H.) fand sichtlich Gefallen an der Leitkultur-Diskussion: „Am Wort ‚Leitkultur’ kommt keiner mehr vorbei, der über die Zuwanderung in Deutschland reden will… Über die Werteordnung des Grundgesetzes und die deutsche Sprache hinaus sind auch ‚die gewachsenen Strukturen dieser Gesellschaft’ Baustein der Leitkultur und damit Integrationsanforderung. Das geht hin bis zur Achtung der Feiertage… Das ist eine augenfällige Absage an die früher vorherrschende Multikulti-Rhetorik.“
Im Feuilleton vom gleichen Tag wird, ebenfalls auf der ersten Seite, der Leitkulturbegriff regelrecht abgefackelt und der CDU ein „Rechtsruck“ unterstellt, „indem sie das Nationale gegen das Fremde ausspielt“. Die Redakteurin spricht verächtlich von einem „unseligen Ausdruck“: „… das ist kein Begriff, sondern ein Mißgriff… Wenn die Partei so weitermacht, wird sie bei den nächsten Wahlen rechts von der Bank fallen“ (FAZ v. 7. Nov. 2000, S. 49). Globalisierung ist für Franziska Augstein ein „Popanz“, nicht dagegen der innerparteilich abgewirtschaftete Heiner Geißler.
Seit Jahr und Tag haben FAZ-Leser, wohl die meisten, ihren Spaß daran, daß drei redaktionelle Hauptrichtungen einander in die Quere kommen. Der Politikteil pflegt „immer noch die substanziellsten Einreden gegen gesellschaftspolitische Illusionen, Engführungen der deutschen Geschichte und eine restlose Auslieferung des Politischen an Moral und Gefühl. Die seichten Gewissheiten der Lifestyle-Aufklärung finden hier ihr kritisches Tribunal“ (NZZ v. 13. Okt. 2000, S. 49). Der Kulturteil hingegen nimmt, so die NZZ weiter, „ein Bad in der Schaumkrone des herrschenden Zeitgeistes“, seit Frank Schirrmacher, „der junge für Kultur verantwortliche Herausgeber“, das Sagen habe. „Ohne Scheu“ habe man den alten Feuilletonstil „zu Grabe getragen“ und einen „Bauchladen der Beliebigkeit“ eröffnet. „Und gar zu schrill tönt seit Wochen im Feuilleton die Propaganda für die schöne neue Welt der Symbiose von Wissenschaft und Geschäft im Zeichen des entzifferten genetischen Codes. Seitenfüllend werden hier die zum Teil erschreckend trivialen Marketingsprüche der Forscher-Unternehmer ins Blatt gestellt und mit intellektuell nicht weniger dürftigen kulturkritischen Räsonnements ausgewogen. Gerade im ‚FAZ’-Feuilleton berührt es unangenehm, wenn eine Zeitenwende im Diskant eines Marktschreiers ausgerufen wird…“ Nebenbei: Die NZZ zieht hier nach; am 5. Juli 2000 prangerte diese WALTHARI-Zeitung Schirrmachers Kampagne unter dem Titel „Gehobene Medienposse“ an.
Zwischen Politik- und Kulturteil findet der FAZ-Leser einen Wirtschaftsteil eingeklemmt, der im besten Sprachstil und bestens informiert die wirtschaftspolitischen Tollheiten der Zeit neoliberal aufspießt. Im ganzen, so die NZZ über die Frankfurter Kollegen, „wirkt die ‚FAZ’ heute wie eine Versuchsanordnung, die die Grenzen der Integrationsfähigkeit einer Zeitung und ihrer Leser testet“. Dieser Dauertest läßt die Diva manchmal von ihrer Ottomane zum Fußboden gleiten und manchen Leser davonlaufen. Nicht weil in der autonomen Mediengrafschaft Schirrmachers „so viele Druck- und Grammatikfehler“ produziert werden, wie die NZZ oberschullehrerhaft konstatiert (die Züricher selbst sind nicht frei davon: deutsche Verlagsnamen sollte man korrekt schreiben; vgl. Ausgabe Nr. 243/2000, S. 34); auch nicht weil die FAZ zur alten Rechtschreibung zurückgekehrt ist, auch darüber haben sich die Züricher gnomverschmitzt mockiert – nein, der Schlittergang der alten Dame rührt daher, daß ihr die hauseigenen Leibärzte eine Bewußtseinsspaltung verordnet haben. Schizophrenie führt aber auch im Medienbetrieb zum Realitätsverlust, schlimmer noch: zu Leserverlusten. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) hat die FAZ um 30.000 Exemplare bereits überrundet, obschon das SZ-Magazin „jahrelang (!) journalistischen Windbeuteln aufgesessen war“ (NZZ), was der Frankfurter Diva und den Züricher Hochnasen nie passiert wäre.
Copyright by Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus: www.walthari.com
Vom 9. Oktober 2000
Ein häßliches Deutschlandbild aus Zürich: »deutscher Simpel«
Was man in Tiefenschichten (im doppelten Sinne des Wortes) über den nationalen Nachbarn denkt und empfindet, kommt so leicht nicht zum Vorschein, zumal bei den lebensklugen und listig hinter betonter Kleinstaatlichkeit sich verbergenden Eidgenossen. In unbedachten Augenblicken kommt es doch vor, und dann ist es mehr als unterhaltsam, den südlichen Nachbarn ohne Maske reden und urteilen zu hören. Die Neue Zürcher Zeitung öffnete in ihrer Wochenendausgabe vom 16./17. September 2000 ihr Feuilleton für einen ausladenden Deutschlandverriß. Die Autorin Andrea Köhler konnte sich nur mühesam an das listige chinesische Strategem Nr. 26 halten: »Die Akazie schelten, dabei aber auf den Maulbeerbaum zeigen.« Im alten China war die Akazie der Symbolbaum für den Kaiserhof, der Maulbeerbaum derjenige für die bäuerliche Bevölkerung. Wer also den Kaiserhof kritisieren wollte, schalt vordergründig das Volk, wobei die Geste auf den wahren Adressaten zeigte.
© WALTHARI®, Aus: www.walthari.com
Vom 8. Februar 2008
Kurt Becks demokratischer Sozialismus und andere sozialistische Hausnummern
Von Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer
Der derzeitige Vorsitzende der SPD, Kurt Beck, hat sich ausdrücklich zum demokratischen Sozialismus bekannt und damit in bürgerlichen Kreisen für Verwirrung gesorgt. Auch unter den Bewohnern der ehemaligen DDR, die sich dem ›Aufklärungsprogramm‹ der SED entzogen hatten, werden böse Erinnerungen wach geworden sein, denn nur geschulte Parteigenossen waren und sind mit der Begriffsakrobatik der Kommunisten vertraut genug, um zu wissen, daß die SED ihre als sozialistische Demokratie propagierte Diktatur vom demokratischen Sozialismus der SPD scharf getrennt wissen wollte et vice versa. Zwischen der parlamentarischen Sozialdemokratie und der kommunistischen Diktatur des Proletariats liegen ideologische Welten. Für Normalbürger, die sich mit den Programmen beider Parteien nicht beschäftigt haben, sind beide Formulierungen mehr oder weniger identisch und erzeugen eine Verwechslungsgefahr, die Beck mit seinem Sozialismusbekenntnis inkauf genommen hat. Das ist für einen Sozialdemokraten, der sich so gerne bürgerlich gibt, zunächst erstaunlich, erweist sich aber mit dem Blick auf ›Die Linke‹ als parteitaktisches Kalkül, das aus zwei Schachzügen besteht. Gegenwärtig sollen auch extrem linke Wähler der SPD zugeführt werden, was bei den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen gründlich mißlungen ist (›Die Linke‹ schaffte den Sprung in die beiden Parlamente). Zweitens soll zukünftig, daran zweifeln Szenenkenner keine Sekunde und die wechselvolle Spaltungs- und Vereinigungsgeschichte der Sozialisten bzw. Sozialdemokraten gibt ihnen recht, zukünftig soll also schon mal eine verbale Brücke geschlagen werden zur ›Linken‹, die man als Mehrheitsbeschaffer nach dem Berliner Wowereit-Muster brauchen könnte. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit (Gewöhnung), bis beide Parteien zusammen mit den Grünen bundesweit koalieren werden. Trittin u.a. haben schon entsprechende Signale ausgesendet.
Für SED-Kommunisten war der demokratische Sozialismus ein verächtlicher ›Sozialdemokratismus‹, der die sozialistischen Ideale verraten hat. Dieser sei »ein Arzt am Krankenbett des Kapitalismus« und ein »Überbleibsel des Imperialismus«. Gleichzeitig gab die SED die Idee einer Aktionseinheit mit den Sozialdemokraten nie auf. Noch 1981 heißt es in ihrer Schrift ›Einheit der Arbeiterklasse und ideologischer Kampf‹ (S. 202): »Die von den Kommunisten vorgeschlagene Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie war und ist niemals ein taktisches Manöver. Im Gegenteil, der Kampf um die Einheit der Arbeiterbewegung ist das wichtigste und unabdingbare Prinzip ihrer Politik. Der Kampf um sie wird mit dem Ziel geführt, die Interessen der gesamten Arbeiterklasse – einschließlich der sozialdemokratischen Werktätigen – zu verteidigen.« In den Augen von Kommunisten und Postkommunisten war und ist der demokratische Sozialismus eine Variante des bürgerlichen Reformismus, von dem man sich zwar ideologisch absetzt, den man aber aktionspraktisch zugleich als Kampfgenosse akzeptiert. Für die Partei ›Die Linke‹ ist die SPD der einzige ›natürliche‹ Koalitionspartner, mag auch das Trennende unüberbrückbar scheinen. Daß Oskar Lafontaine als ehemaliger Vorsitzender (!) der SPD und Kanzlerkandidat dieser Partei sowie langjähriger Ministerpräsident (mit sozialdemokratischer Parlamentsunterstützung im Saarland) nunmehr an der Spitze der ›Linke‹ steht, ist eine eindrucksvolle Namensbeglaubigung geistiger Nähe und fließender Übergänge für künftige Koalitionsgemeinschaften. Dabei darf nicht vergessen werden, daß die Nachfolgepartei der SED, die PDS, Teil der Partei ›Die Linke‹ geworden ist. Inwieweit in ihr altes Kommunistengut mitgeschleppt wird, ist für den Normalbürger schwer zu durchschauen. Der Sozialismus ist zum Wechselbalg für Genossen aller Richtungen geworden. Eurokommunisten in Frankreich, Italien, Spanien und anderswo wollten unter diesem weiten Begriffsdach eine sozialistische Gesellschaft errichten, unter Berücksichtigung nationaler Besonderheiten. In Frankreich stellten sie in den 80er Jahren vier Minister und galten damit als regierungsfähig. Eine weitere Sozialismusvariante trat unter dem Schlagwort ›Dritter Weg‹ auf, den Sozialdemokraten und Kommunisten gemeinsam gehen wollten.
Der demokratische Sozialismus Kurt Becks besetzt in dieser ideologischen Gemengelage eine bestimmte Hausnummer. Schon vom Sprachlichen her kann dem demokratische Sozialismus eine sozialistische Gesellschaft als Ziel nicht fremd sein. Was sonst könnte der demokratische Sozialismus wollen? Aber genau damit wird an den Variantenreichtum sozialistischer Gesellschaftsordnungen erinnert. Daß Kurt Beck das Feld der schon sprachlichen Mißdeutungen nicht meidet, sondern im Gegenteil eine bestimmte sozialistische Hausnummer expressis verbis reklamiert, läßt vielerlei Schlüsse zu. Das Phänomen gewinnt noch an Brisanz, wenn man die Tabuzonen im rechten ideologischen Spektrum mitbedenkt.
In der Nummer 4/2008 des ›Staatsanzeigers für Rheinland-Pfalz‹, herausgegeben ›von der Staatskanzlei der Landesregierung‹, war auf der Titelseite unter der Überschrift ›Broschüre gegen Rechts findet rege Nachfrage‹ zu lesen. »Sie enthält wichtige Hinweise, um rechtsextremistische Machenschaften wirksam begegnen zu können«. Das ist zu begrüßen. Warum aber, fragt sich der Bürger, gibt es im Lande Kurt Becks keine ›Broschüre gegen Links‹? Wo doch die Verfassungsschutzberichte auch über den Linksextremismus viel Bedenkliches zu berichten wissen.
© WALTHARI® – Aus: www.walthari.com
Vom 10. Januar 2008
Moralpause: Wahlkämpfer im Parteienstaat
Von Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer
Vom 22. Januar 2008
Teil 2
Es kam, wie in Teil 1 vorhergesagt: Je näher der Wahltermin, umso mehr fliegen die Anstandsfetzen. Wenn ein ehemaliger Bundeswirtschaftsminister der SPD seine Parteibrille ablegt und vor Utopien einer hessischen Genossin warnt, wird er als »bezahlter Lobbyist« beschimpft und zum Parteiaustritt aufgefordert, um einem angedrohten Parteiausschluß zuvorzukommen. »Wenn Clement noch einen Rest von Charakter hat…«, tönt es von Genosse zu Genosse. Noch übler benahm sich Peter Struck, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion: »Die kann mich mal« war seine (an Fäkalduft erinnernde) Antwort auf eine Aufforderung, sich für seine Koch-Unterstellung zu entschuldigen. Die wahren Probleme, die der Parteienstaat geschaffen hat und selber nicht mehr aus der Welt schaffen kann, spielen im Wahlkampf kaum eine Rolle:
- die verfehlte Integration von Zuwanderern, die jährlich zwischen 11,8 und 15,6 Milliarden Euro kostet;
- es würde den Menschen mehr nützen, die Zivilisationsstandards nicht am Hindukusch, sondern in Berliner Problemvierteln und in U-Bahnen großer Städte zu verteidigen;
- parteienimprägnierte Richterernennungen, wie sie in diesem WALTHARI-Portal seit Jahren kritisiert werden, einzustellen, wie es der Deutsche Anwaltsverein und der Deutsche Richterbund dieser Tage endlich auch fordert; Pressenotiz vom 13. Jan. 08: Der Würzburger Staatsrechtler Horst Dreier, SPD-Mitglied, soll zum Bundesverfassungsrichter gewählt werden und 2010 zudem Präsident des Bundesverfassungsgerichts; das Gericht fällt bekanntlich letztinstanzliche Urteile auch im Parteienstreit (keine Interessenkollision?);
- ein parteienunabhängiger Sachverständigenrat wäre vonnöten, um offensichtliche Falschdarstellungen, Wählertäuschungen und Anstandsverletzungen, wie sie im Parteienbetrieb und besonders in Wahlkämpfen laufend zu verzeichnen sind, öffentlich zu rügen; die Medien sind als Quoten- und Auflagenjäger nur in Grenzen zu dieser Kontrolle in der Lage, am wenigsten die Öffentlich-Rechtlichen, in deren Verwaltungsräten die Parteien stark vertreten sind;
- überfällig ist eine Brandrede des Bundespräsidenten, mit der er Großkoalitionäre, die einen Berliner Dauerwahlkampf führen und dabei übereinander herfallen, an politische Redlichkeit erinnert: Man kann nicht gleichzeitig gemeinsam regieren und getrennt Opposition spielen. Die an sich schon eingeschränkte Gewaltenteilung (vgl. Teil 1) existiert in Berlin offensichtlich nur noch in lichten Momenten. Eine Kapuzinerrede des Bundespräsidenten würde vielleicht das langweilende Dauerlächeln, mit dem Bundeskanzlerin Merkel ihr Streitkabinett zu überstehen versucht, in eine Miene verwandeln, die der Endstimmung angemessen wäre. Man kann über das folgende Merkelwort nur staunen: » Manchmal sind wir vielleicht sogar ganz froh – wir sind auch alle Parteipolitiker –, daß man im Landtagswahlkampf auch einmal über einen Unterschied sprechen kann. Die Möglichkeit hat man dann ja auch« (FAZ v. 18.1.08, S. 3). Parteipolitiker: »manchmal« und »dann ja auch«, sonst also, d.h. im Regierungsgeschäft, aber sonst nicht. Ist dieser Merkelsatz in Schulen beim Demokratieunterricht zitiertauglich?
- Ein ergrauter politischer Fahrensmann erwartet, daß diese sog. Große Koalition bis 2009 sich den ersten Preis der Schrecklichkeit verdient haben wird. © WALTHARI®, Aus: www.walthari.com
Vom 25. Januar 2008
Teil 3
Die meisten Bürger wissen,
- dass Parteiaussagen ein kurzes Verfallsdatum haben,
- dass Wahlversprechungen nicht davor schützen, nach der Wahl gebrochen zu werden,
- dass notfalls (weil angeblich »keine Alternative«) jede Partei (bis zur extremen Linken) mit jeder anderen (mit Ausnahme der Rechtsextremen) ins Koalitionsbett steigt, um den Honig der Macht zu genießen,
- dass sich das Parteiensystem als Staat im Staat einzurichten beginnt und daher den Bürgerwillen nur noch am Wahltag abzurufen braucht, um das System zu erhalten. Direktdemokratische Korrekturen werden gefürchtet und flugs niedergeredet: keine Volksabstimmung über die DM-Preisgabe, über den EU-Vertrag, über EU-Erweiterungen u.v.a.m. Das fundamentale Demokratieprinzip ›Gewaltenteilung‹ wird unterhöhlt (durch parteienbeeinflußte Richterernennungen usw.).
Angesichts dieses Zustandes verwundert es nicht, daß aufgeklärte Bürger sich abwenden. Daher die tendenziell sinkenden Wahlbeteiligungen.
Was die meisten Bürger sich nicht vorstellen können:
- dass sich die etablierten Parteien darauf eingestellt haben, auch bei einer Wahlbeteiligung unter dem Mehrheitslimit (50 Prozent, also ohne Mehrheitslegitimation) ihr direktdemokratisch fernes System zu erhalten,
- dass Parteigrößen jeden Selbstwiderspruch und sogar schlimme Ausrutscher kaltschnäuzig wegstecken. Man denke an die aktuelle Struck-Affäre (vgl. Teil 2 unten) oder an die Doppelbödigkeit von Frau Ypsilanti (SPD-Spitzenkandidatin in Hessen): Sie will das dreigliedrige Schulsystem in ein gesamtschulisches ›Haus der Bildung‹ aufgehen lassen, obschon sie gleichzeitig diesem ›Bildungshaus‹ dadurch ihr Mißtrauen ausspricht, daß sie ihren Sohn aufs Gymnasium schickt. Diese linke Doppelbödigkeit hat Tradition (anderen Wasser predigen, selber aber Wein trinken) und nimmt sich wie ein Qualitätsmerkmal für politische Raffinesse aus.
Die Kaltschnäuzigkeit berührt nicht einfach nur die Glaubwürdigkeit, sie martert die öffentliche Moral auf doppelte Weise. Schlimmer nämlich als die Tat wirkt sich die Sanktionslosigkeit des Tuns aus: Die Ohnmacht des Bürgers, den man direktdemokratisch unmündig, weil korrekturbehindert gefesselt hält, schlägt sich aggressiv in alltäglicher Moralverachtung nieder. Versicherungs-, Sozialbetrug usw. wird zum Kavaliersdelikt, ›weil die da oben viel Schlimmeres sich leisten‹.
Solange die täglichen Pressströme und Unredlichkeiten von oben nicht mit jederzeitigem Druck von unten in Zaum gehalten werden können, bleibt der Verfassungssatz »Alle Staatsgewalt (!) geht vom Volke aus« (Art. 20, Abs. 2 Grundgesetz) rhetorischer Zierrat politischer Sonntagsreden. Wahltage sind Abrechnungstage, doch im Parteienstaat lärm- und anstandsgeplagte Seltenheitstermine. © WALTHARI®, Aus: www.walthari.com
Vom 28. Januar 2008
Teil 4 (Schlussbeitrag): Wahlspektakel im Parteienstaat
Allen aufgeklärten Bürgern wurde am Wahlsonntag (27. Januar 2008) wieder mal vor Augen geführt, wie gnadenlos die etablierten Parteien und ihr Begleittroß, die Medien und Hochrechner, über dieses Land herfallen können. Stundenlange Bilderschlachten im Fernsehen und Sendungen im Hörfunk, und zwar besonders bei den Öffentlich-Rechtlichen. Ganze Heerscharen von Journalisten inszenierten nach den Radauregeln des Regietheaters ein Spektakel im aufdringlichsten Sinn des Wortes (lat. spectaculum – Theater) und delektierten sich am Wechselspiel zwischen Untergangsstimmung und bestelltem Parteijubel. Der Aufwand und die Lautstärke machten deutlich, wie hoch das heiß Begehrte eingeschätzt wird: Es geht um den Einzug in die machtluxuriösen Residenzen und Schaltstellen, die von direktdemokratischen Kontrolleingriffen des Bürgers freigehalten werden. Da die Machtverteilung im Parteienstaat von einem einzigen Wahltag abhängt, finden an diesem Termin – wie nach dem Beutefang in Wolfsrudeln – regelrechte Beißkämpfe statt, nicht nur unter den Parteienvertretern. Auch die Medienmeute weiß sich in Szene zu setzen. Sie vollführt das Kunststück, stundenlang über etwas zu berichten, das niemand bis zur amtlichen Ergebnisfeststellung genau kennt. Letzte Beißtermine am Wahlabend: Es ist Pflicht, die Wunden zu lecken, schönzureden und freudenhämisch zu lächeln. In den Tagen danach schlägt die Stunde der Deuter, die immer schon alles gewußt haben.
Die Fakten jenseits des Radaubetriebes ernüchtern: gesunkene Wahlbeteiligung in Hessen (bei 58 Prozent); erster Bühnenauftritt der extremen Linken im Westen, deren kommunistische Unterfarbe kein Alarmglöckchen läuten läßt (beim Einzug der extremen Rechten in einen der beiden Landtage wäre ein Medienvulkan ausgebrochen: zurecht). Eine Rechnung, die kein Journalist aufmacht: Selbst bei einer Wahlbeteiligung von rd. 66 Prozent reicht zur Regierungsbildung etwas mehr als die Hälfte davon; bezogen auf die Wahlberechtigten (100 Prozent), genügt also rd. ein Drittel der Bürgerstimmen, um an die Macht zu gelangen; zwei Drittel fühlen sich also nicht vertreten, regiert wird gegen die Mehrheit des Volkes; darin liegt ein Sprengsatz. Den Parteienstaat ficht das nicht an. Er hat das originär Bürgerpolitische ohnehin längst zugeschüttet und sich selber den Buntrock des Boulevard übergezogen. © WALTHARI®, Aus: www.walthari.com
Literaturhinweis: »Aktive Bürgergesellschaft in einem gebändigten Staat«.
Vom 9. August 2007
Kurt Becks täuschende Politik-Idylle
Von Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer
Strucks »Rampensau«. Unter Politikern scheint die Bezeichnung ›Rampensau‹ kein beleidigender Ausdruck zu sein. Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag und vormalige Verteidigungsminister Dr. Struck definiert eine politische ›Rampensau‹ als jemanden, der Menschen begeistern könne, »auch auf Marktplätzen und im direkten Gespräch«. Da Struck in dem ›Focus‹-Interview weiterhin sagte, »dass ein Spitzenkandidat auch ›Rampensau‹ sein muß – also die Menschen emotional ansprechen kann« und er »Kurt Beck für unseren besten Kandidaten« hält, besteht kein Zweifel, wem in der SPD der Status der ›Rampensau‹ zukommt. Struck stellt selber den direkten Zusammenhang her, wenn er gleich nach der Bemerkung, »dass ein Spitzenkandidat auch ›Rampensau‹ sein muß«, den Satz formuliert: »In der Partei (SPD) gibt es niemanden, der Kurt Beck als Kanzlerkandidat in Frage stellt.« Gesinnungen offenbaren sich im Sprachgebrauch, Gesinnungsverfall demnach auch. Ist es vorstellbar, dass Carlo Schmid (1896-1979) und andere grundsolide SPD-Granden der Bonner Zeit sich auf Struck-Niveau begeben hätten?
Kurt Beck im Umfragekeller. Der SPD-Vorsitzende rangiert in Umfrageergebnissen regelmäßig hinter anderen Spitzengenossen, erst recht hinter Politikern anderer Parteien, obschon er kraft seines obersten Parteipostens ständig im medialen Rampenlicht steht und er den Umgang mit den Medien gründlicher gelernt hat als seinen bürgerlichen Beruf. Wuchtiger als alle Bürgerbefragungen muß ihn die Abwatsche von Führungskräften getroffen haben: In einer repräsentativen Umfrage unter tausend Führungseliten (Weissmann & Co., Nürnberg) gibt die Mehrheit an, sich Kurt Beck nicht als Vorstandsvorsitzenden eines großen Unternehmens vorstellen zu können. Das ist als Nagelprobe schlechthin zu verstehen. Wer in der Politik reüssiert, taugt noch lange nicht für einen bürgerlichen Spitzenberuf. Denn hier zählen nur harte Fakten, dort vor allem schönes Reden und Taktieren. Mit Imagekampagnen hat man nicht nur das Bekanntheitsdefizit, sondern auch die Qualitätsfrage zu überdecken versucht. Die FTD v. 26. Juli 2007 wußte ironisch zu berichten: »Die SPD-Spitze hat eine Imagekampagne für ihren Parteichef als Kanzlerkandidaten gestartet. Manch einer hat dabei womöglich Hintergedanken. Bei einer Aktie würde man jetzt von ›Bodenbildung‹ sprechen und dem Wert ›Kurspotenzial‹ bescheinigen. Genauso ist es mit Kurt Beck. Es kann einfach nur aufwärts gehen.«
Taktierer Beck. Der derzeitige SPD-Vorsitzende hat von seinem pfälzischen Landsmann Kohl zumindest eines abgeschaut: die erfolgreiche Taktikstrategie aus gesuchter Leutseligkeit (bei Weinfesten, Umzügen usw.), abwartendes Aussitzen, unermüdliches Netzflechten und Commonsense-Marketing. Im Gebrauch des zuletzt genannten Taktikmoduls ist die Übereinstimmung Becks mit Kohl besonders verblüffend. Was ist gemeint? Zuerst wartet man ab, wie sich die Streitwelle in Partei und Öffentlichkeit entwickelt; während dieser Beobachtungsphase darf man sich mit eigenen Äußerungen nicht festlegen. Erst wenn die Diskussionslage mehrheitlich eine Richtung erkennen lässt und heiß gelaufen ist, begibt man sich mit Empörungsgesten ins Rampenlicht und weiß seine Äußerung so darzustellen, als entspräche nur sie dem gesunden Menschenverstand. Kohl war darin Meister, mit gespielter Empörung so zu tun, als hätte man bei genügend Menschenverstand nicht zu streiten brauchen. Beck und Merkel ahmen den Altkanzler nach, wobei bei der Kanzlerin das Empörungsgehabe noch verbesserungswürdig erscheint. Beck wiederholt gegenwärtig in einem besonders heiklen Fall nicht den Kohlfehler, frühzeitig seine Kanzlerambitionen bekannt zu geben. Kohl scheiterte bekanntlich fürs erste. Verzweifelt versucht Beck, die Vorauskürungen aus seiner Partei abzuwehren, eine allzu durchsichtige Taktik, die ihn weitere Glaubwürdigkeit kostet. Denn selbstverständlich will der rheinland-pfälzische Ministerpräsident zumindest Kanzlerkandidat werden, auch dann, wenn seine Aussichten über Scharping- und Lafontaine-Werte nicht hinausgehen. Politiker stehen unter Machtzwang. Je länger sie im politischen Geschäft tätig sind, um so pathologischer wird dieses Zwangsleiden. Alles läuft also auf einen bundesweiten Plakatenwald mit dem bärtigen Kurt-Beck-Gesicht zu. Die Frage, ob er das Zeug dazu hat, wird vom Stigma der ›Rampensau‹ überdeckt.
Rheinland-pfälzische Politik-Idylle. Mit der Kohltaktik hat der Pfälzer Beck die Mainzer Politik seit mehreren Wahlperioden fest im Griff. Er ist Spezialist im Einsammeln von Sympathiepunkten, indem er den Eindruck zu vermitteln versteht, als wäre er der gute Nachbar von nebenan, mit dem man gerne Feste feiert. Selbst ungute Gelegenheiten lässt er nicht aus, um sich ins helle Medienlicht zu schieben, sei es in der amtlichen ›StaatsZeitung‹ (›Staatsanzeiger für Rheinland-Pfalz‹), in welcher er sich bis zu elf Mal abbilden lässt, sei es bei peinlichen festlichen Anlässen, wo er das Wort ergreift, strahlend, auch wenn er schlecht vorbereitet ist wie bei der Verleihung der Carl-Zuckmayer-Medaille. Der ›Spiegel‹ (4/07, S. 100) machte sich über Becks Auftreten lustig, auch über die »sozialdemokratische Jury«. Unermüdlich malen der Ministerpräsident, sein Mainzer Kabinett und das landesweite Netz seiner Genossen idyllische Bilder vom Land der Reben und des allzeit problemlosen Miteinanders. ›Landesfest in lustig-familiärer Atmosphäre‹ titelte die Staatszeitung vom 9. Juli 2007, um den 24. Rheinland-Pfalz-Tag zu bejubeln. Es geht dabei nicht um erwünschte Aufbruchstimmung, im Gegenteil, das Land soll in einem rosaroten Passepartout des gemütlichen Sozialklimas erscheinen, wo man sich nach Ferien- und Rentnerart gemütlich zurücklehnen kann, weil die Probleme halb so schlimm seien und alles von der Regierung »auf den richtigen Weg gebracht werde« (Lieblingsformel) wird. Damit macht sich Beck seit Jahren sozialpsychologische Faktoren zunutze, die unter den sozialstaatlich eingelullten Deutschen dominant ausgeprägt sind: die Sehnsucht nach Sicherheit, nach Betreutwerden (in jedem Alter) und nach sozialer Wärme. Es handelt sich um die Kernelemente eines Wohlfühlsozialismus, der dem Staat viel, der Gesellschaft wenig und dem Einzelnen nur soviel zutraut, wie es der Obrigkeitsstaat erlaubt. Deshalb kann sich Beck erfolgreich ins Bild eines politischen Betreuungsonkels setzen. Je älter die Gesellschaft, je rasender die Globalisierung, je komplizierter der Alltag usw., desto mehr tendieren die Menschen zur wohlfühlsozialistischen Absicherung. Daß der »Knuddelfaktor« zugunsten Becks bisher nur auf rheinland-pfälzischem Boden gewirkt hat, der SPD-Vorsitzende also bundesweit weit hinter dem Knut-Image zurückbleibt, hat viel mit Becks Aussehen zu tun, worauf nicht nur der Karikaturist der FTD vom 25. Juli 2007 hämisch anspielt. Man braucht allerdings keine Häme, sondern nur kritisch auf die langjährige Regierungszeit Becks schauen, um seine politischen Qualitäten zu erkennen. Die Bilanz fällt eher düster aus: hohe Staatsverschuldung, hohe Arbeitslosigkeit in den vielen Problemregionen (trotz der allgemein guten Konjunktur), steigende Überschuldung der Privathaushalte (die höchste Quote in den Südländern; lt. FTD) usw. Es lässt sich denken, dass neben diesen harten Faktoren die schwer ermittelbaren weichen Beherrschungsfaktoren (parteipolitische Personalpolitik usw.) nach so vielen Beckjahren ihre landesweiten Spuren hinterlassen haben. Die Medien des Landes, die sich im Zeitungsbereich weitgehend als Regionalmonopolisten eingerichtet haben, kommentieren die Mainzer Regierungspolitik zumeist eher beifällig als kritisch, so dass die rheinland-pfälzische politische Landschaft tagtäglich im Licht einer familiären Idylle erscheint. Die Oberen kennen sich seit Jahren und Jahrzehnten, man verhält sich politisch allzeit korrekt und singt gemeinsam auf Wein- und Burgfesten fröhliche Lieder.
Die dunkle Rückseite des Idyllenkitsches. Der Soziologe Wolfgang Sofsky hat kürzlich (FAS 29/07, S. 22) an unangenehme Wahrheiten erinnert, wie sie in der Buchveröffentlichung ›Aktive Bürgergesellschaft in einem gebändigten Staat‹ (2007; Näheres in diesem WALTHARI-Portal unter Sachbücher) ausführlich dargelegt werden. »Demokratische Staaten sind ja keine sozialen Gemeinschaften, sondern Herrschaftssysteme« (Sofsky), die ihre Macht auch mit Tricks und brutalen Mitteln verteidigen. Selbst Rechtsbrüche werden einkalkuliert (Nachweis in der oben genannten Buchveröffentlichung). Besonders in Sozialstaaten zeigen die Herrschenden nach außen ein lächelndes Spendiergesicht und pflegen die Idylle, während intern mit harten Bandagen gekämpft wird. Wenn der Verfassungssouverän, das Volk, seine Freiheit gegen die wuchernde Staatsmacht bewahren will, hat es nach dem weisen Ratschlag Thomas Jeffersons stets mißtrauisch, also nicht vertrauensselig zu sein. Jefferson 1799: »Argwohn…, nicht… Vertrauen« sei notwendig, »um jene, denen wir Macht überantwortet haben, zu binden.« Sofsky drückt es so aus: »… was in Deutschland fehlt: ein antiautoritäres Bewusstsein… Wir sind immer noch ein staatsgläubiges Volk«, obschon zwei totalitäre Systeme ihre schlimmen Spuren hinterlassen hätten. Freiheit sei keine »staatlich befriedete Idylle«, sondern »eine fortdauernde Aufgabe… Freiheit ist der Gegenbegriff zu Macht… Freiheit ist Widerstand gegen Macht jeder Art.« Auf dem Hintergrund dieses freiheitlichen Demokratieverständnisses, das England, die Schweiz und die USA vor Diktaturen bewahrt hat, nimmt sich der politische Idylliker Beck nicht gut aus. Unter dem Eindruck, Politik sei eine Art freundlich gestimmter Familienbetrieb, kann kein antiautoritäres Bewusstsein aufkommen. Ziviler »Widerstand gegen die Macht«? – Geradezu ein Teufelsstück im idyllischen Betreuungsstaat.
Wohlfahrtsdenker Beck. Aber nicht nur atmosphärisch pflegt der Ministerpräsident die Idylle, auch sein politisches Konzept ist konsensual gestimmt. Man lese seine Regierungserklärungen oder seinen Grundsatzartikel ›Das soziale Deutschland‹ in der FAZ Nr. 132/07, S. 10. Schon der Eingangssatz will Widerständler ausschließen: »Die Menschen haben ein sicheres Gespür, was wichtig ist und wer sich nur wichtig macht.« Widerständler sind nun mal Wichtigmacher, allerdings keine Wichtigtuer. Der zweite Satz ist noch verräterischer: »Es lohnt sich, die politischen Auseinandersetzungen aus diesem Blickwinkel zu betrachten…« Beck will also »die politische Auseinandersetzung aus diesem (idyllischen) Blickwinkel« betrachten. Geradezu entlarvend beginnt der zweite Abschnitt: »Es gibt soziale Gegensätze, die eine Mehrheit der Menschen in Deutschland beunruhigen. Aber ein künstlicher Gegensatz ist der zwischen Staat und Freiheit.« Da zeigt er sich also in nackter Konzeptgestalt: Gegensätze zwischen Staat und Freiheit seien künstlich, ein Anti-Jefferson-Denken, wie es dem wohlfahrtsstaatlichen Sozialismus entspricht. Beck räumt letzte Zweifel mit der Bemerkung aus, dass der Staat, »um der Freiheit willen« nicht »weiter zusammenschrumpfen« dürfe. Sein Feindbild ist der Neoliberalismus, dessen Freiheitstradition er nach überwiegender Kritikermeinung nicht verstanden hat. Es lohnt sich nicht, weiter auf seinen Grundsatzartikel einzugehen: eine Ansammlung von Allgemeinplätzen und Irrtümern.
Beraterprobleme? Auch wenn Kurt Beck seine Grundsatzerklärungen selber schreiben sollte, entweder lässt er sie nicht von neutralen Experten überprüfen oder er hat die falschen. Das vermutet seit langem die Presse. Sonst seien das bundesweite Akzeptanztief und die vielen Fehlgriffe (ganz schlimm der »gemäßigte Taliban«-Ausrutscher) nicht erklärbar. Aber selbst beste Berater könnten die idyllisierten Webfehler nicht beseitigen. Zu lange ist der SPD-Vorsitzende an den Schalthebeln der Macht, um auch lebenspraktisch (nicht nur besuchsweise) wissen zu können, wie es in harten bürgerlichen Berufen (nicht nur auf Volksfesten) zugeht. Bekanntlich ist das Fehlen eines staatskritischen Bewußtseins bei den Bürgern das größte Kapital des Parteienstaates. Sich darin heimisch zu fühlen, führt am Ende…
© WALTHARI® – Aus: www.walthari.com
Vom 15. Januar 2008
Fuhrer, A.: Die Todesfahrt der ›Gustloff‹.
Porträts von Überlebenden der größten Schiffskatastrophe aller Zeiten.
Olzog Verlag, München 2007, 288 Seiten, 19,90 Euro
Am 30. Januar 1945 kurz nach 21 Uhr trafen drei Torpedos die ›Wilhelm Gustloff‹, die von Gotenhafen mit 10.500 Menschen an Bord ausgelaufen war, um sie vor der herannahenden Roten Armee in Sicherheit zu bringen. Mehr als 9000 der Passagiere waren Flüchtlinge, zumeist Frauen, Kinder und alte Menschen. 9.300 Menschen ertranken in der eiskalten Ostsee. Verantwortlich für dieses abscheuliche Verbrechen war der 31jährige Kapitän des sowjetischen U-Bootes S 13, Alexander Marinesko, »bekannt als notorischer Frauenheld und Trinker…« Fuhrer weiter: »Das Wilde liegt offenbar in seiner Natur … Für seinen Job ist der erste Mann an Bord genau der richtige. Er gilt seinen Vorgesetzten als Menschenfresser…« und ist empört, daß man ihm für seine Kriegstat nicht den Orden ›Held der Sowjetunion‹ verleiht.
Obschon das Gustloff-Drama mehrfach beschrieben wurde, lohnt sich die Lektüre von Armin Fuhrers Buch insbesondere wegen des zweiten Teils ›Das Inferno überlebt‹. Porträtiert werden zehn Zeitzeugen des Untergangs, damals zwischen zehn und 26 Jahre alt. Fuhrer hat mit ihnen Gespräche geführt und darüber Protokolle erstellt, die tiefe Einblicke in die deutsche Mentalitätsgeschichte bis heute gewähren. Zurecht weist Fuhrer auf die über Jahrzehnte einseitige Erinnerungskultur hin. »Daß… auch unschuldige und wehrlose Deutsche – Frauen, Kinder, Greise – Opfer des Krieges und infolge dieses Krieges Opfer von Hunger, Elend, Flucht, Vertreibung, Massenvergewaltigungen und Ermordung gewesen sind, wollte man hierzulande lange Zeit nicht wahrnehmen.«
Die Berichte werden im ersten Teil des Buches (›Die Hintergründe‹) sorgfältig eingeordnet. Die Erlebnisschilderungen sind an Horrordüsternis nicht zu übertreffen. Man fragt sich, warum unsere Filmemacher diesseits und jenseits des Atlantiks an dem Stoff noch kein Interesse gefunden haben. Er übertrifft die fantasiereichsten und schlimmsten Science-fiction-Ideen.
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer, ausgenommen die Originalzitate. Aus: www.walthari.com
Vom 21. Januar 2008
Wellnesskult – Ein gastroerotisches Spektakel
Aus: »Das veruntreute Land. Wohin driftet Deutschland?«, 2. Auflage, Münchweiler 1998, S. 59 ff.
Während auch in Deutschland das Elend gesellschaftliche Fratzengestalt annimmt (etwa durch die millionenfache Arbeitslosigkeit oder durch das entfamiliarisierte Sterben alter Menschen), überbieten sich Wellnessmanager in Eventsangeboten. Es genügt nicht mehr, als Gourmet zu leben, denn eine fünfgängige Essensfolge nach abgereiztem französischen Muster leisten sich schon Mittelschichtler. Um die Genußelite am Geldfluß zu halten, erdachte man sich Wellnesstempel: mit Eisgrotten, mindestens drei Saunenarten, chinesischer Massage u.v.a. Die Zentren der Wohlgefühlproduktion bieten eine Rundumversorgung, der »Körper des Gastes wird innen und außen« in eine paradiesische Gefühlslage versetzt, durch türkische, französische, chinesische und allerhand andere Traditionspraktiken. Es fließen ätherische Öle und vitaminangereicherte Säfte, daß man vor Glück schier berstet.
Eine vorläufig letzte Steigerung war notwendig, weil mittlerweile auch die Mittelschicht am Genußtempelkult Gefallen gefunden hat und das Schwitzen vor dem Kraxenofen, das Verwöhnen im türkischen Hamam zum elitären Gesprächsstoff nichts mehr taugt. Daher haben Wellnessmanager, die nur dem Wohle von Spitzenkunden verpflichtet sind, das gastroerotische Spektakel ersonnen. Im Unterschied zu den Schwitzprogrammen einer Rundumversorgung in Tempelfluchten verlangt das neue Spektakel vom Gast nur, daß er teuer ißt und trinkt – und schaut. Das Schauen ist dabei das Wichtigste und eigentlich Neue. Durch die Tischreihen flanieren nämlich völlig nackte Mädchen, deren Haut mit Dali-Motiven und anderen exzentrischen Farbkreationen übermalt ist.
So ein Ereignisabend läuft nach minutengenauer Netzplanung ab: Nach dem Begrüßungscocktail und dem Hummersüppchen schreitet die erste Farbnymphe durch den Saal, ausführlich beschrieben von einem Eventsmaître (manchmal auch von einer Eventsmaîtresse); nach allgemeinem Bestaunen dreht die Dalitochter unter Gitarrenklängen ab, nicht ohne ihren mit großen Augen bemalten Hinterteil so käftig zu schwingen, daß schöne Schielfratzen entstehen. Jetzt jongliert das flotte Servierpersonal den zweiten Gang, eine Krebsschwanzmousse mit Sauce Nantua. Kaum hörbar, dafür aber um so sehenswerter tanzen alsbald zwei Luftbekleidete herein, woraufhin die allgemeine Gabelei und das feine Kauen für eine Weile stocken. Um den Netzplan nicht zu gefährden, drückt der Eventsmaître (oder eben die Eventsmaîtresse) gelegentlich auf’s Tempo, denn es soll ja nicht nur stieräugig genossen, sondern auch küchenfertig exakt gegessen werden. Ein Sorbet mit »Brustspitzen der Venus« ist zweifellos der interessanteste Gang, können doch Brüstchen ganz unterschiedlicher Art ganz verschieden verkostet werden, mit der Zunge und mit den Augen zugleich.
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus:www.walthari.com
Vom 7. Oktober 2007
Weltprobleme – Globale Zuspitzungen in der Spätneuzeit
– Erste Ergänzung –
Am 11. Oktober 2000, also vor recht genau sieben Jahren, erschien in diesem WALTHARI-Portal der Grundsatztext ›Fünfundzwanzig Weltprobleme – Globale Zuspitzungen in der Spätneuzeit‹. Folgende Problembereiche wurden genannt:
1. Bevölkerungsexplosion, 2. Umweltzerstörung, 3. Hyperurbanisierung, 4. Verarmung, 5. Kriminalisierung, 6. Neoideologisierung, 7. Religiöser Fundamentalismus, 8. Hyperverschuldung, 9. Überbewaffnung, 10. Regionalkriege, 11. Genomisierung, 12. Netz-Monadisierung, 13. Seuchenrenaissance 14. Migrationen, 15. Mulitkulturalismus, 16. Globalfinanz-Kapitalismus, 17. Bonzen-Netze,. 18. Medienherrschaft, 19. Informationskriege,. 20. Entkulturierung, 21. Entmythisierung,. 22. Entschamung, 23. Verwertungskapitalismus, 24. Entbürgerlichung, 25. Materie-Entschlüsselung –
Mit einer Ausnahme (Verarmung) hat sich jedes dieser globalen Probleme mittlerweile verschärft.
1. Verarmung. Nach dem Weltarmutsbericht hat sich die Zahl der Armen zwar verringert, dennoch vegetiert immer noch mindestens eine Milliarde Menschen unterhalb der Humanitätsgrenze, d.h. ohne ausreichende Ernährung, ohne sauberes Trinkwasser, unter fehlenden hygienischen Verhältnissen usw. Die genaue Zahl ist nicht ermittelbar, weil in Entwicklungsländern keine exakten Erfassungen möglich sind. Was die Weltbank jüngst veröffentlicht hat, gibt ein trauriges Bild ab: 59 Länder in Afrika und Zentralasien stagnieren wirtschaftlich und fallen sogar zurück, so daß dort die meisten Armen leben. Vor allem vier Entwicklungsfallen sind dafür verantwortlich: 1. Bürgerkriege, 2. Korruption, 3. schlechte Infrastruktur und 4. geringes Bildungsniveau. Diese Staaten verpassen die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung und finden aus eigener Kraft nicht aus der Armut heraus. Paul Collier, Professor in Oxford, plädiert deshalb für ein militärisches Eingreifen, um den eigenen Entfaltungskräften freien Raum zu schaffen. Vierzig Prozent aller Entwicklungshilfe kassiert das Militär. Colliers Vorschlag überzeugt dennoch nicht, wie ein Blick auf Afghanistan und den Irak zeigt.
2. Regionalkriege. Neben Afrika, wo sie ein Dauerphänomen darstellen, hat sich ihre Zahl in Zentralasien und Ostasien vermehrt. Nicht nur im Irak, im Libanon, in Palästina und Afghanistan kämpfen Einheimische gegeneinander, ohne Ende erscheinen die Regionalkriege in Indonesien, Sri Lanka, Kaschmir und Thailand.
3. Neoideologisierung. Unter dieser Überschrift hieß es im Jahr 2000, daß »globale Egalitätsprogramme u.a…. beste Konjunktur« hätten. Die Visionen der seit 1945 bestehenden UNO liefern dafür beste Beispiele. Unermüdlich sucht die UNO mit Maßnahmen zur Friedenssicherung und Friedenskonsolidierung Konfliktherde zu befrieden in dem Glauben, daß irgendwann der Weltfriede herrschen werde. An mehr als zwei Dutzend Brandherden hat sie zur Zeit nahezu 100.000 Personal eingesetzt (Militär, Polizisten und Zivilisten) in der Erwartung, nach einiger Zeit das Personal wieder abziehen zu können. In neun von zehn Fällen hat sich das als trügerisch erwiesen. In Palästina z.B. sind schon seit Jahrzehnten zahlreiche Beobachter und Soldaten stationiert, ohne Aussicht auf Befriedung. Wer auf die Einsatzkarte der UNO schaut, stößt auf Abkürzungen wie UNIFIL, UNAMI, UNAMA, MONUC u.v.a. Gewiß, ohne die UNO wäre es um die Welt schlimmer bestellt, aber als Produzent von Illusionen schadet sie ihrer Glaubwürdigkeit.
2005 hat sie acht sog. Milleniumsziele verkündet:
1. Beseitigung der extremen Armut und des Hungers, 2. Verwirklichung der allgemeinen Grundschulbildung, 3. Förderung der Gleichstellung der Geschlechter, 4. Senkung der Kindersterblichkeit, 5. Verbesserung der Gesundheit von Müttern, 6. Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und anderen Krankheiten, 7. Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit, 8. Entwicklungspartnerschaften. – Die Weltorganisation hat damit ein Programm aufgelegt, das nach aller Erfahrung nicht annähernd erfüllbar sein wird. Allein schon der Klimawandel und die damit einhergehenden Effekte (Überschwemmungen, Zunahme der Wüsten, Migrationsdruck usw.) werden die Ziele durchkreuzen. Besser überehrgeizige Ziel als kein Ziel, gewiß, doch zwischen dieser Alternative hätte Realitätssinn durchaus einen Platz.
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus:www.walthari.com
Vom 15. Januar 2007
Bürgerhinrichtung
Wie man schlichte Bürger medienöffentlich hinrichtet
Unentwegt finden auch in Deutschland öffentliche Hinrichtungen statt, freilich nicht mehr auf brennenden Scheiterhaufen oder durch die Guillotine, sondern durch Berichte in den Druck- und Funkmedien. Anstelle des Leibes wird die Psyche des Opfers gemartert und sein Ruf ruiniert. Wer glaubt, Kesseltreiben der Medien betreffen nur Prominente oder »berechtigte Opfer« (Wirtschaftskriminelle u.a.), liegt schief. Diana-Jagden sind nur die grell angeleuchtete Eisbergspitze. In den Tiefen von (Provinz-)Gewässern betreiben auch Winkeljournalisten eine Opferhatz, ohne gründlich recherchiert zu haben.
Dabei herrscht in aller Regel Kampfmittelungleichheit. Denn ist einmal ein Persönlichkeitsverriß öffentlich gelaufen, kann der Schaden durch Gegendarstellungen und Leserbriefe nur selten repariert werden, auch wenn der Gemarterte sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Besonders perfide sind sog. Verdachtsberichte, bei denen sich die Presse nur auf ungesicherte Vermutungen und vage Hinweise stützen kann. Wehrt sich das Opfer, zieht die Journaille meist sogleich die nächste Verdachtskarte. Diese Art von Journalismus betreibt nicht selten eine öffentliche Hinrichtung in quälenden Etappen. Läuft eine Pressekampagne erst einmal auf vollen Touren, bleiben Vorverurteilungen nicht aus. Zwar lohnt sich diese Verrißtaktik gegenüber einem VIP mehr als gegenüber einem Handwerker, aber grundsätzlich ist jeder Bürger dieser Gefahr ausgesetzt, insbesondere in Regionen unter der »Herrschaft« einer Monopolzeitung. Indem man auf diese dunkle Seite des mächtigen (zuweilen übermächtigen, weil fusionierten) Pressewesens hinweist, übersieht man nicht seine notwendige Aufgabe in einer Demokratie: Die Bürger sind auf solide Informationen und auf Aufklärungsarbeit der Medien zwingend angewiesen und erwarten auch deren kritische Begleitung. Im Tageskampf um Auflagen und Einschaltquoten gerät freilich so mancher unbescholtene Zeitgenosse unversehens in das gefräßige Mahlwerk der ständig auf Hochtouren laufenden Wort-Bild-Maschinerie.
(Aus: Dauenhauer, E.: ›Das veruntreute Land. Wohin driftet Deutschland?‹, 2. Aufl., Münchweiler 1998; vgl. nähere bibliographische Angaben unter Fenster Sachbücher in diesem Portal)
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus: www.walthari.com
Vom 30. August 2007
Unausrottbare Großillusionen trotz unlösbarer Weltprobleme
Teil 12
1. Klimasteuerung. »Wer dem Epos aufmerksam lauscht, wird sich bewusst, das wir das Erdklima derzeit weder verstehen noch voraussagen können. Man erwartet von der heutigen Wissenschaft, dass sie den fiebernden Planeten heilt, doch wie ein Arzt vergangener Zeiten kann sie nur seinen Puls fühlen… Viele von uns zögern, unseren Wissensnotstand öffentlich zu bekennen, weil ihn die Mächtigen dieser Welt als Vorwand nehmen könnten, um die Ressourcen unseres Planeten unbekümmert weiter zu vergeuden. Braucht es aber wirklich Kassandrarufe von überfluteten Küstenstädten und biblischen Insektenplagen, um den Wahnwitz dieser Vergeudung einzusehen und ihm Einhalt zu gebieten?« (NZZ Nr. 168/07, S. 19). Das heißt: die Klimadebatte wird unredlich geführt und vermittelt den Eindruck, als sei das Klima von Menschen steuerbar. Das heißt aber auch: Trotz unbewiesener anthropogener Einwirkung auf das Klima (nach Angaben des Bundesumweltamtes beeinflußt die Kohlendioxid-Emission nur zu 1,2 % das Wetter!) ist der ruinösen Ausbeutung der Erde Einhalt zu gebieten. Eine nüchterne Debatte und Sofortmaßnahmen wären angebrachter als politische Kampagnen.
2. Demokratiesperrige Entwicklungs- und Schwellenländer. Wer auch nur einige dieser Länder bereist und die vielen Hilfsmaßnahmen und Versuche der letzten fünfzig Jahre studiert hat, weiß es, spricht es aber nur selten aus: Das westliche Demokratiemodell ist nur in Ausnahmefällen und dazu meist nur bruchstückhaft übertragbar. Sowenig es aber eine kleine Schwangerschaft gibt, sondern immer nur eine richtige, sowenig kann man von Demokratie sprechen, wenn auch nur eines ihrer zentralen Elemente (Gewaltenteilung usw.) fehlt. Sogenannte Halbdemokratien wie Russland sind in Wahrheit Staatsregime, die bürgerliche Freiheiten und Menschenrechte nach Belieben verletzen. Selbst Thailand, hochgelobt als hoffnungsvoller Demokratiekandidat, ist rückfällig geworden. Ein demokratischer Irak? Vergebliche Mühen in ganz Arabien, in ganz Schwarzafrika, kurz: bei zwei Dritteln aller Länder. Der Westen lässt sich seine Fehlversuche viel kosen, auch Menschenleben.
3. Euro-Islam. Unter dieser Überschrift schreibt der Leitartikler der FAZ (Nr. 241/2006) den Satz: »Daß Muslime ihre Kultur, ihre im Koran und in der Tradition wurzelnde Lebenswelt in den europäischen Ländern aufgeben werden, ist kaum zu erwarten.« Diese realistische Einschätzung vernebelt der Artikelschreiber aber sogleich mit falschen Hoffnungen. Man will eben den Tatsachen nicht ins Auge sehen und tanzt um Großillusionen.
4. Armutsbekämpfung. Im Jahre 2000 verpflichteten sich alle Mitgliedsstaaten der UNO, die Armut weltweit zu halbieren. Trotz aller Entwicklungshilfe und Teilerfolge: Es handelt sich auch hier um eine Großillusion, deren Bedienung dem politischen Kampagnebetrieb mehr nutzt als den armen Menschen. Seit 1960 flossen rd. 500 (fünfhundert) Milliarden Dollar Entwicklungshilfe allein nach Afrika. Ein Vor-Ort-Kenner: »Es gibt nur wenige Projekte, die den Abzug der weißen Spezialisten überlebt haben.«
5. Kampf der Kulturen. Auch im globalen politischen Korrektheitsbetrieb darf nicht sein, was Sache ist. Als Samuel P. Huntington 1993 in einer Zeitschrift (Foreign Affairs) den Kampf der Kulturen voraussagte (später in Buchform), ereiferten sich die weltethisch gestimmten Großillusionäre außerhalb der Islamzone und beschimpften den nüchternen Analytiker. Inzwischen sind die Kritiker weniger und leiser geworden. Nicht nur die steigende Serie von Attentaten, auch auf anderen ›Kriegsschauplätzen‹ prallen die Kulturen heftig aufeinander. Der Kölner Moscheenstreit ist nur ein Fall unter unzähligen.
6. Wissensträume. Der von Napoleon bewunderte Pierre-Simon Laplace (1749-1827) wollte mit einer kosmischen Theorie die Welt einfürallemal erklären. Stolz verkündete er, den ganzen Himmel habe er abgesucht und nirgends Gott finden können. Selbst seriöse Wissenschaftler lassen sich immer wieder in die Scientia-universalis-Falle locken, in die Illusion von einer möglichen Einheit allen Wissens. Heisenberg scheiterte mit seiner Weltformel. Der Illusionsbetrieb hat sich längst auf die soziale, politische und kulturelle Ebene ausgeweitet: Weltethos, Weltregierung, Welthumanismus, soziale Weltstandards usw. Hinter diesen Irrläufern stehen bekannte Namen und Institutionen. Haeckelianer, Anhänger des Evolutionsbiologen Ernst Haeckel (1834 – 1919), halten alle Welträtsel mit dem kommenden Wissen für lösbar. Zur Zeit treibt ein sozio-kultureller Evolutionismus mit globalem Erlösungsehrgeiz sein Unwesen. Propagandistisch geht es um das Versprechen eines Homo supersapiens mit Unsterblichkeitsphantasien.
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus: www.walthari.com
Vom 5. Mai 2007
Machiavellisten
Eine überregionale deutsche Tageszeitung ließ im zweiten Kanzlerjahr Angela Merkels einige Figuren der politischen Klasse Revü passieren. Unter den Geprüften bestanden nur zwei den M-Test. Der Rest sei Mittelmaß und allenfalls als Zustimmungspersonal im politischen Geschäft zu gebrauchen. Einem Abgeordneten, in der öffentlichen Meinung hoch gehandelt, der sein Mandat aus Enttäuschung über die Politik Merkels niedergelegt hatte, hielt der Kommentator vor, die Regeln der Politik nicht verstanden zu haben. Zum Regelwerk gehörten weder Moral noch Charakter, sondern einzig ein Machtwille, der die Durchsetzungstechniken so geschickt beherrsche, dass er vom Recht nicht behindert werde.
Diese Auffassung von politischer Herrschaft hat Nicolo Machiavelli zum geistigen Vater. Sein Name wird zwar oft zitiert, doch sein Traktat „Der Fürst“ nur in akademischen Seminaren und von M-Test-Bestehern gründlich gelesen. Nach Machiavelli sind die „Menschen im allgemeinen… undankbar, wankelmütig, heuchlerisch, furchtsam und habgierig“. Ein Fürst, der dieses Menschenbild nicht in Rechnung stelle, sei zum Herrschen ungeeignet. Würde er sich „zum Guten bekennen“, müsste er „zugrunde gehen, inmitten von so vielen anderen, die nicht gut sind“. Vielmehr sei geboten, die „Fähigkeit“ zu erwerben, „nicht gut zu sein“ (deutsche Ausgabe: Stuttgart 1995, S. 118). Ein brauchbarer Herrscher müsse „ein großer Lügner und Heuchler sein“, denn schließlich habe er heuchlerische Menschen zu regieren.
Bei Machiavelli ist diese moralische Entschlagung nur die erste von drei Herrscher(un)tugenden. Zur moralfreien Gesinnung muß eine spezielle Technik kommen. Das Innere sei so zu verkleiden, dass der Fürst in einem positiven Licht erscheine. Menschen urteilten nun mal „mit den Augen“, so dass das Erscheinungsbild ausschlaggebend sei. Die Leute würden weit eher dem glauben, was sie sehen, als dem, das sie erfahren (S. 139). Es sei daher notwendig, dass der Herrscher einer milde und ehrliche Figur abgebe, um seine wahre Gesinnung verbergen zu können.
Das dritte Herrscherkunststück ist das schwierigste. Da irgendwann auch den einfältigsten Menschen der Gegensatz zwischen Sein und Schein auffallen muß, verlange der politische Opportunismus die Kunst, die Prinzipienlosigkeit als politisch notwendig auszugeben. Politik stehe unter dem Zwang, das Handeln „nach dem Wind des Glücks und dem Wechsel der Umstände zu drehen“ (S. 139). Nur so könne man die Feinde (innen und außen), die voller Arglist seien, abwehren.
Machiavelli kommt zu dem Schluß, dass Grausamkeit die wichtigste Eigenschaft eines Herrschers sein müsse (S. 187). Parallel zum milden Erscheinungsbild tritt der Ruf, sich jederzeit „als böse erweisen“ zu können. Genau diese Doppelnatur, nämlich „halb Tier, halb Mensch“ zu sein (S. 135), benötige der Fürst, wenn er das Gemeinwesen vor Gefahren schützen wolle. Das Tierische mache ihn instinktsicher und moralfrei genug, um seine „Fuchsnatur zu verschleiern“ (S. 137). Prinzipien und Charakter hält Machiavelli für regierungshinderlich. Ein brauchbarer Herrscher sei Fuchs und Löwe, vor allem aber ein Schauspieler, wisse er doch, dass nicht so sehr die Taten an sich zählten, sondern das Bild, das man sich von ihnen mache. Es ist also nicht allein die Gesinnung, sondern auch das Tun und sein Ergebnis geschickt zu verkleiden. Unmoral ist demnach das ethische Prinzip dieser Politik, die zum Zwecke der Machtgewinnung und -erhaltung sich nicht scheut, auf List und Bestechung, auf Schmeichelei und Grausamkeit zu setzen.
Politiker auch der Neuzeit sind bei Machiavelli lerneifrig in die Schule gegangen, zumindest was die öffentliche Schauspielerei und die Wendigkeit betrifft. „Ohne Alternative“, die taktische Druckformel, ist ebenso bei Machiavelli abgeschaut wie die Formel, „der Wechsel der Umstände“ erfordere die Preisgabe bisher als eisern geltender Prinzipien. Damit freilich könnte ein Politiker den M-Test noch nicht bestehen. Was fehlt, ist (1) der Mut zur Grausamkeit und (2) die Kunst, das moralfreie Agieren als notwendig erscheinen zu lassen. Jener eingangs erwähnte Politiker hatte in den Augen des Testers noch zu viel Moral und Charakter. Ohne diesen Ballast, so musste der Leser schließen, hätte er sein Mandat nicht niedergelegt. Der Resignierte war zwar ein glänzender Redner, aber nicht einmal ein guter Schauspieler. Seine Gesinnung deckte sich erkennbar mit seinem Verhalten. Genau besehen, fehlte es ihm sogar an Wendigkeit. Wer sich politisch durchbeißen wolle, so der Kommentator, müsse ganz andere Eigenschaften besitzen.
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus: www.walthari.com
Vom 19. April 2007
Aus dem Tollhausplanwirtschaftlicher Gesundheitspolitik
– Eine Zitaten- und Datenlese –
Teil 9
Von Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer
eCard. »Am allerwenigsten hätten die Ärzte von den Neuerungen: Sie müssen insgesamt für Investitionen und laufenden Betrieb in den Praxen rund 1,9 Milliarden Euro aufbringen, erzielen aber nur einen Nutzen von 553 Millionen Euro, so dass ihnen netto ein Minus von 1,3 Milliarden Euro bleibt.«
Ärztliche Praxis Nr. 50/2006
KVen. »KVen und die KBV können und dürfen die Interessen der Ärzte nicht vertreten, weil das Sozialgesetzbuch ihnen diese Aufgabe nicht zuweist. Dennoch reklamieren sie diese Aufgabe für sich und täuschen damit ihre eigenen Mitglieder. KVen sind keine Interessenvertretungen.«
Freie Ärzteschaft v. 30.01.2007
Gesundheitsreform. »Aber so wie sie sich abzeichnet, ist diese Reform schlechter als gar keine, jedenfalls keine in dieser Legislaturperiode. Die Regierung sollte das Projekt aufgeben… Dieser Plan gehört in die Entsorgungsecke der politischen Fehlversuche. Das gilt für den ordnungspolitischen Irrtum des großen Fonds der Union ebenso wie für die obsessiven Detaileinfälle der Fachministerin. Es gilt für alles, was diesen verkorksten Versuch einer schwarz-roten Gesundheitsreform kennzeichnet. Sie sollten es lassen.«
Hans Barbier in FAZ Nr. 10/2007, S. 13
GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz. »Dahinter muß indes ein merkwürdiger Begriff von Wettbewerb stehen. Die wettbewerbsfördernden Elemente in dem Reformvorhaben sind tatsächlich nur von verschwindender Größe und werden von gegenläufigen Maßnahmen mehr als aufgehoben.«
Alfred Boss, Institut für Weltwirtschaft, Kiel
»Diese Reform ist verkorkst, falsch und kontraproduktiv. Sie wird selbst vielen Zielen nicht gerecht, die Union und SPD an den Systemumbau gestellt hatten.«
FAZ, Nr. 11/2007, S. 1
Qualität ärztlicher Behandlung. Nach einer Untersuchung der BÄK war von den 12.080 Patientenbeschwerden im Jahre 2006 nur ein Fünftel berechtigt. Geht man von den 18,2 Mio. Krankenhausbehandlungen und den mehreren hundert Mio. Patienten-Kontakten privat praktizierender Ärzte aus, liegt die Fehlerquote im My-Bereich. Die Fehlerquote bei Politikern dürfte dagegen … naja.
Papierkrieg. »Deutschlands Krankenkassen verfügen über Abermillionen Datensätze ihrer Versicherten – und sind doch kaum in der Lage, sich als Lotsen durch das Gesundheitssystem zu profilieren.«
Sabine Rössing in: medbiz 1/07 der ›Financial Times Deutschland‹
Umverteilung. »Das Bundesversicherungsamt hatte für Bayern, Baden-Württemberg und Hessen eine Zusatzbelastung von 37, 56 und 55 Millionen Euro errechnet. Das Kieler Institut hatte für Baden-Württemberg Gesamtlasten bis zu 1,7 Milliarden Euro, für Bayern bis zu 1 Milliarde Euro sowie für Hessen bis zu 980 Millionen Euro vorhergesagt. Hier wurden aber offenbar nicht die 3,1 Milliarden Euro gegengerechnet, welche die drei Länder schon heute mehr in den Finanzausgleich einzahlen, als sie zurückbekommen.«
FAZ Nr. 4/2007, S. 33
PKV. »Ulla Schmidt läßt nicht locker. Ihren Traum einer Einheitskasse für alle stören die Privaten Krankenversicherungen. Die sollen jetzt ausgetrocknet werden.« Carsten Germis in FASZ Nr. 7/2006, S. 33
»Vom Halbgott zum Depp der Nation.«
Überschrift eines ganzseitigen Artikels zur Lage der Klinikärzte in: FASZ Nr. 11/2006, S. 42
Berliner Erklärung. »Das Gesundheitswesen in Deutschland braucht mehr Freiheit und mehr Wettbewerb. Der Einfluss des Staates sollte sich auf die Organisation des notwendigen Ordnungsrahmens beschränken. Die Pläne der Bundesregierung weisen jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Der Staatseinfluss im Gesundheitswesen soll massiv ausgeweitet werden: staatlich festgesetzte Beitragssätze, Zentralisierung des Beitragseinzugs, Einheitshonorare für ärztliche Leistungen durch Beseitigung von Vertragskompetenzen, Schaffung einer Kasseneinheitsverbandsstruktur, Aufbau von Innovationshürden, Preisregulierung durch ›solidarische Sonderopfer‹, kaum Stärkung wettbewerblicher Kräfte, Gefährdung der Dualität von GKV und PKV durch unzumutbare Eingriffe bis hin zum staatlichen Verbot der Produktvielfalt. Dies alles sind ungeeignete Instrumente. Sie führen in die Staatsmedizin. Dies aber wird kein Problem lösen, sondern neue Probleme schaffen…«
Berlin, 20. Sept. 2006, unterzeichnet u.a. von den ärztlichen Spitzenverbänden
Krankenhauskosten (2006). Personalaufwand: 60,4 Prozent (36,8 Mio. Euro). Sachaufwand: 39,6 Prozent (24,1 Mio. Euro), darunter: medizinischer Bedarf: 12.9 Prozent, Instandhaltung: 5,7 Prozent, bezogene Leistungen: 7,3 Prozent, Verwaltung: 3,5 Prozent, Energie: 1,6 Prozent, Sonstige: 8,5 Prozent.
Folgen der Planwirtschaft. »Der Arzt wird zum Techniker, der Patient zum reinen Gegenstand. Es geht um Krankheiten, nicht um Kranke.«
Ein Chefarzt in Herne aus einem Beitrag in der FASZ Nr. 18/2006, S. 73 f.
© WALTARI-Zeitung, ausgenommen die Originalzitate. Aus:www.walthari.com
Vom 8. Januar 2007
Aus dem Tollhaus planwirtschaftlicher Gesundheitspolitik
Teil 8
Von Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer
Als am 27. Januar 2004, vor drei Jahren also, diese Artikelserie begann, hielten manche der abertausend Leser das Tollhaus-Verdikt für unangemessen, ja für überzogen. Mittlerweile findet die Szenenbezeichnung allgemeine Zustimmung. Selbst die spätesten medialen Nachkömmlinge sprechen von Schlamassel und von einem absurden Polit-Theater. Sie müssen sich vorhalten lassen, daß sie die Brisanz des Parteieneingriffs in einen zentralen Bürgerbereich lange Zeit verkannt haben und auch jetzt noch den Sprengsatz unterschätzen: Mag auch die sog. (siebte) Gesundheitsreform am 1. April 2007 in Kraft treten, nachdem die CSU klein beigegeben hat – was danach kommen wird, könnte die große Koalition immer noch aushebeln. Mit Sicherheit aber erschüttert es den Parteienstaat in seinen Grundfesten. Die planwirtschaftliche Parteien-Hybris mag in der Bildungspolitik noch eine Weile ungestraft bleiben (Universitätsunruhen in einigen Jahren sind unschwer vorauszusehen), der verstaatlichte Gesundheitssektor versengt private Geldbeutel, beschneidet massiv die ärztliche Therapiefreiheit, führt über die Fondsfinanzierung zur Ressourcenvergeudung und verursacht im ganzen einen Bürokratismus in quadriertem DDR-Format.
Wer diese Beschreibung für übertrieben hält, unterschätzt erneut die sich zuspitzende Faktenlage. Wie unsäglich verwirrend sie infolge parteienstaatlicher Bürgerentmündigungen geworden ist, geht aus einem aktuellen Wissenschaftsversagen hervor. Gleich drei Gutachten machen Aussagen über die Umverteilungseffekte durch den Gesundheitsfonds, der 2009 eingeführt werden soll. Jedesmal kommen die Gutachter zu anderen Ergebnissen, weil nämlich niemand wissen (vorausberechnen) kann, wie sich das planwirtschaftliche Machwerk auf das Versicherten-, Versicherer- und Ärzteverhalten auswirken wird. Ab 2009 wird zudem der Risikostrukturausgleich neu geregelt: Für 50 bis 80 Krankheiten gibt es bei den Kassen zusätzliche Unterstützungsgelder – lauter offene Variablen, die eine seriöse Finanzprognose nicht erlauben.
Gefochten wird also mit dubiosen Expertisen, mit denen sich die Gesundheitsökonomen selbst doppelt blamieren: weil ihr Zahlenwerk auf ungewissen Annahmen beruht und weil sie sich in den Dienst einer Parteienschlacht stellen lassen, die den Bürger zum Narren hält.
Wie raffiniert eine Bürgerentmündigung parteienstaatlich ablaufen kann, wird an dem geplanten Schicksal der Privatversicherten deutlich. Private Krankenkassen sollen gezwungen werden, einen Basistarif ohne Risikoprüfung einzuführen, der nicht höher sein darf als der Höchstbetrag in der gesetzlichen Krankenversicherung. Neuzugänger in den Basistarif werden nach aller Voraussicht erhöhte Krankheitsrisiken als die üblichen Privatversicherten einbringen, was dazu zwingen wird, die Privattarife ausgleichsbedingt zu erhöhen, und zwar bis 2018 um etwa ein Drittel. Damit würden die privaten Versicherungen aber vom Markt gedrängt, zumal auch Privatversicherte im Alter vermehrt in den Basistarif wechseln können, um der Schröpfung zu entgehen. Diese Markt- und Freiheitsbereinigung ist offensichtlich das Ziel des großkoalitionären Sozialismus, der den Gesundheitssektor noch mehr in den Ruin und vermutlich bald in ein breites öffentliches Aufbegehren führen wird.
Denn nicht nur die Ärzteschaft übt den Aufstand mit Protesten, Praxisschließungen usw. Auch die Spitzenverbände der privaten und auch gesetzlichen Krankenkassen fordern die Politiker auf, die »Notbremse zu ziehen«, d.h. die siebte Gesundheitsreform ganz abzublasen. Man muß sich den planwirtschaftlichen Wahn klarmachen: Künftig sollen nicht nur 92, sondern 100 Prozent der Beiträge umverteilt und mit hochbürokratischem (sozialistischem)Aufwand verteilt werden. Was bevorsteht, ist außerdem ein Kampf um die Verteilungskriterien, von Länderrivalitäten ganz abgesehen. »Reform im Blindflug« titelte die FTD vom 19. Dez. 2006 (S. 10), »bürokratisches Monster« nennt es der Spiegel (Nr. 38/06, S. 32). Die ›Freie Ärzteschaft e.V.‹ rief zu Aktionen unter dem Motto auf: »Deutschland trauert um die Gesundheitsversorgung«. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) sieht den Basistarif im Widerspruch zum Europarecht. Das Kartellamt befürchtet weniger statt mehr Wettbewerb. Parteipolitisch nicht liebdienernde Ökonomen lehnen ganz überwiegend den »Systemwechsel« ab, weil Marktmechanismen außer Kraft gesetzt werden. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG hat errechnet, daß die schon derzeit den Ärzten aufgezwungene Bürokratie 1,6 Milliarden Euro kostet. Eine süddeutsche KV will »notfalls in den Krieg ziehen« – von all diesen und unzähligen anderen Warnsignalen und vom Proteststurm lassen sich parlamentarische Planwirtschaftler auch in demokratischen Parteiengewändern nicht beeindrucken. Ihre mit vielen politischen Wassern (auch ehemals kommunistischen) gewaschene Anführerin erlaubt sich gegenüber ärztlichen Ehrenämtlern sogar den Anwurf »Geiselhaft«, den der Bundesvorsitzende des Virchow-Bundes, Klaus Bittmann, als Vergleich mit Schwerkriminellen zurückwies. Sämtliche Handtücher zwischen den Beteiligten sind zerschnitten, was den umtriebigen Bert Rürup allerdings nicht stört, der eines der oben genannten Gutachten erstellt hat und als Wissenschaftler im Politbetrieb kräftig mitmischt (»Rürup warnt Bayern…«, FTD, v. 5. Jan. 07, S. 11). Wunderte sich die FAZ in ihrem politischen Leitartikel vom 2. Aug. 06 zu Unrecht, »wie unter einer CDU-geführten Regierung der Staatseinfluß auf das Gesundheitssystem ausgedehnt« werden konnte.
In ihrem Gelöbnis bekennen sich die Ärzte zu dem Satz: »Ich werde meinen Beruf mit Gewissenhaftigkeit und Würde ausüben.« Genau dieses berufsethische Bekenntnis, das auf Hippokrates zurückgeht, also ein wenig älter ist als die Bekenntnisse sozialistischer Wohlfahrtsstaatler, nimmt ihnen die Mehrheit der Politiker nicht mehr ab. Es steht zu vermuten, daß sich manche Abgeordnete ihr Arztbild aus der Trivialliteratur oder aus Seifenoperstreifen im Fernsehen verschafft haben. Eine Untersuchung dieser Vorlagen war schon 1982 zu dem Ergebnis gekommen (DÄ, Heft 18/82, S. 88 ff.), daß ein ärztlicher Einheitstyp favorisiert wird, der mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat: smarte Typen mit doppelsinnig goldenen Händchen. Hat die Gesundheitsministerin, statt in einer ärztlichen Praxis mal einen Monat zu volontieren, vielleicht lieber Trivialromane gelesen, insgeheim, versteht sich? © WALTARI-Zeitung, Aus: www.walthari.com
Vom 19. November 2005
Aus dem Tollhaus planwirtschaftlicher Gesundheitspolitik
Teil 4
Von Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer
»Verdächtig und im höchsten Maße zur Vorsicht mahnend ist der immer größere Einfluß, den der Staat auf den Gesundheitsbetrieb zu nehmen beginnt, meist unter sozialen Vorwänden. Dazu kommt, daß infolge weitgehender Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht bei allen Konsultationen Mißtrauen zu empfehlen ist. Man weiß doch nie, in welche Statistik man eingetragen wird, und zwar nicht nur bei den Medizinalstellen. All diese Heilbetriebe mit angestellten und schlecht bezahlten Ärzten, deren Kuren durch die Bürokratie überwacht werden, sind verdächtig und können sich über Nacht beängstigend verwandeln, nicht nur im Kriegsfalle. Daß dann die musterhaft geführten Kartotheken wieder die Unterlagen liefern, auf Grund deren man interniert, kastriert oder liquidiert werden kann, ist zum mindesten nicht unmöglich.«
Diese schwarzen Visionen hatte Ernst Jünger im Jahre 1951 (in: ›Der Waldgang‹, S. 69). Drei seiner vier Befürchtungen sind mittlerweile eingetreten (planwirtschaftliche Staatsmedizin, Ruin des ärztlichen Ethos und bürokratische Totalerfassung). Da niemand vor einem halben Jahrhundert geglaubt hätte, daß auch nur die harmloseste der schwarzen Visionen irgendwann Wirklichkeit würde (bürokratische Totalerfassung), lehrt die Schlußprophetie das Fürchten.
Der Hippokratische Eid (modern: das Gelöbnis laut ärztlicher Berufsordnung) billigt den Ärzten zu, ihren »Beruf mit Gewissenhaftigkeit und Würde auszuüben«. Von Würde kann angesichts der eingetretenen Lage keine Rede mehr sein. Immer mehr Mediziner verlassen ihre innere Emigration, wandern aus oder entschließen sich zu lauten öffentlichen Protesten – schrille Alarmsignale aus einem Berufsstand, der zu den angesehensten und ältesten der Menschheit zählt und der sich staatssozialistisch so niedergeknüppelt fühlt, als lebte er in diktatorischen Zeiten. Was ist geschehen? Hier nur wenige Schlaglichter.
7.000 (siebentausend) neue (!) Einzelbestimmungen prägen den Arztalltag. Allein die Fülle und die Veränderungsgeschwindigkeit überfordern Praxen und Krankenhäuser. Die GOÄ besteht aus 2.500 Einzelbestimmungen.
Der Verwaltungsaufwand infolge übertriebener Dokumentierungen, statistischer Erhebungen usw. hat (1) die Arbeitszeiten in unerträgliche Höhe getrieben, (2) auf Kosten der eigentlichen medizinischen Tätigkeiten und (3) der persönliche Fortbildung. Die Bewältigung der fachlichen Informationsflut (in Fachzeitschriften usw.) muß zurückstehen gegenüber einer aufgezwungenen Bürokratie. Stationsärzte sitzen vier bis fünf Stunden täglich am Rechner.
Medizinische Praxen sehen sich als Umverteilungsagenten mißbraucht (Praxisgebühr, Integrierte Versorgung u.v.a.). Als das Sozialgericht Düsseldorf im März 2005 entschied, daß Mahn-, Port-, Anwalts- und Gerichtsgebühren, die bei Klagen gegen säumige Zahler der Praxisgebühr dem Schuldner nicht aufgebürdet werden dürfen (Az.: S 34 KR 269/2004), schwand das Rechtsvertrauen eines ganzen Berufsstandes.
Praktizierende Ärzte empfinden die Kassenärztlichen Vereinigungen vielfach nicht als ihre Interessenvertretung. Der Vertrauensverlust geht nicht allein auf die bekannten Skandale um die Funktionärsvergütungen zurück (vgl. beispielhaft HB Nr. 48/05, S. 5), es liegt auch an der etatistischen Verfassung der KVen. Man lese dazu § 2, Ziffern 8.1 bis 14 der ›Vorläufigen Satzung der KV BWB‹.
Das neu gestaltete Honorierungssystem führt zu dramatischen Einnahmeneinbrüchen (zwischen 10 und 20 Prozent). Die GOÄ bildet die Behandlungsrealität so wenig ab wie das komplizierte Punktesystem. Planwirtschaft pur.
Freiheit und Ethos der Ärzte sind der »Entprofessionalisierung ärztlicher Berufsausübung« (Deutsches Ärzteblatt Nr. 20/04, S. A 1409 ff.) zum Opfer gefallen. Die Folgen: zunehmender Ärztemangel infolge von Auswanderungen, Wechsel zur Pharmaindustrie usw. »Wir wollen keine moderne Sklaven eines maroden und diktatorischen Systems sein.« Nach einer Umfrage der ›Ärztezeitung‹ würden rund 40 Prozent der Mediziner diesen Beruf nicht mehr wählen. Verharmlosend sprechen Gesundheitspolitiker von einer ›Versorgungslücke‹, wo doch in Wahrheit dramatische Notstände ins Haus stehen: Immer mehr regionale und kommunale Krankenhäuser werden aus wirtschaftlichen Gründen schließen (Prognose von ›Ernst & Young‹), wodurch die Risiken bei der Notfallversorgung steigen werden.
Als ob nicht schon genug Unheil angerichtet worden wäre, will die alte und neue Gesundheitsministerin die ärztlichen Honorarsätze planieren: Gesetzliche und private Patienten sollen »gleichgestellt« werden, ein klassischer Fall sozialistischer Vernebelung mit der Wortkeule ›Gleichstellung‹. Abgesehen von dem massiven Eingriff in die Vertragsfreiheit Privater, verkennt die SPD-Dame die Kostenausgleichsrealität insbesondere bei Zahnärzten. Der Verband der privaten Krankenversicherung versteht die Pläne denn auch als Verstaatlichungsmaßnahme – eine reichlich späte Einsicht. Und noch ein Keulenschlag gegen den Wettbewerb ist zu erwarten: Die gesetzlichen Krankenkassen (derzeit etwa 260) sollen auf »30 bis 50« reduziert werden. Staatliche Kontrollen sind dann noch leichter möglich. Ursula Lehr meinte einmal: »Der alte Arzt spricht lateinisch, der junge Arzt englisch. Der gute Arzt spricht die Sprache des Patienten«. Man könnte ergänzen: der planwirtschaftlich geknebelte Arzt hat vor Schreck die Sprache verloren.
© WALTARI-Zeitung, Aus: www.walthari.com
Vom 8. Oktober 2006
Aus dem Tollhaus planwirtschaftlicher Gesundheitspolitik
Teil 7
Von Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer
Am 5. Oktober 2006 ›einigten‹ sich die Parteien der sog. Großen Koalition (CDU, SPD, CSU) auf eine Reform des Gesundheitswesens. Es handelt sich um die sechste Reform innerhalb weniger Jahre – schon dies ein Indiz für die vermutlich geringe Haltbarkeit des vorläufig letzten Verzweiflungsschritts, mit dem der Parteienstaat infolge seines bürgerfernen Reformeifers das wichtigste Basiselement der Demokratie Stück für Stück aus dem Weg räumt: Politikvertrauen. Wer daran immer noch zweifelt, schaue sich die sinkenden Wahlbeteiligungen an, die auf kommunaler Ebene bereits unter die Fünfzig-Prozent-Marke sinken und auf Länderebene nur knapp darüber liegen. Die Ernte fahren links- und rechtsextreme Volksverführer ein.
Diese ›Gesundheitsreform‹ wird dem Zersetzungsprozeß einen gewaltigen Schub verleihen, denn sie trifft den Bürger in einem seiner sechs Lebenszentren schwer und hat daher Auswirkungen auf die allgemeine Politikakzeptanz. Endlich läuten die Alarmglocken nicht nur in den betreffenden Verbänden, sondern auch in den Medien: Was bei dem »Koalitionsgewürge« herausgekommen sei, »könnte… in den Bereich des ordnungspolitischen Vandalismus vorstoßen« (FAZ Nr. 232/06, S. 13). Kann man vernichtender urteilen? Die Parteien als Vandalen im demokratischen Gemeinwesen, so legt es der Artikel nahe, der mit »Zerstörung« überschrieben ist und der den Reformern »Doktrinen des Gesundheitssozialismus« und »Praktiken der Staatsmedizin« vorhält.
Die Gründe für das verheerende Verdikt auch in anderen Medien müssen hier nicht im einzelnen dargelegt werden, täglich werden sie medienbreit serviert. Erinnert sei lediglich an den Kern des Grundübels: Der Staat will das Gut Gesundheit vollkommen in seine planwirtschaftliche Regie nehmen und damit die persönliche und privatversicherte Gesundheitsvorsorge verabschieden. Die Gesundheitssozialisten in allen Parteien halten die Bürger, die Ärzte und Privatkrankenkassen für unfähig, mit dem Gut Gesundheit selbstverantwortlich umzugehen. Daher überziehen sie die Ärzteschaft mit einer Normbürokratie nach sozialistischen Planmustern und drücken die Bürger nach und nach in eine Zwangsversicherung, die Wettbewerb nur scheinbar zuläßt. Wie raffiniert die Politik vorgeht, um die schleichende Sozialisierung nicht erkennbar zu machen, geht aus folgenden neuen Reformstücken hervor: Privaten Krankenkassen wird ein ›Basispaket‹ wie den gesetzlichen Kassen auferlegt, ohne für dieses Paket eine risikoadäquate Versicherungsprämie ansetzen zu dürfen; im Fall einer Unterfinanzierung müssen dann Tarifversicherte mit höheren Leistungen herangezogen werden – eine erzwungene Umverteilung innerhalb der Privatkassen. Schon dieser Eingriff ist Sozialismus pur: Was kümmert es den Staat, wie und mit wem ein Bürger eine Krankenversicherung abschießt?
Es kommt aber noch schlimmer: Übersteigen die Kosten dennoch die Leistungen, können die privaten Versicherungen nicht, wie die gesetzlichen Kassen, auf staatliche Zuschüsse hoffen. Die Folgen sind gewollt: Das angesammelte Versicherungskapital der Privaten wird ausgezehrt, die privaten Kassen werden aufgeben müssen – exakt das Ziel des planwirtschaftlichen Großprojekts, dessen Ausmaß an zwei Zahlen ablesbar ist: Es geht um die Altersrückstellungen der privaten Krankenversicherer in Höhe von 103 Milliarden Euro (2005), die von 8,4 Millionen Vollversicherten angespart wurden. An dieses Geld wollen die Gesundheitspolitiker der SPD und Union ran, und zwar über den Weg einer Kapitalauszehrung der Privaten bei gleichzeitigem Zwang, deren Tarife so stark erhöhen zu müssen, daß sie mit der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr konkurrieren können.
Was die schwarz-rote Regierungskoalition vorhat, ist ein Akt des Eingriffs in privat angesammeltes Vermögen in einem Ausmaß, das an die schlimmsten Zwangsmaßnahmen in der Geschichte erinnert. Der Präsident des Berliner Verfassungsgerichts, Helge Sodan, bezweifelte denn auch die Verfassungsmäßigkeit der ›Reform‹ und ermuntert damit die privaten Kassen indirekt zur Klageerhebung. Die Richter in Karlsruhe könnten das zur Maske erstarrte Dauerlächeln, mit dem sich die Gesundheitsministerin und die Kanzlerin auf der Medienbühne bewegen, in nachdenkliche Gesichtsausdrücke umwandeln. Es steht nämlich viel mehr auf dem Spiel als der Gesundheitsfonds, der Basistarif und all die anderen planwirtschaftlichen Instrumente.
Wie irreparabel das Tischtuch zerschnitten ist, mag folgende Aussage eines Vorstandmitglieds der Freien Ärzteschaft belegen: »Doch alle Reaktionen auf die bisherigen Proteste der Mediziner haben gezeigt, dass sich der Staat von seinem Vorhaben nicht abbringen lassen will. Die ständigen Denunziationen der Ärzteschaft durch Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und die Patientenbeauftragte der Regierung machen das deutlich. Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung fungiert nur noch als verlängerter Arm der Politik und fällt uns in den Rücken… unser Staatsapparat und die Politik planen Staatsmedizin unter Zerstörung des jetzigen Systems durch Unterfinanzierung, eCard und bürokratische Gängelei. Dieser Politik geben Ärzte, Mitarbeiter und Patienten die Rote Karte!«
War es schon ein starkes Stück, daß die Koalitionäre ihre Wahlprogramme, mit denen sie die Bürger zur Stimmabgabe bewegten, kaltschnäuzig über Bord warfen, so tun sie es nun auch mit dem Versprechen im Koalitionsvertrag, eine »wettbewerbliche und freiheitliche (!) Ausrichtung des Gesundheitswesens« zu verfolgen. Man muß kein Prophet sein: Die neueste Gesundheitsreform hält so wenig wie die vorangegangenen, weil nämlich Gesundheit kein meritorisches Gut und damit nicht sozialisierbar ist. Solange der Parteienstaat versucht, diesen höchst subjektiven Wert der Selbstverantwortung, über die Stützmarke der Subsidiarität hinaus, zu entziehen, stellen sich Kostenexplosion, Bürokratie, Mitnahmeeffekte usw. kurz: sozialistische Zwangsnormen unabwendbar ein. Das Umsatteln von einer primär individuellen Sorge um die eigene Gesundheit auf kollektivistische Versorgung verläuft stets freiheits-, effizienz- und letztlich demokratiefeindlich. »Deutschland auf dem Weg zur Staatsmedizin«, überschrieb die NZZ (Nr. 181/06, S. 10) ihren Artikel beim Anblick des Tollhauses im Norden. Die FASZ (Nr. 35/06, S. 40) nannte Ulla Schmidt, ehemals »Kommunistin und Sonderschullehrerin«, eine »Volkskommissarin«, die »nur noch für den Erhalt ihrer Macht« kämpfe. Dazu wurde nach einer Schilderung von Andreas Mihn eine PR-Kampagne gestartet.
»Volkskommissarin« – wer weiß, an welches Überwachungs- und Zwangssystem im Kommunismus diese Benennung erinnert, kann nicht anders als…
© WALTARI-Zeitung, Aus:www.walthari.com
Vom 25. Oktober 2006
Skandalchronik
Stadtberliner Polit-Sexysmus
Wer den Monatsbericht der Deutschen Bundesbank (DBB) vom Juli 2006 aufmerksam studiert hatte, kannte bereits den Urteilstenor des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 19. Oktober 2006 gegen das Land Berlin. Auf der herausgehobenen Seite 48 erklärte nämlich die DBB, mit ausdrücklichem Bezug auf das BVerfG, daß es »fraglich« sei, »ob die Erhaltung einer überdurchschnittlichen Ausstattung mit öffentlichen Leistungen mit einem Anspruch auf finanziellen Beistand der bündischen Gemeinschaft im äußersten Notfall zu vereinbaren ist«. Undenkbar, daß das höchste Gericht der höchsten Währungsbehörde widersprechen würde, im Gegenteil: Der Vorsitzende Richter mokierte sich zurecht über die Hybris des Regierenden Bürgermeisters, der ewig lächelnd mit dem Werbespruch, Berlin sei zwar ›arm, aber sexy‹, einen neuen Epochentrend ausgerufen hatte: den Polit-Sexysmus, der im bunten Multikleid daherkommt und sich viel Spaß auf Kosten Dritter gönnt.
Noch zu Jahresanfang 2006 hatte Wowereit im feschen Techno-Stil den ebenso staunenden wie verärgerten Restbundesbürgern erklärt, die »Schulden (werden) durch die erfolgreiche (!) Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe deutlich reduziert« (FASZ Nr. 6/06, S. 38). Wowereit malte im Wahlkampf und in Interviews eine goldene Zukunft für die Stadt, obschon die Faktenlage verheerend ist: 60 Milliarden Schulden (1990 waren es lediglich 6,35 Milliarden); 18 Prozent Arbeitslosigkeit; jährlich Steuereinnahmen von nur acht Milliarden, denen Ausgaben von zwanzig Milliarden gegenüberstehen usw. »In Berlin gibt es mehr Transferempfänger als Steuerzahler« (HB Nr. 147/06, S. 5). Der CDU-Spitzenkandidat im Berliner Wahlkampf 2006: »Die wirtschaftliche Situation erinnert mich an den Untergang der Titanic. Es wird gefeiert, und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit rechnet damit, dass sowieso keiner mehr die Rechnung bezahlen muß« (a.a.O.). Im IW-Städteranking 2006 nimmt Berlin unter den 50 geprüften deutschen Städten den Rang 48 ein. »Die Jugendkriminalität… steigt… unter Migranten in der deutschen Hauptstadt stetig an« (NZZ Nr. 140/06, S. 4). In ungetrübter Titanic-Laune wurde in Berlin gefeiert, bis vor wenigen Tagen der bunte Schuldentanker auf verfassungsgerichtlichen Grund lief.
In der Sache haben die Karlsruher Richter nicht nur ein verantwortungsloses Haushaltsgebaren gestoppt, sie haben eine verbreitete, von den Parteien gezüchtete Bürgergesinnung abgestraft: Ein Gemeinwesen hat keine Moral und keinen Bestand, wenn es dauerhaft über seine Verhältnisse leben will, denn das gelingt nur auf Kosten anderer. Mit welch zweifelhaften Methoden die Berliner ›Lebenskünstler‹ den Stadttourismus steigern und damit die Haushaltslage verbessern wollen, hat Wowereit mehrfach vorgeführt. In einer dpa-Meldung vom 10. März 2005 war zu lesen: »Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat die Hauptstadt als attraktives Reiseziel für homosexuelle Touristen aus aller Welt angepriesen. ›Da gibt es eine Riesen-Marktlücke, die noch geschlossen werden kann‹, sagte Wowereit am Montag auf der Internationalen Tourismus-Börse (ITB). Berlin habe vor Köln oder Hamburg die größte schwul-lesbische Szene in Deutschland. Wowereit, der sich zu seiner Homosexualität bekennt, stellte gemeinsam mit der Deutschen Zentrale für Tourismus den neuen Reiseführer ›Gayfriendly Germany‹ vor, der sich vor allem an Homosexuelle in Amerika richtet.« Im August 2005 empörte sich die CDU über ein Grußwort Wowereits, das dieser für das zweite Berliner Straßenfest (›Folsom Europe‹) verfaßt und darin »von Lebensfreude pur« geschwärmt hatte.
Zu den Berliner Gesinnungsindikatoren rechnet auch die Religionszugehörigkeit: Nur vierzig Prozent der Berliner gehören einer der beiden christlichen Großkirchen an (nach Angaben der FU Berlin: ›Religion in Berlin‹, 2003). Der Berliner ›Sozialstrukturatlas 2003‹ lehrt das Fürchten so sehr wie die Bildungsstatistik für die Stadtviertel Kreuzberg, Wedding und Neukölln: Mehr als ein Drittel der Einwohner verfügt über keinen Berufsabschluß. »Beinahe jedes vierte Kind in der Metropole lebt in Armut«, weshalb Berlin die »Hauptstadt der Armen« genannt werden könne, titelte im Jahre 2002 eine ausländische Zeitung. Konrad Adam im März 2004: »Zehntausende von Berliner Kindern wachsen in Familien auf, die in der dritten Generation von Sozialhilfe leben.« Einen Monat zuvor las man in der FASZ (Nr. 9/06, S. 21): »Wowereit, warum? Tanzen gegen den Untergang… Wowereit ist nach Hamburg gefahren, um für die SPD in der schwul-lesbischen Szene zu werben.« Der ganzseitige Personality-Verriß spießte die angebliche »wirtschaftliche Bedeutung des Gay-Tourism« auf und bildete das bekannteste Berliner Männerpaar (in feinem Partyputz) großformatig ab. Die gleiche Sonntagszeitung titelte am 29. Juni 2003 (S. 16) ironisch: »Leitbild gay… Was Klaus Wowereit und die Schwulen füreinander (!) und für die Stadt tun.« Wohlverstanden: Die Zeitung stößt sich natürlich nicht an der Homosexualität des Stadtoberhauptes, wohl aber an dessen Versuch, über den Gay-Tourism die Lage der Stadt zu verbessern.
Kein Zweifel: Die Berliner Landespolitiker und ein Großteil der Stadtbevölkerung haben ein Mentalitätsproblem, das sie wirtschaftlich, sozial und nun auch rechtlich an unüberwindbare Grenzen geführt hat. Die ungeheure Wucht, mit der die Arbeitslosigkeit in die Armut und die Kriminalität in den Verruf geführt haben, ist durch das Karlsruher Urteil um einen rechtlichen ›Meteoriteneinschlag‹ ergänzt worden. Dem finanziellen und sozialen Desaster gesellt sich ein schwerwiegender Ansehensschaden bei, der einen zentralen Nerv der Bundesrepublik berührt: Dem politischen Zentrum Deutschlands kommt allmählich das Vertrauen aller Bundesbürger abhanden. »Die (un-)geliebte Hauptstadt« überschrieb Johannes Ritter seinen Leitartikel vom 29. Juli 2004. Die bankrottierende Spaßkultur der Stadt hat sich zu einem nationalen Problem ausgeweitet.
Mitursächlich dafür ist eine Gesinnungsfalle, in welche die Stadt nach Jahrzehnten der Dauerhilfeleistungen geraten ist. Seit 1945 sieht sich Berlin als hilfsbedürftiger Sonderfall. Was im Kalten Krieg das ›Notopfer Berlin‹ auf jedem Briefumschlag oder die ›Rosinenbomber‹ und die unzähligen anderen Beihilfen waren, setzte sich nach der Wiedervereinigung staatsoffiziell prunkvoll fort. Nicht wenige Menschen im deutschen Provinzgürtel von Flensburg über Pirmasens bis Regensburg, wo die finanziellen, sozialen und kulturellen Verhältnisse keineswegs rosig sind, staunen nur so über die milliardenschweren Investitionen in der Spreemetropole, die sie durchaus mitfinanzieren. Was das Faß im Lande zum Überlaufen brachte, war die Chuzpe der Berliner Subventionsmentalität, die Transferströme an die Spree zu verewigen. Wes Geistes Kinder hier am Werk sind, zeigt das Verhalten Wowereits nach der Urteilsverkündung in Karlsruhe: Nunmehr könne er frei agieren, soll er nach Pressemeldungen gesagt haben, was nicht nur der Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Bundestag als unmoralisch und erpresserisch gedeutet hat, weil Wowereit »zielgerichtet auf die Erreichung einer extremen Haushaltsnotlage hinzuarbeiten« beabsichtige.
Im Gedicht ›Berlin‹ von Gottfried Benn lassen sich zwei Zeilen polemisch statt melancholisch lesen: »Eines läßt sich nicht vertreiben: / dieser Stätte Male bleiben.« ©Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus: www.walthari.com
Vom 4. November 2006
Armut jenseits offizieller Sorge
Von Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer
Obschon rund zwei Milliarden Menschen in Armut leben, demonstrieren Superreiche ganz ungeniert ihre Schamlosigkeit:
- in Moskau, Hongkong und Oman finden im Wechsel sog. Millionärsmessen statt, wo vergoldete Handys mit Brilliantenbesatz und Geschmackskitsch zu erwerben sind.
- Während der Pferderenntage in Ascot werden 200.000 Flaschen Champagner konsumiert.
- Superreiche haben auf Luxusschiffen Eigentumswohnungen erworben (zu Preisen zwischen zwei und sieben Millionen Dollar), in denen sie ganzjährig auf den sieben Weltmeeren unterwegs sind.
- Superreiche zahlen für einen Weltraumausflug von nur wenigen Tagen über zwanzig Millionen Dollar.
Armut ist ein schambesetztes Thema, das die Medien und die Politik nur periodisch aufgreifen, um schlechte Gewissen zu beruhigen. Entgegen aller Propaganda hat die Armut weltweit zugenommen, allein in den Entwicklungsländern von 1,2 Milliarden Menschen (1998) auf 1,7 Milliarden (2005). Den wenigen Erfolgen (z.B. in Irland: Abnahme der Armutsquote zwischen 1994 und 2001 von 15,6 auf 4,9 Prozent – dank großer EU-Transfergelder!) stehen desaströse Mißerfolge in Afrika, Mittel- und Südamerika sowie Asien gegenüber. Doch dieses Phänomen wird nur dann zum öffentlichen Thema, wenn Armut in reichen Ländern sichtbar und damit zum Skandalon wird.
In Deutschland ist der Anteil der armen Bevölkerung zwischen 1991 und 2005 von 11,3 auf 13,2 Prozent angestiegen. Die Armutsentwicklung und ihre Ursachen sind keineswegs neu, und dennoch richtet sich der Wahrnehmungsscheinwerfer in der Politik und in den Medien immer nur für wenige Tage auf diesen Tatbestand und dazu meist noch mit ideologischen Scheuklappen. Obschon also nahezu jeder siebte Deutsche in Armut lebt, bestreiten führende Politiker den Klassencharakter unserer Gesellschaft und weigern sich, von Unterschicht zu reden. Als jüngst die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung einen einschlägigen Bericht veröffentlichte, gerieten links-grüne Politiker in gehörige Sprachnöte. Dabei sind hierzulande von der Armut nicht nur Arbeitslose (56,3 Prozentanteile), sondern auch Berufstätige (7,9 Prozent), Selbständige (9,6 Prozent) und Rentner (12,4 Prozent) betroffen. Als arm gilt in Deutschland, wer weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens zur Verfügung hat. Diese Armutsschwelle lag im Jahre 2003 bei 938 Euro. Wer länger als fünf Jahre unter dieser Grenze lebt, hat nur noch eine Entkommenswahrscheinlichkeit von 37,4 Prozent (Ostdeutschland) bzw. 19,6 Prozent (Westdeutschland; vgl. den Bericht Nr. 3/2003 des DIW Berlin, S. 62). Mit der Festlegung der Armutsschwelle, deren Unterschreitung durch die gesetzliche Sozialhilfe ausgeglichen wird, soll nicht allein das physische Existenzminimum gesichert werden, sondern auch sozial-kulturelle Mindeststandards, d.h. die Teilnahme am kulturellen und zwischenmenschlichen Leben in der Gesellschaft. Daraus ergeben sich Ansprüche, die den Mißbrauch nicht ausschließen, insbesondere im Bereich der einmaligen Sozialleistungen. So hat das Bundessozialgericht mit Urteil vom 29.4.1993 (Az: 5 C-49/90) die Ausrichtung von Hochzeits-, Kommunion-, Konfirmations- und Tauffeiern auf Staatskosten zugestanden, nicht jedoch Finanzansprüche zur Feier runder Geburtstage. Wie willkürlich solche Entscheidungen sind, zeigen die laufend geänderten Dotierung des Gesetzgebers und der Gerichte, die bei der Abwägung des Sozialkulturellen sichtlich überfordert sind: Wenn einer armen christlichen Familie die Kosten einer Kommunionfeier erstattet werden, dann auch den Muslimen und anderen Religionsangehörigen für deren ›lebenszentrale Rituale‹?
Wer die Indikatorenliste zur Berechnung des monatlichen Mindesteinkommens näher prüft, stößt auf Merkwürdiges: Für Schuhreparaturen sind monatlich 64 Cent vorgesehen, für Sport- und Freizeitveranstaltungen 4,63 Euro, für das Haarschneiden 9,90 Euro und für Mahlzeiten außer Haus 10,06 Euro. Noch erstaunlicher ist die 60-Prozentmarkierung entlang des gleitenden Durchschnittseinkommens. Denn wenn diese statistische Größe steigt, wird auch die Armutsschwelle automatisch angehoben, so daß (1) Armut nie verschwindet (denn sie ›läuft‹ statistisch unterschwellig immer mit) und (2) daß in sehr reichen Ländern auch als arm geführt werden müßte, wer mit einem 60-Prozenteinkommen weit oberhalb der Mindeststandards gut leben könnte (denn das Durchschnittseinkommen liegt dann sehr hoch).
Die Weltbank spricht von Armut, wenn eine Person nicht mehr als über nur einen Dollar je Tag verfügt. Danach gäbe es in Deutschland keinen einzigen Armen. Der DGB und die Caritas legten in der Vergangenheit die Armutsschwelle bei fünfzig Prozent des Durchschnittseinkommens fest und kamen daher zu einer weit höheren Armutsquote als die offizielle Statistik. Der Armutsbegriff fällt also je nach Maßstabswahl und Entwicklungsstand denkbar verschieden aus. Ein Armer in der Schweiz (immerhin leben dort mehr als eine Million) wäre für indische Verhältnisse sehr reich. Nur eine einzige Armutsdefinition ist unbestritten: Wer hungern muß, ist arm. Nach dem Kriterium der Weltbank, muß man mit einem Dollar täglich zwar nicht überall hungern, aber bitterarm sind diese Menschen trotzdem. Die Folgen für die Gesundheit, Lebenserwartung, Kinderarbeit usw. liegen auf der Hand.
Gibt es Abhilfe? Nach Ansicht der meisten professionellen Weltsanierer ist die Armut durchaus besiegbar, doch die Fakten strafen sie Lügen. Trotz aller Hilfs- und Entwicklungsprogramme seit Jahrzehnten wächst die globale Armut beständig. Die Globalisierungsgewinne haben z.B. in Indien und China eine kleine Schicht sehr reich werden lassen, aber die Lage der Masse der Bevölkerung (insbesondere außerhalb der Städte) nicht aus dem Elend geführt. Kenner vor Ort bezeichnen Erfolgsmeldungen als zynische Propaganda, um Transferströme aus dem Westen weiter fließen zu lassen. Wer mit wachen Augen diese Länder bereist, muß sich eingestehen: Gegen die Massenarmut in den meisten Entwicklungs- und Schwellenländern scheint kein Kraut gewachsen. Selbst Brasilien und die meisten anderen Schwellenländer konnten sich bisher aus dem Armutssumpf nicht befreien.
Wie steht es mit der Armutsbekämpfung bei uns? Man muß sich nicht erst für eine der statistischen Armutsschwellen entscheiden, um wachsende Unterschichtsignale zu erkennen. Ein Gang durch Städte und halbverlassene Dörfer genügt. Das Bettelwesen nimmt ebenso zu wie die Zahl der verarmten Haushalte. Statt Parteiprogramme sollte man lieber Arbeitslosen- und Kriminalstatistiken lesen. 59 Prozent der Arbeitenden sorgen dennoch nicht genug für ihr Alter vor (Quelle: Deutsches Institut für Altersvorsorge). Neben der kommenden größeren Altersarmut ist eine relativ steigende Kinderarmut auch in Deutschland zu erwarten. Es tröstet wenig, daß die Armutsquote in Portugal bei 21 und in Italien bei 19 Prozent liegt, also weit höher als hierzulande.
Nochmals: Gibt es wirklich keine Abhilfe? Global gesehen bleibt Armutsbekämpfung auf absehbare Zeit eine der Großillusionen (vgl. deren Auflistung in diesem WALTHARI-Portal). Zwar ist der Hochschullehrer in Indien, der eine Bank gegründet hat, um Kleinkredite an Frauen zu vergeben, der wahre Entwicklungshelfer, doch solche Lichtblicke bleiben marginal.
Was nachhaltig einzig helfen könnte, wären solidarische Maßnahmen der jeweiligen Gesellschaften. Staatliche und globale Entwicklungsprogramme bleiben nämlich weitgehend folgenlos. Wenn es anders wäre, müßten die bisherigen aberhundert Milliarden Hilfsgelder die Armut in der Welt wenigstens gebremst haben. Auch in entwickelten Ländern liegt der Schlüssel nicht beim Staat, sondern im gesellschaftlichen Engagement. Wie aber steht es damit? Was in Indien die Kastenoberen und in Brasilien die Großgrundbesitzer, sind in Europa unsolidarische, mittelschichtgeprägte Gesellschaften. In Jaipur beobachtete ich Hindugranden, die ihre Bediensteten wie Sklaven (Unberührbare eben) behandelten. Zyniker empfehlen als Hilfsmaßnahme den Slam-Tourismus. Was die bedrohte Tierwelt in Afrika retten könne, nämlich Reichen-Safaris, wird wohl auch Favela-Bewohnern helfen. © WALTHARI® – Aus: www.walthari.com
Vom 30. Oktober 2006
Die USA im Zentrum der globalen Feindbildpolitik
Von Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer
Kontinente verschieben sich nicht nur erdgeschichtlich, sondern auch gesellschaftlich. Einen solchen Fall sozialer Schollenbewegung kann man derzeit um das Zentrum der einzigen Weltmacht beobachten. Die Sattelzeit (Karl Jaspers) begann 1989 und wird, glaubt man manchen Prognosen, noch vor der Mitte des 21. Jahrhunderts zuende gehen: mit China und Indien als Wirtschaftskonkurrenten und mit der ›islamischen Welt‹ als ideologische Vormacht und Unruhekulisse. Rußland und das zwangsvereinte Europa (die Deutschen und andere Völker durften nicht abstimmen) werden hinterherdümpeln, weil ihre interne Zerrissenheit keinen durchsetzungsfähigen Identitätswillen zuläßt. So zeichnet sich das wahrscheinliche Szenario ab, gestützt auf Her- und Hinleitungen, wie es die Fakten nahelegen.
In diesem Prozeßgeflecht nehmen die USA eine Schlüsselrolle ein: Noch sind sie die stärkste Wirtschafts- und Militärmacht der Welt, noch vereinen sie die größten geistigen Potenzen (vgl. die Nobelpreise; Wissenschaftler aus aller Welt werden magisch angezogen), noch dominiert ein religiös und patriotisch stark unterfüttertes Sendungs- und Beherrschungsbewußtsein. Doch in diesem machtvollen Gebilde werden so bedrohliche Risse erkennbar, daß immer mehr Vergleiche zu historisch untergegangenen Weltreichen gezogen werden. Die Indizien für Macht- und Identitätsverluste häufen sich seit dem Irakabenteuer dramatisch, und zwar sowohl an der gesellschaftlichen Basis (Umfragergebnisse) als auch bei Eliten (Absetzbewegungen) und an der politischen Spitze (Legitimationsstreit). Wo immer US-Amerikaner in der Welt auftauchen, stoßen sie nicht mehr allein auf Skepsis und Ablehnung; seit dem Irakkrieg müssen reisende US-Bürger immer häufiger um ihr Leben fürchten, nicht allein in islamischen Ländern. Es ist diese gestiegene Ablehnungs- und Terrorgefahr, die intern und extern am gesellschaftlichen Bewußtsein nagt und Eliten zum Mimikryverhalten verleitet: War man im 20. Jh. allerorten stolz, Amerikaner zu sein, so wagen sich US-Reisegesellschaften in immer weniger Länder und geben sich US-Eliten (Journalisten, Literaten u.a.) im Ausland vermehrt z.B. als Skandinavier aus.
Antiamerikanismus ist weltweit wohlfeil, an Stammtischen, in den Medien und unter Eliten. Wer sich profilieren möchte, übertönt den Millionenchor der Kritiker und vergißt dabei häufig zu differenzieren. Er bedenkt auch in aller Regel nicht, was der Weltmachtverlust Amerikas bedeuten würde. Davor habe ich 2004 in zwei Buchbesprechungen gewarnt:
»Amerika muß gegenwärtig für alles herhalten, was weltweit schiefläuft: für die Globalisierungsschäden, den Terrorismus, die Weltkonjunktur, den Militarismus usw. Daß die Amerikanisierung der Lebensstile einschließlich der Sprache auf Abwehrreflexe stößt, ist mehr als verständlich und keineswegs eine Spielart des Antiamerikanismus’. Zurecht setzt der Autor tiefer an, nämlich mentalitätsgeschichtlich. An ›den Staaten‹ als Prototyp der Moderne reibt sich antiwestliches und technikfeindliches Denken ebenso wie die Varianten des Antikapitalismus und des Anti-Globalismus’. Es waren die USA als Hauptakteure, die in Deutschland die entscheidenden Brüche verursacht haben: vom Kaiserreich zur Republik, vom Faschismus zur Demokratie, vom ›Sonderweg‹ zum Teilnehmer an der Völkergemeinschaft, vom strengen Bündnisdenken zu kritischer Loyalität (Irak). Dennoch erscheint es nicht gerechtfertigt, die gebrochene deutsche Identität dominant aus den Erfahrungen mit Amerika herzuleiten. Damit blendete man eine über tausendjährige Vorgeschichte aus, die ebenfalls voller Brüche war, stärkeren noch (Luther, Dreißigjähriger Krieg, Napoleon) als in der Moderne. Die bis heute anhaltende Modernitäts- und Identitätskrise hat tiefe historische Wurzeln und ein unpolitisches Bürgertum zum Ergebnis, das seine Defizite an politischer Kultur auf Feindbilder projiziert, anstatt in verantwortungsethischer Nüchternheit die Dinge selber zu richten« (Rezension von: Christian Schwaabe: ›Antiamerikanismus – Wandlungen eines Feindbildes‹, in: WALTHARI-Portal vom 15.Juni 2004).
Auch das ›USA-Schwarzbuch‹ des amerikanischen Journalisten P. Scowen hat mich nur in Teilen überzeugend:
»Kein Zweifel, die herrschende Klasse der amerikanischen Politik, Medien- und Wirtschaftswelt droht in imperiale Überheblichkeiten abzugleiten und damit nicht allein ihre eigene Glaubwürdigkeit zu verlieren, sondern den demokratischen Westen insgesamt auf’s Spiel zu setzen. Dafür liefert Scowen überzeugende Beispiele (Sprach-, Dollar-, Film-, Kitschimperialismus usw.). Ob sich die Von-Gottes-Gnaden-Denk- und Handlungsweise und die eingefleischte Schwarz-Weiß-Sicht der USA institutionell (UN, Internationaler Gerichtshof u.a.) und/oder vertraglich (NATO, Kyoto u.a.) zähmen läßt, ist mittlerweile eine Überlebensfrage für die aufgeklärte Weltgemeinschaft geworden. Ohne die Weltmacht USA wäre der Globus allerdings noch mehr mit Kriegen überzogen, als er schon ist. Es käme darauf an, eine Vorbildfunktion zurückzugewinnen, die durch Taten überzeugt. Doch allein schon die einseitige Palästinahaltung, der Scowen übrigens kein spezielles Kapitel widmet, versperrt diese Führungsrolle« (Rezension im WALTHARI -Portal vom 11. Mai 2004).
Inzwischen ist nicht allein die alltägliche Ablehnungswelle tsunamihaft gestiegen, auch die Kritik in den Medien, Wissenschaften und aus regierungsamtlichen Verlautbarungen hat eine unübersehbare Text- und Bilderwelle erzeugt, die den nüchternen Beobachter erstaunt. Die Spannweite reicht von blindwütigem Antiamerikanismus bis zur gehaltvollen Sachkritik, die freilich in der Minderheit ist. Die Frage ist, ob die gesellschaftlichen, medialen und politischen Mechanismen der USA lernfähig genug sind, um unbestreitbare Fehlentwicklungen abzustellen. An Erkenntnissen darüber mangelt es nicht. In- und ausländische Analysen legen zuhauf entscheidungsreifes Material vor für einen Wandel (1) des gesellschaftlichen Verhaltens, (2) der überzogenen Mythen und (3) mancher institutioneller Systemteile, die reformbedürftig sind.
Zu 1: Amerika ist nicht mehr das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Harte Grenzen setzen allein schon Umwelt- und Energie-Engpässe. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft bedrohlich auseinander. Ein beängstigend hoher Teil der Privathaushalte ist überschuldet. Wenn Top-Manager 42-mal mehr verdienen als der Durchschnittshaushalt, ist diese Schieflage auch in einem neidlosen Land auf Dauer nicht zu ertragen. Energiesparen und Umweltbewußtsein sind extrem unterentwickelt.
Zu 2: Der helle amerikanische Traum vom Aufstieg durch Tüchtigkeit (Tellerwäscherkarriere), von friedlicher Multikulturalität, von innergesellschaftlicher Solidarität und von Rechtsvorbildhaftigkeit, kurz: von bürgerlichen Optimalverhältnissen hat sich verdunkelt, nicht nur an den Rändern des Traumlandes. Fassungslos blickt man auf die Rechtsunkultur um Guantanamo und die Geheimgefängnisse, um die Sammelklagen und die Entschädigungshybris. Aber nicht nur Selbstzerstörungskräfte nagen an der Großmachtstellung, ebenso statuserschütternd sind verhängnisvolle Illusionen im Missionsmythos: Zum amerikanischen Traum gehört es, Freiheit, Demokratie und Wohlstand in allen Weltgegenden verbreiten zu können. Die globale militärische Präsenz und Eingriffslust hat auch darin (neben wirtschaftlichen und machtpolitischen Interessen) ihre Ursache. Doch dieser Missionseifer wird vielfach auf grausame Weise enttäuscht und als oktroyierte Pax americana empfunden: Keines der islamischen Länder und nur ganz wenige der nichtislamischen Schwellen- und Entwicklungsländer haben sich der Demokratie geöffnet. Am gescheiterten Missionsglaube offenbart sich ein typischer ›Traum‹-Defekt der USA: Naivität. Seit ihrer Gründung sind ihre Bürger gewohnt anzunehmen, daß alles, was möglich ist, auch machbar sein muß. Diese Herstellungsnaivität unterschätzt die Sperren aus kulturellen Unterschieden. Vermutlich liegt in dieser Möglichkeitsverschätzung das Zentrum der Selbstgefährdung, deren wirtschaftliche, militärische und zivilisatorische Manifestationen immer aufs neue in Erstaunen versetzen. Man vergißt dabei, daß das weltpolitisch so erfolgreiche Abendland seine historisch tiefen, von Skepsis durchtränkten Erfahrungen nur spärlich ›über den Teich‹ transportieren konnte. Die USA sind ein Land des ungetrübten Aufklärungsoptimismus geblieben. Doch dem 18. Jahrhundert Europas, die eigentliche mentale Geburtsepoche der ›Neuen Welt‹, gingen mehr als zwei Jahrtausende historischer Erfahrungen in Europa voraus und es folgten zwei katastrophische Jahrhunderte des Nationalismus, Kommunismus und Faschismus. Im 19. Jahrhundert blieben die USA bloßer Zuschauer. In die ›Händel‹ des letzten Jahrhunderts mischten sie sich ein, ohne von den grausamen Folgen hart betroffen worden zu sein. Die Erfahrungsskepsis daraus war nicht groß genug, um den amerikanischen Traum auszunüchtern.
Zu 3: Teile des politischen Systems sind in der Tat reformbedürftig. Zwei Beispiele unter vielen: Das prädominante Präsidialsystem dient zwar dem Zusammenhalt dieses großen Landes, der Durchstieg steht aber nur solchen Kandidaten offen, die auf beträchtliche Ressourcen zurückgreifen können. Das gilt auch für Senatoren und Abgeordnete. Befremden löst auch die Justiz aus, deren Urteilsmaßstäbe zuweilen himmelweit von internationalen Standards entfernt sind. Man denke an die Entschädigungspraxis oder an die Legitimation von Todesurteilen.
Diese und weitere Tatbestände liefern den Stoff für den blühenden Antiamerikanismus. Bei aller berechtigter Kritik: Zwar wird eine Weltordnung nach dem Muster einer Pax americana eine Illusion bleiben, aber ohne die Vor- und Drohmacht der USA gäbe es noch mehr Kriege und Anarchie; der relative Wohlstand und die bisher lange Friedensperiode in Europa wären ohne die Schutzfunktion der Amerikaner nicht fortzusetzen. Der ›alte Kontinent‹ verliert sich selbstveressen in Sozialträumen auf Kosten seiner Wehrhaftigkeit im Mentalen und Militärischen (vgl. dazu WALTHARI-Heft 47). Man stelle sich nur für Augenblicke vor, es hinge vornehmlich von China oder der islamischen Welt ab, wie Freiheits- und Menschenrechtsbedrohungen auf der internationalen Bühne behandelt würden. Ein Blick auf die Weltkarte ernüchtert: Nach einer Untersuchung der Stiftung ›Freedom House‹ sind 56 Staaten als halbfrei, 51 als unfrei und 89 als frei einzustufen, wobei eher nachsichtig geurteilt wurde (Venezuela z.B. ist eher unfrei als halbfrei). Keine Militärmacht, keine noch so große Entwicklungshilfe, keine Menschenrechtscharta und erst recht kein internationales Regelwerk der Ökonomie (WTO u.a.) und des Rechts, nicht einmal die UNO werden in der Lage sein, diese erdrückende Last an Halb- und Unfreiheit aus der Welt zu schaffen. Das belegen alle gescheiterten Versuche seit 1945.
Sind die USA lernfähig genug, um ihre internen Defizite und die illusionäre Hoffnung auf eine globale Demokratisierung zu erkennen? Nichts Geringeres nämlich als schonungslose Nüchternheit und ein Strategiewechsel wären angesagt. Dabei erschweren Antiamerikanismen den Umdenkungsprozeß. Was not tut, ist faire Kritik von außen, die wirkungsvoller wäre, würde das wehrmüde Europa bei sich selber zur politischen und gesellschaftlichen Inventur bereit sein. Die blinde Wut, mit welcher der englische Literaturnobelpreisträger Harold Pinter im Jahre 2005 auf die »Massenmörder und Kriegsverbrecher« in Washington eindrosch, war seinem Bekannterwerden hilfreicher als einer amerikanischen Selbstprüfung.
© WALTHARI® – Aus: www.walthari.com
Vom 7. September 2005
Die vierzig Hauptsünden des Parteienkartells
Schluß
39. Kriminalität und steigende Verarmung: Ein Blick auf die jährlichen Kriminalitätsstatistiken schreckt die Öffentlichkeit kaum noch auf, vielmehr werden schon leicht sinkende Verbrechenszahlen von den Parteien eifrig benutzt, um den Gesamtzustand der Verbrechenslage zu verharmlosen. Wie sehr die hohe Kriminalitätsrate fast schon als Normalität angesehen wird, belegen die Nebenbei-Erwähnungen in den Medien, wenn der Innenminister die Verbrechensstatistiken präsentiert hat. Politisch ausgeschlachtet wird dagegen die steigende Armut in Deutschland, welche die etablierten Parteien wesentlich mitzuverantworten haben, bedingt durch ihre falsche Wirtschafts- und Bildungspolitik. Kriminalität und Verarmung: sie waren über lange Zeit die Hauptsignaturen nur für Schwellen- und Entwicklungsländer. Jetzt beginnen sie auch in Deutschland das gesellschaftliche Fundament von den Rändern her zu zernagen.
40. Wachsende Bürgerüberwachung und wuchernde Bürokratie: Schweizer Beobachter freuten sich insgeheim über die faktische Beseitigung des Bankgeheimnisses in Deutschland – leicht zu erraten, warum. Verwunderlicher war, daß sich der gläserne Bürger zu keinerlei Protesten bereitfand. Erklärbar ist die widerstandslose Hinnahme nur mit einer tiefen Resignation, welche die deutsche Gesellschaft erfaßt hat. Weil unter dem Druck des Terrorismus vermutlich bald auch hierzulande ›englische Verhältnisse‹ einkehren werden (auf der Insel sind unzählige Überwachungskameras an öffentlichen Plätzen, in U-Bahnen, Flughäfen usw. installiert), gerät die Balance zwischen Freiheit (darunter auch der Schutz vor ›finanzpolizeilichen‹ Jederzeit-Zugriffen auf privat Vermögensverhältnisse) und Sicherheit noch mehr aus den Fugen. Die Ausweitung des Überwachungsstaates könnte sich in Zukunft als die Generalsünde der politischen Klasse erweisen, die, weil zunehmend verunsichert und volksfern (vgl. die Hauptsünden 1, 3 u.a.), mithilfe einer bürokratischen Datensammelwut sich leichter ins Bild über den gesellschaftlichen Zustand glaubt setzen zu können. Wer aber kann schon garantieren, daß über sicherhheitsnotwendige Datenerfassungen nicht auch andere Informationen eingesammelt werden? Die permanenten Warnrufe der Datenschutzbeauftragten verhallen zumeist fruchtlos. Welcher Bürger weiß schon, was alles irgendwo über ihn zusammengetragen wurde – bei Banken und Auskunfteien, bei Versicherungen und Sozialkassen, in Pressearchiven und vielleicht auch in geheimdienstlichen Dossiers usw.? Zugriffe auf sensible Persönlichkeitsdaten verleihen beträchtliche Macht – von einer gezielten Daten-Ausstreuung zur Minderung von Karrieren und Kreditwürdigkeiten bis hin zur öffentlichen ›Hinrichtung‹ durch Medienberichte. Verantwortlich für überwachungsstaatliche Bürgereinschränkungen ist der Gesetzgebern, der voll in den Händen der etablierten Parteien ist.
©Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer – Aus: www.walthari.com
Vertiefende Literatur: Das veruntreute Land. Wohin driftet Deutschland,
>> Buchbestellung
2. Auflage, Münchweiler 1998, weitere bibliographische Angaben dazu in: www.walthari.com
31. August 2002 ff.
Vorwort
Kartellisten teilen den Markt durch Absprachen unter sich auf. Sie degradieren auf diese Weise den König Kunde zum Markttrottel, der überhöhte Preise bezahlen und geringere Warenqualität hinnehmen muß. Das Kartellgesetz bestraft solche Praktiken – soweit sie bekannt werden. Auch auf dem politischen ›Markt‹ hat sich ein kartellartiges Machtgebilde installiert, das König Kunde, den Verfassungssouverän, die Bürger also, weitgehend degradiert hat: Er wird im Parteienstaat nur noch zur periodischen Stimmabgabe und als Steuerzahler gebraucht; ansonsten ist er im System des ›repräsentativen Absolutismus‹ (Peter Gauweiler) abgemeldet. Der politische ›Absprachemarkt‹ zeigt typische Kartellmerkmale: erschwerter Zugang von Konkurrenten (5%-Klausel), Abschöpfungspraktiken (z.B. durch die ›Wahlsteuer‹), geminderte Politikqualität (z.B. durch qualifikationsgeminderte Personalauswahl innerhalb des engen Parteienrahmens), kundenferne Konsenspraktiken (z.B. bei der Wahl von Bundesrichtern), interne Privilegienwirtschaft (z.B. bei der staatlichen Parteienfinanzierung), Selbstbedienung (z.B. bei der Abgeordnetendotierung) u.a.m. Das Machtsicherungssystem der Parteien hat sich mittlerweile gegenüber demokratiesichernde Reformen soweit immunisiert, daß Verstöße gegen die fundamentalsten Demokratieprinzipien (Verwischung der Gewaltenteilung, Verstöße gegen das Grundgesetz: vgl. dazu den speziellen Artikel in diesem Kritischen Journal) ungesühnt bleiben. Wohin hat dieses bürgerferne Herrschaftssystem die Gesellschaft in Deutschland geführt? Wer sich vom machtstützenden und ablenkenden Medientheater nicht blenden läßt, kann nur bestürzt sein.
1. Demokratiegefährdender Vertrauensverlust in die Politik: Vertrauen ist unbestritten das wichtigste Befriedungskapital in menschlichen Gemeinschaften. Wie sehr es von Parteipolitikern abgewirtschaftet worden ist, beweist jede halbwegs objektive Umfrage und die steigende Wahlenthaltung.
2. Verlust der Jugend: Studien belegen immer wieder die fast totale Entfremdung der jungen Generation gegenüber dem staatsverwaltenden Parteiensystem. Welche Zukunft hat eine Demokratie ohne die mehrheitliche Zustimmung der jungen Generation?
3. Redlichkeitskrise: Als Folge der unzähligen Parteienskandale (Spenden-, Bonusmeilen-Affäre usw.) ist es zur gängigen Volksmeinung geworden: ›Was die politische Klasse sich erlaubt, genehmige ich mir auch.‹ Versicherungsbetrug etwa wird als Kavaliersdelikt gewertet. Wen wundert es, daß Deutschland auf dem internationalen Korruptionsindex unter den Industriestaaten auf einen unteren Rang abgerutscht ist?
4. Staatsverschuldung: Eine unausweichliche Zukunftskatastrophe. Über Jahrzehnte hat der Parteienstaat die Bürger mit Wahlgeschenken und nicht haltbaren Versprechungen (›Die Rente ist sicher‹ usw.) bei Laune gehalten. Weiterer Kommentar überflüssig, da die Fakten für sich sprechen.
5. …
©Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer – Aus: www.walthari.com
Vom 26. September 2006
Unausrottbare Großillusionen trotz unlösbarer Weltprobleme
Teil 11
Nach und nach platzen sie alle, die realitätsverachtenden Großhoffnungen, die am ideologischen Himmel des Weltethos wie gigantische Luftschlösser schweben. Es ist reine Illusion, weil historisch sattelfest belegt, den Hunger in der Welt besiegen, einen globalen Frieden herstellen, Demokratien weltweit installieren, die Umweltzerstörung global bremsen, multikulturelle Gesellschaften dauerfriedlich halten, die Verstädterung bremsen, die Weltseuchen komplett ausrotten zu können usw. (vgl. zu diesen und anderen Großillusion die Beiträge von 1 bis 10). Dennoch propagieren Politik, Medien und Kirchen unverdrossen diese Ziele in einem missionarischen Stil, als wären paradiesische Endzustände durchaus erreichbar. Davor liegen sachliche Engpässe, vor allem aber unaufhebbare menschliche Sperren, die den Eintritt ins Paradies verwehren. Das menschliche Drama bleibt an die Conditio humana gebunden, an die Kreatürlichkeit und Unzulänglichkeit des Homo sapiens. Seine Verführbarkeit ist der Grund dafür, daß sich Großillusionen entgegen aller Logik und Plausibilität über längere Dauer halten und sogar dann noch fortbestehen können, wenn sie eindeutig widerlegt oder grausam falsifiziert wurden. Dafür weitere Beispiele.
Isaf, Kfor, Eufor, Unomig, Unmee, OEF, Eufor, Unmis – es handelt sich nicht um Finanzcode aus der Börsenwelt, sondern um militärische Truppenbezeichnungen für internationale Befriedungsaktionen. Die ›internationale Staatengemeinschaft‹, so die gängige Formel, hat sich zur Illusion gemacht, an immer mehr Krisenherden der Welt gemischtnationale Truppen zu stationieren, angetrieben von der Hoffnung, die kriegstreibenden Parteien auf Dauer (!) befrieden zu können. Allein die Bundeswehr stellt für zehn Auslandseinsätze, darunter neuerdings der Libanonauftrag, mehr als zehntausend Soldaten dafür zur Verfügung. Haben sich z.B. Afghanistan, der Kongo oder Sudan wirklich befrieden lassen? Hat sich das Irakabenteuer der USA & Co. nicht als Demokratie-Illusion erwiesen – um den Preis abertausender Toter?
Der Religionswissenschaftler Matthias Morgenstern (Uni Tübingen) brachte unlängst eine Illusion besonderer Art zum Platzen. Sie war bisher ein unangefochtener Bestand der drei Buchreligionen Judenturm, Christentum und Islam: Alle drei Religionen hätten ihre gemeinsame Wurzeln im Stammvater Abraham, was den Dialog begünstige. Morgenstern hat nun nachweisen können, daß die Abrahambilder der Juden, Christen und Muslime unvereinbar sind. Was in der Erzvatererzählung der einen Religion heilig ist, hat in der anderen ketzerische Züge. Abraham hat bei den Juden und Muslime z.B. unterschiedliche Väter. Um einen Inzestverdacht nicht aufkommen zu lassen, wird im Koran der Vater Saras (Haran) zum Onkel Abrahams erklärt, wohingegen die Bibel in Genesis 12,13 und 20,12 auf den Inzest anspielt. Die Erzmutter Sara, die in jüdischem Verständnis die entscheidende Mutterlinie des Judentums aus Abrahams Zeugung darstellt, könnte sich nach Genesis 20,10 – 20 und 21, 1-18 auf einen Seitensprung mit einem ausländischen Herrscher eingelassen haben. Ein weiterer Vergleich der drei Schrifttraditionen steigert die Verwirrung und Widersprüchlichkeit, so daß Morgenstern zu dem Schluß kommt: Die gemeinsame Berufung auf die Abrahamkindschaft ist nicht haltbar, auch nicht mythosgeschichtlich. »Ismael, der erstgeborene Sohn und Stammvater der Araber, den Abraham mit Hagar zeugte, entwickelte sich zum Widersacher seines Bruders Isaak, des Erzvaters der Juden.« Nach der Koransure 2,140 waren Ibrahim (also Abraham), Isaak und Jakob »gar keine Juden gewesen«, schreibt Morgenstern. »Historiker sind sich einig, daß die Gestalt dieses koranischen Propheten wenig mit der gleichnamigen biblischen Sagengestalt zu tun hat, ebenso wie die Abrahamslegenden des nachbiblischen Judentums. Entscheidend für heutige Muslime ist aber, daß die rabbinischen Traditionsbestände (›isra’iliyyat‹) im Koran im wörtlich geoffenbarten göttlichen Wort für alle Zeiten fixiert und in eine verbindliche Form gebracht worden sind. Diese erfordert nach islamischer Mehrheitsmeinung ein historisches Für-wahr-Halten und schließt jede Kritik am ›Propheten Ibrahim‹ aus.« Die »irreführende Chiffre des ›Abrahamischen‹« provoziere ein »Isaak-Lachen«.
Beispiel 2: Längst implodiert ist die Großillusion namens Wohlfahrtsstaat. Vereinfacht gesprochen handelt es sich um eine Verantwortungsverschiebung von der Gesellschaft auf den Staat. Primär nicht mehr dem Bürger selber und seinen Gruppierungen (Familie, Vereine usw.) obliegt die Sorge um Rente, Gesundheit, Bildung, Erziehung, Altenpflege usw., sondern der Staat verspricht eine Betreuung weit über die Notfälle hinaus. Politisch haben die Parteien dieses Illusionsgeschäft in Gang gebracht, um Wählerstimmen einzufangen. Schon rein finanziell sind solche staatlichen Wohlfahrtsversprechen nicht zu halten, wie ein Blick auf das bankrotte Renten- und Gesundheitssystem drastisch vor Augen führt. Zahlten die Kommunen 1963 noch 600 Millionen an Sozialhilfe (diese wurde 1962 eingeführt), waren es 2003 über 30 Milliarden. Die Staatsverschuldung stieg auf eine nicht mehr rückzahlbare Dimension; seit den 70er Jahren herrscht Massenarbeitslosigkeit usw. Der Wohlfahrtsstaat führt zwangsläufig zur Bürgerschröpfung bei gleichzeitigem staatlichem Bankrott und unternehmerischen Erschöpfungszuständen, er zwingt zur vermehrten (Überwachungs-)Bürokratie und zur Planwirtschaft im Gesundheitswesen usw., ganz abgesehen von Ressourcenverschwendung und sozialer Abzocke (Mitnahme-Effekte). Mit wahlträchtigen Slogans wie soziale Gerechtigkeit, Gerechtigkeitslücke, Grundversorgung u.ä. hat sich der Parteienstaat ein Machtkartell über wohlfahrtsstaatliche Leerstände gesichert, die den Bürger von Staat und Politik entfremdet haben.
Dieser Herrschaftstyp muß systemnotwendig in sich zusammenfallen, weil, wie historische Fälle zeigen, die Macht-Haber sich von der Bürgerbasis weit entfernt haben. Man studiere dazu den dramatischen Zusammenbruch des Deutschen Reiches im Jahre 1806, das in den Händen einer volksfernen Fürstenherrschaft so zwingend einer Auflösung zusteuerte wie zuvor das Adelsregime in Frankreich.
Deprimierend sind die Illusionen zur Entwicklungshilfe. Der frühere algerische Außenminister und jetzige UN-Diplomat brachte es jüngst auf den Punkt: »Wir verteilen unser Geld ohne Sinn und Verstand.« Die Bilanz nach einem halben Jahrhundert ist niederschmetternd: Die eingesetzten mehreren hundert Milliarden (!) Dollar haben in besten Fällen die schlechten Zustände erhalten, nicht aber ›entwickelt‹. Die Armut z.B. in Afrika hat sogar zugenommen. Nach einer Untersuchung der Weltbank vom September 2006 ist die Zahl der bankrotten Länder von 17 (2003) auf 26 (2006) gestiegen (Togo, Eritrea, Guinea, Burma u.a.). In Vorzeigeländern wie Indien steht der kleinen Schicht von Reichgewordenen eine gigantische Bevölkerungszahl von Hungernden gegenüber. Welches Land in Mittel- und Südamerika ist mittels Entwicklungshilfe zu mehr Wohlstand und zu mehr demokratischen Verhältnissen gelangt? Annähernd tausend Nichtregierungsorganisationen leisten weltweit Entwicklungshilfe, segensreich gewiß in Notfällen, aber wenig erfolgreich bei der Entwicklung zur nachhaltigen Selbständigkeit. Kritiker sprechen von einer Entwicklungshilfe-Industrie, die vom Erhalt der Mittelzuflüsse abhängig ist. Jahrzehntelang wollte man es mit Geld richten; dann verfiel man auf Modernisierungsinvestitionen; schließlich verlegte man sich auf Infrastruktureinrichten, stets in der Hoffnung, daß die Hilfe in eine Selbsthilfe umschlagen werde, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch-demokratisch. Auch der zuletzt vollzogene Paradigmenwechsel (Humankapitalinvestitionen) verspricht wenig Erfolg, weil er u.a. die historischen und kulturellen Gegebenheiten zu wenig in Rechnung stellt.
Geradezu eine klassische Illusionsfalle ist das Desaster der Gender-Theorie. Sie behauptet bekanntlich den erziehungsmöglichen Ersatz des biologischen Geschlechts durch ein sozialkulturelles (vgl. ausführlich dazu WALTHARI-Heft 46: ›Das Weibliche als literarische Provokation‹).
Die mentalen, kulturellen usw. Negativeffekte der Genderpraxis sind weit gravierender, als man zuzugeben bereit ist. Zu denken ist nicht nur an die Sprengkraft für Ehe und Familie sowie an die Kinderarmut, die auch (!) eine Folge der Genderpropaganda (›Der Bauch gehört mir‹) ist. Und wäre die Frauenquote ohne die Genderideologie denkbar? »Quoten heißt auch immer verminderte Qualität«, stellt der Konstanzer Evolutionsbiologe Axel Meyer fest und benennt damit nüchtern den hohen gesellschaftlichen Preis. Immer noch weitgehend unbekannt ist das John-Money-Experiment, ein kriminell anmutender Menschenversuch, mit dem das Gender-Mainstream öffentlichkeitswirksam begleitet wurde, bis es sich als Fehlschlag erwies. An seinem Ende stand der Selbstmord des Opfers. Volker Zastrow hat in der FAZ (Nr. 208/06, S. 8) die hochskandalöse ideologische und praktische Mißgeburt der Gendergemeinde nachgezeichnet, die einst von der feministischen Kultfrau Alice Schwarzer als »aufklärender Akt der Forschung« gepriesen wurde (1975 in ›Der kleine Unterschied‹): Das Money-Experiment beweise die Umformungsmöglichkeit eines als Junge geborenen Menschen in eine »normale« Frau, die nur nicht gebären könne. »Alles andere«, so Alice Schwarzer weiter, »ist künstlich aufgesetzt, ist eine Frage der geformten (!) ›seelischen Identität.« Nach V. Zastrow war das Schwarzer-Buch noch im September 2004 in zweiter Auflage zu erwerben. Im Frühjahr 2004 hatte sich das ›Genderopfer‹ Reimer erschossen, mit 26 Jahren, nachdem es seit früher Kindheit eine grausame psychische Tortur hat ertragen müssen, die zu einer suizidgeneigten Identitätsverwirrung geführt hatte. V. Zastrow beschreibt das gescheiterte Experiment aus Psychoterror (»Messer und Lüge«) in allen Einzelheiten und vermutet zurecht, daß ohne die »Pionierarbeit« des Ideologen John Money die (verfehlte) »weltweite Frauenpolitik« nicht zustande gekommen wäre. Money propagierte nicht nur die »psychosexuelle Neutralität«, er bewertete Heterosexualität als Ideologie und Zwangssystem, er sprach sich für Gruppensex aus, er bezeichnete extreme sexuelle Perversionen bis hin zum Lustmord als bloße ›Paraphilien‹, als abweichende Vorlieben. »In den achtziger Jahren nutzte Money seine weltweit erworbene Anerkennung als Sexualforscher zu wiederholten Interventionen zugunsten der ›affectional pedophelia‹, angeblich auf Gegenseitigkeit beruhender, vorwiegend homosexueller, auch inzestuöser Handlungen Erwachsener an Kindern.« Volker Zastrow weist daraufhin, daß man »heute… auf der Website der christdemokratischen Frauenministerin von der Leyen (CDU) lesen kann, »was Money schon 1965 behauptete«: »daß Geschlechterrollen im Gegensatz zum biologischen Geschlecht nur erlernt seien«.
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus: www.walthari.com
Vom 20. Juli 2006
Unausrottbare Großillusionen trotz unlösbarer Weltprobleme
Morgenländerei – eine immerwährende Großillusion des Westens?
Bei den Aufklärern im 18. Jahrhundert tauchte der Ausdruck Morgenländerei wohl zum erstenmal auf. Sie kritisierten damit die westliche Neigung, sich mythisch aus den Morgenländern zu versorgen und alles zu verklären, was aus dem Vorderen Orient an Religionen und Kulturen überkommen ist. Ex oriente lux – Licht aus dem Orient, dieser geläufige Spruch war für manche Aufklärer ein doppeltes Ärgernis, zum einen mit Blick auf die Geschichte und Gegenwart dieses Weltteils, in welchem eine ununterbrochene Unruhe zu herrschen scheint. Zum andern ärgerten sie sich über die mythologische Dominanz ex oriente, die mit dem neuen Licht der Vernunft nicht auf einen Nenner zu bringen war.
Hat sich der Vordere Orient zwischenzeitlich beruhigt? Wer diese Frage stellt, erscheint leicht als politisch Blinder oder als Zyniker. Seit Jahren und Jahrzehnten bestimmen Schreckensmeldungen aus dem Irak und Iran, aus Jordanien, Israel, Ägypten, Syrien und dem Libanon die Kopfnachrichten der Weltpresse. Zur Zeit ist über eine halbe Million Menschen auf der Flucht vor Flieger- und Raketenbombardements. Mit keiner anderen Weltregion hat sich der UN-Sicherheitsrat öfter befaßt als mit den Dauerstreitigkeiten und Kriegen im Vorderen Orient. Die Gewaltausbrüche sind Legion und erscheinen als endlose Kette von Konflikten.
Im Westen wird dennoch unverdrossen die Hoffnung genährt, als könne die Region befriedet werden. Nicht allein die lange Konfliktgeschichte spricht dagegen, es ist auch das tief verwurzelte Haßpotenzial der streitenden Volksgruppen. Wie könnte es Frieden geben in einer Region mit alttestamentarischer, koranischer und regierungsamtlicher Gewaltbereitschaft? Die vielleicht wichtigsten Unruheschürer sind religiöse Grundierungen und die reibungshitzige Multikulturalität. Wer sich bei Vergeltungsschlägen auf Gott berufen kann, tötet ohne schlechtes Gewissen Ungläubige und vertreibt Menschen aus ihrer Heimat. Diese Gesinnungen sind nicht friedensfähig, wie man täglich in Zeitungen lesen und in den Funkmedien sehen und hören kann. Die Götter, in deren Namen man das Dauerschreckliche anrichtet, müssen sehr langmütig sein.
Die Menschen im Westen sind es dagegen längst nicht mehr. Sie leiden an medialer Übersättigung und verachten insgeheim Politiker und Journalisten, die ihnen seit Jahrzehnten falsche Friedenshoffnungen auftischen. Obschon Menschenrechte mit Füßen getreten und Mindeststandards des Kriegsrechts mißachtet werden, nährt man im Westen die Großillusion eines Friedens und begründet die mediale Dauerberichterstattung mit den globalen Auswirkungen (Öl u.a.). Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Kleingeredet wird z.B., daß es sich auch um einen Kampf der Religionen und Zivilisationen handelt. Zyniker halten noch eine andere Erklärung bereit, nämlich…
Am Beginn seiner Jenseitsreise betritt Dante den ersten Kreis der Hölle und stößt auf einen Kreis von Philosophen. Hintergründig spricht der Dichter von »Meistern, die da wissen«. Gemeint ist damit auch Aristoteles. Wenn Dante diesen Weltkopf und erfolglosen Alexandererzieher in der Hölle sah, wen erst würde er heute in dem Höllenkreis antreffen? © Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus: www.walthari.com
Vom 26. Mai 2006
Unausrottbare Großillusionen trotz unlösbarer Weltprobleme
Teil 9
1
Am 11. Oktober 2000 wurden in Teil 1 dieser Artikelserie fünfundzwanzig Weltprobleme aufgelistet. Keines dieser Probleme (Hyperurbanisierung, multikulturelle Konfliktherde usw.) konnte inzwischen gemildert, geschweige denn einer Lösung nähergeführt werden, im Gegenteil: die Armut hat weltweit zugenommen usw. In Teil 8 hieß es: »Trotz dieser niederschmetternden Faktenlage propagieren unverbesserliche Menschheitserzieher eine global durchsetzbare Weltmoral. ›Weltethos‹ nennt sich das Projekt eines christlichen Theologen, der im Islam keine strukturell unaufhebbaren Defizite zu erkennen glaubt. Die alte Illusionsfalle: Weil Handel und Technik universalisierbar sind (Handys breiteten sich rasend weltweit aus), hält man dies auch bei moralischen und kulturellen Werten für möglich.« Die Dekonstruktion von Weltillusionen, hieß es weiter, sei ein permanentes Aufklärungsgeschäft, denn unentwegt füttern Politiker und globale Sanierer die Menschen mit illusionärem Material. Davon hier weitere Proben.
2
Vollbeschäftigung sei auch im Rahmen der gegenwärtigen Wirtschaftsverfassung wieder erreichbar. Dies unterstellen allen Ernstes nicht wenige Politiker, wenn sie am maroden Sozialstaat herummanipulieren und ihn über drastische Steuererhöhungen sanieren wollen. Das planwirtschaftlich und sozialrechtlich völlig erstarrte System (man denke an den Arbeitsmarkt und an das Gesundheitswesen) ist längst konkursreif und wird sich auch dann nicht erholen, wenn das Arbeitsangebot infolge der demographischen Lücke sinken wird. Bis dahin nämlich hat die Arbeit-durch-Kapital-Substitution einen Standard erreicht, der nur noch Hochqualifizierten eine dauernde Beschäftigungsmöglichkeit garantiert. Die anderen Arbeitnehmer müssen ständig um ihren Job bangen, die Rate der Nicht-genug-Qualifizierten wird sich verdoppelt haben und die Arbeitslosigkeit zu einem strukturell unlösbaren Problem machen.
3
Seit zehn Jahren hat sich die Zahl der Demokratien in der Welt kaum vergrößert, wohl aber die Qualität demokratischen Regierungshandelns verschlechtert. Der neue Irak z.B. ist nur der Form nach eine Demokratie. In Mittelamerika und im Norden Südamerikas haben sich neuerdings autokratische Herrscher im Stile Putins eingerichtet. Die Verhältnisse in Burma, Laos und Kambodscha sind so bürgerfeindlich geblieben wie in den meisten Staaten Afrikas. Nach wie vor gibt es lupenreine Diktaturen: in Nordkorea, Cuba, Turkmenistan, Usbekistan, Weißrußland, von Staaten in der arabischen Welt und weiter südlich gar nicht zu reden. Neben den politischen sind die religiösen und kriminellen Gewaltdimension nicht zu vergessen. Wer auf der internationalen und Medienbühne Besserungen durch Aufklärung, Hilfsgelder und Truppenentsendungen verspricht, denkt wohl mehr an Jobsicherungen bei einer der aufgeblähten supranationalen Organisationen als an redliche Situationsberichte. Die sog. sieben Milleniums-Entwicklungsziele der UNO, Weltbank & Co. und deren achtzehn Zielvorgaben sind buchstäblich weltfremd. Die NZZ Nr. 211/05, S. 19: »Das seit über 40 Jahren finanziell am stärksten geförderte Land, Tansania, steht heute wirtschaftlich und sozial schlechter da als Ende der sechziger Jahre.« Im gleichen Blatt las man (Nr. 29/06, S. 1) das Eingeständnis: »Es übersteigt die Kräfte des Westens, sich eine Welt nach seinem Ebenbild zu schaffen.«
4
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg gab es und gibt es bis heute keinen Tag ohne Kriegshandlungen. Mehr oder weniger starke Waffeneinsätze sind eine Dauererscheinung in der Welt. Wer öffentlich glauben machen will, diesen Zustand mit den bekannten Instrumentarien stark eingrenzen zu können, unterschätzt geradezu sträflich (denn es kostet auch Menschenleben) die Machtverfassung der Welt. Dies offen auszusprechen ist nicht opportun, doch die Fakten walzen auch hier alle Illusionen nieder. Mindestens zwanzig Millionen Menschen starben von 1945 bis 2005 bei kriegerischen Handlungen, dabei allein in Ost- und Südostasien 9,8 Mio. Das heute noch kommunistische China hat 1950/51 eine Million Einwohner exekutiert. Das Ruanda-Massaker 1994 kostete 800.000 Menschen das Leben. Im Bürgerkrieg Guatemalas starben zwischen 1968 und 1996 rd. 150.000 Menschen. Keiner der Konfliktgründe ist wirklich ausgeräumt. Zwischen den Tutsis und Hutus kann es jederzeit wieder wüten. Es bedürfte eines Mehr-Millionen-Friedensheeres, um an den über einhundert globalen Brandstellen die Kriegswut zurückzuhalten. Beseitigt wären damit aber nicht die Ursachen. Die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt, Indien, ruht auf einem unruhigen Fundament (Kastenwesen), das sich ›bestens‹ für künftige Bürgerkriege eignet.
5
Das globale Illusionsgeschäft schlägt sich in babylonischen Texttürmen nieder. Allein die Menschenrechtskommission der UN hat im Jahre 2005 einen Berichtssockel von sage und schreiben 44.000 Seiten aufgetürmt. Nicht einmal die schreibende Armada kann hier noch durchblicken. Etwa 9.000 UN-Mitarbeiter sind permanent gremienunterwegs und schreibbeschäftigt. Der derzeitige UN-Generalsekretär meldete jüngst den faktischen Info-Konkurs seiner Mammutbehörde an. Daneben sind Dutzende weitere internationale Organisationen (Weltbank, IWF, OECD usw.) unentwegt dabei, den unzähligen Gremien und dem Weltgewissen endlose Berichte aufzutischen, deren Faktengehalt meist aus anderen Berichten und zum wenigsten aus Untersuchungen vor Ort gespeist ist. Selbst Wissenschaftler und personenstarke Abnehmerbürokratien (Ministerien u.ä.) sowie die Medien sind völlig überfordert. Dennoch läuft die Berichtmaschinerie auf vollen Touren, ohne daß eines der Weltprobleme gelindert würde. Vom einfachen Bürger ist dieses Illusionsgeschäft weit entfernt. © Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus: www.walthari.com
Vom 8. Februar 2006
Islamisches Weltkriegstraining vor den Augen…
Immer noch nicht will man die Fakten zur Kenntnis nehmen, wie sie auch dieses WALTHARI-Portal in einer Artikelserie seit dem 30. September 2001 aufgezeigt hat. Es bedurfte keiner Prophetengabe, um die gegenwärtig weltweit sich ausbreitende Gewaltwelle in der islamischen Welt vorherzusehen und um begründet zu vermuten, daß es sich nur um Vorspiele einer globalen Auseinandersetzung weit schlimmeren Ausmaßes handelt. Beschwichtiger, Halbblinde und diskursoptimistische Hoffnungsträger geben immer noch den öffentlichen Ton an, obschon Botschaften und Konsulate brennen und unzählige Morddrohungen bei westlichen Medien eingehen. Nein, mit unverstelltem Blick auf die Fakten verunglimpft man nicht den Islam und die Muslime schlechthin, aber mit der Verharmlosung von Tiefenstrukturen bis in sakrosankte Texte hinein versündigt man sich gegen die Humanität und menschenwürdige Zivilisation. Eine große deutsche Sonntagszeitung titelte am 5. Februar 2006: »Muslime (!) werden immer militanter«. Dieser Aufmacher wäre vor Jahren, als man die feinsinnige Unterscheidung zwischen islamisch und islamistisch zum aufgeklärten Code proklamierte, noch undenkbar gewesen. Wenn Massen von Muslimen randalierend und gewaltbereit durch Städte ziehen, von Indonesien bis zum Vorderen Orient und bis nach Afrika, so erübrigt es sich, von »einigen wenigen Fundamentalisten« zu sprechen, wie es zur Standardformel der Beschwichtiger geworden ist. Wenn der Iran und andere radikale islamische Staaten nach Massenvernichtungswaffen streben (wer zweifelt daran, daß sie diese bald besitzen werden), ist es wohl nicht zu verfrüht, sich mit Weltkriegsszenarien zu beschäftigen. Man braucht sich nur für Augenblicke vorzustellen, wie die Lage sich zuspitzen würde, besäße Teheran bereits Atomwaffen. Nüchterne Beobachter machen sich nichts vor: Das Weltkriegstraining hat begonnen; die Flammenzeichen an der Wand lassen keine andere Leseart zu. Aberhunderte Journalisten, Wissenschaftler u.a., die den Fakten ein Gesicht gegeben haben, sind untergetaucht oder leben unter Polizeischutz. Bezeichnenderweise haben darüber die UNO und andere ›Weltinstitutionen‹ bisher keine globale Statistik erstellt. Alle möglichen ›Fehlentwicklungen‹ listet man auf, warum nicht diesen alarmierenden Tatbestand?
Es ist wahr: Nicht alles, was man im Rahmen der freien Meinungsäußerung kritisieren darf, soll man kritisieren. Auch für Satiren gelten Geschmacksgrenzen. Daß es aber bei der Kränkung ihrer religiösen Gefühle in der islamischen Welt nicht bei Empörungen in zivilisierter Form geblieben ist, belegt die Existenz eines immanenten Haßpotenzials und einer virulenten Gewaltbereitschaft in einem Ausmaß, das ein ›Krieg der Kulturen‹ unausweichlich erscheinen läßt. Dies auszusprechen mag doppelt gewagt sein, doch die Anzeichen für eine friedliche Alternative stehen schlecht. Nur in Ausnahmefällen war die Geschichte gnädig: Die Entmachtung der Adelsherrschaft und des Religionsmonopols sowie die Beseitigung des Faschismus hat das Abendland (i.w.S.) annähernd einhundert Millionen Menschenleben gekostet. Die im ganzen friedliche Auflösung des europäischen Kommunismus war ein seltener Glücksfall. Welcher wahnwitzige Preis muß bezahlt werden, bis die islamische Welt humane Standards zu akzeptieren bereit ist? Wegschauen und Zurückweichen, falsche Toleranz und trügerische Diskurshoffnungen würden das wohl Unvermeidbare nur verschlimmern. Darauf und auf andere Fehleinstellungen hat diese WALTHARI-Zeitung seit Jahren hingewiesen. Mehr Informationen: Literaturzeitschrift
© WALTHARI® – Aus: www.walthari.com
Vom 30. September 2001
Den Koran beim Wort und die Mullahs ernst nehmen
1. Teil
I. Unbestreitbare Fakten
1. In keinem der vom Islam geprägten Länder herrschen demokratische Verhältnisse auf einem Standard, der z.B. den Menschenrechtskonventionen der UNO u.a. gerecht wird. Das trifft auch für Ägypten und die Türkei zu. Die meisten der islamischen Länder werden diktatorisch oder gar despotisch regiert, und zwar im gottesstaatlichen, militärischen, absolutistisch-monarchischen u.ä. Stil. Man denke beispielsweise an Iran, Irak, Algerien oder Saudi-Arabien.
2. Die überwiegende Mehrzahl der terroristischen u.ä. Gewalttaten und deren Opfer sind in der islamischen Welt selber zu suchen oder gehen von ihr aus bzw. werden von ihr verursacht. Allein in Algerien wurden in den letzten zehn Jahren etwa 140.000 Einwohner von eigenen Landsleuten ermordet (Frauen und Kindern die Kehle durchgeschnitten usw.).
3. Die religiös-ideologischen Verhetzungen der Bevölkerung durch gottesstaatliche Prediger übertreffen in islamisch geprägten Ländern bei weitem alle ähnliche Formen in nicht-islamischen Staaten.
4. Die erkennbaren Haßpotenziale und Gewaltbereitschaften (›Heiliger Krieg‹) sind in der islamischen Welt um ein Vielfaches stärker vorhanden als in christlich, buddhistisch, hinduistisch oder konfuzianisch ausgerichteten Ländern. Das erlebt jeder Reisende hautnah, und darüber kann sich auch jeder westliche Medienkonsument täglich informieren.
Vor diesen (und anderen schlimmen Fakten) die Augen zu verschließen, hat tödliche Folgen, wie die jüngsten Terroranschläge u.a. in den USA gezeigt haben. Bedroht ist nicht allein die geschichtlich mühesam errungene Zivilisation auf Menschenrechts- und Demokratiestandards, sondern unmittelbar auch die Menschen in der islamischen Welt selber. Aufgeklärte (d.h. vom gottesstaatlichen Mullahwahn befreite) Muslime geraten zwischen die Mühlsteine der fürchterlichen ›islamischen Fakten‹ (vgl. oben) und den Humanitätsforderungen aus der nichtmuslimischen Welt.
II. Unterscheidungen
Das Bild des Islam ist äußerst vielfältig. Um Mißdeutungen vorzubeugen, sollte zwischen (1) ›dem‹ Islam (als Offenbarungsreligion mit schriftlichen Anweisungen im Koran u.a.), (2) der islamischen Mullahpraxis (Lehrauslegungen in Freitagspredigten, Gerichtsurteilen usw.), (3) der islamischen politisch-gesellschaftlichen Realität, (4) dem islamischen Fundamentalismus (als religiös verbrämtes, offenes Kriminalitätspotenzial) und (5) dem islamischen Liebes- bzw. manchmal auch Beschönigungs-Pazifismus (man denke an die zahlreichen beschönigenden Paradiesschilderungen im Koran) unterschieden werden.
So falsch es ist, den islamischen Liebes- bzw. Beschönigungspazifismus (Islamvariante 5) für den ganzen oder auch nur den bestimmenden Islam zu halten, so verhängnisvoll wäre es, den Terror und das übrige Gewaltpotenzial allein bei den Fundamentalisten (Islamvariante 4) zu suchen. Genau das aber geschieht gegenwärtig im westlichen Diskursbetrieb, in welchem einäugige Beschwichtiger die Öffentlichkeit irreführen. Unterschlagen wird dabei meist vollkommen, welche menschenverachtende, anti-demokratische, gewaltschürende Kräfte auch in der Mullah-Praxis (Islamvariante 2) und in der gesellschaftlich-politischen Realität (Islamvariante 3) am Werk sind.
Islamwissenschaftler weisen darauf hin, daß innerhalb der Islamvariante 2 religiöse Aufspaltungen zu berücksichtigen sind: (1) Die Sunniten stellen die orthodoxe Hauptrichtung des Islam dar; Richtschnur sind der Koran, der Brauch (Sunna) und die Überlieferung (Hadith). (2) Die Schiiten trennten sich im Jahre 656 als Partei (Schia) Alis ab, des Schwiegersohns Mohammeds (4. Kalif); sie anerkennen nur Nachkommen Mohammeds und Alis als Oberhäupter (Imame) an; sie entwickelten eigene Rituale und spalten sich nach verschiedenen Lehrinterpretationen auf in Imamiten (im Iran u.a.), Ismailiten (Indien u.a.), Zaiditen (Jemen )und Alawiten (Syrien). Angesichts dieser Vielfalt sprechen manche Religionswissenschaftler statt von ›dem‹ Islam lieber von Islamrichtungen. Das sollte aber nicht davon abhalten, von ›der islamischen Welt‹ als politisch-gesellschaftlich-religiösem Block (Umma genannt) zu sprechen, denn (a) der Koran, der allen Richtungen zugrunde liegt, gebietet strenge Solidarität unter den Muslimen, wenn Gefahren abzuwehren sind, und (b) Muslime fühlen sich traditionell weniger in Nationen und Rassengemeinschaften zuhause als in regionalen Großclans und vor allem in einer islamischen Gefühlsgemeinschaft, die nationale Besonderheiten (Staat und Religion werden ohnehin nicht getrennt) überdecken. Ein alawitischer Syrer empfindet eine größere Schicksalsnähe zu islamischen Brüdern in Ägypten oder Afghanistan als zu seinen christlichen Landsleuten! Dieses korangestützte, weltweite islamische Zusammengehörigkeitsgefühl (Umma) wird vom Westen meist vollkommen übersehen. Es erklärt die heftigen Aufwallungen von Muslimen in aller Welt, wenn irgendwo eine Brudergruppe in Not gesehen wird. Auf die Bombardierung Afghanistans durch die USA und Großbritannien sind daher heftige, auch gewalttätige Reaktionen in der islamischen Welt zu erwarten.
III. Den Koran lesen
Es muß jeden aufgeklärten Bürger stutzig machen, was in der islamischen Welt (auch in seinen westlichen Ablegern) religiös gedeckte und geforderte Norm und Praxis sein kann. Dazu einige Beispiele:
(1) Wer vom islamischen Glauben abfällt, kann zum Tode verurteilt werden (vgl. Afghanistan).
(2) Wer in einem gottesstaatlich-islamischen Land missioniert, kann ebenfalls zum Tode verurteilt werden (nicht nur in Afghanistan). Christliche Priester, buddhistische Mönche usw. dürfen nicht einmal einreisen, geschweige denn religiös praktizieren.
(3) Wer als Moslem den ›Märtyrertod‹ stirbt, indem er z.B. sich selbst und andere Menschen in die Luft sprengt, dem werden von Mullahs und in Koranschulen himmlische Belohnungen versprochen (vgl. Palästina).
(4) Wer stiehlt, dem sollen die Hände abgehackt werden.
(5) Wer Allahs Lehre in Frage stellt, und sei es auch als Künstler, wird für vogelfrei erklärt (wie Salman Rushdie); Kunstfreiheit kennt der Islam so wenig wie die Trennung von Staat und Religion.
Sind diese und andere Fakten alle nur ›Auswüchse‹ einer verirrten Islamauslegung? Wenn ja, dann muß man den Eindruck gewinnen, die islamische Strafpraxis bestehe aus fast lauter ›Auswüchsen‹. Doch die ›Auswüchse‹ sind durch den Koran vielfach gedeckt oder werden von islamischen Geistlichen für gedeckt gehalten:
Zu (1): »Wer Allah verleugnet, nachdem er an ihn geglaubt…, wer seine Brust dem Unglauben öffnet, auf sie soll kommen Zorn von Allah, und ihnen soll sein schwere Strafe« (Sure 16, 108).
Zu (4): »Und der Dieb und die Diebin, schneidet ihnen ihre Hände ab als Lohn für ihre Taten« (Sure 5, 42).
Der bekannte französische Schriftsteller Michel Houellebecq trat jüngst an die Öffentlichkeit mit dem Schreckensruf: »Ich bin bestürzt, zutiefst erschüttert!« Er hatte gerade den Koran gelesen (vgl. WALTHARI, Heft 37). Nicht nur die in der islamischen Welt zu beobachtenden, sogenannten ›Auswüchse‹, auch zahlreiche Gebote im Koran verstoßen gegen das Strafrecht in zivilisierten Staaten. Es ist dieser unaufhebbare Grundkonflikt, dem ein gläubiger, aber aufgeklärter Moslem ausgesetzt ist: Hält er sich streng an den Koran, muß er zwangsläufig mit westlichen Strafgesetznormen in Konflikt kommen. Wer den Koran liest, stößt auf ungeheuerliche Aussagen, so etwa, daß »die Ungläubigen vertilgt« werden sollen (Sure 3, 135); daß ehebrecherische Frauen »in die Häuser« einzuschließen seien, »bis der Tod ihnen naht« (Sure 4, 19) u.v.a. Natürlich sprechen die Offenbarungstexte auch von Nächstenliebe, aber sie äußern sich zehn Mal häufiger über menschenrechtsverletzende Strafen und Gerichte, über Satan, Hölle usw. als über Liebe, Güte, Toleranz u.ä. Wen kann es da noch wundern, daß auf diesem Hintergrund das Haßgeschäft vieler Mullahs erleichtert wird (sie berufen sich auf Allahs Worte oder auf die Lehrtradition) und daß die Fundmentalisten keine Nachwuchssorgen haben?
Aufgrund der islamischen Schriftlage und Lehrtradition kann im Handumdrehen der ›Heilige Krieg‹ ausgerufen werden (wie gerade wieder vom Islamischen Rat in Indonesien) und können zehntausend junge Männer in den Tod geschickt werden (wie im jüngsten Krieg zwischen Irak und Iran, als persische Mullahs diese Zahl junger Landsleute im Sumpfgebiet zwischen beiden Ländern buchstäblich als Kanonenfutter benutzte: irakische Panzer sollten sich leerschießen). Aber auch in westlichen Ländern häufen sich die Vorfälle von Mullahhetze: In Holland z.B. mußten zwei Moscheevorsteher (so in Utrecht) gemaßregelt werden; in Deutschland hat der Bremer Verfassungsschutz das Moscheezentrum in Bremen als eine Begegnungsstätte religiöser Extremisten bezeichnet (vgl. Das veruntreute Land, nähere Angaben unter Fenster: Sachbücher in dieser Homepage).
Copyright by WALTHARI® – Aus: www.walthari.com
Vom 22. Dezember 2005
Zwischenstaatliche Kopfjägerei
Unter den Industriestaaten tobt ein stiller, aber umso ehrgeizigerer Wettbewerb um beste Köpfe. Es geht keineswegs nur um die Abwerbung von Wissenschaftlern, die als Schlüsselfiguren der Postmoderne begehrter sind als Gold; denn mit Innovationswissen und Forschungsehrgeiz erringt man im tosenden Getümmel der Globalisierung die notwendigen Marktvorteile, die den eigenen Wohlstand sichern. Dieses innovative Humankapital wird aber nicht vom wachsenden Heer der Verwalter, Politiker, Funktionäre, Journalisten usw. bereitgestellt, sondern nur von forschenden Wissenseliten. Doch, mit dieser Kerntruppe aus den Wissenschaften gibt man sich längst nicht mehr zufrieden, man bemüht sich generell um Träger intelligenten Humankapitals: um Unternehmer, Ärzte, Ingenieure, Rechner-Spezialisten usw. Die berühmte und berüchtigte Headhunterei ist vom Wirtschaftsleben auf die zwischenstaatliche Ebene übergesprungen. Wie geschieht das? Welche Folgen hat es für Deutschland, dessen Politiker wieder einmal die Lage zu spät erfaßt haben und erst langsam beginnen, Deutschland von einem sozialstaatlichen Paradies für ungelernte Zuwanderer in einen Wettbewerbsstaat im Kampf um die besten Köpfe umzuwandeln?
Neben der angelsächsischen Welt (Großbritannien, die USA, Kanada, Australien, Neuseeland) führen vor allem die Schweiz und Skandinavien vor, wie man Headhunterei betreibt. Man macht das nicht so offen wie eidgenössische und österreichische Banken, die beim Anwerben von begehrtem Geldkapital teilweise sogar aggressiv vorgehen und lockende Anzeigen schalten. Die Werbemethoden sind raffinierter, der gesuchten Intelligenzschicht angemessen. Wissenschaftler lädt man zu Tagungen, Symposien usw. ein, um ihnen die »besseren Verhältnisse« im Ausland vorzuführen. Mit Stipendien, Gastprofessuren u.ä. beginnt die eigentliche Umpolung. Es ist dann meist nur noch ein kleiner Schritt bis zu konkreten Jobangeboten für diejenigen, die man als ›bestes Humankapital‹ erkannt hat. Auf diese Weise hat Deutschland in den letzten Jahrzehnten zehntausende Wissensspezialisten verloren, die hierzulande mit Steuermitteln ausgebildet, danach aber ans Ausland ›verschenkt‹ wurden. Der Wertverlust geht in die Milliarden.
Bei der Abwerbung von Ingenieuren, KI-Spezialisten u.a. sind die Annäherungsmethoden noch unauffälliger für die Öffentlichkeit. Infolge der intensiven Verflechtung einheimischer Betriebe mit ausländischen kommt es automatisch zum Personalaustausch, wobei die Bleibebilanz in der Summe i.d.R. zugunsten des Auslandes ausfällt. Man bietet den deutschen Ingenieuren usw. bessere Arbeits- und Lebensbedingungen und bemüht sich um familiäre Einbindungen. Nimmt man ausländische Standortvorteile (niedrigere Steuern, weniger Bürokratie, geringerer Neidfaktor usw.) hinzu, kann es nicht verwundern, daß Deutschland jährlich eine Verlustbilanz beim Humankapital aufzuweisen hat, die schwerer wiegt als die ebenfalls negative Investitionsbilanz. Bezeichnenderweise wird diese personalwirtschaftliche Auszehrung unserer Volkswirtschaft nicht erfaßt; es würde gesamtstaatliche Versäumnisse bloßlegen wie keine andere Statistik.
Nur bei den Ärzten bedarf es keiner ausländischer Headhunterei mehr: Die deutschen Mediziner kehren scharenweise aus eigenem Antrieb dem heimatlichen Frustland den Rücken, in welchem sie einem staatlichen Preisdiktat und einer Kontrollbürokratie wie in niederdrückenden sozialistischen Planwirtschaften unterliegen. Immer mehr Landpraxen bleiben unbesetzt, etwa 30.000 Privatpraxen (nach Angaben der KV’en) stehen vor dem finanziellen Ruin. Wie schön, daß…
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus: www.walthari.com
Vom 1. Dezember 2005
Verwirrungen? Verwüstungen hinterlassen die Achtundsechziger!
Das gesellschaftliche Schauspiel dauerte siebenundzwanzig Jahre (von 1968 bis 2005) und wird in die Geschichte als eine Epoche eingehen, die gewaltige Schäden hinterlassen hat: bürgerliche Identitäts- und Werteverluste zuhauf, darunter den Zerfall der Familie; Politikverdrossenheit, Qualitätseinbrüche in Schulen und Hochschulen, multikulturelle Zukunftssprengsätze u.v.a.m. In der Schlußphase (1998-2005) dieser denkwürdigen Epoche gelangten die Achtundsechziger an die Hebel der politischen Macht. Das bot ihnen parteienstaatlich die Gelegenheit, neben den gesellschaftlichen nun auch die staatlichen Felder zu ›besetzen‹. Den Schlußpunkt (nach der Wahl 2005) setzte ein Kanzler als Faszinosum, das sich in seinem Hauptmedium, dem Fernsehen, so tolldreist aufführte, daß sein idolatrisches Ebenbild (nur das zählt im Medienzeitalter, nicht die reale Person) in Flammen aufging. Diesmal wurden nicht Bücher, sondern ein Kultbild verbrannt, ein wahrhaftes Autodafé im Stile eines narzißtischen Selbstvernichtungsaktes.
Wer die Schäden der 68er Vorstellung partout noch nicht sehen will, wird warten müssen, bis sie von der Zeitgeschichte schulbuchreif ausgewiesen werden: als dramatische Niedergangsphase. Diesen zeitlichen Abstand benötigen freilich nur Schönredner und Weggucker. Kritische Bürger, die ihre Augen und Ohren nicht vom Schaubetrieb haben eintrüben und betäuben lassen, können jetzt schon die verwüsteten politischen und gesellschaftlichen Sektoren ausmachen. Gewiß, nicht alle Schäden in dieser Epoche sind den Achtundsechzigern anzulasten, wohl aber ging von ihrem ideologischen Treiben der Hauptanstoß aus. Gewiß ist auch, daß Volk wie Medien den Achtundsechzigern leichtfertig auf den Leim gingen, wie an Wahlergebnissen und an huldigenden Medienberichten abzulesen ist. Wo Verführer agieren, gibt es nun mal auch Verführte, die den Stimmungsfängern unkritisch hinterherlaufen und sich mitreißen lassen. So war es auch in der Gesinnungs- und Aktionsepoche von 1968 bis 2005. Man sehe sich beispielsweise den epochalen Zerfall der Universitäten oder des gesellschaftlichen Kernelements, der Familie, an. Zwar können die hohen Scheidungsraten, die Kinderlosigkeit, die hohe Rate unehelicher Geburten (ein Viertel aller Neugeborenen) usw. nicht unmittelbar auf die antibürgerliche 68er-Bewegung zurückgeführt werden, mittelbar aber schon. Was anfänglich schicke Wohngemeinschaften, sind heute lose Lebensgemeinschaften. Wenn schon Ehe, dann gleich mehrere davon, sozusagen im Stile von Hollywood-Stars. Im Feld gesellschaftlicher Beliebigkeiten ist es auch hoffähig geworden, als Single ohne Kinder- und Altenanhang an seiner Karriere zu arbeiten. Politikfähig wurde schließlich ein Stil, der das Regieren und seine legislative Unterfütterung zu medialen Schaustücken mit abrupten Schwenks hat verkommen lassen.
Über all das ist myriadenoft berichtet worden. Die Dossiers und Magazine sind propervoll und harren der zeitgeschichtlichen Auswertung. Die ersten Bilanzanalysen von Zeitkennern liegen freilich schon vor: »Ich halte es durchaus für möglich, daß es mit Deutschland in diesem Jahrhundert zu Ende geht«, stellte Arnulf Baring am 19. September 2005 fest (in: HB/Nr. 181, S. 2). Und Alice Schwarzer bezeichnet einen Hauptdarsteller des Schauspiels als »Polittyrannen«. »Keiner wagt sich ihm in den Weg zu stellen. Auch dann nicht, wenn es der falsche ist« (in: FAS Nr. 38/05, S. 7).
Wie konnte es dazu kommen, daß sich in Deutschland am Ende der jüngsten Epoche ein »Polittyrann« (Alice Schwarzer) so demonstrativ in Szene setzten konnte? Die beste Erklärung und dazu in knappster Form findet sich in ›Mittelweg‹, Heft 36/04, S. 56-72. Christian Schneider, einst selber ein 68-Bewegter, bietet unter dem Titel ›Der Holocaust als Generationsobjekt‹ eine Mentalitätsanalyse aus den ideologischen ›Privatkammern‹ der Epochenstürmer. Schon die Sprache des Insiders bietet ein besonderes Lese-Erlebnis. Da ist von Bedeutungsmonopolisierung, Konformitätscontainer und Wiederholungsphobie die Rede. Um die Summe der ›Anmerkungen zu einer deutschen Identitätsproblematik‹ (Untertitel) hier kurz zu markieren: Schneider rechnet mit dem »erschlichenen Leidenmonopol« ab, das unter dem »Posaunenton der Betroffenheit« anklagegeschickt installiert wurde. Den moralisch maskierten Achtundsechzigern sei es mit anzulasten, daß in Deutschland eine »selbstverständliche unpathetisch zivilgesellschaftliche Haltung im Alltag« nicht entstehen konnte. Ein bestimmter Typ sei »hinsichtlich seines theoretischen und moralischen Habitus … auf eine spätadoleszente Gestalt eingefroren«. Wem kämen da nicht bestimmte Presse-, Fernseh- und Parlamentsauftritte der besagten »Generationskohorte« in den Sinn! Das »Schwelgen in der ›erborgten‹ Schuld gehört ebenso zum festen Repertoire der Generationsgestalt wie der aus der Opferidentifikation hergeleitete Anspruch einer unangreifbaren moralischen Überlegenheit«. Schneider setzt noch eins drauf: »Die Achtundsechziger brauchen das singuläre Ereignis Holocaust, um sich ihrer eigenen Singularität zu versichern. Ebendies wird heute…«
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer – Aus: www.walthari.com
3. November 2005
Dieses bankrottierende Parteienregime verdient ein baldiges Ende
Jetzt, nach der Schröder-, Müntefering- und Stoiberaffäre, geben sich auch die bislang nachsichtigsten Beobachter plötzlich tief erschüttert: Deutschland wird seit Monaten nicht mehr regiert, obschon eine Insolvenz des Staatshaushaltes und der Sozialsysteme bevorsteht und das Krebsgeschwür namens Arbeitslosigkeit (offiziell 4,5 Mio., in Wahrheit über sieben Mio. Menschen) die andere Säule der Nation, nämlich die Gesellschaft, ins Wanken gebracht hat. Wenn Staat und Gesellschaft in den Ruin getrieben werden, ist der Hauptschuldige unschwer auszumachen: Es sind die etablierten Parteien, deren Regime sich den Staat zur Beute gemacht hat (Parteienstaat) und das die Gesellschaft so tief verunsichert, daß jährlich rund 100.000 Deutsche auswandern und die Gebliebenen das Wichtigste verlieren, worauf ein stabiles staatliches Gemeinwesen beruht: Vertrauen. Schon bei der Nennung von Politkernamen winken neun von zehn Bürger ab. Allein in den letzten zwölf Monaten sind täglich 1.000 (tausend) Arbeitsplätze verlorengegangen und haben täglich über einhundert Betriebe geschlossen. Die Staatsverschuldung hat je Kopf (Kinder und Alte eingeschlossen) Ausmaße angenommen, die nicht mehr rückzahlbar sind.
Mitten in diesen desaströsen Zuständen lächeln Politgranden fröhlich in die Kameras und zeigt sich der neue Deutsche Bundestag bei seiner konstituierenden Sitzung in bester Laune. Der Karriere-Ehrgeiz einer buschig aufgelockten Jungsocia stürzt ihre ›Volkspartei‹ in die schwerste Krise seit Jahrzehnten, woraufhin die Spitzengenossen im Schnellverfahren die tiefe Gespaltenheit der Partei flugs zu kaschieren versuchen. Windige Sanierungstechniken erfassen nicht mehr allein die öffentlichen Haushalte und Arbeitslosenstatistiken, sie finden jetzt auch innerparteiliche Anwendung. Derweil verlieren immer mehr Menschen ihre Arbeitsplätze, nimmt die Armut zu, zerfranst multikulturell die Gesellschaft und bangen alle zwangsversicherten Arbeitnehmer (rd. 35 Mio.) um die Sicherheit ihrer Rente.
Der früh verstorbene Spitzenjournalist Johannes Groß vertrat einst die These, daß die Wahlbeteiligung unter fünfzig Prozent sinken müsse, bevor die Parteien die ihnen vom Grundgesetz zugewiesene Schranke (in Art. 21, Abs.1) respektierten: nämlich an der politischen Willensbildung nur mitzuwirken, statt diese total an sich zu reißen. Im Klartext: Ohne vermehrte direktdemokratische Bürgerbeteiligung sind Staat und Gesellschaft nicht aus ihrer schweren Krise zu führen…
Wie dramatisch sich die Lage zugespitzt hat, erkennt man auch an den besorgten Stimmen im Ausland. Man ist geradezu fassungslos über die Leichtfertigkeit und Naivität des deutschen Souveräns, nämlich der Wahlbürger: Wie kommt es, daß sich die Deutschen ein politisches Personal glauben leisten zu können, das den Aufgaben, wie sie das Grundgesetz vorsieht, nicht gewachsen ist? Die Antwort gibt, stellvertretend für alle Beobachter im In- und Ausland, die NZZ Nr. 232/05, S. 3: Es sei der schindluderhafte »Umgang mit dem kostbarsten Gut der Demokratie, dem unantastbaren Urteil des Volkswillens«. Genau dieser Volkswille kann schon in repräsentativen Wahlen allein nicht angemessen zum Ausdruck gebracht werden. In einem Parteienstaat wie dem deutschen können es sich Politiker leisten, was G. Schröder musterhaft vorgeführt hat: »beispiellose Deutungsakrobatik« und Machtspiele anstelle von inhaltlicher Politik. Die NZZ weiter: »Regeln und Gepflogenheiten spielen für ihn keine Rolle mehr, inhaltliche Anliegen sind sekundär.« Vernichtender könnte das Urteil nicht ausfallen. Alle wissen Bescheid – auch die Wähler?
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus: www.walthari.com
4. Juni 2005
Die Krise der Parteiendemokratie als Verfassungskrise
Nichts fürchtet die politische Klasse mehr als Volksabstimmungen. Während sie Wahlen im repräsentativen System geradezu mag, wird sie von panischen Ängsten ergriffen, wenn ein Referendum ansteht, wie die Reaktionen (auch in Deutschland) nach der Ablehnung der EU-Verfassung in Frankreich und Holland gezeigt haben. Kein Mittel, kein Argument scheint zu schäbig, um Volksabstimmungen zu verhindern oder nachträglich herunterzuspielen. Das Volk sei nicht ausreichend informiert, heißt es; der Bürgerwille unterliege Stimmungen, woraus sich unannehmbare Zufälligkeiten ergäben; Politik mißrate zur bloßen Stimmungsdemokratie, die bevorzugt Demagogen Tür und Tor öffne; bei Volksentscheidungen würden alle möglichen Verärgerungen über die Politik abgeladen, d.h. über etwas anderes votiert, als infrage stehe usw. Im Ergebnis laufen Abwehr und Abwertung darauf hinaus, daß man das Volk, von dem nach der Verfassung alle Gewalt ausgehen soll, für politisch unreif und unmündig hält.
Man muß sich diese Anmaßung so richtig klar machen: Repräsentanten, die ihr politisches Mandat vom Volk ableiten, halten den Mandatsgeber im Grunde für vollmachtsunmündig und verlangen daher, daß der unberechenbare Volkswille über repräsentative Kanalisierungen gezähmt werden müsse; für direkt-demokratische Willensäußerung ist danach der Verfassungssouverän, das Volk, schlicht unreif. Die Unlogik dieses Schlusses scheint nicht einmal allen Verfassungshütern aufzufallen, wie aus ihren Äußerungen zu schließen ist.
Demgegenüber muß an eine politische Erfahrung erinnert werden. Politik ohne engperiodische, direktdemokratische Korrekturen am repräsentativen Handeln neigt zur Abgehobenheit und Überheblichkeit. Als die Volksabstimmungen in Frankreich und Holland die Abgehobenheit der politischen Klasse abstrafte, fanden sich selbst deutsche Parteigrößen herbei, dem französischen Volk ein schlimmes Fehlverhalten zu unterstellen. Überheblichkeit und Volksferne sind offenbar so weit fortgeschritten, daß selbst angesichts des zweifachen Scherbenhaufens es zur nüchternen Selbsterkenntnis nicht reicht. Diese Einstellung läuft auf eine Selbstmandatierung aus angeblich privilegierter Einsicht hinaus und kann als Strukturverwandte der einst adeligen Privilegienherrschaft angesehen werden: Was ehemals die Berufung auf das Gottesgnadentum (legitimiert durch Gott), ist heutzutage eine Berufung auf Verfassungsprivilegien, die den Parteien freilich eine bloße Mitwirkung an der politischen Willensbildung zugestehen (Art. 21 GG). Auch die Berufung auf Art. 38 GG rechtfertigt keine Volkszurücksetzung: Zwar ist ein Abgeordneter nach der Wahl nur seinem Gewissen, also keinen Weisungen unterworfen, aber diese Ungebundenheit ist im Kontext einer Vertretung des ganzen Volkes zu lesen. Der entsprechende Verfassungssatz lautet: »Sie (die Abgeordneten) sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.« Die Rückbindung an den Volkswillen ergibt sich zudem aus dem Gebot der nur unmittelbaren »Wählbarkeit«, also des Ausschlusses von Listenwahlen, bei deren Kandidatenaufstellung der Wähler keinen Einfluß hat und die eine unmittelbare Wahl von Kandidaten in der Regel nicht zulassen. Insbesondere diese Listen sind es, die Wahlen bei den etablierten Parteien so akzeptabel machen – im Unterschied zu Volksbegehren. Gekoppelt mit gemischter Programmatik und idolatrischen Zuspitzungen sind Listenwahlen eine Art autonomer Freiraum für eine politische Klasse, die sich aufs Repräsentieren mit geschwächtem Wählereinfluß spezialisiert hat. Bekanntlich sind Listenvoten wahlentscheidender als Direktwahlen, weil bei letzteren die Minderheitsstimmen verlorengehen und die Namen auf den Listen in der Kompetenz der Parteien, nicht also der Wähler liegen.
Dieses volksferne System, das weder mit dem Geist und Buchstaben der Verfassung noch mit der Wählersouveränität ausreichend kompatibel ist, hätte bei einer Volksabstimmung in Deutschland aller Voraussicht nach zur gleichen Abstrafung der politischen Klasse geführt wie in Frankreich und Holland. Daher die Aufgeregtheiten in den etablierten Parteien, die ein Europagebäude nach obrigkeitlichen Vorstellungen konstruiert haben, das die Wähler nicht wollen. Nicht allein die überhastete Osterweiterung und der Kulturwandel durch die beabsichtigte Aufnahme der Türkei haben die sog. politischen EU-Eliten ihren Völkern entfremdet. Es ist auch der unerträgliche Stil des Besserwissens, der die repräsentative Demokratie in eine Krise gestürzt hat.
Der gesunde politische Verstand der Menschen hat auch eine andere abgehobene Elite geradezu demaskiert und sogleich in Rage versetzt. Es sind die feinen intellektuellen Herrschaften, die über das Volk nur über die Medien etwas vernehmen und auch auf diesem indirekten Wege mit den Bürgern vornehmlich verkehren. Am wirklichen Leben des Volkes nehmen sie keinen Anteil; sie basteln sich eine Welt aus Büchern und mit Büchern zurecht. Wie vom Blitz getroffen reagierten sie daher auf die Wahlergebnisse aus Frankreich und Holland: zunächst erstarrt, dann aber auch mit blinder Wut. Ein französischer Philosoph z.B., den man etwas voreilig den bedeutendsten im eigenen Lande nennt, sprach von »Hunden des Populismus von rechts und links«, die eine »beispiellose Desinformationskampagne« losgetreten hätten. Schon die Bezeichnung verrät den überfeinerten Intellekt jenseits des Geschmacks anständiger Leute, noch mehr hat es der Populismusvorwurf in sich. Populus nannten die Römer das Volk, auf das es in einer Demokratie doch letztlich ankommen soll. Wie anders als populistisch, also mit Volkes Stimme, kann ein Votum eingeholt werden? Hat man vergessen, daß das politische Establishment seit Jahr und Tag vieles tat, »was es nicht tun durfte: Es hat die existierenden Regelungen verschärft und fortlaufend neue geschaffen« (Giulio Tremonti, stellv. MP Italiens); es hat aberhundert Unsinnsregelungen dem Bürger aufgezwungen (Gurken-, Ferienhausverordnung usw.); es hat die Osterweiterung der EU mit falschen Versprechungen vorgenommen; es hat EU-Verhöhnungen (im Falle Griechenlands: systematischer Statistikbetrug seit 1997!) und Mißachtungen (im Falle Deutschland u.a.: Verletzung der Konvergenzkriterien seit mehreren Jahren) von Gemeinschaftsregeln kleingeredet und damit die faktische Zerstörung des Wachstums- und Stabilitätspakts eingeleitet usw. usw. Ist es da noch verwunderlich, daß die Franzosen und Niederländer, einmal direkt um ihre Meinung gefragt, das europäische Luftschloß ihrer politischen Eliten ›weggeblasen‹ haben?
Wenn rund achtzig Prozent der in den EU-Ländern in Kraft tretenden Gesetze und Verordnungen nicht mehr von den nationalen Parlamenten, sondern im fernen, durch Wahlen nicht legitimierten Brüssel beschlossen werden, dann ist dieser Zustand absurd. Von 23.167 Gesetzen und Verordnungen zwischen 1998 und 2004 hat Brüssel rund 19.000 (!), der Bundestag nur 4.250 selbständig verabschiedet.
Obschon es in Artikel 20 Abs. 2 des Grundgesetzes heißt: »Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen (!)… ausgeübt«, so hat das deutsche Volk bis heute nicht einmal über das Grundgesetz selbst abstimmen dürfen, obschon es Artikel 146 gebietet! Der Selbstwiderspruch dieser Lage ist offenkundig: Das GG billigt dem Volk alle Staatsgewalt »in Wahlen und Abstimmungen« zu, führt aber diese Primärlegitimation nicht auf den Urakt einer Verfassungsverabschiedung durch das Volk zurück. Das GG wurde im Jahre 1949 vom Parlamentarischen Rat beschlossen und »durch die Volksvertretungen (!) … angenommen«. In politischen Krisen wie derjenigen unserer Zeit wird das Legitimationsdefizit besonders deutlich. Der Selbstwiderspruch im GG beschädigt dauerhaft das politische Urvertrauen des deutschen Gemeinwesens.
Die Schieflage wird noch dadurch gesteigert, daß das GG Volksabstimmungen nur in Angelegenheiten zuläßt, die z.B. das Staatsvolk (etwa im Staatsangehörigkeitsrecht) und das Staatsgebiet berühren. Dieses zusätzliche Verfassungsdefizit wird gerne mit ›Weimar‹ begründet, obschon es historisch nicht hält. Hitler kam nicht durch eine direkte Volksabstimmung an die Macht, sondern mit den Stimmen von Reichstagsmitgliedern, also auf dem Weg der repräsentativen Demokratie (vgl. den WALTHARI-Beitrag ›Bürgergesellschaft und direkte Demokratie‹). Zumindest kann die Referendumsferne des GG nicht mehr als zeitgemäß betrachtet werden. Vordringlicher als eine EU-Verfassung wäre daher für Deutschland, die Legitimationsschäden des GG (Art. 146 sowie Zulassung von weiteren direkten »Abstimmungen« nach Art. 20 Abs. 2) zu beseitigen. Die Bürger des 21. Jh. betrachten es als eine nicht mehr länger hinnehmbare Mißachtung ihrer primären, verfassungsrechtlich zugedachten Verantwortung der Staatsgewalt, direkte Willensäußerungen nur auf Wahlen beschränkt zu sehen. Die zugestandenen direkten »Abstimmungen« reichen bei weitem nicht aus. Solange dieser Zustand anhält, kann mit guten Gründen gesagt werden: Die Krise der Parteiendemokratie in Deutschland entpuppt sich als eine Verfassungskrise.
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus: www.walthari.com
Zitate:
Elmar Brok, Abg. im Europäischen Parlament, über den Ausgang der Wahlen in Frankreich und Holland: »Das zeigt, dass ein Referendum nicht das geeignete Instrument ist, um über eine Verfassung zu befinden« (RM Nr. 22/2005, S. 4).
Prof. Dr. Ernst Benda, ehem. Präsident des Bundesverfassungsgerichts: Wir »sollten uns daran halten, daß das Grundgesetz aus guten Gründen keine Volksabstimmungen vorsieht« (JF Nr. 23/2005, S. 3).
9. Oktober 2005
Unausrottbare Großillusionen trotz unlösbarer Weltprobleme
Teil 8
1
Am 11.Oktober 2000 wurden in dieser WALTHARI-Zeitung fünfundzwanzig Weltprobleme vorgestellt. Untertitel: ›Globale Zuspitzungen in der Spätneuzeit‹. Neben den sattsam bekannten Krisen wie Bevölkerungsexplosion, Umweltzerstörung, Multikulturalismus, Verarmung, Hyperurbanisierung u.a. wurden auch weniger geläufige Weltprobleme genannt, darunter die Netzmonadisierung, Seuchenrenaissance, Bonzenwirtschaft, Entmythisierung und Entschamung.
2
In den Folgejahren wurden unter dem Titel ›Unausrottbare Großillusionen‹ mehrere Beiträge veröffentlicht. Sie sprechen jedem nüchternen Denken hohn, weil die Faktenlage und die gescheiterten Lösungsversuche die Unlösbarkeit hinlänglich beweisen. Beispiel: weltweite Verarmung. Wer je Indien, China und andere Entwicklungs- bzw. Schwellenländer bereist hat, bekommt auch ohne das Zahlenwerk der UNO usw. dramatisch vor Augen geführt, wie illusionär es wäre, die zwischen Bevölkerungswachstum und Umweltzerstörung eingekeilte Verarmung aufhalten oder gar beseitigen zu können. Allein schon die schrumpfenden Weltressourcen würden es nicht erlauben, daß die gesamte gegenwärtige Weltbevölkerung den halben westlichen Lebensstandard erreichen könnte. Diesen Standard proklamieren aber Armutsbekämpfungsprogramme allen Ernstes als Ziel.
3
Gegenwärtig werden in rund dreißig Ländern (von etwa 200) Gewaltexplosionen gezählt, von denen ein Drittel in die Kriegskategorie eingeordnet werden müssen. In Teilen Iraks, Afghanistans, Thailands und vor allem in Afrika halten sich seit Jahren Kriegsszenarien. 75.000 Blauhelmsoldaten aus 89 Ländern nehmen an sog. Friedensoperationen teil – mit zweifelhaftem Erfolg, wie deren Dauer belegt. Allein 14.000 UN-Mitarbeiter bindet der endlose Balkankonflikt, der, wie in Nordirland, aus Jahrhunderten kommt und an schwelender Gewaltbereitschaft nichts eingebüßt hat. Dabei kann dieser Konflikttypus noch als ›harmlos‹ eingestuft werden im Vergleich zu den Greuel in Afrika, Asien und Mittelamerika.
4
Die Finanz- und Warenglobalisierung nährt die Illusion einer möglichen demokratischen Weltgesellschaft. Selbst bei einem allerorten herrschenden Frieden ist diese Vorstellung grob faktenverachtend. Allein schon die kulturellen und religiösen Unterschiede sind einer Demokratisierung nach westlichem Muster (Menschenrechte, Gewaltenteilung usw.) unzugänglich. Noch illusionärer als ein Weltfriede ist das Ziel einer Weltgesellschaft nach den Maßstäben der proklamierten Konventionen (der UN u.a.). Die politische und gesellschaftliche Realität in Indien liefert dafür exemplarisches Anschauungsmaterial: In der ›größten Demokratie der Welt‹ dominiert nach wie vor das Kastendenken (gegen den verordneten Gleichheitsgrundsatz); unvorstellbare Armut und massenhafte Kinderarbeit verhindern gesellschaftliche Verhältnisse, die eine auf Freiheit und Gleichheit angelegte Politikgestaltung stark einschränken. Strukturell demokratiewidrige Verhältnisse herrschen in islamischen Staaten, unter denen kein einziger halbwegs zu den Demokratien zu rechnen ist. Zu einem der unkalkulierten Abenteuern mißriet der Versuch, mittels Krieg eine Demokratie im Irak einzurichten. Unter den 85 Staaten, die Freedom House als ›frei‹ einstuft, sind 76 christlich geprägt und davon ist nur rund die Hälfte demokratisch im klassischen Sinne (mit Bürgerrechten, unabhängiger Justiz usw.). Die Staaten im christlichen Süd- und Mittelamerika gelten zwar nach ihren Verfassungen als ›frei‹, doch hapert es vielfach bei der Gewaltenteilung (korrupte Justiz usw.). Kenner der jeweils örtlichen Lage halten ein Drittel aller Staaten für nicht demokratiefähig und ein weiteres Drittel für nur demokratieadäquat, darunter Rußland, Indien und Singapur.
5
Trotz dieser niederschmetternden Faktenlage propagieren unverbesserliche Menschheitserzieher eine global durchsetzbare Weltmoral. ›Weltethos‹ nennt sich das Projekt eines christlichen Theologen, der im Islam keine strukturell unaufhebbaren Defizite zu erkennen glaubt. Die alte Illusionsfalle: Weil Handel und Technik universalisierbar sind (Handys breiteten sich rasend weltweit aus), hält man dies auch bei moralischen und kulturellen Werten für möglich.
6
Doch selbst auf wirtschaftlicher Ebene herrschen Großillusionen. Der Club of Rome träumt von einer weltweiten öko-sozialen Marktwirtschaft nach dem Vorbild der EU. Doch Europa taugt nicht zum Vorbild: Obschon es sich um einen seit der Antike gewachsenen kulturellen Raum mit grandiosen Selbstreinigungsprozessen (Luther, Kant, Faschismus- und Kommunismusüberwindungen) handelt, hat sich der alte Kontinent mit der EU eine Mißgeburt geleistet (vgl. die zahlreichen Kritiken in diesem WALTHARI-Portal). Es ist die Krankheit der Großen, die von einem globalen Marshall-Plan fantasiert und selber Struktursünden (vgl. den UN-Skandal um die Irakaktion ›Frieden gegen Lebensmittel‹) begehen. Die EU-Bürokratie verlangte von den Stadtwerken in Speyer eine Ausschreibung von 200 Seiten Länge für die Einrichtung der örtlicher Buslinie; darin war selbst der Farbton der Haltestangen (nach RAL) sowie die Dicke der Sitzpolster in den Bussen genau vorgeschrieben. 54 Malusregeln (so 50 Euro Strafe bei »Nichteinhaltung der Fahrerkleidung« usw.) waren zu akzeptieren.
7
Wie schief die Weltlage ist, kann man in Fr. Fukuyamas ›Staaten bauen‹ nachlesen. Der hochgeachtete Gelehrte sieht sich genötigt, einen gemäßigten Neokolonialismus vorzuschlagen. Nicht wenige, aus englischer, französischer usw. Vorherrschaft befreiten Staaten hätten sich als unfähig erwiesen, Wohlstand, Frieden und Demokratien zu erreichen. Fukuyama plädiert daher für UN-Verwaltungen und kann darauf verweisen, daß Dutzende dieser Staaten heute schon ohne UN-Beistand nicht existenzfähig sind.
8
Handelt es sich beim Spiel mit Großillusionen um harmlose Spinnereien von Phantasten? Weit gefehlt. Ihre ideologischen Potenzen können verheerend wirken, wie an der Verführungskraft der klassenlosen Weltordnung (Marx-Engels) abzulesen war. Die Dekonstruktion von Weltillusionen ist daher ein permanentes Aufklärungsgeschäft. Dabei lohnt es sich, bei antiken Denkern in die Schule zu gehen, die sich nicht weniger mit gefährlichen Illusionen konfrontiert sahen. Das blühende Athen wäre ums Haar an seinem ›Sizilianischen Abenteuer‹ zugrunde gegangen. Demokrit (460 – 371 v. Chr.) lehrte seine Zeitgenossen, daß der nichtoffensichtliche Logos stärker sei als der offensichtliche (Fragment 54), d.h. die nicht unmittelbar sichtbaren Mentalitäten, Traditionen usw. wirken mächtiger als die Dinge an der Oberfläche. Noch berühmter ist sein Zeit- und Verwandlungsaxiom: »Niemand kann zweimal in denselben Fluß steigen« (Fragmente 12), will sagen: Jede Zeitchance ist einmalig, und niemand ist beim zweiten Mal derselbe wie beim ersten Mal. Am passendsten zu unserer Thematik sind zwei weitere Aussprüche Demokrits: »Weise ist nur, wer die Weisen der Welt versteht« (Fragment 41) und »Die trockene Seele ist die weiseste und beste« (Fragment 118). Es ist allemal ertragreicher, in einem Philosophenfundus zu stöbern, als hochpathetische und faktenferne Weltsanierungsprogramme beim Wort zu nehmen. Denn…
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus:www.walthari.com
21. Juli 2005
Verwahrlosung des Rechts und der rechtsetzenden (Un-)Sitten in der Parteiendemokratie
2. Teil
Von Meinhardt Jurbart
1
»Am 3. November 1820 notierte Leopardi in seinem ›Zibaldone‹ (Gedankenbuch): ›Die Verderbnis der Sitten bringt Republiken den Tod und begünstigt die Tyrannis und die absolute Monarchie. Das allein genügt, um über die Art und Verschiedenheit dieser beiden Regierungsformen zu urteilen.‹ Das Recht als freiheitswahrendes und friedensstiftendes Angebot an das Gemeinwesen lebt vom Zutrauen, von seiner Formstrenge und Unabhängigkeit. Der Zustand eines Gemeinwesens ist nicht zuletzt daran abzulesen, wie es mit dem Recht umgeht und inwieweit es dem Recht noch vertraut.« So hieß es einleitend in Teil 1 dieser juristischen Umschau, die an die Mahnung des Präsidenten des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 21.08.2002 erinnert, die Unabhängigkeit der Justiz nicht zu gefährden. Er dachte dabei an das Verfahren in Richterwahlausschüssen, die auf Bundes- und Länderebene von Vertretern der Parteien dominiert werden. Inzwischen haben sich die Verhältnisse keineswegs verbessert. Nachdem die politische Klasse die Universitäten zu schleifen begonnen hat, droht die Justiz als letzte Säule des freiheitlichen Geistes zum Dispositionsfall zu werden. Gefahren drohen allerdings nicht nur von der politischen Seite; die Richter- und Anwaltschaft selber trägt einiges dazu bei und nicht zuletzt die Bürger, die immer mehr eine rechtsverachtende Gesinnung an den Tag legen.
2
Alles andere als harmlos: Es gibt mittlerweile Anwaltsbüros, die Internetportale systematisch danach absuchen (lassen), ob geschützte Markenzeichen u.a. verletzt werden. Stoff für Klagen.
3
»Man muß sich von dem Gedanken frei machen, daß man alles, was unliebsam ist, verbieten muß«, erklärte im Februar 2005 der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig und hatte dabei die Einschränkung des Versammlungsrechts im Auge. Konkret ging es darum, Aufmärsche der NPD an Gedenkstätten und besonders am Brandenburger Tor in Berlin zu verbieten. Von politischer Seite fürchtete man weniger die Neonazis als die ›Bilder, die um die Welt gehen würden‹. Rechtseingriffe aus Bilderängsten.
4
Recht nach Kassenlage? Auf dem Festakt anläßlich des 50jährigen Bestehens des Bundessozialgerichts ermahnte der Altbundespräsident und ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Roman Herzog, die Sozialrichterschaft, sich auf die veränderten Verhältnisse des Sozialstaates einzustellen. Ein »Umdenken und Umfühlen« sei notwendig.
5
Der prominente Anwalt und Strafverteidiger Rolf Bossi hat in seinem Buch ›Halbgötter in Schwarz. Deutschlands Justiz am Pranger‹ (2005) die »vom Justizsystem begünstigte Selbstherrlichkeit und Willkür deutscher Richter« angeprangert und unterstellt, daß Urteile durch »Rechtsbeugung und Kumpanei« zustande kämen. Das »richterliche Selbstbewußtsein (sei) aus dieser Tradition (der Mitte des 20. Jh.) heraus ins Unantastbare gewachsen«. Dafür führt Bossi Fälle an. Die allgemeine Richterschelte ist sicherlich überzogen, doch sollten sich manche Hüter des Rechts fragen, ob sie leidige Fälle nicht allzu schnell und hochmütig ›durchhauen‹.
6
Stechuhren für Richter. »Ist es vertretbar, daß insbesondere in obersten Gerichten der Bundesrepublik Deutschland nicht wenige Richter pro Woche nur einen Tag erscheinen, in Extremfällen sogar nur alle vierzehn Tage einmal und ansonsten sich in ihrem Hunderte von Kilometern entfernten Heimatort aufhalten?« Diesen Angriff auf ein Richterprivileg startete der bayerische Finanzminister Falthauser und bewies damit seine grobe Unkenntnis richterlicher Arbeitweisen. Gezielt hatte er damit auf die angebliche Faulheit der Robenträger, die freilich fast dreihundert Fälle im Jahr bearbeiten und damit höchst eifrig bei der Arbeit sind – ob zuhause oder im Gericht sollte einen Politiker nicht interessieren. Doch Falthauser zeigte nicht einmal Respekt vor einem BGH-Urteil aus dem Jahre 1990, in welchem es heißt, zur richterlichen Unabhängigkeit gehöre es auch, an feste Dienststunden nicht gebunden zu sein.
7
Maßstabskrise. Zu den interessantesten und zugleich heikelsten Entscheidungsfällen gehören das Abwägen konkurrierender Rechte und Grenzziehungen gegenüber Sonderrechten. Der Zeitgeist sowie übergeordnetes politisches Recht- und spezielles Wirkungsbedenken sind die dabei gefährliche Einbruchstellen. Letzteres wurde in einem Beitrag vom 26.09.2003 ausführlicher dargestellt. Kurz gefaßt, geht es darum, die Fassung von Recht bzw. Unrecht von Wirkungsempfindungen abhängig zu machen, so bei den fast gängigen Antisemitismusvorwürfen, die häufig nicht auf objektive Tatbestände oder auf Auslegungen allgemeinen Rechtsempfindens, sondern auf zwar verständlichem, dennoch subjektivem Gekränktsein aus speziellen leidvollen historischen Erinnerungen. Recht gesprochen wird dann allzu leicht aus Wirkungsbehauptungen bzw. -befürchtungen, die auf einen Sonderstatus hinauslaufen und auch zu einer faktischen Zensur ausarten können. Sonderrechte verstoßen aber gegen den Gleichheitsgrundsatz und beschädigen das gesellschaftliche Vertrauen in das Recht. In einer gefestigten Demokratie sind spezielle Rücksichtnamen gesellschaftlich und medial einzufordern, nicht auf dem Rechtswege, der auch mißbraucht werden kann. Wieweit es in dieser Sache gekommen ist, beschrieb die FAZ (Nr. 80/2000, S. 6): »Juristen bezweifelten auch, ob die Strafnorm mit der Meinungsfreiheit vereinbar sei. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts findet sich für diese Bedenken allerdings kaum eine Stütze. Die Behauptung erwiesenermaßen unwahrer Tatsachen fällt demnach von vornherein nicht in den Schutzbereich des Grundgesetzes. Zudem hat der Bundesgerichtshof schon lange vor der Gesetzesänderung die ›Auschwitz-Lüge‹ als strafbare Beleidigung eingestuft; der Bundestag hat obendrein 1985 Betroffenen die Stellung eines Strafantrags erspart und die Staatsanwaltschafteen zu Ermittlungen ›von Amts wegen‹ verpflichtet. Verfassungsbeschwerden gegen entsprechende Verurteilungen hatten in Karlsruhe keinen Erfolg, weil die Verfassungsrichter dem Persönlichkeitsschutz der Juden den Vorrang vor der Meinungsfreiheit der Täter gaben.« Die Gefahren zeigen sich durchaus bei der Urteilsfindung. Wenn Arbeitsgerichte schwangeren Frauen das Recht auf Lüge einräumen, um bei Einstellungsgesprächen nicht benachteiligt zu werden; wenn die 23. Zivilkammer des Landgerichts Berlin einem (stellvertretenden) Regierungssprecher einräumt, straflos die Unwahrheit sagen zu dürfen (23 0 366/04); wenn das Bundesarbeitsgericht eine Unternehmenshaftung auch dann feststellt, wenn ein beauftragter Dritter (z.B. die Bundesagentur für Arbeit) gegen das Gebot geschlechtsneutraler Betextung verstößt (Az.: 8 AZR 112/03); wenn es jahrzehntelang Vätern nur mit Zustimmung ihrer geschiedenen Ehefrauen (und Müttern) erlaubt war, ihre Kinder zu besuchen, obschon diese Väter deren Unterhalt bestritten; wenn der Bundesgerichtshof einem von Zweifeln geplagten Ehemann nur unter Nachweis konkreter Umstände zugesteht, die Zustimmung seiner Ehefrau und eines Kindes (das aus Altersgründen womöglich gar nicht willensfähig ist) für einen Vaterschaftstest zu erzwingen (Az.: XII ZR 60/03 u. 227/03); wenn der hessische Verwaltungsgerichtshof befindet, ein Kreuz im Sitzungssaal eines Kreistags sei auf Beschwerde einer Kreistagsabgeordneten abzunehmen (Az.: 8 TG 3476/02) – dann spielt der schwankende Zeitgeist machtvoll mit. Bleibt noch die Gefahr aus sog. übergeordneten politischen Rechtsbedenken. Mit welch minderem Respekt und geringem Sachverstand von politischer Seite an die Justiz herangetreten werden kann, belegt die Richterschelte eines Bundestagspräsidenten: Das Bundesverfassungsgericht, meinte der gelernte Theologe, sei für die Politik allzu oft »unberechenbar« und seine Entscheidungen geradezu beliebig. Die Antwort des Verfassungsrichters Udo Di Fabio: »Ein gutes Verfassungsgericht tut weh – vor allem dem Regierenden.« Tollkühn fällt dennoch die Politik immer wieder der dritten Gewalt in die Arme, so mit sog. Justizreformen, mit politisch vorgefärbten Richterernennungen usw. Nur der politischen Klasse scheint es nicht aufzufallen, daß sich immer häufiger Rechtswissenschaftler und Richter besorgt zu Wort melden, weil sie die Unabhängigkeit und Qualität der Justiz in Gefahr sehen. Ohne jeglichen Widerspruch konnte eine große Sonntagszeitung am 10.11.2004 feststellen: »Die Praxis der Parteienherrschaft hat es mit sich gebracht, daß die Richter (am BVerfG) mehr oder weniger erkennbar einer der beiden großen Parteien zuzurechnen sind.« Eine verheerende Feststellung.
8
Entmachtung der Parlamente. Die politische Klasse beklagt den zunehmenden Machtschwund der Legislative. Sie verweist auf den sog. Korrekturvorbehalt von ›Karlsruhe‹. Es würden Gesetze stets mit Blick auf das BVerfG erlassen. Ist das ein Schaden? Sind es nicht die Fraktionen selber, die ›den Gang nach Karlsruhe‹ ständig antreten und das BVerfG zur faktischen politischen Machtzentrale gemacht haben? Haben die Parlamente sich nicht auch dadurch selber entmachtet, daß sie immer mehr Rechte an ›Brüssel‹ abgetreten haben, so daß das BVerfG deutliche Vorbehalte angemeldet hat? Waren es nicht Parlamentsfraktionen, die einen internen Entwertungsmechanismus geschaffen haben, der die originären Rechte des Parlaments bzw. des Abgeordneten ausgedünnt hat: mittels Fraktionszwang, Koalitionsvereinbarungen (beide im GG nicht vorgesehen), Schattenhaushalte u.a.m.? Wie schludrig der Bundestag Brüsseler Vorgaben ohne den Blick auf das Grundgesetz einfach durchwinkt, belegt die Aufhebung des europäischen Haftbefehls durch den Zweiten Senat des BVerfG am 8.Juli 2005. Eine der vielen Blamagen des Gesetzgebers, die an die Substanz der Parteiendemokratie rührt.
9
Doch bisweilen stellt sich die Justiz selber das Bein. Mit Urteil vom 02.10.2003 (Az.: V ZB 72/02) hat der BGH ein juristisches Kabinettstück geliefert. Es ging um die Zulassung eines Rechtsmittels, weil im angefochtenen Beschluß Rechtsfehler nachgewiesen werden konnten, die der BGH auch anerkannte. Dennoch verwarf das Gericht die Rechtsbeschwerde. Die angefochtene Entscheidung enthielt nämlich neben dem erforderlichen Rechtsfehler »von grundsätzlicher Bedeutung« einen weiteren Fehler ohne dieses Gewicht. Dadurch sah der BGH die Grundsatzfrage für die Zulassung ausgeräumt. Es handelt sich keineswegs um einen Einzelfall. Besonders im Arbeitsrecht, das als Richterrecht großen Spielraum genießt, kommt es immer wieder zu gravierenden Fehlentscheidungen bis hinauf zum BAG, wie man bei Prof. Dr. Bernd Rüthers nachlesen kann. Ein weiteres unrühmliches Beispiel für richterliche Selbstblockade ist die Verweigerung des Gehorsams des Oberlandesgerichts (OLG) Schleswig-Holstein gegenüber dem Bundesgerichtshof (BGH). Die OLG Richter des Bankensenats blamierten den BGH mit dem Hinweis, daß der Zweite Zivilsenat in Karlsruhe in gleichgelagertem Streitfall anders entschieden habe als der Elfte Zivilsenat des BGH. Das OLG-Urteil mit dem Az.: 5 U 162/01 ist eine juristische Sensation: Es belegt Entscheidungswidersprüche beim höchsten deutschen Zivilgericht. © WALTHARI® – Aus: www.walthari.com
23. Juli 2005
Der Bruch
Von Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer
Hellhörige Bürger mit kritischem Verstand haben es nach dem ersten Satz des Bundespräsidenten, mit dem er am 21. Juli 2005 den 15. Deutschen Bundestag auflöste, regelrecht knistern hören. Es war genau 20.15 Uhr, als das staatspolitische Gebälk der Bundesrepublik Deutschland einzustürzen begann, das von den Parteien über dem Haus der deutschen Gesellschaft, die man im Reichstag zur Bevölkerung herabgestuft hat, gezimmert wurde. Über den Köpfen der Bürger geriet ein einst sattelfestes Gebälk hörbar aus den Fugen, als im Bundestag das Stück ›Der Kanzler stellt die Vertrauensfrage‹ in einer Weise gespielt wurde, die dem Grundgesetz hohnspricht. Nach Artikel 115, der das staatliche Schuldenmachen begrenzen sollte, nach Artikel 38 Abs. 1, der die unmittelbare (also listenfreie) Wahl und Weisungsfreiheit der Abgeordneten (also ohne Partei- und Fraktionszwang) garantieren sollte, und nach anderen Artikelaushöhlungen wurde nun Artikels 68 Abs. 1 GG zerquetscht. Eine richterliche Wiederherstellung durch das Bundesverfassungsgericht ist schon deshalb nicht zu erwarten, weil die Karlsruher Richter gleich gegen drei Verfassungsorgane entscheiden müßten: gegen die Bundesregierung, deren Kanzler das üble Spiel einleitete, gegen den Bundestag, dessen Parteien das traurige Kanzlerspiel beglaubigten, und gegen den Bundespräsidenten, der mit seinem Auflösungsbeschluß das Dachgebälk hörbar zum Einsturz brachte und der seinem Ansehen dadurch irreparabel geschadet hat. Die nun einsetzende Geräuschkulisse, die man Wahlkampf nennt und die in den Medien und Sälen, auf Plätzen und in den Straßen dem Bürger auf den Leib rückt, um ihm das begehrteste Parteiengut abzufordern, nämlich seine nur periodisch und ›parteiisch‹ zugelassene Wählerstimme, diese Geräuschkulisse lenkt nur vorübergehend vom Fundamentalschaden ab, den die Parteiendemokratie im Haus des Verfassungssouveräns, des Volkes (»Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus«, gebietet Art. 20 Abs. 2 GG), angerichtet hat. Daß der derzeitig zweithöchste Repräsentant im Staate, nämlich der Bundestagspräsident, sogleich davon sprach, daß mit dem Auflösungsbeschluß durch den Bundespräsidenten jedweder Verdacht von »Tricksereien‹ (O-Ton Thierse) aus der Welt geschafft sei, hörte sich wie der Bruch des Firstbalkens im parteienstaatlichen Dachgebälk an. Das deutsche Volk, dem man selbst direkte Abstimmungen über Verfassungen verweigert (keine Abstimmung gemäß Art. 146 GG über eine neue deutsche Verfassung; keine Volksabstimmung über die EU-Verfassung), fühlt sich nunmehr ohne durchgängig schützendes Verfassungsdach. Und die dem Höhenrausch verfallenen Zimmerleute erwarten fröhlich lärmend und wahlkampfheischig neue Order.
© WALTHARI® – Aus: www.walthari.com
21. Mai 2005
Direkte Demokratie und Bürgergesellschaft
Verachtet in der Bundesrepublik Deutschland, sakrosankt in der bürgernahen Schweiz
11. Folge
Dem Schweizervolk ist die direkte Mitsprache bei politischen Entscheidungen heilig. Bei aller damit einhergehenden Beschwernissen (großer Aufwand, Zeitverzögerung u.a.): Die helvetische politische und wirtschaftliche Bilanz ist derjenigen der Parteiendemokratie in Deutschland haushoch überlegen. Beweise gibt es genug: die weitaus niedrigere Arbeitslosenquote, die weitaus niedrigere Pro-Kopf-Verschuldung der öffentlichen Haushalte, die weitaus niedrigeren Kriminalitätsraten, die weitaus weniger ausgeprägten politischen Extreme, die weitaus weniger gravierenden Fehlentscheidungen der politischen Akteure (weil sie vom Volk strenger kontrolliert werden) u.a. Für Schweizer wäre es z.B. schlechterdings undenkbar, daß die politische Klasse ihre bewährte Landeswährung ohne Volksabstimmung aufgäbe. Ebenso undenkbar wäre es, daß die helvetischen Parteien wichtige Verfassungsrechte an eine supranationale Institution übertrügen (Brüssel), ohne daß der Souverän (das Volk) zugestimmt hätte. In Deutschland geht das alles handkehrum: Die politische Klasse trifft ohne direkte Rückkoppelung zum Verfassungssouverän (dem Volk) fundamentale Entscheidungen zuhauf (Aufgabe der DM, Wiedervereinigung Deutschlands, Verabschiedung der Europa-Verfassung, Aufnahme der Türkei in die EU u.v.a.) Die Folgen sind gravierend: Zwischen den Bürgern und der politischen Klasse klafft eine bedrohliche Legitimationslücke, die dramatisch wächst.
Seit Jahrzehnten setzen die etablierten Parteien in Deutschland alles daran, die direkte Demokratie in einem düsteren, ja bedrohlichen Licht erscheinen zu lassen. Für Schweizer Ohren grenzt solcherlei an Volksverunglimpfung und Faktenverdrehung. Denn die direkte Demokratie für Wirtschafts-, Modernitäts- und Globalisierungsschwäche verantwortlich zu machen ist wissenschaftlich längst widerlegt (vgl. u.a. NZZ Nr. 2/2005, S. 17) und schon nach bloßem Augenschein nicht haltbar. »Direkte Volksrechte in ihrer Gesamtheit für den fehlenden Reformeifer in der Schweiz verantwortlich zu machen, ist verfehlt. Von ihrer Konstruktion her sind (Gesetzes- oder Verfassungs-)Initiativen auf politische Innovation ausgelegt. Sie sollen es den Bürgern ermöglichen, neue politische Vorhaben in die Diskussion einzubringen, die bis dahin von der politischen Klasse vernachlässigt worden sind« (Prof. Dr. L. P. Feld und Dr. Chr. A. Schaltegger: ›Leadership‹ ist keine Rezept für Reformen und Wachstum. Innovationen durch direkte Demokratie und Föderalismus, NZZ 228/2004, S. 19).
Trotz dieser faktenschweren Beweislage trauen Politiker und sogar oberste Verfassungsrichter in Deutschland ein verstärktes, gemeinwohlförderliches Mitspracherecht dem Volk (selbst bei fundamentalen Entscheidungen) nicht zu. Auf die Frage, ob über die Europäische Verfassung die deutschen Wähler abstimmen sollen, antwortete Hans-Jürgen Papier, derzeit Präsident des Bundesverfassungsgerichts: »Ich halte nicht viel davon, ein Referendum punktuell und einzelfallbezogen für die Ratifikation des Verfassungsvertrags vorzusehen« (HB Nr. 152/2004, S. 2). Auch in den Medien wird die direkte Demokratie mehrheitlich abgelehnt. Die FAZ spricht sogar von einer »Entbeinung des Bundestages« (Nr. 96/2004, S. 1); das Zitat lautet in voller, geradezu geschichtsträchtiger Schärfe: »Es ist nicht einzusehen, warum die Wähler über ›Europa‹ abstimmen sollen, nicht aber über anderes, und warum sie dann nicht gleich alle wichtigen Fragen selber entscheiden sollen. Das käme einer politisch-institutionellen Entbeinung des Bundestages gleich.« Man muß sich dieses Redaktionsurteil auf der Zunge zergehen lassen: »Entbeinung des Bundestages«, wenn die Wähler mehr mitreden dürfen? Selbstbewußte Schweizer Bürger schütteln darüber nur den Kopf. Daß es sich nicht um einen Ausrutscher der Redaktion handelt, belegt u.a. die FAZ-Ausgabe Nr. 193/2004, S. 11: »Mehr direkte Demokratie würde hierzulande nur dazu führen, daß gut organisierte Interessengruppen Mehrheiten für ihre Strategie der Verhinderung zu organisieren wüßten.« Als ob nicht gerade die Parteien als »gut organisierte Interessengruppen« »Strategien der Verhinderung« ständig vorführten!
Daß die etablierten Parteien direktdemokratische Elemente nach Schweizer Muster ablehnen, ist leicht mit ihrem damit einhergehenden Machtverlust erklärbar. Ihre Hybris geht mittlerweile soweit, daß sie selbst die verfassungsmäßige Grenze einer bloßen Mitwirkung bei der politischen Willensbildung (Art. 21 GG) mißachten, d.h., sie haben die Legislative gänzlich, die Exekutive maßgeblich und indirekt auch die Judikative (über Richterwahlausschüsse, die von den Parteien dominiert werden) ›im Griff‹. Wie weit sich das Parteiensystem und mitspielende Medien von einer Bürgergesellschaft entfernt haben, kann man insbesondere in Wahlkämpfen beobachten. Palaverrunden im Fernsehen und Schau-Kämpfe der sog. Spitzenkandidaten haben mit einer bürgergesellschaftlichen Wählersouveränität wenig gemein.
Die Folgen der Verlagerung politischer Verantwortung von unten nach oben bleiben bei Politikverdrossenheit, Wahlenthaltung und Extremismusneigung nicht stehen. Wenn in der Länderrangliste für wirtschaftliche Freiheit (verglichen werden 123 Länder mit Blick auf den jeweiligen Staats-, sprich: Parteieneinfluß) Deutschland von Rang 20 auf den 22. Platz abgerutscht ist, die Schweiz hingegen von Platz 7 auf Rang 3, dann hat das viel mit direkter Demokratie zu tun: In einer funktionierenden Bürgergesellschaft läßt nämlich der Verfassungssouverän (das Volk) bürokratie- oder gar überwachungsstaatliche Freiheitseinschränkungen nicht zu.
Eine Mitwirkung des Bürgers sehen deutsche Politiker mit Vorliebe auf ehrenamtliche Engagements begrenzt. Das Hohelied des Ehrenamtes wird parteienlaut und sogar regierungsamtlich gesungen. Man lese dazu beispielsweise die lange Regierungserklärung des ›Ministers des Innern und für Sport‹ in Rheinland-Pfalz, veröffentlicht als Sonderdruck der ›Staatszeitung III/2004 v. 26. Mai. Dabei geht es u.a. um Dorferneuerung. Das ist so recht nach dem Herrschaftsgeschmack des eingefahrenen Parteiensystems: über den kommunalen Tellerrand soll nicht geblickt werden. Doch auch dieses Spiel haben die Bürger längst durchschaut: Nur 22 Prozent der Deutschen engagieren sich ehrenamtlich (in mindestens einer Organisation als Meßgröße), in freiheitlicheren Ländern sind es bis zu 56 Prozent.
Ebenso unverdrossen wie wahrheitswidrig gehen Politiker und Journalisten mit dem Drohargument hausieren, die Weimarer Republik sei an den direktdemokratischen Elementen der Reichsverfassung von 1919 gescheitert. Die Fakten sprechen eine andere Sprache: Zwischen 1919 und 1933 gab es drei Volksbegehren und zwei Volksentscheide. Alle drei Volksbegehren wurden von demokratiefeindlichen Kräften (KPD und NSDAP) initiiert – und scheiterten! Geflissentlich wird auch oft verschwiegen, daß auch Hitlers Mißbrauchsversuch der direkten Demokratie (von 1929: ein Volksentscheid gegen den Young-Plan) kläglich danebenging: statt der erforderlichen 21,1 Millionen trommelten die Faschisten lediglich 5,8 Millionen Stimmen zusammen. Auch bei der Direktwahl zum Reichspräsidenten scheiterten die Demokratiefeinde von Rechts und Links (Hitler und Thälmann) zugunsten Hindenburgs. Erinnern sollte man auch die Verächter der direkten Demokratie, daß Hitler nicht über eine Volkswahl, sondern auf parlamentarischem Wege das Amt des Reichskanzlers ergatterte. Und: Das Ermächtigungsgesetz von 1933 war ein Produkt des so kritiklos hochgelobten Parlamentarismus, nicht das Ergebnis einer direkten Volkswahl. Schon in Zeiten der Adelsherrschaft hielt man die Untergebenen für politisch so unmündig, daß…
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus: www.walthari.com
Vertiefend: ›Bürgergesinnung für eine künftige Zivilgesellschaft‹
in: www.walthari.com, Fenster Persönlichkeitsmanagement.
12. Februar 2005
Vertreibungsverbrechen: zur Aktualität des Edgar Allan Poe
Schieder, Th., Laun, R., Diestelkamp, A., Rassow, P., Rothfeld, H., Broszat, M. u.a.: Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße(3 Bde) und aus der Tschechoslowakei (2 Bde). Schicksal der Deutschen in Jugoslawien (1 Bd.), in Rumänien (1 Bd.) und in Ungarn (1 Bd.). Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2004, zusammen 4.413 Seiten, 98,00 Euro.
Der achtbändige Taschenbuchsatz führt mit seinen über viertausendvierhundert Seiten durch ein Inferno des 20. Jh.s, das in seinen Ausmaßen bis heute, d.h. in den dritten Generationen danach, das Erfassungsvermögen übersteigt. Die Last der Vertriebenenschicksale ist auch nach mehr als einem halben Jahrhundert traumatisch noch gegenwärtig, und die unfaßbaren Verbrechen der Täter, welche das Völkerrecht und die Moral mit Füßen getreten haben, überfordert auch die Nachkommen in den Vertreiberländern, insbesondere in Polen und Tschechien (als Teil der ehemaligen Tschechoslowakei). Wie sonst wäre es erklärbar, daß z.B. die Stadtregierung Breslaus sich weigert, anläßlich des 60. Jahrestages des Schicksals der im Februar 1945 in und um die Stadt ums Leben gekommenen einhunderttausend Deutschen in versöhnender Gemeinschaft zu gedenken? Die Last der Verbrechen an vierzehn Millionen Deutschen, die aus ihrer angestammten Heimat vertrieben wurden, und der zwei Millionen Toten, die ihr Leben dabei verloren, wiegt noch nach Jahrzehnten auch in den Vertreiberländern politisch schwer, zu ungeheuerlich waren die Unmenschlichkeiten und zu verräterisch ist die abrupte Weigerung, sich der Verantwortung voll zu stellen. Eine Vergangenheitsbewältigung steckt in diesen Ländern zumeist noch in den Anfängen, weil man sich die Aufteilung in Täter- und Opferrollen zu einfach gemacht hat. Immer noch werden Verweise auf zwei grundlegende Tatbestände (notwendige Dokumentierung der Verbrechen und halbherzige eigene Vergangenheitsbewältigung) mit der Revanchismuskeule und dem Verursacherargument wegzuargumentieren versucht, wodurch die Schadensfolgen bei den Vertreibern erst recht perpetuiert werden: Dem Großcrimen folgten Jahrzehnte des Verschweigens und Überdeckens durch die Pflege eines Opfermythos’; die nach 1989 weiter anhaltende Verdrängung ist freilich ein Skandal und setzt dem Trauma der Vertriebenen ein Trauma der Vertreiber auf unabsehbare Zeit verdrängungsbedingt an die Seite. In ruhiger Sachlichkeit betonen die Herausgeber, (1) daß die Vertreibungsverbrechen durch nichts, auch nicht durch die Untaten Hitler-Deutschlands zu rechtfertigen seien (Bd. 1, S. 125 E); (2) daß sie sich bei ihrer Arbeit nicht durch Rache und Vergeltung haben leiten lassen, sondern vom wissenschaftlichen Ethos der Objektivität und vom moralischen Willen, diese Zeitzeugen für die Nachwelt nicht stumm bleiben zu lassen; (3) daß die Dokumentenauswahl aus mehreren tausend Berichten nach den Kriterien verifizierter Authenzität usw. vollzogen wurde; (4) daß die »Vertreibung nicht bloß ein ›Bevölkerungstransfer‹ war und nicht einfach identisch ist mit der Ausweisung, sondern ein vielschichtiges Schicksal« (Bd. 1, S. 18 f.), bestehend aus Plünderungs-, Vergewaltigungsfolgen usw. und aus Zwangsausweisung; (5) daß nicht verschwiegen werden darf, wie insbesondere in Polen »der Vergeltungswille… sich blindlings Luft« verschaffte, »… obwohl man wissen mußte, daß die, die man verhöhnte, mißhandelte, verhaftete und tötete, in der Regel nicht die Schuldigen und oft völlig Ahnungslose waren. Das Blindwütige solcher unterschiedslos gegen alle Deutsche gerichteten Verfolgungen, auch dort, wo sie aus einem berechtigten Verlangen nach Sühne geschahen, zeigte sich, als man im Herbst 1945 und im Frühjahr 1946 verschiedentlich Massengräbern von Polen, die während der deutschen Besetzung umgebracht worden waren, exhumieren und die Leichen auf Ehrenfriedhöfen beisetzen ließ, wobei Deutsche gezwungen wurden, unter einer zahlreichen, tobenden Zuschauermenge die Leichen umzubetten, und dabei Schmähungen, Mißhandlungen und Erniedrigungen schlimmster Art über sich ergehen lassen mußten. – Von solchen mehr oder minder spontanen Äußerungen von Vergeltungsgefühlen und nationalistischer Leidenschaft sind die systematischen (!) Maßnahmen zu unterscheiden, die der polnische Staat zur Bekämpfung des Deutschtums ergriff« (Bd. 1, S. 125 E).
Der Leser hat einen »unveränderten Nachdruck der Ausgabe von 1954-1961« vor sich. Er findet sich trotz der Materialfülle dank detaillierter Inhaltsverzeichnisse, Sach- und Ortsregister gut zurecht. In die fünf Vertreiberländer wird jeweils auf E-Seiten historisch und statistisch eingeführt, ehe die Zeugenberichte folgen, die zumeist im neutralen Protokollstil gehalten sind. Die völkerrechtswidrigen Handlungsmuster wiederholen sich mit aller Brutalität: Plünderungen, Brandlegungen, Vergewaltigungen von Frauen, Verhaftungen, zweifelhafte Verurteilungen, Hinrichtungen und Vertreibungen, im Regelfall obrigkeitlich bzw. gesetzlich gedeckt. »Es kann auch bei kritischster Prüfung dieser Berichte kein Zweifel sein, daß es sich bei den Vergewaltigungen deutscher Frauen und Mädchen durch sowjetische Soldaten und Offiziere um ein Massenvergehen im wahren Sinne des Wortes handelt, keineswegs um bloße Einzelfälle. Darauf deutet schon hin, daß förmliche Razzien auf Frauen unternommen wurden, daß ferner manche Frauen in vielfacher Folge nacheinander mißbraucht wurden und daß die Vergewaltigungen oft in aller Öffentlichkeit vor sich gingen. In gleicher Weise befremdend und Entsetzen erregend wirkte es auf die deutsche Bevölkerung, daß von den Vergewaltigungen auch Kinder und Greisinnen nicht verschont wurden. Abgesehen von den physischen und psychischen Schädigungen, die die Vergewaltigung für die ungeheure Zahl der betroffenen deutschen Frauen bedeuteten, haben besonders die Brutalität und Schamlosigkeit, mit der sich diese Vorgänge oft vollzogen, zur Verbreitung von Angst und Schrecken unter der deutschen Bevölkerung beigetragen« (Bd. 1, S. 61 E).
Der Leser braucht starke Nerven, sobald er mit der Lektüre der Erlebnisberichte beginnt. Insbesondere bei den Schilderungen der Polenmassaker ist es ratsam, zwischendurch sich von den grauenvollen Schilderungen der Rechtlosen durch ein Blättern in Gesetzen, Verordnungen und Dekreten (im 3. Bd.) abzulenken. Darin werden alteingesessene Deutsche in ursprungsdeutschen Gebieten als Okkupanten bezeichnet, doch das ist erträglicher als die Legion entsetzlicher Mißhandlungsszenen, die Kinder, Kranke und Alte nicht aussparten. Im »Erlebnisbericht von Else Buss aus Lodz vom 12. September 1952« heißt es (Dok. Nr. 280, Bd. 2, S. 644): » Im Lager Sikawa sind sehr viel Menschen gestorben, möchte besser sagen: verreckt; denn ein Mensch kann ja nicht so sterben, wie diese unglücklichen Menschen zugrunde gegangen sind. Sie lagen in der Krankenbaracke in einem abgetrennten Raum, im Winter auf den kalten Brettern, kein bißchen Stroh unter ihnen, wer einen alten Mantel hatte zum Decken, der war froh, die meisten hatten nichts, nur mit Lumpen gedeckt, das Bessere wurde uns ja weggenommen. – Die meisten starben an Ruhr, Typhus, Geschwüre am ganzen Körper. Zwei Leichenträger wurden Max und Moritz genannt. Wenn wir die Namen Max und Moritz hörten, da wußten wir, daß wieder jemand gestorben war. Die Leichen wurden in den früheren Luftschutzkeller geworfen und gesammelt. Wenn es 20 oder 30 Leichen waren, kamen sie auf einen Bauernwagen und wurden abends, wenn wir schon alle in den Baracken waren, daß wir es nicht sehen sollten, begraben, mit der Erde gleich. Die Leichen haben gefangene Soldaten ziehen müssen und begraben unter Bewachung.«
Stoff für hundert Shakespeare-Dramen liefern auch die beiden Bände über die Entrechtung und Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei. Ein Erlaß des Innenministeriums vom 26.11.1945 regelt detailliert, was ›Aussiedler‹ an Persönlichem nicht mitnehmen durften (Wertpapiere, Kronen, »wertvolle Teppiche und wertvolle Pelze«, patentierte Rezepte usw.). Für Rechtsbeugung durch rückwirkende Gültigkeit steht das Beneš-Dekret vom 18.10.1945: Mit Wirkung vom 17.11.1939 (!) wird die ›Deutsche Universität‹ (gegründet 1348!) aufgelöst und sämtliche Einrichtungen der Karlsuniversität übereignet (Bd. 1, S. 262 u. 96). Sudetendeutsche Kirchen und Schulen zerstörte man systematisch. Ministerpräsident Gottwald rief am 11. Mai 1945 dazu auf, »alle aktiven Nazisten unschädlich« zu machen. In einer Broschüre der Beneš-Partei vom 18. Mai 1945 heißt es: »Es gibt keine guten Deutschen, es gibt nur schlechte und noch schlimmere. Derjenige tschechische Vater, der seine Kinder nicht zum Haß gegen die deutsche Lügenkultur und Unmenschlichkeit erzieht, ist nicht nur ein schlechter Vaterlandsanhänger, sondern auch ein schlechter Vater« (Bd. 1, S. 71). Neben den Deutschen wurden auch Ungarn zwangsenteignet, zur Zwangsarbeit verpflichtet und schließlich vertrieben. Bei Verhören wurde geschlagen, gefoltert und vergewaltigt. Weltbekannt sind die Vorgänger der Brünner-Deutschen, die Anfang August 1945 von den Tschechen über die Grenze getrieben, aber von Österreichern wieder zurückgeschickt wurden. Der ›Daily Mail‹ schrieb darüber am 6. Mai 1945: »Es war stockfinster, als sie zur Grenze kamen. Die Kinder jammerten, die Frauen stolperten dahin, und die tschechischen Grenzgarden stießen sie über die Grenze den österreichischen Grenzgarden entgegen. Dann begann eine neue Qual. Die Österreicher weigerten sich, sie anzunehmen; die Tschechen weigerten sich, sie zurückzunehmen. So wurden sie für die Nacht in ein Feld hineingestoßen, und am Morgen wurden einige Rumänen zu ihnen gesandt, sie zu bewachen. Sie sind noch in diesem Feld, das sich inzwischen in ein Konzentrationslager umgewandelt hat. Sie haben nichts zu essen, als was ihnen von Zeit zu Zeit die Wachen geben, sie haben keinerlei Rationen bekommen. Unter ihnen ist eine Typhusepidemie ausgebrochen, und man sagt, daß sie, zu etwa Hundert täglich, dahinsterben. Fünfundzwanzigtausend Männer, Frauen und Kinder machten diesen Gewaltmarsch in Brünn… Konzentrationslager für Deutsche werden nun im ganzen Land errichtet, und die Deutschen werden unterschiedslos in sie hineingetrieben« (Bd. 1, S. 66).
Die objektive Wahrnehmung und Darstellung der Vertreibungsverbrechen an den Deutschen geraten immer wieder unter einen dreifachen Verdacht: (1) Es werde damit die Vorgeschichte relativiert, nämlich die Untaten des Nationalsozialismus; dem ist zu entgegnen: Wer das Inferno der Vertreibung beschreibt, setzt den entsetzlichen NS-Terror voraus, man muß diesen weder immer mitschildern noch das eine mit dem anderen vergleichen, noch annehmen, daß das Folgeinferno durch das vorausgegangene Verbrecherregime zu rechtfertigen gewesen wäre (vgl. das obige Zitat der Herausgeber). (2) Mit der Vertreibungserinnerung wolle man den Tätermythos durch einen Opfermythos ersetzen; dem ist entgegenzuhalten: Daß im Namen Deutschlands furchtbare Taten begangen wurden, hat niemand mit Verstand und Gewissen jemals bestritten; dieser nachprüfbare Tatbestand kann redlicherweise kein Hinderungsgrund dafür sein, die schrecklichen Taten der Vertreiber zu übersehen; Opfer und Täter gab es auf beiden Seiten, wobei natürlich die Chronologie zu beachten ist. (3) Die Erinnerung an die Vertreibungsverbrechen spiele Neonazis in die Hände; wer so argumentiert, instrumentalisiert das Schicksal von 14 Mio. vertriebener Deutsche und von zwei Millionen Todesopfern, weil er deren Gedenken vor dem nie ausschließbaren Mißbrauch Unbelehrbarer abhängig macht (eine große deutsche Tageszeitung hat die Neonazis dieser Tage auf zwei Prozent geschätzt, entschieden zu viele, aber offenbar ein unausrottbarer Bodensatz an Extremismus in freien Demokratien); vieles spricht dafür, daß gerade ein Verniedlichen und Verschweigen der Vertreibungstaten den Extremisten nützt, weil sie eine historische und mimetische Leerstelle dann ausfüllen können; der Brünner Todesmarsch z.B. wäre für Neonazis kein ›Werbeargument‹ mehr, wenn dieses Verbrechen der Tschechen (und der Österreicher !) Teil einer allgemeinen Erinnerungskultur würde.
Es scheint an der Zeit, die Vertreiberstaaten daran zu erinnern, daß sie sich ihrer Geschichte zwischen 1945 und 1950 voll und objektiv stellen. Daß bei ihrer Vergangenheitsbewältigung noch Nachholbedarf besteht, belegen ihre Reaktionen. Uns Deutschen kann diese Erinnerungslücke schon deshalb nicht gleichgültig sein, weil unser Erinnern an die Vertriebenenschicksale sonst leicht unter falschen Verdacht gerät (vgl. oben) und weil zum Versöhnen immer zwei Seiten gehören, die beide der ganzen historischen Wahrheit schamvoll die Ehre erweisen müssen. Der Deutsche Taschenbuchverlag bietet mit dem Nachdruck dieser Vertreibungsdokumentation dafür eine unschätzbare Grundlage. Die acht Taschenbücher finden hoffentlich ihren Weg in jede Schul- und Gemeindebibliothek. Wache Demokraten mit Geschichtsbewußtsein werden ohnehin die Dokumentation als Mahnlektüre griffbereit halten (zur Vergegenwärtigung menschlicher Zerstörungsneigung schlechthin). Edgar Allan Poe darf sich bestätigt sehen mit seiner Dispositionsannahme eines ›Geistes der Perversität‹ (vgl. dazu ausführlich das WALTHARI-Heft Nr. 44/2005, Zeitschrift für Literatur: ›Das Böse als literarische Vorlage‹). Weder Deutsche noch Polen, weder Tschechen noch Rumänen, weder Russen noch Engländer (Dresden) und Amerikaner (Hiroshima), kurz: kein menschliches Wesen ist gegen perverse Versuchungen gefeit. Dagegen hilft nur eines: In ungeteilter und gemeinsamer Erinnerung sich und anderen gegenüber wachsam sein. ©Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer, ausgenommen die Originalzitate. Aus: www.walthari.com
12. Januar 2005
Politik und Medienwäsche
Die unheilige Allianz gegen die direkte Demokratie auf dem Prüfstand der Kant’schen Freiheitsidee
Von Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer
Medienwäsche: 1. Wenn wichtige Nachrichten nur nachrangig platziert, 2. verniedlicht oder verharmlost, 3. verdreht oder verwischt oder 4. unterschlagen werden.
Die Lage scheint sich seit Jahr und Tag stabilisiert zu haben. Trotz schwarzer Gewitterwolken (verfassungswidrige Staatsverschulung, generativer Gesellschaftsschwund u.v.a.m.) läuft das eingespielte politmediale System wie gewohnt weiter und gibt sich selbst bei schweren Erschütterungen der demokratischen Grundfesten kaum beeindruckt. Die Gefahrenmeldung des Bundes der Steuerzahler z.B., 2005 zum ›Jahr gegen Staatsverschuldung‹ zu erklären, wurde von einer großen Tageszeitung auf Seite 13 (!) fatalistisch-kühl wie beim flüchtigen Blicken auf eine Schlechtwetterkarte kommentiert: In jeder Sekunde vermehre sich der Schuldenstand der öffentlichen Hände um 2.660,- Euro. »Der gesamte Schuldenstand Deutschlands hat sich damit auf 1.415 Milliarden Euro hochgeschraubt. Die Zahl ist so astronomisch, daß man sie sich kaum noch vorstellen kann. Eine solche Verschuldung ist schwer wieder abzubauen.« Das verstoße zwar gegen »die eigentlich (!) sakrosankte Vorschrift aus Artikel 115 Grundgesetz«, den die Politik »nicht länger« respektiere, aber das Grundgesetz lasse nun mal mit der Klausel »Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts« einen »erheblichen Interpretationsspielraum« zu.
Das Unerhörte kommt in dieser exemplarischen Mediendarstellung gleich dreifach daher:
- in Gestalt faktisch nicht mehr rückzahlbarer Schulden auf Kosten künftiger Generationen und/oder hereinbrechender Geldentwertung,
- in Gestalt eines anhaltenden (!) Verfassungsbruchs und
- in Form der medialen Verniedlichung eines wahrhaft demokratie- und gesellschaftserschütternden Vorgangs, dessen wachsender Schuldenberg zulasten ungefragter Dritter geht und in sofern durchaus als kriminelle Tat empfunden werden könnte.
Was sich am Beispiel der Staatsverschuldung offenbart, trifft ähnlich für Dutzende weitere skandalöse Vorgänge zu (vgl. die Artikelserie ›Die vierzig Hauptsünden des Parteienkartells‹ in diesem WALTHARI-Portal). Weite Teile der Polit- und Medienklasse agieren so, als könne es wie bisher weitergehen. Als ob für Staat und Gesellschaft mitsamt deren hochempfindsamen Zusammenspiel keinerlei akute Gefährdungen vor der Haustür stünden, werden schlimme Praktiken (beschädigte Gewaltenteilung u.a.) und Komplizenschaften (zwischen Abgeordneten und Konzernen, Parteien und Medien usw.) ganz ungeniert fortgeführt. Es scheint die hohe Zeit des politischen Spielertums angebrochen zu sein. Spielertypen verabscheuen bekanntlich nichts mehr als Transparenz, Beständigkeit und Fairneß, denn solchermaßen geprägte Verhältnisse lassen raffinierte und trübe Nutzenspiele kaum zu. Je größer die allgemeine Verwirrung, um so sicherer fühlt sich das Spielertum. Selbst gröbliche private Deroutierungen lassen sich dann unbehelligt staatstragend ummanteln.
…
…
… In dieser Lage auf hohem Irritierungsniveau lohnt sich ein Blick auf ein zentrales Lehrstück Immanuel Kants, eines der größten Denker und Wegweisers der Neuzeit. Woran man sich anläßlich seines 200. Todestages 2004 öffentlich noch erinnerte, hinterließ kaum Spuren: Kant stellte die Würde des Menschen ins Zentrum aller Daseinsgestaltung, also auch in die Mitte der Politik und aller gesellschaftlicher Entfaltungen. Er proklamierte die moralische Autonomie der Person und suchte sie von jeglicher Vormundschaft zu befreien. Alle Humanität habe vom menschlichen Subjekt (also nicht von Kollektiven) auszugehen, weil nur dem Subjekt die drei existenzialen Leitmaßstäbe zukämen: kritische Vernunft, menschliche Würde und persönliche Freiheit. Zum ersten Leitmaßstab: Aus selbstverschuldeter Unmündigkeit kann sich nach Kant der Mensch durchaus vernunftgemäß befreien, wenn er nur ernsthaft will. Nicht der Natur, sondern alleine der Vernunft entspringt der ›kategorische Imperativ‹, der den Fairneßverkehr zwischen den Menschen regelt (»Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne«, in: Kritik der praktischen Vernunft, A 54, sowie in: Grundlegung der Metaphysik der Sitten, B 17, 52,81). Zum zweiten Leitmaßstab: Auch der höchste Wert, die Menschenwürde, benötigt nach Kant die Vernunft als Geburtshelferin. Wiederum leitet der Philosoph die Unantastbarkeit des Humanums nicht aus der Natur ab (denn in der Naturrealität wird auch bestialisch gefressen, um nicht gefressen zu werden), sondern aus der Verantwortung des vernunftbegabten Menschen; ihm allein fällt die ganze Last der Verantwortung zu. Zum dritten Leitmaßstab: Für Kant zeigt sich die Freiheit stets nur praktisch; weder Naturgesetze noch gesellschaftliche Konventionen noch eine übernatürliche Macht entlasten den Menschen vor der Aufgabe, sich selber Gesetze zu geben, denen er sich aus freien Stücken unterwirft, um sich selber entfalten zu können. Gesetze sind Schutz und bieten zugleich Spielräume, die nur dort ihre Grenzen haben, wo die Freiheit anderer beginnt. Diese größte Leistung Kants beruht ebenfalls auf Vernunftgebrauch, der aus Respekt vor dem Nächsten in eine ethische Kategorie umschlägt. Freiheit als »ungehinderten Vollzug individuellen Lebens« gibt es also nur unter der Perspektive verantwortlichen Vernunftgebrauchs. »Der Mensch ist frei, sofern er nicht von seinesgleichen gezwungen wird, sondern tun kann, was er nach eigener Einsicht will. Nur so hat die Vernunft, sein wichtigstes Lebensmittel, eine Chance, sich zu entfalten; nur so kann die Vernunft als Ursprung und Grund seiner Handlungen gelten« (Gerhardt, V.: Eine kritische Philosophie des Lebens, in: Forschung & Lehre 3/2004, S. 124).
Aus alledem kann man »die schönste gesellschaftliche Ordnung« (I. Kant) hervorbringen und eine bürgerliche Verfassung des Staates ableiten, die beide einem vordringlichen Ziel zu dienen haben: den Individuen die Freiheit zum vernünftigen Handeln zu garantieren. Wohlgemerkt: den Individuen, nicht zuförderst Gruppen, Parteien, Institutionen usw. Auf dem Weg zu dieser »schönsten gesellschaftlichen Ordnung« hat nach Kant jeder Einzelne einen ständigen Kampf gegen die eigene Natur (Ehrsucht, Habsucht usw.), gegen Schwärmertum (Sehnsucht nach dem »goldenen Zeitalter«, die »nichts weniger als schwärmerisch ist«) und gegen gesellschaftliche und staatliche Überhebungen zu führen. Wird das versäumt, droht dem Menschen, »in die alte Rohigkeit zurückzufallen« (vgl. die ›Kritiken‹, ›Zum ewigen Frieden‹ u.a.).
Kein Zweifel: Von diesem Kant’schen Human-Universum sind die gegenwärtigen Verhältnisse denkbar weit entfernt. Das zentrale Defizit besteht darin, die Vernunft- und Freiheitsperspektive vom Individuum auf Kollektive (Parteien, Verbände, Korporatismen, Etatismen usw.) verschoben zu haben. Die Verantwortung des Einzelnen ist zur Schrumpfnummer des Parteien- und Verbändestaates geworden, der ein bürgerfernes System in Gang hält, das Normen für bloßes Spielermaterial ausgibt, welches beliebig geändert werden könne und das ja auch nach kollektiven Regeln zum Einsatz kommt. Wer das System und sein Regelwerk am besten kennt, kann unbelangbar und sich Vorteile verschaffend agieren, mit »Kaltsinn« (Friedrich Schiller) Staat und Gesellschaft usurpieren. In einem System, das beispielsweise fortgesetzte Verfassungsbrüche (vgl. oben) sanktionslos zuläßt, ist nicht nur die bürgerliche Freiheit in höchster Gefahr, es erodiert auch die menschliche Würde aus systempragmatischen Folgen und Zwängen. Vernunft und persönliche Verantwortung schrumpfen auf eine Restmenge zusammen, wie an der aktuellen Planung eines Antidiskriminierungsgesetzes abzulesen ist. Unzählige andere Beispiele substanzieller und auch symbolischer Art belegen diese Auszehrung individueller Freiheiten. Wenn etwa ein Bundeskanzler den nationalen Gedenktag zur Disposition stellen will, mißachtet er das emotionale und mentale Bindungs- und Orientierungsbedürfnis der Bürger. Gravierender als solche symbolische »Rohigkeit« (Kant) sind substanzielle Freiheitsverachtungen. Postmoderne Staaten und Gruppen vergreifen sich an der Bürgerfreiheit nicht mehr durch willkürliche Verhaftungen usw., sie schränken die bürgerliche Freiheit auf raffiniertere Weise ein: durch ein Übermaß an Gesetzen (wie im Steuerrecht), durch eine Meritorisierung von Gesundheit und Bildung, durch Zwangsversicherungen (wie bei der Pflege) – stets legitimatorisch geschützt und alles unter dem Mantel einer Wohlfahrtsgesinnung, die sich aus kollektiven Ideologien speist statt aus der Kant’schen Eigenverantwortung. Zum Raffinement des ideologischen Kollektivismus gehören also Rechtfertigungen im Namen eines Gutseinwollens nach metaphysischen, d.h. scheinbar unangreifbaren Standards, darunter die mißbrauchte soziale Gerechtigkeit. Der politische Aktionismus zur Beseitigung von sog. ›Gerechtigkeitslücken‹ z.B. geht regelmäßig auf Kosten individueller Freiheit und Verantwortung.
…
…
… Ein weitgehend unterschätztes Begleitphänomen ist das auffällige Aufeinanderangewiesensein von Politik und Medien. Postmoderne Politik funktioniert nur noch über die Medien, die ihrerseits vom politischen Geschäft leben. Man muß sich dazu nur irgendeine Nachrichtensendung oder Talkshow anschauen. Diese immanente Komplizenschaft mausert sich mehr und mehr zum funktionalen Doppelbetrieb oberhalb bürgerlicher Beeinflußbarkeit. Politische Karrieren hängen weit mehr von medialen Promotionen als von bürgerlicher Zustimmung ab. Aber auch umgekehrt bestimmt die Politik den medialen Quotenkampf kräftig mit, institutionell sowohl (man prüfe die Verwaltungsräte der Öffentlich-Rechtlichen oder das Medienimperium der SPD) als auch faktisch (durch gesteuerte Informationszuleitungen, durch selektive Interviewbereitschaften usw.). Die Bürgerebene spielt dabei allenfalls eine Nebenrolle, und selbst die Wissenschaft wird vielfach nur als nützlicher ›Hofnarr‹ herangezogen (die meisten Empfehlungen der vielen Bei- und Sachverständigenräte sind rasch Makulatur). So hat die Polit- und Medienklasse es geschafft, weitgehend unter sich zu bleiben und ein abgeschottetes System in Gang zu halten, das auch dann ungerührt weiterläuft, wenn es die Bürger direkt schwer belastet, so im Falle der Integrationsversäumnisse infolge mißlungener Multikultipraktiken. Was als Hinnahme und Duldung durch die Wähler ausgegeben wird, läßt sich besser mit deren Ohnmachtstatus erklären: außer wirkungslosen Leserbriefen bleibt ihnen nur das Entzugsmittel von Wahlenthaltungen, die bezeichnenderweise den meisten Medien sowenig ›schmecken‹ wie der politischen Klasse.
…
…
… Es gehört zu deren Kampfgesetzen um Quoten, daß beim medialen Skandalhüpfen die Langzeitperspektiven vernachlässigt werden. Politverstöße deckt man zwar reihenweise auf, aber Schäden mit großer Nachhaltigkeitswirkung (wie Staatsverschulung, ›Pisa‹, Geburtendefizit usw.) sind im medialen Wahrnehmungshorizont nur Infos mit kurzer Verfallszeit, so daß Bürger und Politiker sich nicht veranlaßt sehen, angemessen zu reagieren. ›Pisa‹ oder die generative Lücke z.B. kamen in der Öffentlichkeit erst an, als beide Kinder schon in den Brunnen gefallen waren. Solche Verspätungen haben eine doppelte Kurzatmigkeit zur Ursache: die dominante Aktualitätsgebundenheit der Medien und die Wahlterminorientierung der Politik – zwei auffällige Übereinstimmungen, die das Wahrnehmungssystem beider Bereiche langzeitperspektivisch weitgehend blind halten. Daher der nervöse Horizont, der sich über die Gesellschaft wölbt und die Bürger irritiert; verständlicherweise reagieren sie mit zunehmendem Vertrauensentzug.
…
…
… Sind Besserungen zu erwarten? Weder der Parteien- noch der Medienbetrieb scheinen systembedingt dazu fähig, wie die Vergangenheit belegt. Selbst schwere Demokratieschäden und bessere Erfahrungen wie in der Schweiz haben das Duopol für spürbar direktdemokratische Beimischungen nicht öffnen können. Die Erkenntnisse etwa, daß direktdemokratische Gemeinwesen die Staatsschulden nicht ins Uferlose steigen lassen, daß bewährte Geldverfassungen vom Volk nicht leitfertig über Bord geworfen werden usw., wischen die Duopolisten mit »Kaltsinn« weg.
…
…
… ist weit größer, als sie selber zuzugeben bereit sind. Das ist allein schon daran abzulesen, daß sie jederzeit jeden Bürger menschlich, wirtschaftlich und sozial mit Verdachtsberichterstattungen ruinieren können. Gegen diese mediale Macht sich sein gutes Recht verschaffen zu wollen ist häufig ein psychisch und finanziell riskantes Unterfangen. Hinzukommt die verbreitete Furcht, in negative Schlagzeilen zu geraten, die es dem Bürger geraten erscheinen läßt, sich öffentlich bedeckt zu halten – zwei ideale Voraussetzungen, um das beschriebene System relativ ungestört weiterarbeiten zu lassen. Niemand will…, wo doch nur wenige schadlos eine ›mediale Waschanlage‹ überstehen.
…
…
… So erweist sich die unheilige Allianz zwischen den Medien und der Politik als feste Trutzburg gegen mehr direkte Demokratie. Zwar maulen immer mehr Bürger am Fuße des Burgbergs, aber vor Maulhelden hätte Kant nicht seinen Hut gezogen. Agundum atque obviam eundum est (Sallust, Historiae, Reclam, 1996, S. 14). Die Erklärung dafür gab schon vor fast 50 Jahren Ernst Jünger: »Die Parteien können nicht urteilen… Erschwerend wirkt…, daß die Mächtigen alle über die Stufen der Parteiung aufgestiegen sind. Das mindert vom Ursprung an die Begabung für Akte, die sich auf das Ganze richten…« (Der Waldgang, 1957, S. 79).
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus: www.walthari.com
24. November 2004
Leitkultur und offene Gesellschaft
Von Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer
Es handelt sich keineswegs um Gegensätze, wie es auf den ersten Blick scheint, sondern um gegenseitige Bedingtheiten. Nimmt man nämlich zur Kenntnis, in welch engem Rahmen multikulturelles Zusammenleben überhaupt funktioniert (vgl. den WALTHARI-Artikel ›Blutspuren der Multikulti-Verblendung‹ in Fenster Literaturzeitschrift in diesem WALTHARI -Portal), bedarf es in friedfertigen Gesellschaften einer Leitkultur, die von Minderheiten respektiert wird und zugleich verlangen darf, daß Minderheiten die Leitkultur nicht allein respektieren, sondern darüber hinaus sich in sie einfügen, d.h. integrieren (nicht assimilieren). Die Leitkultur in Deutschland z.B. darf sich also Immigranten gegenüber nicht damit zufrieden geben, daß diese das Strafgesetzbuch, die Straßenverkehrsordnung und andere Gesetze beachten, sie haben die Landessprache verkehrssicher zu erlernen, aktiv zum sozialen und demokratischen Grundkonsens beizutragen, die gewachsenen Landestraditionen und Wertvorstellungen u.a.m. mitzutragen. Ein eingedeutschter islamischer Mitbürger z.B. aus der Türkei braucht zwar an der europäischen Operntradition keinen Gefallen zu finden und bei Bachs Musik wenig empfinden, ebenso wenig gegenüber der Literatur der deutschen Klassik und Romantik, aber er kann nicht erwarten, daß sein Arbeitgeber islamisch bedingte Feiertagsvorstellungen so beachtet wie gesetzliche Feiertage nach christlicher Tradition. Bei aller Toleranz gegenüber der kulturellen, religiösen usw. Selbstentfaltung: Minderheiten müssen zwangsläufig gewisse Einschränkungen akzeptieren, wenn die Leitkultur keine leere Vokabel sein soll. Diese Selbstbegrenzung garantiert zugleich den Fortbestand der offenen Gesellschaft, die ihre Offenheit und Friedfertigkeit nach aller geschichtlichen und aktuellen Erfahrung dann verliert, wenn multikulturelle Konflikte den Freiheitsrahmen faktisch und auch gesetzlich (wie gegenwärtig in Holland als Folge unbewältigter Multikulturalität) aushebeln. Sobald Minderheitskulturen zu Parallelgesellschaften auswachsen, entwerten sie die Leitkultur und führen, wie ein Blick in die Geschichte und auf über einhundert Länder zeigt, zu schweren Auseinandersetzungen.
Dabei haben Leitkulturen im westlichen Aufklärungsverständnis drei Dimensionen: eine menschenrechtliche, eine kulturspezifische (z.B. eine christliche im Abendland) und eine landesspezifische (deutsche, französische usw.). Wenn z.B. ein gebürtiger Deutscher in Japan als dortiger Staatsbürger leben will, wird er sich den shintoistischen und weltlich-landesspezifischen Wertvorstellungen fügen müssen, ohne seine christlichen und deutschen Wurzeln zu verleugnen. Millionen Deutsche haben sich so in aller Welt integriert; sie sind z.B. zu überzeugten Amerikanern geworden. Warum soll die deutsche Leitkultur nicht das gleiche Integrationsbegehren an seine Immigranten richten dürfen?
Gibt es überhaupt eine europäische oder gar deutsche Leitkultur? Diese Frage trauen sich Öffentlichkeitsintellektuelle in Deutschland neuerdings wieder zu stellen. Da sie nicht bestreiten können, daß Frankreich sich gallisch-leitkulturell geradezu orthodox gebärdet, erinnert ihre Leugnung bzw. Ablehnung deutscher Leitkulturvorstellungen an den Witz unter Altphilologen, wonach Homer unbestreitbar blind gewesen, aber es bis heute ungewiß sei, ob er überhaupt gelebt habe (weil man die Verfasserschaft der Ilias und Odyssee wohl mehreren Autoren zuschreiben müsse). Die selektive Realitätswahrnehmung gesteht sich lediglich ein, daß das Europäische als Geschichte und Gegenwart christlich vorgrundiert und aufklärerisch übermalt sei wie sonst keine andere kontinentale Kultur. Es sei aber zu bedenken, so heißt es weiter, daß Europa sich der Welt verschenkt habe, nämlich in Form von Menschenrechten, des Minderheitenschutzes, der sozial verpflichteten Demokratie und der Bildung zur Persönlichkeit. Diese Grundwerte seien zur universalen Leitkultur aufgestiegen und hätten das spezifisch Europäische und erst recht das Nationale zum Verschwinden gebracht. Eine europäische Identität sei damit hinfällig und eine deutsche, britische, polnische usw. erst recht. Dafür stünden Wirtschafts- und Verbandsführer, Politiker, Künstler, Sportler und andere Globalisierer. Sind die nationalen Leitkulturen in Europa und ist das gemeinsame Europäische wirklich universal generierbar?
Kein Franzose, Pole oder Brite sieht seine nationale Leitkultur durch eine globale ersetzt. Wenn sie und andere Europäer kulturell sich orientieren, dann zuerst an ihrer nationalen Kultur. Nur den Deutschen soll diese Identitätsstiftung verwehrt bleiben. Europa ist allen Bürgern von Portugal bis zum Baltikum, von Irland bis Zypern wie eine zweite Haut, die aus gemeinsamer Geschichte, Kultur und Kunst gewebt ist. Goethe und Bach, Dürer und Heidegger werden zwar europa- und weltweit wahrgenommen und geschätzt, stehen aber den Deutschen nicht nur landsmannschaftlich am nächsten. Wer dies übersieht, unterliegt einem Kategorienfehler, wie die Philosophen sagen. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob man Bachs Kantaten in lutherischer Herkunftsatmosphäre hört (und das ist nun mal in Deutschland am besten möglich) oder in einer japanischen Tonhalle. Es sind jene heimatlos gewordene Globalisierer, die dem einfachen Bürger den Teppich unter den Füßen wegziehen wollen. In einer verschremppten Welt verliert alles sein Gesicht. © Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus:www.walthari.com
1.Oktober 2004
Deutschsein als gewollter Dauermakel
Unter den Nationen herrscht seit je Wettbewerb. Was bis in die jüngere Vergangenheit durch die Demonstration und Anwendung von Macht und Gewalt zu erreichen versucht wurde, ist im Zeitalter der Globalisierung, des Internets und der allpräsenten Medien von einer Art nationaler Markenpolitik abgelöst worden.
Frankreichs Außenpolitik z.B. besteht zu einem guten Teil darin, mit dem Namen der Grande Nation den Lebensstil des feinen Geschmacks und die (angebliche) Geburtsstätte der Menschenrechte verbinden zu lassen. Die Eliten des Landes stehen im Dienst einer robusten Kultur- und Sprachmission, sind sie doch davon überzeugt, daß die gallische Zivilisation die einzig wahre auf der Welt sei. Andere Länder stehen im Nationenwettbewerb keineswegs zurück: Die USA etwa sehen sich als Weltstabilisator und Heilsbringer demokratischer Freiheiten. Die Schweiz hat es geschafft, ihr Land als Muster von Zuverlässigkeit und direktdemokratischer Bürgergesinnung erscheinen zu lassen.
Auf Beschädigungen des gewünschten Images reagieren die Länder hochempfindlich: Nach einer Phase der Gegenwehr (im Falle der Schweiz im Zuge der Geldwäsche- und Nazigoldaffären) werden aufwendige Werbekampagnen gestartet. Eine perfide Form der Vorteilnahme im Imagewettbewerb der Länder ist die Praxis, Konkurrenten anzuschwärzen, um selber in hellerem Licht zu erscheinen. Das Anschwärzen geschieht selten so plump wie vor Jahren, als ein deutscher Bundeskanzler die jetzige Republik Österreich in ein grau-braunes Licht zu stellen versuchte. Raffinierter ist die Methode, das Anschwärzen als andauerndes Schwarzhalten zu pflegen, womit dem ›Patienten‹ jedes Gesunden verwehrt werden soll.
Deutschland ist dafür der klassische Fall in der Moderne (in der Antike waren es auf Betreiben Roms die Phönizier). Was immer im einst hochangesehenen Land Goethes geschieht, man darf sicher sein, daß es mit Vergangenheitsschwärze unter-, wenn nicht übermalt wird. Die Wettbewerbsmarke D wird permanent niedergehalten, wobei zahlreiche deutsche Meinungsführer selber mit Eifer das negative Imagegeschäft mitbetreiben. Es vergeht im wörtlichen Sinn keine Woche (und das seit bald sechzig Jahren), in der nicht dem internationalen Lese- und Fernsehpublikum Gelegenheit geboten wird, in das düstere deutsche Zwölfjahresloch zu blicken und damit alles Deutschsein in ein trübes Licht getaucht zu sehen. Wer regelmäßig Schweizer Zeitungen oder die Verlautbarungen bestimmter Organisationen liest, muß sich auf wöchentliche Geschmacksverderbnisse gefaßt machen und wundert sich kaum über das Hunnenbild in der englischen Presse. Aus dem postkommunistischen Tschechien und Polen fliegen zuweilen Nazivorwürfe über die Grenze nach Westen, ganz so, als sei nicht in Warschau und Prag, sondern in Bonn eine Diktatur jüngst verabschiedet worden. Österreich und Italien betreiben ihr nationales Imagegeschäft auf Kosten Deutschlands nachkriegstraditionell schlitzohrig: Sie verhalten sich nämlich gerne so, als wären sie faschistisch nicht dabei gewesen und als seien sie von dem bösen Nachbarn im Norden nur verleitet worden (vgl. dazu den Bericht in der Literaturzeitschrift WALTHARI, Heft 43/2004).
Nun war gewiß die Nazidiktatur mehr als ein Kulturbruch. Ihre Greuel dürfen nicht vergessen werden. Doch ist es wirklich allein diese Sorge, wenn nach bald sechzig Jahren viele Zeitgenossen die Marke Deutschland immer noch schwarz umrandet sehen wollen? Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen, daß vieles von dem, was sich als besorgte Erinnerungskultur ausgibt, zum Zwecke eines profanen nationalen Wettbewerbvorteils instrumentalisiert wird. Wie sonst wäre es zu erklären, daß die Siegermächte die im Jahre 1945 beschlossenen Artikel 53 und 107 der Charta der UN bis heute nicht haben aufheben lassen, in denen Deutschland als Feindstaat bezeichnet wird, der unter dem Sondervölkerrecht steht und nach wie vor den Siegermächten unmittelbare Eingriffsrechte einräumt? Ist es Zufall, daß geradezu periodisch eher skandal- als erinnerungsbemühte Produkte (Filme, Ausstellungen usw.) inszeniert werden, welche die nationale Abwehrneurose gegenüber jeglichem Nationalgefühl wundoffen halten? Hatte nicht jener internationale Stimme ins traumatische Schwarze getroffen, die von einem eintrainierten Reflexmechanismus (etwa im Fall Hohmann) sprach, der ein beunruhigendes Zeichen für das Fehlen nationaler Souveränität, Toleranz und Würde sei? Ist die zunehmend staatserschütternde Entfremdung zwischen der politischen Klasse und den Bürgern (deren sinkende Wahlbeteiligung spricht Bände) nicht damit gut erklärbar, daß…
©Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus: www.walthari.com
17. Juli 2004
Der größte Skandal der Nachkriegszeit holt seine Vertuscher ein
Jetzt bricht sich die verdrängte Realität endlich Bahn. Wie ein Orkan fegt die Debatte um Hartz IV über Deutschland und reißt abrupt alle Medienfenster auf. Der Schrecken, den Politiker und Journalisten eilfertig zelebrieren, ist freilich wenig glaubwürdig, denn mindestens seit einem Vierteljahrhundert weisen Fachleute auf diesen Sprengsatz mit GAU-Dimensionen hin. Das Tarifkartell, aber auch die Parteien haben die Augen vor der unbestreitbaren Tatsache verschlossen, daß etwa zehn Prozent eines Schülerentlaßjahregangs zu den Schwach- und Schwerlernern (SSL) zu zählen sind, die nicht zur Gruppe der Behinderten gehören, aber als Sonderschüler oder Hauptschüler (ohne Abschluß) erhebliche Bildungsdefizite aufweisen. Um diese Gruppe, die sich bei weitem nicht der Zuwendung erfreuen kann wie die Behinderten, berufsfähig zu machen, bedarf es spezieller Berufsausbildungen, wie es sie in früheren Zeiten bei uns (und heute noch in der Schweiz) als sog. Anlehre gab.
Seit Jahrzehnten ist es nun Teil der gewerkschaftlichen Bildungs- und Tarifpolitik, bestehende berufliche Spezialausbildungen für SSL auszuhebeln und neue zu verhindern, wodurch der Marktzugang für diese Jugendlichen versperrt bleibt. Begleitet wurde diese Verhinderungspolitik durch eine syndikalistische Tarifpolitik, welche untere Lohngruppen Stück um Stück beseitigt oder durch eine sog. Sockelpolitik faktisch aus der Welt schafft. Dadurch wird es für Unternehmen unattraktiv, Minderqualifizierte einzustellen. Die weiteren Reaktionen der Unternehmen sind bekannt: Unqualifizierte Arbeit wird entweder von halb- und vollautomatischen Maschinen übernommen und/oder man verlagert diese Arbeit ins Ausland. Die SSL stehen damit vor einer Wand: Weil man ihnen spezielle Berufsausbildungen verweigert (die normalen Berufsausbildungsgänge im Dualen System schaffen sie nicht), bleiben sie ausbildungs- und berufslos; weil sie berufslos sind, werden sie von den Unternehmen kaum noch eingestellt: Die Lohnhöhe (als Kosten) steht in keinem Verhältnis zum Arbeitsertrag Minderqualifizierter. Also bleiben die SSL arbeitslos oder werden immer wieder leicht wegrationalisiert. Aus diesem Teufelskreis hat weder das Tarif- noch das Parteienkartell das Millionenheer der SSL herausgeführt.
Die Dimensionen sind gewaltig und rechtfertigen es, vom größten Skandal der Nachkriegszeit zu sprechen. Man muß sich dazu nur die Millionen der Langzeitarbeitslosen ansehen, die sich gegenwärtig (bei unmanipulierter Arbeitslosenstatistik) auf die drei Millionen Menschen zubewegen und die in der Summe der letzten Jahrzehnte etwa zehn Millionen Menschen betrafen: Menschen, die keinen formalen Berufsabschluß vorweisen können, keine oder nur phasenweise Beschäftigung finden und ihr Dasein über weite Strecken mit Arbeitslosengeld und/oder Sozialhilfe fristen müssen. Bis zu 40 Prozent konnte der Anteil der Ungelernten an der Zahl der Arbeitslosen teilweise steigt. Diese Menschen bilden derzeit immer noch die größte Gruppe unter denjenigen, die es am härtesten trifft, nämlich lange und meist aussichtslos ohne Arbeit zu sein.
In einer großen deutschen Tageszeitung kann man dieser Tage im verspäteten Alarmton lesen: »Die Gewerkschaften haben mit Erfolg alles dazu getan, solche Arbeitsplätze auf dem Verhandlungswege wegzubügeln und mit Pathos diejenigen zu sozialkriminalisieren, die den Begriff auch nur in den Mund genommen haben. Daher gibt es kein Angebot von Arbeitsplätzen im Bereich des wirklich niedrigen Lohnes. Und solche Arbeitsplätze werden auch nicht dringend nachgefragt, weil Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe sich über die Jahrzehnte hin mit Gewährungslangmut und Leistungssätzen an das angepaßt haben, was die Gewerkschaften als unterste Lohnmarke aus strategischen Gründen durchgesetzt haben. Das ist doch gerade die verheerende Mechanik des Zusammenspiels vermachteter Lohnfindung und öffentlicher Versorgung der Opfer solcher Machtübungen: die Langzeitarbeitslosen sind die Überschußproduktion der Hochkostenpolitik des im bilateralen Monopol organisierten Lohnkartells« (H. D. Barbier in der FAZ v. 16.07.2004).
Es grenzt an Sozialzynismus, die SSL über die Solidarkassen ruhigzustellen. Was derzeit auf das Hartztreppchen geschoben wird, ist der untaugliche Verusch, die schlimmen, ja menschenverachtenden Arbeitsaussperrungen von Millionen von Menschen eher bürokratisch als marktwirtschaftlich zu korrigieren. Wenn in fernen Ländern soziales Unrecht zu beklagen ist, kann es hierzulande zu Lichterketten und öffentlichen Tribunals kommen. Wo bleibt das öffentliche Gewissen, wenn im eigenen Lande über Jahrzehnte millionenfache Arbeitslosenschicksale verbandskartellistisch ›produziert‹ werden? Warum hat man nicht schon vor Jahren Roß und Reiter öffentlich angeprangert? Der Skandal war in seiner Schwere durchaus vorhersehbar. Zur Erinnerung sei hier mein Schreiben wiederzitiert, das die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung am 30. Mai 2004 gekürzt veröffentlichte:
»Der Beitrag vom 2. Mai 2004 ›Freunde, wollt ihr ewig Stütze?‹ enthält mehrer Unrichtigkeiten, die um der historischen Wahrheit und des gesellschaftlichen Gewichts willen richtig gestellt werden sollten. Es trifft nicht zu, daß sich die Forschung um die berufliche Bildung von Minderqualifizierten nicht gekümmert hätte und daß kein Konzept vorläge. Bereits 1984 habe ich im Auftrag des DIHT ein Gutachten über die Lage von Schwach- und Schwerlernern angefertigt und ein Konzept für deren berufliche Ausbildung (Fachfertiger) vorgelegt, das auch von der damaligen Bundesbildungsministerin Wilms begrüßt, aber im persönlichen Gespräch als ›derzeit nicht umsetzbar‹ eingestuft wurde. Der Grund: scharfe Ablehnung durch den DGB. Wenn seither mehrere Millionen junger Menschen wegen Fehlens einer für sie angemessenen Anlehre ausbildungs- und arbeitslos geblieben sind, so haben vor allem Gewerkschaftsfunktionäre den wohl größten gesellschaftlichen Skandal der Nachkriegszeit zu verantworten. Diese bis heute unfaßbare Vernachlässigung schwach begabter junger Menschen ist in meinem Buch ›Berufsbildungspolitik‹ (4. Auflage) nachzulesen, auch für die genannten Institute (MPI u.a.), die Ihre Redakteurin falsch informiert haben. Unrichtig ist weiterhin die generelle Behauptung, ›die Wirtschaft will sie (diese Jugendlichen) nicht haben‹ . Richtig ist vielmehr: Nach dem von mir vorgeschlagenen Anlehre-Konzept würden die meisten Schwer- und Schwachlerner eine betriebliche Ausbildung schaffen und in den Unternehmen bei tariflich angepaßter Entlohnung auch unterkommen. Aber genau diese Lohneingruppierung wollen die Gewerkschaften nicht. Die ausländische Niedriglohnkonkurrenz und die Unternehmensflucht wären weit weniger dramatisch, hätten wir in Deutschland eine Ausbildung und Entlohnung, die der Minderbegabung und -leistung von etwa zehn Prozent aller Arbeitsfähigen entsprächen. Dem Skandal der versäumten Berufsausbildung sollte nicht noch ein Skandal irregeleiteter Berichterstattung folgen.«
©Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer ( ausgenommen die Originalzitate). Aus: www.walthari.com
27. Mai 2006
Der nachstehende Text gewinnt erneut hohe Aktualität angesichts des Börsenstreits zwischen Frankfurt/Main und Paris. Bekanntlich will die Pariser Börse einem Zusammenschluß mit der Deutschen Börse ausweichen, weil sie als Juniorpartner fungieren müßte.
12. Oktober 2006
Erneute Aktualität durch die Ereignisse um den EADS-Konzern.
Erstveröffentlichung am 24. Juni 2004
Frankreichs raffinierte Beherrschungsstrategie
Über gallische Dominanzneurosen
Es gehörte zum eisernen Bestand der europäischen Nachkriegsordnung, daß das besiegte Deutschland den gegen Kriegsende mitsiegenden Franzosen Dominanzprivilegien zugestand. Diese gallische Vorherrschaft auf dem Kontinent (England war nie damit einverstanden, fand sich aber in enger Anlehnung an die USA damit ab) ist brüchig geworden, weil die Nachkriegszeit längst vorbei ist und die realen Verhältnisse (Einwohnerzahl, Wirtschaftsmacht usw.) ihr Recht beanspruchen. Es ist mehr als nur unterhaltsam zu beobachten, mit welchen Methoden sich Paris gegen seine unaufhaltsame Entprivilegierung wehrt. Noch wird die gallische Abwehrstrategie in der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Die offizielle deutsche Politik fürchtet um den europäischen Frieden und nimmt es daher hin, daß Frankreich seinen bekannten kulturmissionarischen Eifer um einen raffinierten ökonomischen Ehrgeiz erweitert.
Strategisch ist die zweite Dominanzlinie von höchster politischer Brisanz. Extrapoliert man nämlich das französische Raffinement in die Zukunft, sind schwere Konflikte unausweichlich, geht es doch um gallische Brutalitäten, auch wenn sie elegant umkleidet werden. Dazu einige Beispiele:
- Die EU wird französisch dominiert. Schon rein geographisch läßt sich das belegen: Nahezu alle Arbeits- und Entscheidungsorte der EU liegen in der französischen Einflußzone (Brüssel, Luxemburg, Straßburg).
- Obschon Deutschland der größte Nettozahler ist, nimmt die deutsche Sprache nicht den gleichen Rang wie das Französische ein.
- Die EU-Administration wird personell von französischen Mitarbeitern weit stärker geprägt als von deutschen.
- Ordnungspolitisch steht die EU unter der Oberhoheit von Paris, was an der Brüsseler Regulierungsfreudigkeit sowie plan- und subventionsorientierten Industrie- und Agrarpolitik gut zu erkennen ist.
- Mit listiger Robustheit und staatlicher Unterstützung akquiriert Paris ausländische Konzerne (Hoechst-Aventis u.a.) und wehrt gleichzeitig ausländische Akquisitionen in Frankreich ab.
Man kann sicher sein: Bei jeder länderübergreifenden Initiative drängen sich die Franzosen an die Spitze und verteidigen ihre ergatterte Stellung mit diplomatischem Geschick und durchaus mit Kaltschnäuzigkeit. Bei der Errichtung des Gemeinschaftssenders ARTE war das nicht anders (er wurde in Straßburg errichtet und hängt stärker von Paris als von Berlin ab) als bei den Arbeiten zur europäischen Verfassung (ein ehemaliger französischer Staatspräsident hatte den Vorsitz inne). Die gallische Dominanzgesinnung zeigt sich ungeniert auch bei sogenannten Gemeinschaftsunternehmen. Als ich in den achtziger Jahren auf einem Brüsseler Forum ein Berufsbildungsprojekt zusammenzustellen versuchte, bei dem zwei EU-Länder mit einem Drittland verschnürt werden sollten (so die Projektbedingung der EU), gewann ich dafür die Vertreter Maltas und legte mein Konzept der französischen Delegation vor; diese war zur Mitarbeit nur unter der Voraussetzung bereit, daß das Projekt, das ich geplant hatte, von Paris aus geleitet würde, was ich allerdings ablehnte.
Im Bereich der Wirtschaft, in dem sich die Franzosen traditionell im Vergleich zu Deutschland unterlegen fühlen, kann sich ihre Vorteilstrategie auf staatliche Begleitung stützen. Jüngste Beispiele dafür sind die Übernahme des deutschen Pharmakonzerns Aventis durch den französischen Konkurrenten Sanofi-Synthélabo (vgl. unten) und der Affront gegenüber dem Siemenskonzern, der den maroden französischen Alstrom übernehmen wollte. Während im ersten Fall die Pariser Regierung eingriff, wehrte sich der Alstrom-Chef in Abstimmung mit seiner Regierung (denn Frankreichs Industriepolitik duldet auch in der Privatwirtschaft nur Manager mit Segen der Regierung) gegen eine Übernahme mit dem arroganten Satz, alle Partner seien willkommen, nur die deutsche Siemens nicht.
Es zeugt von politischer Naivität und geringer Lernfähigkeit, wenn sich der deutsche Wirtschaftsminister … über beide Brutalitäten »sehr verärgert« zeigte. Darüber sehen Franzosen hochmütig hinweg, weil sie Berlin immer noch mit Nachkriegsaugen betrachten. So hat Paris ohne Federlesen ein traditionelles Gipfeltreffen zwischen beiden Regierungen kurzfristig abgesagt, um die deutsche Verärgerung (über Aventis usw.) ins Leere laufen zu lassen. Ob Airbus-Herstellung oder Esa (Raketen-Satelliten-Programm) und ungezählte andere gemeinschaftliche Unternehmen, Paris führt an und schlägt seinen Partnern auch mal schulmeisterlich auf die Finger, so gegenüber Polen, das sich erdreistete, mit den USA militärisch sich im Irak zu engagieren.
Nun könnte man diese gallische ›Eigenart‹ weiterhin hinnehmen, wäre bei nüchterner Betrachtung nicht zu befürchten, daß in Zukunft dieses Dominanzbegehren nicht zu schlimmeren Verwerfungen oder gar Überwerfungen führen würde. Vor dieser realen Gefahr die Augen zu verschließen ist politisch unverantwortlich. Es darf nämlich nicht übersehen werden, daß das französische Hegemonialstreben Teil eines traditionell missionarischen Selbstverständnisses ist und daß Frankreich auf essentielle Interessen anderer Länder im Ernstfall wenig Rücksicht nimmt. Zur Schlitzohrigkeit an der Seine gesellt sich kränkende Belehrung, wenn z.B. der französische Staatspräsident über osteuropäische Länder die Peitsche schwingt.
Die l’exception culturelle hat sich mittlerweile nicht nur EU-institutionell abgesichert, sie unterfüttert sich auch ökonomisch in nationalistischer Manier, sei es mit dem feinen Florett der Pariser Diplomatie, sei es mittels sog. Gemeinschaftsinitiativen, sei es verdeckt über die Industriepolitik, sei es über die Besteuerung von (meist importierten) Luxusautos. Auf diese konfliktsteigernden Entwicklungen hinzuweisen läßt sich nicht mehr länger mit absurden Unterstellungen (Gefährdung der deutsch-französischen Freundschaft u.a.) desavouieren. Zurückhaltung um des lieben Nachbarfriedens willen ist nicht mehr hinnehmbar. Die gallische Herrschaftselite (und um sie handelt es sich hier, nicht um Monsieur Dupont oder um ›die Franzosen‹) hat ihren Beherrschungsehrgeiz längst auf die Spitze getrieben, von der sie aus freien Stücken nicht herabsteigen wird. Es ist daher an der Zeit, die Herrschaften an der Seine zur Ordnung zu rufen und ihnen mit politischem Freimut entgegenzutreten. Bloße ›Verärgerungen‹ quittieren die Ena-Eliten mit verschmitztem Lächeln und wissen sie mit solchen düsteren Szenarien und Parolen aus der Welt zu schaffen, die aus den verstaubten Magazinen des 20. Jh. stammen (das 19. Jh. taugt dafür weniger). Mahner und Kritiker werden dann flugs zu Feinde der Zivilisation. Aber davon sollte man sich nicht abschrecken lassen. Wer die deutsch-französische Verständigung will, muß sie auf Fairneß und Fakten, nicht auf Vormundschaft gründen.
© WALTHARI®, Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer. Aus: www.walthari.com
14. August 2000
Neonazis: Braune Horden
Kapitel aus: Dauenhauer, E.: Das veruntreute Land. Wohin driftet Deutschland?, 1. Und 2. Auflage, Münchweiler1998, Seite 87 ff. Näheres siehe Fenster Schriftenreihe, Sektion Zeitkritik in diesem WALTHARI-Magazin.
Keinem Vernünftigen auf der Welt geht es in den Kopf, wie angesichts der schrecklichen Untaten unter Hitlers Diktatur noch irgend jemand der faschistischen Ideologie anhängen kann. Daß Jugendliche auch heute ideologisch so verführbar sind wie eh und je, verwundert nicht; eine freiheitliche Gesellschaft wird sich stets alle Mühe geben, irregeleitete junge Menschen demokratisch zurückzugewinnen. Wenn freilich Erwachsene braune Parolen verbreiten, prallen historische Aufklärungen zumeist wirkungslos ab. Mag die Gesellschaft in den USA »ihre Neonazis« als sektenhafte Spinner betrachten, die nicht sonderlich beachtenswert seien, in den Ohren der Deutschen schwillt selbst ein kleiner brauner Aufmarsch zum dröhnenden Stiefelgerassel an. Die Sensibilität bleibt auf der historischen Folie der zwölf Hitlerjahre hellwach, wird allerdings von berufenen und selbstberufenen »Wächtern« gelegentlich übersteigert. Eine übertriebene Beachtung in den Medien führt nämlich nicht automatisch zu den gewünschten und d.h. vor allem abschreckenden Wirkungen. Die Naziaktivisten verdienen gewiß eine lückenlose Überwachung durch den Verfassungsschutz und eine strenge Justiz, eine Gefahr für die deutsche Demokratie sind sie aber (noch?) nicht. Nachhaltiger als Justiz, Verfassungsschutz und Medien können Schule und Elternhaus wirken. Der Ansehensschaden im Ausland, den das Auftreten brauner Horden anrichtet, vor allem in Ländern mit leidvoller deutscher Besatzungserfahrung, ist zweifellos beträchtlich. Auch nur der Anflug einer nazistischen Gesinnung ist ohne jeden Vorbehalt zu bekämpfen….
Wie steht es mit deutschen Intellektuellen? Ist für manche Kreise unter ihnen der Faschismus eine generell verwerfliche oder eine partiell nur mißratene oder gar verratene Ideologie? Im Gegensatz zum Sozialismus, der für nicht wenige »Kopfarbeiter« auch in Deutschland immer noch eine Versuchung (weil angeblich nur mißratene Befreiungsbewegung) darstellt1), ist keine faschistische Anhängerschaft von intellektuellem Rang erkennbar. Was am 8. Juni 1933 Rudolf G. Binding an Thomas Mann schrieb, mag die Hitlerverfallenheit mancher der damaligen Intellektuellen erklären, in unserer Zeit sind die Versuchungen für Schriftsteller, Künstler u.a. anderswo zu suchen. »Selbst ganz ruhige und kühle Menschen waren mitgerissen und hingerissen – und dies ist nicht eine Erfindung von Zeitungen und von Stimmungsmache. Es wehte uns etwas an, was nicht gewaltsam heraufbeschworen war, sondern was im Gegenteil in seiner Wechselwirkung zwischen dem Beschwörer und der ungeheuren Masse eines beschworenen Volkes sich deutlich dartat und eben dieses Hinreissende war.« 2)
1) Vgl. das Kapitel: Neosozialismus: postsozialistischer Aktivismus, in: Das veruntreute Land, a.a.O., S. 114 f.
2) Zitiert bei: Scholdt, G.: Autoren über Hitler,Bonn 1993, S. 404.
Copyright by WALTHARI® – Aus: www.walthari.com